Lüfter / Verdorfer / Wallnöfer | Wie die Schwalben fliegen sie aus | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Lüfter / Verdorfer / Wallnöfer Wie die Schwalben fliegen sie aus

Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten 1920–1960
2. Auflage 2020
ISBN: 978-88-7283-755-9
Verlag: Edition Raetia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten 1920–1960

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-88-7283-755-9
Verlag: Edition Raetia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In der Zwischenkriegszeit und in einer zweiten Welle in den Fünfzigerjahren arbeiteten viele junge Frauen, meist aus bäuerlichen Familien, in italienischen Großstädten als Dienst- bzw. Kindermädchen. Obwohl diese Arbeitsmigration quantitativ durchaus bedeutend war, fehlte dazu bislang jede historische Aufarbeitung. Wer sind die Frauen, und wie erfuhren sie von den Dienststellen, wie erlebten sie die Städte und die 'fremde' Kultur, wie die neue Arbeit? Wie gestaltete sich ihre Freizeit, wie erlebten sie die 'große Politik' in den Jahren des Faschismus, der Option und des Krieges? Und wie war es, in eine für viele sehr klein gewordene Welt zurückzukehren? Auf diese Fragen antworteten über siebzig ehemalige Dienstmädchen. Entstanden ist so ein farbiges und spannendes sowie reich bebildertes Buch, das einen bislang nicht beachteten Bereich der Sozial- und Frauengeschichte aufarbeitet.

Ursula Lüfter: Geboren 1974 in Bruneck. Nach dem Studium der Politikwissenschaften und Publizistik Tätigkeit als freie Journalistin. Mitarbeit u.a. beim Frauenbericht 2000 - Die Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in Südtirol. Lebt mit ihrem Mann, Manfred Beikircher, und ihren Töchtern, Emma und Pia, in Bruneck. Bei Edition Raetia: 'Wie die Schwalben fliegen sie aus' (2006) zusammen mit Martha Verdorfer und Adelina Wallnöfer.
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„Aufgewachsen sind wir mit Brennsuppe und Polenta“


Geografische Herkunft


Südtirol stellt als Herkunftsgebiet der Dienstmädchen eine politisch klar abgegrenzte Region mit alpinem, in dieser Zeitperiode vorwiegend strukturschwachem Charakter dar. Hatte die Industrialisierung in anderen Gebieten schon Mitte des 19. Jahrhunderts eingesetzt, wurde Südtirol auf Grund der besonderen politischen Lage in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch kaum davon berührt.1 Die wenigen Industriebetriebe, die sich vor allem in Bozen ansiedelten, waren den zugezogenen Italienern vorbehalten. Auch aus der Verwaltung und dem öffentlichen Dienstleistungssektor blieben die Südtiroler weitgehend ausgeschlossen. Bis zu 70 Prozent der Bevölkerung, in abgelegenen Tälern auch mehr, arbeiteten bis in die 60er Jahre noch in der Landwirtschaft. 2

Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung stetig. Verbesserte ärztliche Versorgung und bessere hygienische Verhältnisse ab dem 19. Jahrhundert führten auch im südlichen Tirol dazu, dass in den Familien sechs, acht oder mehr Kinder aufwuchsen und ernährt werden mussten. Die Landwirtschaft allein bot aber nur wenigen Menschen dauerhaft Einkommen und Arbeit. Außerhalb des Elternhauses reduzierten sich die Arbeitsmöglichkeiten für Männer und Frauen traditionell auf Knecht und Magd. Für Mädchen und Frauen war es dazu grundsätzlich schwieriger, Lohn und Brot zu finden, da auf einem Bauernhof mehr Bedarf an männlichen Arbeitskräften war.3

Allein in einer der wenigen Städte Südtirols oder in deren unmittelbarer Nähe konnten Mädchen auch in anderen Berufszweigen unterkommen. Die Angebote waren dort vielfältiger und beschränkten sich nicht nur auf bäuerliche Arbeiten. Meran und Bozen boten etwa Stellen im Handel oder als Hausmädchen in einer bürgerlichen Familie4. Wohl auch deshalb ging seit 1910 die Zahl der erwerbstätigen Frauen in der Landwirtschaft stärker zurück. Vermutlich empfanden gerade Frauen „die Arbeitsbedingungen in nicht bäuerlichen Diensten als wesentlich vorteilhafter“.5 Das Angebot reichte in Südtirol allerdings nicht aus, um alle „überschüssigen“ weiblichen Arbeitskräfte zu beschäftigen, sodass viele gezwungen waren, die Herkunftsfamilie zu verlassen und auch in entfernte Regionen abzuwandern.6

Nun weist Südtirol vielfältige Siedlungsformen und -strukturen auf, die Siedlungen liegen zwischen 200 und 2000 m Meereshöhe. Die unterschiedliche Bewirtschaftung und Produktivität regelte den Bedarf an freien Arbeitskräften und führte zur größeren oder geringeren Notwendigkeit der Arbeitsmigration in den verschiedenen Tälern und Gebieten. In einigen Landesteilen Südtirols, wo das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Lebensgrundlagen die Existenz der Bewohner seit jeher in Frage stellte, gab es immer schon Wanderbewegungen. In erster Linie hatte dies allerdings Männer betroffen, die sich etwa als Bauhandwerker außerhalb des Landes verdingten.7 Es gibt jedoch auch Hinweise, dass Frauen bereits im 17. Jahrhundert ins Ausland gingen und dort bei Bauern dienten.8

Im Obervinschgau lässt sich die saisonale Abwanderung in ferne Regionen bis in die frühere Neuzeit zurückverfolgen. Das bekannteste Phänomen ist das der Schwabenkinder.9 Nicht nur Kinder verließen vom Frühjahr bis zum Herbst das Tal, auch Erwachsene suchten auswärts Arbeit. Um 1890 hielten sich 250 von 116010 Personen aus der Gemeinde Prad außerhalb ihres Heimatortes auf.11 Sehr viele von ihnen arbeiteten in den verschiedenen Ländern der Habsburgermonarchie12, aber auch in der nahen Schweiz13 und in Italien14.

Johannes Grießmair stellte in seiner Untersuchung über Dienstboten im Pustertal fest, dass das Ahrntal und das Gadertal bis zum Zweiten Weltkrieg sehr viele Dienstboten stellten, das heißt, dass in diesen abgelegenen Talschaften ein besonders großer Überschuss an Arbeitskräften herrschte.15

Als am Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Urlauber nach Südtirol reisten und der Fremdenverkehr sich als neue Einnahmequelle erwies, öffneten sich zunehmend auch bis dahin eher abgelegene Täler und Ortschaften. Allerdings entwickelte sich der Tourismus nicht überall in gleichem Maß. Durch den Ersten Weltkrieg kam es zunächst zu einem drastischen Einbruch in dieser Branche. Zu Beginn der 20er Jahre, also nach der Annexion Südtirols durch Italien, setzte schließlich ein Massentourismus ein, der neben internationalen und deutschen Gästen auch Scharen von Italienern in die Dolomiten, ins Pustertal, ins Grödental und in die Ortlerregion, nach Bozen und Meran brachte.16 Das bedeutete neue Arbeitsplätze vor allem für Mädchen und Frauen. Gleichzeitig bot sich Arbeit suchenden Mädchen die Gelegenheit, italienische Familien kennen zu lernen, die eventuell auf der Suche nach einem Hausmädchen waren. Viele nutzten die Chance und nahmen eine Hausmädchenstelle in einer italienischen Stadt an, etwa in Mailand, Florenz oder Rom.

Geografische Herkunft der befragten Frauen

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Genaue Angaben, wie viele Mädchen in der Zwischenkriegszeit in italienischen Städten als Hausangestellte dienten und aus welchen Landesteilen sie stammten, lassen sich nicht machen. Die Mädchen waren in der Regel am Arbeitsort nicht gemeldet, deshalb erfolgte keine entsprechende amtliche Registrierung weder am Arbeitsort noch in der Heimatgemeinde.

Die große Anzahl der Vinschgerinnen unter den Befragten erklärt sich nicht nur mit der ausgeprägteren Strukturschwäche des Gebietes, sondern auch damit, dass hier die Autorinnen auf Grund einiger persönlicher Beziehungen umfassendere Kontakte zu den Frauen aufnehmen konnten als in den anderen Landesteilen Südtirols. Daher lassen sich aus den hier zusammengetragenen Daten nur bedingt Rückschlüsse auf die tatsächliche Raum- und Mengenverteilung der Migrantinnen ziehen.

Kinder des Krieges


Die erste Wanderungswelle Südtiroler Mädchen in italienische Städte in den 20er und 30er Jahren umfasst die zwischen 1900 und 1923 Geborenen. Einige von ihnen erlebten noch den Krieg mit und waren geprägt vom Schock des Anschlusses Südtirols an Italien. Der Südtiroler Historiker Hans Heiss schreibt über die Aussichten dieser Kriegs- und Nachkriegskinder: „Wer 1914 in Südtirol zur Welt kam, erfuhr in seiner frühen Kindheit die prägende Erfahrung des Mangels, oft sogar des Hungers. Den Waffenstillstand 1918, den Frieden 1919 erlebten auch die Kinder nicht als Befreiung, sondern übernahmen die Sicht ihrer oft bekümmerten Eltern, die sich um ihre Existenz, um Arbeitsplatz und Einkommen sorgten.“17

Die Väter standen meist als Soldaten im Ersten Weltkrieg, oft blieben die Frauen allein mit einer Schar kleiner, hungriger Kinder und harter Arbeit auf dem Hof zurück. Der staatliche Unterhaltsbeitrag für die Angehörigen eines Soldaten war angesichts der enorm ansteigenden Lebenshaltungskosten während des Krieges kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.18

Die ältesten der ehemaligen Dienstmädchen haben zwar nur wenige, dafür aber umso eindrücklichere Erinnerungen an den Krieg. Es sind Erinnerungen an Hunger, an die Präsenz von Soldaten und Gefangenen. Die 1910 geborene Rebekka Rungg aus Prad erzählt: Regina Walcher aus Eppan erinnert sich, dass die Bauern Vieh, Getreide, Milch und Butter für die Soldaten stellen mussten: Auch die Familie von Maria Girardi aus Tramin litt unter der Lebensmittelknappheit während des Krieges. Als Maria 1943 in Innsbruck von der Gestapo in Untersuchungshaft genommen wurde, antwortete sie dem Gefängnisdirektor auf die Frage, wie sie mit dem Essen zufrieden sei:


Ursula Lüfter: Geboren 1974 in Bruneck. Nach dem Studium der Politikwissenschaften und Publizistik Tätigkeit als freie Journalistin. Mitarbeit u.a. beim Frauenbericht 2000 – Die Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in Südtirol. Lebt mit ihrem Mann, Manfred Beikircher, und ihren Töchtern, Emma und Pia, in Bruneck. Bei Edition Raetia: "Wie die Schwalben fliegen sie aus" (2006) zusammen mit Martha Verdorfer und Adelina Wallnöfer.



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