MacBride Der erste Tropfen Blut
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-12240-9
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 3, 512 Seiten
Reihe: Detective Sergeant Logan McRae
ISBN: 978-3-641-12240-9
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im fahlen Licht eines Februarmorgens zeigt sich Aberdeen nicht gerade von seiner einladendsten Seite. Aber auf Detective Sergeant Logan McRae wartet Schlimmeres als ein kalter Tag, nämlich die Leiche eines Unbekannten, der vor der Notannahme des Krankenhauses abgeladen wurde. Als eindeutiges Filmmaterial mit dem jungen Mann auftaucht, weist alles auf einen Zusammenhang mit der Pornoszene hin. Während Logan der Spur nachgeht, versucht seine Kollegin Jackie Watson den Vergewaltiger zu fassen, der die Stadt unsicher macht ...
Bereits »Die dunklen Wasser von Aberdeen«, Stuart MacBrides erster Roman um den Ermittler Logan McRae, wurde als bestes Krimidebüt des Jahres ausgezeichnet. Seither sind die brillanten Spannungsromane des Schotten aus den internationalen Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Stuart MacBride lebt mit seiner Frau im Nordosten Schottlands.
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2
Das Aberdeen Royal Infirmary wucherte wie ein steinerner Tumor. Nach jahrelanger Remission hatte er wieder zu wachsen begonnen und infizierte die Umgebung mit neuen Flügeln aus Beton und Glas. Und jedes Mal, wenn Detective Sergeant Logan McRae das Krankenhaus sah, wurde ihm ganz flau im Magen.
Mit einem unterdrückten Gähnen zerdrückte er den dünnen Plastikbecher, aus dem er seinen Automatenkaffee getrunken hatte, und warf ihn in den Abfalleimer, ehe er die braune Doppeltür aufstieß und in den betäubenden Geruchscocktail aus Desinfektionsmitteln, Formalin und Tod eintauchte.
Die Leichenhalle des Krankenhauses war wesentlich größer als die drüben im Präsidium der Grampian Police – und um einiges lebendiger. Eine kleine Stereoanlage in der Ecke beschallte den großen, braunen Saal mit Dr. Hook’s Greatest Hits, und die Musik übertönte das Gurgeln des Wassers, das im Abfluss eines der Seziertische verschwand. Eine Frau mit grüner Plastikschürze, OP-Anzug und weißen Gummistiefeln verstaute zu den Klängen von When You’re in Love with a Beautiful Woman die Organe einer alten Dame wieder dort, wo sie hergekommen waren.
Logans unidentifizierte männliche Person lag auf dem Rücken auf einer Krankenhaus-Fahrtrage, die Augen mit Klebstreifen verschlossen, die Haut bleich wie Wachspapier. Sie hatten die ganzen Schläuche und Kabel von der OP für die unvermeidliche Obduktion im Körper stecken lassen – es sah aus, als hätten sie mittendrin aufgehört und ihn einfach vergessen. Mitte zwanzig, kurzes blondes Haar, dünn, aber muskulös, als hätte er jede freie Minute im Fitnessstudio verbracht. Unterleib und Beine waren rot verschmiert, und eine lange Reihe hastig ausgeführter Stiche zeigte, wo sie ihn wieder zusammengenäht hatten, nachdem der Chirurg schließlich die Niederlage eingestanden hatte. Tod gegen Staatlicher Gesundheitsdienst Grampian – Endstand 1:0.
Die Frau hielt im Stopfen der alten Dame inne, hob den Kopf und sah Logans Blick auf dem nackten Körper des Mannes ruhen. »Polizei?« Logan nickte, worauf sie ihre Maske abnahm. Krauses rotes Haar quoll unter ihrer OP-Haube hervor. »Hab ich mir schon gedacht. Wir haben ihn noch nicht eingesackt.« Das war ja wohl offensichtlich. Allerdings war die Hoffnung, dass man an der Leiche noch verwertbare Spuren finden würde, eher gering, nachdem sie nacheinander in der Notaufnahme, im Behandlungsraum und schließlich im OP kontaminiert worden war.
»Kein Problem«, sagte er. »Ich kann warten.«
»Okay.« Sie hob den Brustkorb der alten Dame von einem Edelstahl-Rolltisch und pfriemelte ihn wieder in seine Höhle. Dann machte sie sich ans Zunähen.
Logan sah ihr eine Weile dabei zu und fragte dann: »Wär’s vielleicht möglich, dass Sie mal einen kurzen Blick auf unseren unbekannten Toten hier werfen?«
Sie schnaubte. »Vergessen Sie’s! Haben Sie eine Ahnung, was Ihre Majestät die Hormonzicke mit mir anstellen würde, wenn sie dahinterkäme, dass irgendeine dahergelaufene Pathologieassistentin an der Leiche rumgefummelt hat, bevor sie sie in ihre eisigen Finger gekriegt hat?«
»Ich verlange ja keine komplette Obduktion von Ihnen, aber könnten Sie nicht, na ja …« – Achselzucken – »… mal einen Blick riskieren?« Er setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. »Sonst müssen wir bis morgen Nachmittag warten. Je eher wir Bescheid wissen, desto schneller können wir den Kerl schnappen, der das getan hat. Kommen Sie, nur eine rasche äußere Untersuchung – kein Mensch wird davon erfahren.«
Sie schürzte die Lippen, runzelte die Stirn, seufzte und sagte dann: »Okay. Aber wehe, Sie erzählen irgendwem, dass ich das gemacht habe – dann landen Sie in einem von diesen verdammten Kühlfächern, verstanden?«
Logan grinste. »Meine Lippen sind versiegelt.«
»Na schön«, erwiderte sie. »Geben Sie mir noch eine Minute, dann bin ich hier fertig, und dann sehen wir, was sich machen lässt …« Zehn Minuten später war die alte Dame fertig zugenäht und lag wieder in ihrem Kühlfach. Die Pathologieassistentin zog ein frisches Paar Handschuhe an. »Was wissen wir über ihn?«
»Wurde vor dem Eingang der Notaufnahme aus einem Auto geschubst, eingewickelt in eine Decke.« Logan hielt die Plastiktüte voller blutbefleckter Textilien hoch, die sie ihm oben in die Hand gedrückt hatten. »Wir werden die Kleidung noch von der Spurensicherung unter die Lupe nehmen lassen, aber es könnte sich um einen Unfall mit Fahrerflucht handeln. Der Fahrer rennt auf dem Nachhauseweg irgendein armes Schwein über den Haufen, gerät in Panik, packt den Mann in den Kofferraum und lässt ihn vor dem Krankenhaus liegen.« Er sah zu, wie die Pathologieassistentin sich über den Toten beugte und das erkaltete Fleisch betastete, während sie im Takt der Musik halblaut »Unfall mit Fahrerflucht« murmelte.
»Wohl eher nicht.« Eine verirrte orangefarbene Locke wippte, als sie den Kopf schüttelte. »Sehen Sie mal …« Sie hakte den Zeigefinger in den Mundwinkel des Mannes und zog die Oberlippe hoch, um die Zähne freizulegen, zwischen denen noch der Beatmungsschlauch steckte. »Schneidezähne, Eckzähne und vordere Backenzähne sind abgesplittert, aber Nase und Kinn sind unversehrt. Ein Schlag oder ein Aufprall hätte Verletzungen an den Innenseiten der Lippen bewirkt. Er hat auf irgendwas gebissen …« Sie strich mit den Fingerspitzen über die Wange des Toten. »Sieht nach einer Art Knebel aus; man kann gerade so die Abdrücke auf der Haut erkennen.« Logan überlief es eiskalt.
»Sind Sie sicher?«
»Jep. Und der Körper ist mit winzigen Verbrennungen übersät. Sehen Sie?« Kleine, kreisförmige rote Flecken entzündeter Haut, manche mit gelblich verfärbten Blasen in der Mitte. O Gott.
»Was noch?«
»Hautabschürfungen, Blutergüsse … Ich würde sagen, jemand hat ihn ein bisschen in die Mangel genommen … Da sind noch weitere Male an den Handgelenken, als wäre er irgendwo festgebunden worden. Für ein Seil ist es zu dick. Ein Gürtel? So was in der Art.«
Das hatte Logan gerade noch gefehlt: schon wieder ein Toter, der gefesselt und gefoltert worden war. Er wollte gerade fragen, ob irgendwelche Fingerglieder fehlten, als sie ihm ein Paar Handschuhe reichte und ihn aufforderte, ihr beim Umdrehen der Leiche zu helfen. Alles war voll mit dunklem, verklebtem Blut, vom Kreuz bis hinunter zu den Fußgelenken.
Die Pathologieassistentin ließ den Blick langsam über die Haut des Toten wandern und fand dabei weitere Verbrennungen und Prellungen, die sie Logan zeigte. Mit einem klebrigen Klettverschluss-Ratschen hebelte sie sodann die Pobacken des Toten auseinander. »Oh, verdammt!« Sie trat zurück, blinzelte und nahm das Gesäß des Mannes noch einmal genauer in Augenschein. Dr. Hook stimmte gerade If I Said You Had a Beautiful Body Would You Hold It Against Me? an. »Wenn das ein Autounfall war, dann muss jemand versucht haben, mit einem Lieferwagen in seinem Enddarm einzuparken.« Sie richtete sich auf und streifte die Latexhandschuhe ab. »Und wenn Sie noch mehr wissen wollen, dann müssen Sie einen Rechtsmediziner fragen, weil ich ihn nämlich nicht aufschneiden werde, um es rauszufinden.«
Das Präsidium der Grampian Police war nicht das attraktivste Gebäude in Aberdeen: ein siebenstöckiger Block mit Querstreifen aus dunkelgrauem Beton und Glas – wie ein hässlicher Lakritzwürfel. Das fahlgelbe Licht der Straßenlaternen konnte den Gesamteindruck auch nicht retten.
Aus der Eingangshalle drang lautstarkes, empörtes Geschimpfe, also beschloss Logan, einen Bogen darum zu machen. Ein Blick durch die teilverglaste Tür genügte: Eine kräftige Frau mit grauen Haaren und einem Krückstock hielt dem dicken Gary vom Empfang eine Standpauke über die Schikanen, die Vorurteile und die schiere Dummheit der Polizei. »SIE SOLLTEN SICH ALLE WAS SCHÄMEN!«, brüllte sie aus voller Lunge. Logan nahm lieber gleich die Treppe.
In der Kantine war nicht viel los; kein Wunder, es war schließlich kurz nach Mitternacht. Nur das Klappern von Töpfen und Pfannen und das leise Gedudel eines Radios leisteten Logan Gesellschaft, als er allein an seinem Tisch saß, seine Tomatencremesuppe schlürfte und dabei nicht an das ramponierte Hinterteil des Toten in der Pathologie zu denken versuchte.
Er war gerade fertig, als eine vertraute Gestalt leise vor sich hin brummelnd an den Tresen trat und drei Tassen Kaffee bestellte, eine mit Spucke drin. PC Jackie Watson, nicht mehr aufgebrezelt wie eine Schnepfe für ihren Einsatz als Lockvogel für den Vergewaltiger, sondern wieder in ihrer schwarzen Uniform, das Haar vorschriftsmäßig zu einem Knoten gebunden. Sie wirkte nicht sonderlich glücklich. Er schlich sich von hinten an sie heran, während sie auf den Kaffee wartete, fasste sie um die Taille und machte »Buh!«.
Sie zuckte nicht einmal zusammen. »Ich hab dein Spiegelbild im Niesschutz gesehen.«
»Oh … Und, wie läuft’s so?«
Jackie starrte den kleinen alten Mann, der am Kaffeeautomaten herumwerkelte, über den Tresen hinweg an. »Wie lange dauert das denn, drei läppische Tassen Kaffee zu machen?«
»So gut, hm?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Mann, ich wäre ja noch schneller als der, wenn ich erst nach Brasilien schwimmen müsste, um die Bohnen zu holen!«
Als die drei Tassen endlich kamen, begleitete Logan Jackie zurück zum Vernehmungsraum 4. »Halt mal kurz«, sagte sie und drückte ihm zwei der Pappbecher in die Hand. Sie zog den Plastikdeckel des...