Maercker / Gieseke | Psychologie als Instrument der SED-Diktatur | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 264 Seiten, Format (B × H): 225 mm x 155 mm

Maercker / Gieseke Psychologie als Instrument der SED-Diktatur

Theorien - Praktiken - Akteure - Opfer

E-Book, Deutsch, 264 Seiten, Format (B × H): 225 mm x 155 mm

ISBN: 978-3-456-76072-8
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Ergebnisse der Historischen Kommission der DGPs, die den Missbrauch der Psychologie im Rahmen der "operativen Psychologie" der Staatssicherheit der DDR aufgearbeitet hat.

Bis in die Gegenwart machen Psycholog*innen Schlagzeilen, die an staatlichem Unrecht beteiligt sind, wie zuletzt in den USA, wo sie den Einsatz von Folter gegen Terrorverdächtige mit ihrer Expertise begleiteten.
Im Fokus dieses Bandes steht die Psychologie in der DDR. Die unter sowjetischer Hegemonie nach 1945 entstandene SED-Diktatur hat viele Menschen verfolgt und ihre Lebenswege beeinträchtigt. Ein wichtiges Kapitel ist dabei die Nutzung psychologisches Wissens durch das Ministerium für Staatssicherheit. Es stellte sich auch die Frage, auf welche Weise und in welchem Maße sich Psychologen an den Unterdrückungs- und Gewaltmaßnahmen in der DDR beteiligt haben. Und welche Querverbindungen gab es zwischen akademischer Psychologie und der DDR-Geheimpolizei.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) hat 2017 die Historische Kommission „Instrumentalisierung der Psychologie in der DDR“ eingerichtet. Psycholog*innen und Historiker*innen untersuchen unethische Praktiken der Psychologie in der DDR, in der Überwachungs- und Verfolgungspraxis der Stasi und darüber hinaus. Vorliegender Band fasst die aktuellen Forschungsergebnisse zusammen:

• Wie wissenschaftlich war die Stasi-Psychologie?
• In welchem zeithistorischen Kontext entspann sich die Verbindung zwischen Geheimpolizei und Psychologie?
• Wie stand es um die Autonomie der universitären Psychologie unter Marxismus-Leninismus?
Das vorliegende Buch stellt ganz zentral die Frage, was sich aus der Beteiligung von Psychologen an inhumanen und unethischen Berufspraktiken für die heutige Zeit lernen lässt.
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Zielgruppe


Psycholog_innen, Historiker_innen, breites Publikum

Weitere Infos & Material


|37|2  Psychologisches Wissen in der Verfolgungspraxis der DDR-Staatssicherheit – ein historischer Überblick
Jens Gieseke 2.1  Einleitung
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) steht wie keine zweite Institution für Verfolgung und Überwachung unter der SED-Diktatur. Es inhaftierte etwa 90?000 Personen wegen vermeintlicher politischer Straftaten und durchdrang die gesamte Gesellschaft mit einem Überwachungsnetz, das die Stabilität der kommunistischen Parteiherrschaft garantieren sollte. Über die vier Jahrzehnte seiner Existenz baute die SED-Führung diesen geheimpolizeilichen Apparat immer weiter aus, sodass 1989 rund 91?000 hauptamtliche Mitarbeiter in ihm tätig waren (für Überblicke zur Geschichte des MfS siehe Gieseke, 2011; Kowalczuk, 2014). Dieser Text verfolgt zwei Fragen durch die verschiedenen Phasen der MfS-Geschichte: Welche Rolle spielte das Einwirken auf die Psyche, also auf das Erleben und Verhalten von Personen in der Verfolgungs- und Überwachungspraxis des MfS im historischen Wandel? Dabei werden drei Formen geheimpolizeilichen Wirkens unterschieden: der Umgang mit Inhaftierten; das Vorgehen gegen Personen, die aus MfS-Sicht als „Feinde“ galten, aber (noch) nicht inhaftiert waren, also z.?B. Oppositionelle, gegen die das MfS sogenannte Zersetzungsmaßnahmen anwendete; und die Rekrutierung von und Arbeit mit Informanten und Agenten.5 |38|Welche Rolle spielte die „Psychologie“ als Wissensform in diesem Prozess, also als akademisch erarbeitetes und vermitteltes Wissen? Es geht hier also um die allgemeinere Frage, ob und wie das MfS Prozesse einer „Verwissenschaftlichung des Sozialen“, also der „dauerhaften[n] Präsenz humanwissenschaftlicher Experten, ihrer Argumente und Forschungsergebnisse in Verwaltungen und Betrieben“ (Raphael, 1996, S. 166) in Ausbildung und Tätigkeit durchlief und welche Auswirkungen eine solche Verwissenschaftlichung, hier also: „Psychologisierung“, in seiner praktischen Arbeit als Verfolgungs- und Überwachungsinstitution hatte. In Anlehnung an übergreifende Überlegungen zur Periodisierung der Geschichte des Staatssozialismus und seiner Geheimdienste werden dabei drei Phasen unterschieden (Engelmann, 1999): Die erste Phase ist die Phase der Machtdurchsetzung der SED mit sowjetischer Unterstützung unter den Bedingungen des Stalinismus bis zu ihrem Abschluss mit Entstalinisierung 1956 und Mauerbau 1961. Als zweite Phase der poststalinistischen Modernisierung wird hier die zweite Hälfte der 1950er-Jahre bis etwa Mitte der 1970er-Jahre gefasst. Das MfS breitete sich mit einem Programm der präventiven Kontrolle in allen gesellschaftlichen Sphären aus und etablierte die dafür erforderlichen Arbeitstechniken. Die dritte Phase, die Phase des „Spätsozialismus“, von der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre bis zum Zusammenbruch des Parteiregimes, war von wachsenden Verfallserscheinungen bei äußerlicher „Ultrastabilität“ geprägt und mündete in den Zusammenbruch der SED-Diktatur und damit auch der Staatssicherheit unter dem Druck der revolutionären Bewegung des Herbstes 1989. 2.2  Physische Verfolgung im Stalinismus: 1945 bis 1953/56
Die erste Phase der MfS-Geschichte war maßgeblich durch die Gewaltpraktiken der stalinistischen Herrschaftsdurchsetzung geprägt, wie sie die sowjetische Besatzungsmacht in dem im Zuge des Zweiten Weltkrieges ausgedehnten Territorium vom Baltikum bis in die sowjetische Besatzungszone anwendete: Massenverhaftungen, Inhaftierung in Isolierungslagern mit grassierenden Seuchen und zehntausenden Toten, Aburteilungen zu Zwangsarbeit oder Todesurteile. Mit der Gründung eines eigenen DDR-Ministeriums für Staatssicherheit im Februar 1950 ging die Verfolgungsfunktion von der bis 1955 weiterhin präsenten sowjetischen |39|Geheimpolizei sukzessiv in deutsche Hände über (Engelmann, 1997). Der Höhepunkt der Massenverhaftungen lag zwischen der 2. SED-Parteikonferenz im Juli 1952 und dem Tod Stalins im März 1953 (Gieseke, 2011). Hauptziel der Geheimpolizei in dieser Phase war die Ausschaltung aller Gegenkräfte gegen die Hegemonie der Kommunisten in Staat und Gesellschaft. Anschließend an die Praktiken des stalinistischen Massenterrors bedeutete „Ausschaltung“ im Extremfall die Tötung oder aber die Beseitigung jeglicher Handlungsautonomie durch Inhaftierungen und Verurteilungen zu langjährigen Zuchthausstrafen. Dieser Modus der Gewalteskalation brachte eine eigene „Organisationskultur“ der Repressionsinstanzen mit sich, der die inneren Verhältnisse auch in der frühen DDR-Staatssicherheit maßgeblich prägte. Für die Legitimation der kommunistischen Herrschaft war dabei das Erzwingen von Geständnissen wichtig, die das Wirken imperialistischer Feinde gegen den kommunistischen Staat „bewiesen“. Nach Stalins Tod betrieb die sowjetische Führung jedoch eine Eindämmung dieses Modus, der sich auch gegen die kommunistischen Spitzenfunktionäre selbst gerichtet hatte und die Gesellschaft insgesamt lähmte (Baberowski, 2012). Für den Großteil der Verfolgungstätigkeit des MfS in dieser frühen Phase spielte das Einwirken auf die Psyche von Verfolgten nur eine untergeordnete Rolle. Bei der Durchsetzung von Machtpositionen in der „eroberten“ Gesellschaft kam es vielmehr auf deren Entfernung als Fabrik- oder Gutsbesitzer, Staatsbedienstete, bürgerliche oder sozialdemokratische Politiker usw. an. Das Einwirken auf die Psyche hatte aber zumindest an einem Punkt ihren Platz – nämlich in der Vorbereitung von Schauprozessen durch das Erzwingen und Einüben von Geständnissen, in denen sich selbst gestandene Kommunisten bezichtigen sollten, „imperialistische Agenten“ zu sein. Für diese inquisitorische Funktion des Geständnisses für die imaginierte Ordnung von Freund und Feind im Stalinismus stand die Erzeugung von Angst und Schrecken durch physische Gewalt oder deren Androhung an erster Stelle. Dazu dienten die Haftbedingungen selbst (Isolation, Dunkelheit, Hitze oder Kälte, Hunger, Schwächung und primitivste sanitäre Verhältnisse). Im Verhör waren Nachtverhöre bei Schlafverbot am Tage die gängigste Methode der Folter. Aber auch das Schlagen von Gefangenen gehörte bis 1955 zum festen Repertoire (für einen Überblick über die Haftbedingungen im Wandel siehe Müller, 1997; Spohr, 2015). Es gab in dieser Phase durchaus einen internen, in Ansätzen kontroversen Diskurs über die Legitimität von physischer Folter. Doch galt die Anwendung von „harten“ Methoden in der stalinistischen Ethik als moralisch legitimes Mittel, um die gewünschten Aussagen zu erzwingen (Gieseke, 2000). Im Zuge der Entstalinisierung kam es dann auf nachdrückliche sowjetische Forderungen hin erstmals zu einer zumindest graduellen Veränderung dieser Pra|40|xis. Mit exemplarischen Disziplinierungen von physisch gewalttätigen Vernehmern und Wärtern dämmte der damalige Chef der Staatssicherheit, Ernst Wollweber, solche offenen Gewaltakte schrittweise ein. Diese „tschekistische“ Gewaltkultur und das biografische Profil der Gründergeneration brachten es mit sich, dass akademische Expertise im MfS bis zu Beginn der 1960er-Jahre keine erkennbare Rolle spielte – dies galt für die Psychologie wie für jede andere...


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