Mak | Die vielen Leben des Jan Six | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Mak Die vielen Leben des Jan Six

Geschichte einer Amsterdamer Dynastie
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-19979-1
Verlag: Siedler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Geschichte einer Amsterdamer Dynastie

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-641-19979-1
Verlag: Siedler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Buddenbrooks der Niederlande. Das neue große Familienepos von Geert Mak

Sie sind die Buddenbrooks der Niederlande: Die Six-Dynastie gehört seit dem Goldenen Zeitalter zu den politisch und kulturell bedeutendsten Familien des Landes. Bestsellerautor Geert Mak folgt den Spuren dieser Familie, die seit mehr als vierhundert Jahren in Amsterdam ansässig ist, und erweckt ihre Geschichte und Geschichten zu neuem Leben. Er erzählt die Biographie der Familie bis heute und entwirft zugleich ein ebenso farbiges wie schillerndes Panorama ihrer unterschiedlichen Epochen.

Jan Six – Mäzen, Aufklärer, Kunstsammler, Amsterdamer Regent und verewigt auf einem der schönsten Porträts, das Rembrandt je schuf – gilt als Begründer der Dynastie und hatte eine ganze Reihe von Nachkommen, von denen der jeweils Erstgeborene seinen Namen trug. Wie er gelangten viele von ihnen in den darauffolgenden Jahrhunderten in Kunst, Politik und Wissenschaft zu Reichtum und Ruhm. Andere Familienmitglieder wiederum verbrachten ihr Leben in Armut und Einsamkeit. Zahlreiche Tagebücher, Briefe, Notizen und Aufzeichnungen, die sich zusammen mit dem Rembrandt-Bildnis bis heute im Besitz der Familie befinden, zeugen davon. »Die vielen Leben des Jan Six« ist die Geschichte einer Familie und ihrer Stadt über viele Generationen hinweg. Es ist eine Geschichte von Ambitionen und Scheitern, von Größe und der ewigen Angst vor dem Niedergang.

Geert Mak, geboren 1946, ist einer der bekanntesten Publizisten der Niederlande und gehört nach drei großen Bestsellern zu den wichtigsten Sachbuchautoren des Landes. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen zählen »Amsterdam« (1997), »Das Jahrhundert meines Vaters« (2003) und »In Europa« (2005). Zuletzt erschienen »Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten« (2013), »Die vielen Leben des Jan Six« (2016) sowie »Große Erwartungen. Auf den Spuren des europäischen Traums« (2020). Für sein Werk erhielt Geert Mak 2008 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Seine Bücher sind internationale Bestseller und wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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I
AMSTEL

Jetzt, nachdem ich schon seit so langer Zeit durch diese Flure und Zimmer gehe, mir die Porträts vertraut sind wie alte Freunde, jetzt, da ich ihre viele Kartons füllenden Briefe lese, Tag für Tag, jetzt fangen sie an, zu mir zu sprechen. Ich wusste, dass dieser Moment kommen würde. Ich höre sie von den Wänden und aus der Bibliothek, oft flüsternd, manchmal auch schrill, einer lispelt, mit seinem goldenen Gebiss aus dem Jahr siebzehnhundertirgendwas.

Sie sehen mich an, ich spüre ihre Blicke, und aus dem Archiv auf dem Dachboden höre ich ihre Stimmen, aus Tausenden von Briefen und Notizen:

»Um Mangold zuzubereiten, nimmt man Kerbel, den ersten Schnitt. Rübchen, Petersilie, Zwiebeln, dahinein streut man Weizenmehl, während man das Ganze hackt. Die Masse in kochendes Wasser geben, etwas Salz hinzufügen, dazu am besten Reis, etwas Weizenbrot und etwas Butter.«

»Und ich änd’re die häuslichen Sitten

Um Euretwillen allein

Ich hatt’ geschworen, nimmermehr zu minnen

Doch als ich Euch sah, änderte sich mein Sinnen …«

»Der Staatsrat wird wahrscheinlich meinem Mann zufallen, die Generalität dem Bürgermeister Sautijn. Witsen hat die Hälfte seiner Posten für Bürgermeister Munter niedergelegt.«

»Es gefällt uns bisher recht gut hier, obwohl wir nicht zu größeren Festen gehen, wir sind einmal bei Hofe gewesen, und dieses Fest war sehr schön.«

»Nach den vielen Unannehmlichkeiten, die Ihr mir gestern und vorgestern erneut bereitet habt (…), indem Ihr Euch überhaupt nicht in das fügen wolltet, was Euch Eure Pflicht als Frau gebietet, nämlich das Haus für Euren Mann angenehm zu machen, während der Zeit, die er da ist …«

»Liebe Kinder, Knuddelchen. Mir bleiben fünf Minuten, um mit Euch zu reden und Euch zu fragen, wie es Euch bei dem schlechten Wetter geht. Heute Morgen hat es hier so furchtbar geregnet, dass wir im Kontor nicht genug sehen konnten, um unsere Arbeit zu erledigen …«

»Wann werde ich Euch hier sehen, danach sehne ich mich sehr, denn schon seit drei Wochen habe ich Euch nicht gesehen? Wie viele Drosseln habt Ihr schon gefangen? Die Drosseln, die Papa uns geschickt hat, waren sehr gut.«

»Geht Ihr so zu Bett, ohne mich zu küssen? Und soll ich Euch dann mal küssen?«

Im Salon, am Klavier aus der Zeit Napoleons, höre ich eine leise Stimme singen, nach den Noten, die dort stehen, Rondeau de Gulnare:

Sexe charmant, j’adore ton Empire,

mon bonheur est de te céder …

Ich habe ihre Bücher in den Händen gehalten, ihre Gedichte, ihre Spielsachen, ihre ersten Briefentwürfe an eine liebe Tante, in großen, zögerlichen Buchstaben geschrieben:

Liebe Tante,

ich habe ein schönes Service von Großmama bekommen und kleine Bälle und ich bin in Meer en Berg gewesen als Papa Geburtstag hatte hat er ein Feuerwerk entzündet und ich habe eine Zeichnung gemacht und meine Börse ist fertig. Auf Wiedersehen liebe Tante ich bin Eure Euch liebende Nichte Anna van Lennep

20. Juli 1814

Nie werde ich vergessen, wie ich das erste Mal hier vor der Türe stand und hinaufsah. Es hatte ein vornehmes Gesicht, dieses Haus. Mit Wangen aus Stein, einem hohen Treppenpodest mit zwei Mündern und mindestens zwölf Augen. Es strahlte eine gewisse Strenge aus, doch rund um die Haustür schien ein ständiger Tanz stattzufinden. Die Tür, das Muschelrelief darüber, die beiden Laternen links und rechts, alles wogte und wirbelte. Auf dem Dach war es dann auf einmal wieder so, wie es sein muss. Entschlossen überragten die beiden quadratischen Schornsteine alles. Unterdessen strömte die Amstel am Ufer entlang, träge und gelangweilt.

Drinnen duftete es nach Kaffee, vermischt mit einem Hauch von Bohnerwachs. Ich betrat einen breiten Flur, unten im Haus. An der gefliesten Wand hörte ein Bauer nicht auf, friedlich zu pflügen, Papageien kreischten und plapperten, die Uhr stand für alle Zeit auf halb elf, die schwarzen Hände einer Lampe hielten das Licht empor. An den Wänden, ein Stück weiter, querformatige Stiche. Da war das IJ, der Meeresarm im Norden Amsterdams, und dahinter die Stadt in ihren goldenen Jahren, all ihre Fassaden, Türme und Schiffsmasten detailgetreu abgebildet. Dort galoppierte ein Edelmann, neben der Kutsche eines fürstlichen Paars, wacker auf seinem sich aufbäumenden Pferd. Eine Jahreszahl: 1660.

Bei meinem ersten Besuch führte mich der Hausherr herum. In einer Rumpelkammer standen Archivschränke voller Unterlagen aus dem 18. Jahrhundert: Katasterpläne, Quittungen, Dokumente von Nachbarschaftsstreitigkeiten. Es ging dabei um ein Landgut in Hillegom, irgendwann um 1730 oder 1740, doch niemand hatte sich jemals die Mühe gemacht, die Papiere zu ordnen. Überall hingen Porträts: stolze Männer, gleichsam erstarrte Frauen, Kinder als Draperie, still sehen sie den Maler an. Daneben, nachlässig, eine Winterszene aus dem 19. Jahrhundert.

Eine vornehme Familie schleppt einiges mit durch die Zeiten. In diesem Haus gab es Schrankbretter voll von silbernen Eierbechern, Trinkgläsern, antiken Pfeifenköpfen und Zahnbürsten aus Elfenbein – mit lauter kleinen Löchern, die Borsten mussten vermodert sein. Dort stand venezianisches Glas, und so manche schmalen Trinkgläser der Vorfahren aus dem 17. Jahrhundert waren auch noch da, schlank und hoch, um die riesigen Krägen jener Epoche zu schonen. Hier hing ein Bisamapfel, eine zierliche Kapsel gefüllt mit Ambra, die vornehme Damen früher an einem Kettchen zwischen den Rockfalten trugen, um Läuse und »böse Gerüche« zu vertreiben. Gedenkmünzen und Reiterorden lagen ein wenig ungeordnet aufeinander, neben einem Diamantring von Zar Alexander I., ein Geschenk, das er zu einem Besuch mitbrachte: »L’ empereur Alexandre à M. Van Winter, 4 Juillet 1814«. In der Bibliothek stapelten sich Tausende Zeichnungen, Tagebücher, Notizen und Briefe, gesammelt über viele Jahrhunderte, und alles immer noch quicklebendig.

Am Treppenaufgang schaute ein Mädchen schüchtern in die Welt, das irgendwann in der Mitte des 18. Jahrhunderts geboren wurde. Fest geschnürt war es, und auf dem Kopf trug es einen dick wattierten Sturzhut. Damit lernten reiche Kinder damals laufen. In der Hand hielt es eine Puppe, ein Püppchen mit einer Puppe.

Oben stieß ich dann auf den Salon, das große Wohnzimmer, das es in jedem Grachtenhaus gibt. Die Fenster waren hoch und hell und gaben den Blick frei in einen Garten mit hohen Bäumen, Taxushecken, Rosenbeeten, Hortensien und Rhododendren. Mit dem uralten Spielhaus für die Kinder und der Sonnenuhr in der Mitte, durch die hin und wieder ein grüner Schwarm von zwitschernden Sittichen flog, war er eine Oase der Stille.

Von hier oben sah der Garten aus wie ein Modell: Einst hatte man die Bäume so kunstvoll gruppiert, mit viel Gespür für Achsen und Perspektiven, dass der Betrachter sich auf einem Landgut wähnt, hier, inmitten der Straßen von Amsterdam. An den orangegelben Wänden herrschte indes ein ziemliches Gedränge. »Hier haben wir Nicolaes Tulp«, sagte der Hausherr. Tulp, einer seiner Vorfahren, ist die zentrale Figur in Rembrandts berühmtem Bild Die Anatomie des Dr. Tulp. Er sollte einer der mächtigsten Männer der Stadt werden. Auf einem ersten Porträt, das der Hausherr mir zeigte, ist Tulp noch jung, mit einem Bärtchen und einem hitzköpfigen Gesichtsausdruck. Später, 1658, entstand dann ein weiteres Porträt von Tulp, der nun in einem großen Stuhl sitzt und in feierliches Schwarz gekleidet ist. In seinem Blick funkelt so etwas wie Ironie – vielleicht weil sein Sohn sich, im Gegensatz zu seinem genügsamen Vater, schon seit Jahren in den farbigsten Stoffen kleidete; das Haar seiner gewaltigen Perücke fällt bis über seine Brust herab.

Da hing auch Großmutter Tulp; sie hatte an einer Seitenwand ihren Platz gefunden. Friedlich sitzt sie unter einem Baum und beobachtet das Spiel ihrer Enkel, daneben steht die Arztkutsche ihres berühmten Sohns. Doch was für seltsame Familienwappen hatte man später darübergemalt, fast wie Aufkleber, die man auf einem Kühlschrank anbringt. Das war, so erfuhr ich, das Werk eines traurigen Onkels, irgendwann im 19. Jahrhundert, ein verdorrter Zweig der Familie, der Onkel blieb ledig. Er hatte einen Buckel und sei, so erzählt man sich, als Kind mit einem Auge in eine Schere gefallen. Ruhig war es hier nie, alle schauten sie mir ständig über die Schulter. Hinter mir hing ein früher Lord Byron, mit feurigem Blick, einer dunklen Perücke, Stoppelbart und üppigem Brusthaar. »Das ist der womanizer des Hauses, Jan van den Bempden, Ende des 17. Jahrhunderts.« Ein kleines, aus dem 16. Jahrhundert stammendes Bild von Pieter Bruegel dem Älteren – das einen Advokaten zeigt. Ein Verlobungsporträt, dem Augenschein nach ein Jahrhundert später. Ach, wie traurig sie guckt, für immer festgehalten, nur wegen des Geldes und der Familie.

Dieses Haus hat mehr als vierzig Zimmer, es beherbergt rund zweitausend Stiche und Gemälde, und im Archiv lagern, wie man mir sagte, mindestens hunderttausend Dokumente. Es gibt Schränke voll von silbernen Kerzenständern, Damasttischdecken und vollständigen Services – vor allem das »Kornblümchen« war beliebt, »wenn man vornehm war, aß man von nichts anderem«. Hinzu kommen all die Kuriositäten, die dazugehörten, wie etwa die silbernen Becher in Mühlenform und andere Gerätschaften, deren es bedurfte, um eine Gesellschaft des 17. Jahrhunderts im Eiltempo unter den Tisch zu trinken.

Die Küche im Souterrain, das habe ich bei meinen vielen Besuchen, die meinem ersten Rundgang folgten, gelernt, ist das...


Mak, Geert
Geert Mak, geboren 1946, ist einer der bekanntesten Publizisten der Niederlande und gehört nach drei großen Bestsellern zu den wichtigsten Sachbuchautoren des Landes. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen zählen »Amsterdam« (1997), »Das Jahrhundert meines Vaters« (2003) und »In Europa« (2005). Zuletzt erschienen »Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten« (2013), »Die vielen Leben des Jan Six« (2016) sowie »Große Erwartungen. Auf den Spuren des europäischen Traums« (2020). Für sein Werk erhielt Geert Mak 2008 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Seine Bücher sind internationale Bestseller und wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Ecke, Andreas
Andreas Ecke studierte Germanistik, Niederlandistik und Musikwissenschaft. Er übersetzt Literatur aus dem Niederländischen u.a. von Gerbrand Bakker, Ernest van der Kwast, Anne-Gine Goemans und Cees Nooteboom. 2016 erhielt er den Europäischen Übersetzerpreis.



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