Maklad / Haase-Hindenberg | Ich werde nicht zerbrechen | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 350 Seiten

Maklad / Haase-Hindenberg Ich werde nicht zerbrechen

Eine Frau auf dem Weg zum Tahrirplatz. Wie ich nach der Ermordung meines Mannes weiterkämpfte
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8387-1602-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Eine Frau auf dem Weg zum Tahrirplatz. Wie ich nach der Ermordung meines Mannes weiterkämpfte

E-Book, Deutsch, 350 Seiten

ISBN: 978-3-8387-1602-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Nachdem Shahindas Ehemann Salah von politischen Gegnern umgebracht wurde, führt die mutige junge Ägypterin dessen Kampf für die Rechte der Bauern weiter. Sie wird immer wieder verhaftet und verhört. Doch viel schlimmer ist, dass auch ihre Kinder bedroht werden. Als die jungen Leute in Kairo gegen das korrupte Mubarak-Regime auf den Tahrir-Platz ziehen, ist Shahinda Maklad vom ersten Tag an bis zum Rücktritt des Präsidenten dabei.

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Kapitel 1

Wie ich von der Not der Bauern erfuhr …


Der Besucher sah neben meinem Vater erbärmlich aus. Zumindest auf den ersten Blick, den ich als verwöhnte neunjährige Tochter eines hohen Polizeioffiziers auf ihn werfen konnte. Der alte Mann war klein, sehr mager und trug die schlichte Galabeya eines Fellachen. Mein Vater hingegen war ein gut aussehender mittelgroßer Mann. Wenn er in seiner Uniform durch die unterägyptische Stadt Tanta lief, in der er damals der Polizeichef war, schielte so manches Mädchen nach ihm. Unserem Besucher passierte das sicher nicht, aber er glich die armselige äußere Erscheinung durch einen wachen Blick aus und durch das freundliche Lachen, mit dem er mich begrüßte. Dennoch war nicht zu übersehen, dass er sich offenbar in einer verzweifelten Situation befand. Er sprach leise und hektisch auf meinen Vater ein, der ihn höflich in den Salon bat und ihm dabei beruhigend auf die Schulter klopfte. Mich hingegen schickte er in die Küche, wo ich mithelfen sollte, unserem Gast ein Mittagsmahl zuzubereiten. Das tat er sonst nie. Schließlich hatten wir einen Koch, der das viel besser konnte. Mir war klar, dass mein Vater sich mit diesem Mann im Salon unseres Hauses allein unterhalten wollte. Das war nichts Ungewöhnliches, denn er diskutierte dort oft mit diesen oder jenen Besuchern über irgendwelche politischen Dinge. Mein Vater sympathisierte mit der Wafd-Partei, der stärksten gesellschaftlichen Kraft im damaligen Ägypten. Jeder seiner Gesprächspartner war ein Effendi, also ein Herr. Sie waren Rechtsanwälte, Offiziere oder Ärzte. Da verstand es sich von selbst, dass sie mich nicht dabeihaben wollten. Dieser Mann aber war ein Fellache, ein Bauer. Was hatte mein Vater mit ihm zu besprechen? Eine vage Antwort darauf gab er mir am Abend, als mir meine Neugier keine Ruhe gelassen und ich nachgefragt hatte: »Das war Sheikh Abdel Latif Abou Laban, ein tapferer Mann aus Kamshish.«

Ich kannte Kamshish, es war ein altes Dorf, ein sehr altes sogar, denn es wurde in der Liste der pharaonischen Dörfer geführt. Mein Vater war dort aufgewachsen, wo auch vor 3000 Jahren schon Bauern die Felder bestellten. Hier stand sein Elternhaus. Ich aber wurde im November 1938 im benachbarten Shebin El-Kom, bei meinen Großeltern mütterlicherseits, geboren. Noch heute ist es in den ländlichen Gebieten Ägyptens üblich, dass das erstgeborene Kind im Elternhaus der Mutter zur Welt kommt. Meine frühe Kindheit habe ich an den wechselnden Standorten meines Vaters verbracht. Nun also lebten wir in Tanta. Diese Stadt ist nicht allzu weit von Kamshish entfernt, aber um die Ecke lag Tanta auch nicht gerade. Was also mochte Sheikh Abdel Latif Abou Laban zu uns geführt haben?

»Warum ist dieser Mann tapfer?«, fragte ich und erhoffte mir in meiner kindlichen Naivität eine heldenhafte Geschichte.

Mein Vater sah mich eine kleine Weile nachdenklich an, ehe er mir erklärte: »Der Großgrundbesitzer Ahmed El-Feki wollte ihn zwingen, sein Land zu verkaufen, so wie er es auch bei anderen Familien getan hat. Aber Sheikh Abdel Latif Abou Laban weigerte sich und sagte, dass er es nicht für eine Million hergeben würde. Wer Land verkaufe, das die eigene Familie seit vielen Generationen bestellt, sei jemand, der seine Ehre verrät.«

»Ist das tapfer? Er hat nein gesagt – na und? Das ist sein Recht!«, erwiderte ich enttäuscht.

»Natürlich ist das sein Recht. Aber in Kamshish ist das schon tapfer, denn mit einer solchen Antwort gibt sich Ahmed El-Feki nicht zufrieden. Dort gibt es freie Bauern wie Sheikh Abdel Latif Abou Laban und viele unfreie Landarbeiter, von denen einige früher auch mal freie Bauern waren, die nun aber für den Großgrundbesitzer Ahmed El-Feki arbeiten müssen. Und wenn es nach dem ginge, wäre auch Sheikh Abdel Latif Abou Laban ein solcher unfreier Lohnarbeiter. Doch weil er sich weigerte, hat Ahmed El-Feki seine Felder angezündet und auch das Haus abbrennen lassen, und weil er sich danach noch immer geweigert hat, sein Land zu veräußern, haben korrumpierte Leute gestern sogar versucht, ihn umzubringen.«

Ich war erschüttert. Wie konnten Menschen so etwas tun? Als ich meine Sprache wiedergefunden hatte, fragte ich: »Aber warum kommt er bis hierher nach Tanta? Gibt es nicht auch eine Polizeistation in Kamshish oder in Shebin El-Kom?«

»Sheikh Abdel Latif Abou Laban bat mich nicht in meiner Funktion als Polizeioffizier um Hilfe«, erklärte mein Vater in einem Ton, der keine Nachfrage zuließ. Heute weiß ich, dass er mich damals noch als zu jung ansah, um mich in Vorgänge einzuweihen, in die er involviert war. Er griff zu seiner Oud, um sich selbst zu einem Lied von Om Kolthum zu begleiten. Ich liebte es, wenn mein Vater mit samtener Stimme die sentimentalen Lieder der großen ägyptischen Volkskünstlerin sang, und ich wusste, dass es sein heimlicher Traum war, in ihrem Orchester diese arabische Laute zu spielen. Meine Mutter hatte mir das einmal gesagt. Dabei hatte sie mit hochgezogenen Augenbrauen leicht den Kopf geschüttelt. Sie brachte so zum Ausdruck, dass sie eine Musikerexistenz nicht als erstrebenswerte Alternative zu einem Leben als Polizeioffizier ansah. Auch nicht an der Seite der größten Sängerin Arabiens.

Wenige Wochen später, im Mai 1948, kam die Schwester meines Vaters ganz aufgelöst in unser Haus. Sie muss wohl auf der langen Fahrt von Shebin El-Kom bis zu uns nach Tanta geweint haben. Ihre Augen waren verquollen. Kaum hatte meine Tante Amina auf dem Sofa Platz genommen, begannen die Tränen wieder zu fließen. Stockend berichtete sie, dass ihr Sohn Salah Hussein verschwunden sei, schließlich reichte sie meinem Vater, der sich zu ihr gesetzt hatte, ein Stück Papier.

»Er hat sich nicht einmal verabschiedet«, schluchzte sie, während mein Vater das überflog, was auf dem Zettel stand. Dann hellte sich seine Miene auf. Er wirkte fast fröhlich, als er seine Schwester in den Arm nahm und sagte: »Ich bin stolz auf meinen Neffen!«

Ich kannte meinen Cousin Salah nicht, ich kannte nur seinen jüngeren Bruder Hamouda. Mit dem hatte ich manchmal gespielt, wenn wir meine Tante, also seine und Salahs Mutter, besuchten. Hamouda war fünf Jahre älter als ich, und es schien, als ob er mich, seine kleine Cousine, gerne mochte. Als er viele Jahre später im Jemen-Krieg fiel, war es für mich, als hätte ich einen Bruder verloren. Salah aber war zehn Jahre älter als ich, und ich hatte ihn bis dahin noch nie gesehen.

Mein Vater rief den Rest der Familie zu sich. Meine jüngeren Brüder Medhat und Kamal kamen herbeigesprungen, den kleinen Ashraf hatte meine Mutter an der Hand und den neugeborenen Ali auf dem Arm. So standen wir nun also nebeneinander aufgereiht im Salon. Meine Tante wirkte mittlerweile schon gefasster, als mein Vater verkündete: »Mein Neffe Salah ist nach Palästina gereist und kämpft an der Seite der Partisanen, unserer palästinensischen Brüder, gegen die Zionisten.«

Ich wusste nicht genau, wo Palästina liegt, und schon gar nicht, was Partisanen sind oder Zionisten. Aber so wie mein Vater es verkündete, musste es etwas ganz Besonderes sein, weswegen mein Cousin seine Familie verlassen hatte. Meine Tante hatte sicher Angst um ihn, anders waren ihre Tränen nicht zu erklären. Doch als mein Vater ausrief, dass Salah »ein Held« sei, huschte ein stolzes Lächeln über ihr Gesicht. In diesem Augenblick begann ich Salah zu verehren, auch wenn es zunächst noch ein Phantom war, das ich verehrte.

Nach seiner Rückkehr aus Palästina habe ich Salah dann gesehen, als er meinen Vater besuchte. Das tat er glücklicherweise mehrfach, und jedes Mal hatten sie leise irgendetwas zu besprechen. Mein Cousin begrüßte mich freundlich, wie man ein kleines Mädchen begrüßt, und ich war selig, weil er für mich ein Held blieb, auch wenn es nicht gelungen war, die Zionisten aus Palästina zu vertreiben. Seit dem Besuch meiner Tante hatte ich aufmerksam zugehört, wenn in unserer Familie von Salah gesprochen wurde. Vor allem mein Vater erwähnte seinen Namen immer mit großer Hochachtung. So erfuhr ich, dass Salah ein »Rebell« sei, der schon als ganz junger Mensch gegen soziale Ungerechtigkeit aufbegehrt hätte. Als Halbwüchsiger habe er bereits mitgeholfen, Demonstrationen gegen das feudale Regime von König Faruq I. zu organisieren, welches die Verbrechen der Großgrundbesitzer deckte und den Fellachen die elementarsten Rechte vorenthielt. Dann sei er dem Aufruf der Muslimbrüder gefolgt, um den patriotischen Kampf der Palästinenser zu unterstützen. Meine Mutter teilte die Bewunderung für Salah keineswegs. Es sei keine Heldentat, sagte sie, wegen irgendwelchen politischen Flausen die schulische Ausbildung zu vernachlässigen. In Shebin El-Kom gäbe es kaum eine höhere Lehranstalt, die Salah nicht habe verlassen müssen. Wie könne mein Vater nur annehmen, dass es Allahs Willen entspreche, wenn jemand die ihm verliehenen geistigen Fähigkeiten vernachlässigt, um sich womöglich für andere erschießen zu lassen? Mein Vater winkte nur ab, und weil er dabei überlegen lächelnd den Kopf schüttelte, hatte ich das Gefühl, dass in meiner Familie einiges schieflief. Meine Mutter hatte Allah ins Spiel gebracht, obgleich wir keine sehr religiöse Familie waren. Es wurde bei uns zu Hause nicht einmal gebetet, meine Mutter trug das Kopftuch nur, wenn Sandstürme durch die Stadt wehten. Und das Fasten während des islamischen Monats Ramadan hielten wir eigentlich nur ein, weil es alle anderen auch taten. Als ich noch klein war, besuchte ich einen christlichen Kindergarten, und mein Vater hat mir einmal nach einigen Gläsern Wein gestanden, dass seine erste Freundin jüdisch gewesen sei. Nun aber, als meine Mutter gegen Salah hetzte, musste Allah dafür...



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