E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Mann Ellas verrückt-verrutschtes Leben
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7325-9467-2
Verlag: Baumhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Band 1
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-7325-9467-2
Verlag: Baumhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ella ist unzufrieden. Seit dem Umzug aufs Land ist ihr Leben total öde. Doch als ein paar Gänse sie die alte Rutsche im Garten hinunterjagen, ändert sich alles. Offenbar ist Ella eine halbe Stunde in der Zeit zurückgesprungen! Das ist ja fantastisch, denkt sie sich, und rutscht, was das Zeug hält. Bis sie bemerkt, wie sich immer mehr Dinge verändern. Als aus einem Hund ein Pferd wird und dann sogar Tiere verschwinden, beschließt Ella, dass sie dem Geheimnis der Rutsche auf den Grund gehen muss.
Miriam Mann wuchs in Norddeutschland und Südafrika auf. Nach dem Studium der Linguistik in Berlin und Sydney arbeitete sie viele Jahre als Übersetzerin. Heute ist sie Kinderbuchautorin. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Berlin.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 2
Dodo ist übrigens ganz anders als diese dicken, hässlichen Hühner mit den viel zu großen Schnäbeln, die bis auf das letzte ihrer Art von Seefahrern aufgegessen wurden.
Obwohl auch meine Dodo etwas vogelhaft wirken kann. Sie spricht nämlich immer in so einem fröhlichen Singsang. Hässlich ist sie auch nicht, obwohl ihre Nase ziemlich spitz und daher doch ein wenig schnabelartig ist.
Dodo heißt eigentlich Dorothea-Viola und sie ist Susis Tochter. Und somit nicht nur meine beste Freundin, sondern – ganz klar – neuerdings auch meine Schwester. Genauer gesagt meine Stiefschwester. Oder noch genauer: meine genau gleichaltrige Stiefschwester. Und an diesem Morgen meine viel zu gut gelaunte Stiefschwester. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete ich sie, aber sie tippelte nur glücklich in der Küche herum, klemmte dabei ihre goldbraunen, lockigen Haare hinter die Ohren und gab ihrer Mutter und meinem Vater jeweils ein Küsschen auf die Wange. Ich verzog meinen Mund:
Dodo und ich waren normalerweise und ansonsten immer einer Meinung gewesen. Und als unsere Eltern sich wegen uns kennengelernt, verliebt und dann sogar geheiratet hatten, fanden wir das toll. Aber was diesen Umzugsalbtraum anging, da hatten wir plötzlich so ganz unterschiedliche Ansichten.
Zielstrebig öffnete Dodo einen Karton, holte eine Packung Müsli und einen Liter haltbare Milch heraus und fragte: »Habt ihr auch so einen Hunger?«
Ich schloss die Augen und zählte bis sieben. Ich weiß nicht, warum, aber vielleicht war es Dodos glücklicher Tonfall, der das absolute Gegenteil zu meiner Stimmung war, vielleicht war es auch einfach dieser Augenblick, in dem mir klar wurde, dass ich nun wirklich auf diesem Hof leben und dort bleiben sollte. Wahrscheinlich wurde mir in diesem Moment endgültig klar, dass einfach nichts mehr so war oder je wieder so sein würde wie vorher.
Und dass ich es wohl wirklich nicht zu Tonis Party schaffen würde.
Als mein Vater neben mir einen weiteren Karton öffnete und klapperndes Geschirr herausnahm, Susi und Dodo lauthals über ihr anscheinend unendliches Glück plapperten, nun an diesem schönen Fleckchen leben zu dürfen, da schossen mir plötzlich Tränen in die Augen.
War ich denn die Einzige, die Heimweh hatte? Die Einzige hier, die sich in ihr altes Leben zurücksehnte?
Ich versuchte die Tränen herunterzuschlucken. Aber es ging nicht, es waren zu viele. Also stand ich auf und stürmte hinaus.
Denn vor Dodo und den anderen wollte ich nicht weinen. Ich wollte nur noch weg. Doch gerade, als ich Richtung Haustür rannte, hörte ich plötzlich, wie oben in meinem Zimmer mein Handy erneut klingelte.
Ich hielt inne. Wer rief mich denn jetzt an? Hoffnung flatterte in meinem Bauch. War das vielleicht Toni? Er hatte mich noch nie angerufen, aber jetzt, wo ich weggezogen war, da vermisste er mich vielleicht plötz…
Die Türklingel riss mich aus meinen Gedanken. Ich atmete tief durch, wischte mir mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht und öffnete die Tür einen Spaltbreit.
»Lieferung für Herrn Kamitzki«, sagte der Mann, der dort im Blaumann und mit Kappe auf dem Kopf vor mir stand. »Sind Sie das?«
»Seh ich so aus?«, raunzte ich ihn an. Ich war enttäuscht. Irgendwie und insgeheim, so für eine halbe Sekunde ungefähr, da hatte ich nämlich fast gehofft, dass Toni vor der Tür stand, um mich hier aus der Einöde zu retten.
»Wohnen Sie hier?«, fragte er mich ungerührt und fummelte einen Zettel aus der Hosentasche.
»Nicht gerne«, erwiderte ich. »Und nicht freiwillig, und wenn Sie es genau wissen wollen …«
»Hier ist der Lieferschein«, unterbrach mich der Typ, der es anscheinend nicht genau wissen wollte, und drückte mir den Zettel in die Hand. »Bezahlt sind sie schon.«
»Aber …«, setzte ich an, doch der Mann drehte sich einfach um, stieg in seinen Lieferwagen und brauste davon, ohne mir auch nur einen weiteren Blick zuzuwerfen.
»Was soll das?«, murmelte ich leise vor mich hin. »Der Kamitzkityp ist doch tot. Deswegen muss ich jetzt ja hier leben. Und wer sind überhaupt sie«?
»Wer sind was?« Dodo, Susi und Papa standen mit einem Mal neben mir.
Doch ich brauchte nicht mehr antworten, denn im gleichen Moment sahen wir sie. Und wir hörten sie, denn sie waren ziemlich laut.
Ich hielt meine Ohren zu und starrte entsetzt auf die Albträume vor mir. Selbst der Hahn suchte bei so einem fürchterlichen Lärm das Weite.
»Oh …«, machte Susi überrascht, während Dodo kichernd in den Hof lief und überflüssigerweise das rief, was wir alle sehen konnten: »Gänse!«
Susi und Papa folgten ihr und strahlten die drei Vögel um die Wette an.
»Wir müssen die zurückgeben«, sagte ich laut. »Die hat noch dieser Kamitzki bestellt.«
»Dann gehören sie jetzt uns«, sagte Papa. »Wir haben doch den Bauernhof mit allem gekauft, was dazugehört.«
Ich seufzte aus tiefstem Herzen, was natürlich niemanden interessierte. Aber vielleicht hatte es auch einfach niemand gehört, so laut wie die dämlichen Federviecher gackerten.
»Wir brauchen Futter!«, rief Susi.
»Hühnerfutter tut es auch«, antwortete Papa. »Vielleicht ist was in der Scheune.«
»Die ist abgeschlossen«, sagte Susi. »Ella, bringst du mir mal den Schlüsselbund, der neben der Tür hängt?«
Ich seufzte noch einmal, für mich ganz allein, schnappte mir die Schlüssel und machte ein paar Schritte in den Hof. Es nieselte immer noch, aber die Luft war warm.
Doch kaum näherte ich mich den anderen, hörten die Gänse mit einem Mal auf zu gackern und begannen zu fauchen. Wer hätte gedacht, dass die so fauchen können? Und dass sie so schnell sind? Wie drei fauchende Furien fegten die Tiere auf mich zu.
Panisch wollte ich zurück ins Haus rennen, aber plötzlich war einer von den Riesenvögeln direkt hinter mir und versperrte mir den Weg. Mit ihrem nach mir schnappenden Schnabel kam die Gans direkt auf mich zu und biss mir in die Hand! Vor Schreck und vor Schmerzen ließ ich den Schlüsselbund fallen. Dodo rief irgendwas, aber ich konnte sie nicht verstehen.
Ich rannte los, am Schuppen vorbei in den Garten, und in der Mitte stand sie: diese ziemlich hohe, ziemlich alte und total verrostete Kinderrutsche.
Hinter mir schnatterte und schnappte und fauchte es. Konnten diese gigantischen Gänse eigentlich auch fliegen? Ich hoffte nicht. Ich kletterte also, so schnell ich konnte, auf die Leiter und dann die Rutsche hinauf. Dabei muss ich irgendwo hängen geblieben sein. Denn ich hörte, wie der Stoff meines Nachthemdes riss. Na, super! Auch das noch.
Schnaufend setzte ich mich auf die Rutsche und sah mich um. Die Gänse schnatterten noch immer aufgebracht, aber jetzt war es ein anderer Vogel, der mir Angst machte. Denn auf der Rutsche saß schon jemand: der Hahn.
Der konnte anscheinend fliegen! Und wollte anscheinend auch Reißaus vor den Gänsen nehmen. Denn er flatterte aufgebracht mit den Flügeln, flog dann ein bisschen in die Höhe und landete, man glaubt es kaum, auf meinem Kopf.
Unter mir waren also die fauchenden Gänse, auf meinen Haaren saß der gackernde Hahn. Und Dodo stand lachend am Gartentor.
Sie lachte und lachte und lachte. Ich guckte sie böse an, aber ich weiß nicht genau, ob man überhaupt böse aussehen kann, wenn einem ein Hahn auf dem Kopf sitzt. Ganz zu schweigen von den zerzausten Haaren und dem gerissenen Nachthemd.
Und während Dodo mich auslachte, zogen die Gänse ab. Einfach so.
Wieso hatten mich die doofen Viecher überhaupt gejagt? Und warum ließen sie Dodo in Ruhe?
Der Hahn hatte sich mittlerweile irgendwie in meinen Haaren verheddert und zuckte aufgebracht auf meinem Kopf herum. Aber er saß fest.
Ich wollte am liebsten heulen. Das schien auch Dodo zu merken, denn endlich hatte sie Mitleid mit mir.
»Ich helfe dir«, kicherte sie und kletterte die Leiter hinauf.
Sie streckte ihre Hände nach dem Hahn aus, doch der flatterte wie verrückt mit den Flügeln, und Dodo verlor das Gleichgewicht. Mit einem spitzen Schrei fiel sie nach vorne und auf mich drauf.
Ich konnte mich nicht mehr halten. Und bevor ich wusste, wie mir geschah, glitschten wir – wusch – die Rutsche hinunter. Auf meinem Kopf der Hahn, und auf uns beiden Dodo.
Bong!
Irgendein Körperteil von Dodo knallte gegen die Rutschenkante. Sie kreischte: »Au, verdammt!«
Und schon waren wir unten.
…
Oder nicht?
Der Hahn ist jedenfalls plötzlich weg.
Und Dodo auch.
Überhaupt ist alles weg: die Rutsche, die Gänse, der Garten.
Stattdessen sitze ich auf einem Karton in der Küche. Papa sagt gerade: »Ella, seit wann interessieren dich denn Fruchtfliegen?«
WAS???
Ich kann nur den Kopf schütteln. Ich glaube, ich träume.
»Übrigens«, meldet sich da Susi zu Wort, »es gibt auch Fledermäuse, die in Bäumen wohnen.«
Ich mache die Augen zu. Und wieder auf.
Papa spricht weiter: »Sieh es doch mal so: Selbst Elefanten lassen sich umsiedeln.«
Dieses Gespräch haben wir doch gerade eben geführt!
Bevor Dodo mit ihrer guten Laune auftauchte.
Bevor die Gänse kamen.
Bevor ich mit dem Hahn auf dem Kopf auf der Rutsche saß.
Aber wieso bin ich jetzt wieder in der Küche?
Ich gucke mich um. Susi nickt Papa zu und lächelt mich danach an. Ich reibe mir die Augen. Schüttele den Kopf. Immer wieder schüttele...