Marienfeld | Offene Türen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Marienfeld Offene Türen

Vom gelingenden Leben im schulischen Alltag

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-451-82737-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wer mit Uli Marienfeld durch die offene Tür schaut, erlebt Schule als einen weiten Resonanzraum. Der unkonventionelle Schulleiter belegt mit Praxisbeispielen, wie eine begegnungsorientierte Pädagogik mit offenem Herzen in nicht perfekten Systemen umgesetzt werden kann. Mit zukunftsweisenden Texten, ermutigenden Impulsen und authentischen Berichten ehemaliger Schüler*innen und Kolleg*innen macht er in erfrischender Weise anschaulich, wie sich durch sensibel-entschlossenes Handeln verkrustete Strukturen aufbrechen lassen. Dieses Hoffnungsbuch ist ein inspirierender Reisebegleiter für Menschen, die unterwegs sind, Bildungssysteme zeitgemäß und zukunftsweisend zu gestalten.
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Türen, die sich mir in Schule, Studium und Referendariat öffneten
No subversive ever does something big.
He is always carrying secret messages,
planting suspicion that there is something beyond
what culture says is final. Eugene H. Peterson 68er-Spätlese –
Meine Schulzeit in Berlin (West) 1966–1978
Der Weg zur Grundschule und später zum Gymnasium war so kurz, dass ich selten früher als fünfzehn Minuten vor Unterrichtsbeginn unsere Wohnung verlassen musste. In meiner Erinnerung an diese Jahre spielt Schule eine eher geringere Bedeutung. Familie und Sportverein haben mehr Raum in meinem Gedächtnis. Ich erinnere mich gut an eine Klassenreise nach Spiekeroog in der 4. Klasse. Das endlos scheinende Meer, Fußball spielen am Strand, die ersten Schwarz-Weiß-Fotos mit einer eigenen kleinen Kodak-Instamatic-Kamera. Meinen einzigen Tadel erhielt ich am 2. Oktober 1971. Der handgeschriebene Text an meinen Vater lautete: „Sehr geehrter Herr Marienfeld, leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Ulrich wegen seines Verhaltens im Biologie-Unterricht getadelt werden muss. Er schwatzte häufig und warf sogar mit Papier. Hochachtungsvoll …“. Dass meine Mutter nicht einmal angeschrieben wurde, war im bürgerlichen Berlin-Steglitz dieser Zeit nicht unüblich. Meine Eltern, die durchaus ordentliches Verhalten von mir verlangten, fanden diese „pädagogische Maßnahme“ glücklicherweise auch lächerlich. Sie haben dieses Dokument für mich aufbewahrt. Es hing Jahrzehnte später für alle sichtbar in meinem Schulleiterbüro in Düsseldorf. Es sollte daran erinnern, dass auch bei mir nicht alles glatt lief. Aber es sollte unser Team auch dazu ermahnen, pädagogische Konsequenzen nicht formal abzuarbeiten, sondern wirklich sinnvoll einzusetzen, stets zu versuchen, die Perspektive von Kindern wie Eltern mit in den Blick zu nehmen. Der Übergang zum Gymnasium verlief für mich unproblematisch. Anders bei meinem Freund Stefan. Dessen Vater, ein typischer Arbeiter, bekam beim Vorstellungsgespräch von dem Direktor zu hören: „Herr Gäth, Sie wissen, dass dies eigentlich keine Schule für Arbeiterkinder ist.“ Mit Beharrlichkeit und Geduld bekam er schließlich doch einen Platz. Stefan war nie ein guter Schüler. Er wollte Landwirt werden – weil er in den Ferien regelmäßig bei einem Onkel in Westfalen auf dessen Hof mithelfen konnte. Irgendwie bekam er die Qualifikation für die Oberstufe. Mit den vermeintlich leichten Leistungskursen Biologie und Erdkunde absolvierte er sein Abitur mit einem Schnitt von 3,1. Er studierte Agrarwissenschaften an der Universität Göttingen, bestand alle Abschlüsse mit Auszeichnung, promovierte, habilitierte und erhielt mit 36 Jahren einen Lehrstuhl in den Umweltwissenschaften. Als einer der Ersten beschäftigte er sich wissenschaftlich mit Fragen knapper werdender Ressourcen. Seine Bildungsbiografie ist für mich ein wunderschönes Beispiel, wie Menschen etwas lernen können, wenn sie von der Sache begeistert sind. Irgendwie hat Stefan das Schulsystem überstanden. An der Universität konnte er in dem aufblühen, wofür sein Herz schlug. Auch wenn es eine Zeit war, in der die Autorität von Lehrer*innen fast uneingeschränkt zu gelten schien, hatte ich mit der Muttermilch eine gute Portion Selbstbewusstsein mitbekommen. In der 7. Klasse hatten wir Mathematik und Geografie bei Frau Dr. Herzog. Ihr Name war Programm. Wir hatten großen Respekt vor dieser Dame. Wir wurden von ihr mit „Sie“ angesprochen. Dies verlieh dem Unterricht zusätzliche Ernsthaftigkeit. Sie war eine natürliche Autorität, die uns ihre Fächer in großer Klarheit vermitteln konnte. Eines Tages sollte ich der Klasse mit einem Globus die Gezeiten erklären. Also ging ich nach vorne, nahm den Globus in die Hand und begann mit den Worten: „Stellt euch vor, ich bin die Sonne und das ist die Erde.“ Zur großen Überraschung aller begann Frau Dr. Herzog zu lachen: „Na, an Selbstbewusstsein fehlt es Ihnen aber auch nicht.“ Als es an die Wahl der Leistungskurse für die Oberstufe ging, hörte ich auf ihren Rat. Die promovierte Geografin riet mir, die Kombination Mathematik und Englisch zu belegen. „Wenn Sie an Geografie in ein paar Jahren immer noch großes Interesse haben, können Sie das Fach mühelos studieren.“ Nur wenige Jahre später waren es genau die Englischkenntnisse, die mir erlaubten, an einem Austauschprogramm der Uni Tübingen teilzunehmen. Diese Erfahrung hat meinen pädagogischen Horizont wesentlich erweitert. Auch habe ich an den Leistungskurs Englisch an sich gute Erinnerungen. Neben den Klassikern 1984 und Animal Farm sollten wir auch One Flew Over the Cuckoo’s Nest lesen. Da die Verfilmung damals gerade in den Berliner Kinos lief, gingen wir vorab aus eigener Initiative abends in eines der Programmkinos. Wir waren so stolz darauf, den Film in Originalsprache gesehen zu haben. Unsere Kursleiterein, Frau Lundt, war Leserin des TIME-Magazines. Von ihr bekamen wir jede Woche die aktuelle Ausgabe zu den bisher schon sorgfältig gesammelten Ausgaben der letzten Monate in unseren Kursraum. Neben der Pflichtlektüre des Semesters hatten wir die zusätzliche Aufgabe, pro Quartal drei Artikel des TIME-Magazine kurz schriftlich zusammenzufassen. Uns schien es eine sehr einfache Aufgabe zu sein. Hier einmal die Überschrift gelesen, dann der Text unter den Fotos, einen Artikel überflogen, später gemerkt, dass man ihn nicht so spannend fand. Erst als Lehramtsstudent ist mir aufgefallen, dass selbst die Faulsten unter uns auf der Suche nach für uns möglichst einfachen Artikeln mindestens zehn Texte wahrgenommen hatten. Wären zehn Artikel verpflichtend gewesen, hätten wir vermutlich rebelliert. So waren wir dankbar für ihr freundliches Entgegenkommen. Wir hatten nicht gemerkt, wie sie uns zum Lesen verführt hatte. Von den Feierlichkeiten zum Abitur ist mir noch in Erinnerung, dass wir seit vielen Jahren der erste Jahrgang waren, der einen Abiball organisiert hatte. Wir – viele Jahre später von einer Abiturientin des Jahrgangs 1989 liebevolle als 68-Spätlese bezeichnet – nutzten die Gelegenheit, um auszudrücken, was wir von denen hielten, die uns formal vorgesetzt waren. Sie zeigten in unseren Augen häufig nicht das Rückgrat, von dem Bettina Wegener in ihrem Lied Sind so kleine Hände 1976 gesungen hatte. Zur Bekanntgabe der Ergebnisse der schriftlichen Klausuren hatten wir uns in Morgenmänteln am Schultor versammelt. Hand in Hand gingen wir in Zweierreihen über den Hof und sangen Lieder der Sesamstraße. Nach der Bekanntgabe blieben wir noch auf dem Hof, öffneten für mehr als achtzig Abiturient*innen fünf Flaschen Sekt, indem wir sie nach Entfernen des Drahtes über dem Korken so lange schüttelten, bis dieser möglichst hoch in den Himmel flog. Der alarmierte Schulleiter erschien wenige Augenblicke später. Er machte mich als Schüler*innensprecher darauf aufmerksam, dass das Trinken von Alkohol auf dem Schulgelände verboten sei. Ich rechnete ihm kurz vor, wie viel jede*r von uns bei den vorhandenen fünf Flaschen Sekt trinken könne. Dann beendete ich das Gespräch meinerseits mit der nicht gerade respektvollen Floskel „Sie haben Ihre Dienstpflicht getan“. Mir tat er damals fast leid. Man sah ihm an, dass er im Grunde nichts gegen unsere Aktion hatte. Aber an diesem bürgerlichen Gymnasium konnte er sich aus dienstlichen Gründen nicht einfach mit uns freuen. – Der stellvertretende Schulleiter galt als aalglatt. Er war ein schleimiger Typ. Was hatten wir eine Freude daran, 300 Plastikbeutel mit Sägespänen zu füllen, sie zu verschließen, um sie dann Stück für Stück an die Abizeitungen zu tackern. In der Abizeitung war ein Hinweis abgedruckt, wie man die Schleimspur abstreuen kann, um nicht darauf auszurutschen, falls man der unangenehmen Person begegnen sollte. Wenn ich Jahrzehnte später bei den Vorbereitungen auf den Abi-Streich als Schulleiter gefragt wurde, ob manche ironische Aktion oder Bemerkung verletzend sei, dann erinnerte ich mich gut an meine eigenen Abiturerfahrungen als Schüler. Bis auf sehr, sehr wenige Ausnahmen konnte ich erleben, wie die Abiturient*innen das in sie gesetzte Vertrauen nicht missbrauchten, sondern sensibel humorvolle Beiträge darboten, über die wir gemeinsam viel lachen konnten. Wissenschaftliche Hilfskraft, Mentor,
Schulleiter, Held – Frido Pflüger, SJ
Irgendwie war es für mich nie eine Option gewesen, mein Studium in Berlin (West) zu beginnen. In einer von einer Mauer begrenzten Stadt erst von der Schule an die Uni, um wieder an die Schule zu gehen. Das war keine große Perspektive. Eine Biografie sollte auch andere Aspekte aufweisen, wenn es um Lebenserfahrung oder Weitsicht geht. Daher war mein Plan, zumindest das Studium irgendwo in Westdeutschland zu absolvieren. Erst 2016 sollte ich in meine Heimatstadt zurückkehren. Damals konnte ich nicht ahnen, was in der Zwischenzeit passieren würde. Außer über die ZVS konnte man sich 1978 in Baden-Württemberg auch direkt bei den Hochschulen für das Lehramtsstudium Sport bewerben. Freiburg war meine erste Wahl gewesen. Aber die erste Zusage erhielt ich aus Tübingen. Was ein paar Tage wie eine Notlösung aussah, erwies sich schon bald als für mich idealer Studienort. Sport zu studieren war pure Lebensfreude. Für die Mathematik galt es, etliche Berge zu bezwingen – nicht nur auf dem Weg zur Morgenstelle, dem auf einem „Berg“ gelegenen modernen Gebäudekomplex der Naturwissenschaften, in dem auch das...


Uli Marienfeld, Dr. sportwiss., Jg. 1959, ist Reformpädagoge und stellvertretender Schulleiter der Evangelischen Schule Berlin Zentrum. Zuvor war er Schulleiter des Freien Christlichen Gymnasiums Düsseldorf und des Christburg Campus Berlin. Ein besonders Anliegen ist es ihm, unterschiedliche Lernwege zu ermöglichen, eine Kultur der Offenheit zu schaffen und Schule zu einem Resonanzraum gelingenden Lebens zu gestalten.


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