E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Martinek Marmelade im Herzen
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-22657-2
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-641-22657-2
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hilly Martinek wurde 1977 in Cuxhaven geboren und lebt heute in Hamburg. Zusammen mit ihrem Mann Krystian schrieb sie Drehbücher u. a. für die ARD-Fernsehreihe »Das Traumhotel«. Bekannt wurde sie durch das Drehbuch für den Film »Honig im Kopf« (2014), das sie nach eigenen Erfahrungen mit ihrem an Alzheimer erkrankten Vater gemeinsam mit Til Schweiger verfasste. »Marmelade im Herzen« ist ihr erster Roman.
Autoren/Hrsg.
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3
Auf der kurzen Fahrt von unserem Zuhause in Eppendorf nach Harvestehude impfte mir Philipp die Details zu seinen neuen Klienten ein.
»Der Wichtigste der vier ist Behling«, sagte er, und ich lehnte mich im Sitz zurück. »So ein kleiner Dicker mit Wieselblick. Er wohnt in Blankenese. Zwillinge in Käthes Alter. Die Frau wirst du mögen.«
»Und warum braucht er einen Anwalt für Familienrecht?«
»Papa hat vor zwei Jahren die gesamten Erbschaftsangelegenheiten von Behling senior abgewickelt. Derzeit … Nun ja. Derzeit geht es um beträchtliche Unterhaltsforderungen.«
»Von einer früheren Frau?«
Philipp druckste herum.
»Angeblich hat er eine Tochter in Tschechien.«
»Angeblich? Aber das lässt sich doch feststellen.«
Philipp seufzte.
»Das ist nicht so einfach.«
»Wie – nicht so einfach? Entweder ist sie seine Tochter oder nicht. Und wenn ja, muss er zahlen.« Ich zog die Stirn in Falten. »Was ist das überhaupt für ein Typ?«
»Hör zu, Tilda. Das sind alles Interna. Und außerdem hast du versprochen …«
»Keine sozialistischen Reden«, grummelte ich.
Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Ich war voreingenommen. Aber Typen wie Behling waren der Grund, warum ich froh war, das Jurastudium an den Nagel gehängt zu haben. Leute, die sich vor ihren Pflichten drückten, sich um Wahrheit und Gesetz herumwanden und überall nur ihren Vorteil suchten, hätte ich weiß Gott nicht vertreten wollen. Philipp sah auch das pragmatischer.
Die Villa meiner Schwiegereltern roch zu gleichen Teilen nach Geld und hanseatischer Tradition. Über eine breite Eingangstreppe ging es hinauf zu einem opulenten Säulenportal. Olga, das Hausmädchen, öffnete die schwere Eichentür und ließ uns ein.
»Da seid ihr ja endlich«, sagte Käthe-Elisabeth. Philipps Mutter musterte mich einen Augenblick zu lange und zog mich am Arm in das Wohnzimmer, Pardon, den Salon. Sie hatte das weißblonde Haar hochgesteckt und trug ein marineblaues Kostüm, das vor Understatement geradezu schrie. Für den Preis dieses Teils hätte man sämtliche Obdachlosen in St. Pauli das Jahr über durchfüttern können, da war ich mir sicher.
»Wir beginnen hier mit einem zwanglosen Cocktailempfang, anschließend geht es ins Speisezimmer. Tilda, du sitzt zwischen den Herren Almsiek senior und junior. Beide sind umgänglich und unkompliziert.«
Übersetzt hieß das: Da kannst du am wenigsten falsch machen.
»Sie besitzen ein aufstrebendes Tee-Imperium in Flensburg. In der Branche solltest du dich ja auskennen.« Es war jedes Mal wieder erstaunlich, wie viel Verachtung Käthe-Elisabeth in ein einzelnes Wort legen konnte. Branche. »Allerdings ist die Familie alt«, schob sie hinterher.
Ich täuschte ein Gähnen vor, denn ich wollte ihr nicht die Genugtuung geben zu sehen, wie ich anbiss. Ja, mein Vater war ein Geschäftsmann, wie skandalös, und meine Familie, nein, sie war nicht alt, sondern »neureich«. Welch ein Vergehen.
»Irgendwelche besonderen Interessen?«, fragte ich betont gelassen. »Außer Geld und Umsatz?«
Pikiert zog sie eine stark gezupfte Augenbraue hoch. »Segeln und Golf natürlich. Almsiek senior hat einen übel riechenden Hund, den er oft in die Kanzlei deines Schwiegervaters mitbringt. Aber du magst ja Tiere.«
In dem Stil ging es weiter. Zehn Minuten später bedauerte ich aufrichtig, dass Max keinen Darmvirus, Windpocken oder von mir aus auch die Maul- und Klauenseuche aus dem Kindergarten mitgebracht und mich angesteckt hatte. Als die ersten Gäste eintrafen, schmerzten meine Füße so höllisch, dass ich anfing, die Minuten runterzuzählen.
Hunderte von Essen in Gesellschaft meiner Schwiegereltern hatten mich darin geschult, interessiert bis angetan zu gucken, regen Anteil zu nehmen und clevere Einwürfe zu machen, ohne geistig anwesend zu sein. Erstaunlicherweise war es diesmal gar nicht so schlimm. Almsiek senior taute auf, nachdem ich ihn nach dem Hund gefragt hatte, ein Berner Sennenhund, der am liebsten mit den Ostseewellen fangen spielte und tags zuvor ausgerechnet nach einer Feuerqualle geschnappt hatte, der Arme. Ich erzählte ihm von meinem Tierarzt-Opa und dass ich unbedingt einen Hund für die Kinder wollte. Fünfzehn Minuten später kannte ich sämtliche wundervollen Eigenschaften von Berner Sennenhunden, inklusive Fressgewohnheiten, typischem Wurmbefall, Hautparasiten und Ausscheidungsmengen. Als der Nachtisch kam, erlöste mich Almsiek junior zu meiner Linken, ein sympathischer Enddreißiger mit dunklem Lockenschopf.
»Ich bin gerade zurück von unseren Plantagen in Sri Lanka«, erzählte er mir, während er mit seinem Löffel in die Crème brûlée stach. »Ich habe einen Tag lang dort mitgearbeitet.«
»Einen ganzen Tag?«, fragte ich schmunzelnd.
»Zehn Stunden lang.« Er nickte bekräftigend. »Erhellend. Sehr erhellend.«
»Das denke ich mir. Die Bedingungen müssen ziemlich hart sein.«
»Das sind sie allerdings.«
»Und welche Konsequenzen wollen Sie daraus ziehen? Ich meine, die Arbeiter dort können sich ja schwerlich am Abend ins Hotel zurückziehen. Viele haben nicht mal eine überdachte Unterkunft …«
Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie meine Schwiegermutter die Augen verengte und mir einen Kontrollblick zuwarf. Sie konnte unmöglich gehört haben, was ich da gesagt hatte. Aber sie hatte ein untrügliches Gespür für jeden meiner kleinen und größeren Fauxpas.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich schnell und errötete. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
Almsiek junior lachte. »Nein, nein, Sie haben völlig recht. Hehre Einsichten reichen nun mal nicht. Man muss etwas für die Menschen tun.« Er beugte sich vertraulich zu mir. »Sobald mein alter Herr sich in den Ruhestand verabschiedet, werde ich einige Neuerungen einführen.«
Philipps Mutter nickte unmerklich und wandte sich wieder ihrem wieseläugigen Tischnachbarn Behling zu. Sie wirkte an diesem Abend nervöser als sonst. Später, als es zurück in den Salon zu den Drinks ging, sah ich sie einen Baileys quasi auf ex trinken und nach dem Kellner Ausschau halten. Vielleicht sollte ich ihr ja den Tipp geben, gleich ein größeres Glas zu bestellen, dann hätte sie länger was zu nippen. Am besten einen kristallenen Humpen voll, einen von den geerbten natürlich.
In einem unbeobachteten Moment zog ich mein Handy hervor und warf einen Blick darauf. Immer noch keine Nachricht von meinem Vater. Ich hatte ihm am Nachmittag geschrieben und ihn gefragt, wo er denn heute gesteckt hatte.
Ich entschuldigte mich für einen Moment und begab mich in die Gästegarderobe. Rasch schrieb ich Niko eine weitere SMS und bat ihn, sich kurz zu melden.
Als ich aufsah, begegnete mein Blick dem von Petra Behling, einer gelangweilt wirkenden Frau, die mit ihren Klunkern dem Kronleuchter im Salon beinahe die Show stahl.
»Die Kinder?«, fragte sie mit Blick auf mein Telefon. »Man ist doch immer besorgt. Zum Glück gibt es Handys. Handys und Kindermädchen.«
Ich lächelte höflich. »Sie haben Zwillinge im Alter unserer Tochter, richtig? Sie ist zehn.«
Erfreut nickte sie. »Leon und Tim werden im November elf. Sagen Sie … Haben Sie schon ein Internat in England ausgewählt?« Sie fächelte sich imaginär Luft zu. »Es ist wirklich schwierig, sich zu entscheiden. Leon begeistert sich so für die Mathematik, aber Tim spielt leidenschaftlich Golf. Wo finden wir nur eine Schule, die beides fördert? Natürlich wollen wir die Jungs nur im Notfall trennen.«
»Ihr Sohn spielt Golf?«, fragte ich und runzelte unwillkürlich die Stirn. Welcher Junge im Alter von zehn Jahren konnte Spaß daran finden, mit alten Leuten in Tweed über das Grün zu latschen und dann und wann einen Ball zu schlagen? Und das auch noch leidenschaftlich.
»Er spielt besser als sein Vater«, erklärte sie. »Man muss eben früh genug damit anfangen, sie zu begeistern. Sie haben keinen Sohn?«
»Doch, Max, er ist fünf. Er kommt ganz nach seinem Vater.« Einen Moment lang stellte ich mir Max in kratzigen Wollshorts, englischen Jagdkniestrümpfen und mit Golfschläger vor. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
»Sie haben einen wirklich reizenden Mann«, sagte Frau Behling, und ihr Blick bekam etwas Schwärmerisches. »Kommen Sie doch alle mal zu uns zum Tee.«
Zum Tee? Langsam fühlte ich mich, als wäre ich im britischen Königshaus zu Gast.
»Gern«, sagte ich und bemühte mich um einen strahlenden Gesichtsausdruck. »Dann müssen Sie mir alles über Ihre Söhne erzählen. Und wie Sie sie für Mathematik begeistern. Und Golf natürlich.«
Frau Behling schenkte mir ein geradezu huldvolles Lächeln und stand auf. »Ich geselle mich dann mal wieder zu meinem Mann.«
»Ich komme gleich nach«, sagte ich und deutete vage auf meine verbesserungswürdige Frisur.
»Was für eine Schnepfe«, murmelte ich, als sie außer Hörweite war, und atmete tief durch. Als ich in den Spiegel sah, bemerkte ich die Falten um meine Mundwinkel. Sie hatten sich förmlich eingegraben in meine Haut. Das kam davon, wenn man zu viel und zu falsch lächelte. Ich blies die Backen auf. Mir gefiel nicht, was ich da sah. Und damit meinte ich nicht allein die Falten. Wer war ich denn, mich über andere zu erheben? Ich spielte das falsche Spiel doch mit.
Als wir endlich wieder im Auto saßen, streifte ich die Schuhe von den Füßen und stöhnte. Ich konnte gar nicht schnell genug nach Hause kommen.
...