E-Book, Deutsch, 281 Seiten
Massimo Die Erfindung der Liebe
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7565-7954-9
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 281 Seiten
ISBN: 978-3-7565-7954-9
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stephan Massimo hat als Komponist und Produzent Musik für mehr als 100 Filme geschrieben, mehrere Alben veröffentlich. Zwei seiner Songs waren in der Internationalen Charts vertreten. Sein einiger Zeit ist er auch als Autor tätig.
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MARISA
Wellen rollen heran, unter Unterlass, als gäbe es irgendwo da draußen eine Wellenfabrik. Sie umspülen seine Füße, färben den Sand dunkel, machen unverwechselbare Geräusche, die aus seiner Kindheit kommen und ihn mit dem Erwachsensein versöhnen. Gustav sieht hoch zur Klippe, wo die wenigen Häuser von Odeceixe stehen. Die Bucht ist lang gestreckt und tief, wie geschaffen für einen Film über den D-Day oder einen sehnsüchtigen Sommerroman. In der flimmernden Hitze liegt eine Frau auf einem grünen Handtuch im Sand, den Kopf auf den Händen abgestützt, den Blick auf ein Buch gerichtet. Ihr Beine stehen abgewinkelt in der Luft, wippen ungeduldig auf und ab. Sie blättert die Seiten in schnellem Tempo um, scheint im Gegensatz zu ihm die Kunst des Querlesens zu beherrschen. Die Gläser ihrer Sonnenbrille haben die Farbe ihrer Haare. Ihr Bikini ist senfgrün, ihre Haut so gleichmäßig gebräunt, wie seine es zuletzt als Kind am Ende eines guten Sommers war. Gustav nähert sich der Frau, vernimmt das Flattern Buchseiten, getrieben vom Atlantischen Wind, der hier nie eine Pause macht. Er lässt sich in ihrer Nähe in den Sand fallen, als geschähe es zufällig und versucht den Titel des Buches zu erkennen. Verdammte Eitelkeit. Als sein erstes Buch herauskam, hat er in jeder Buchhandlung danach gesucht, und wenn es nicht im Schaufenster stand, fühlte er sich gekränkt. Inzwischen sind die Auslagen jedes Jahr einmal voll damit.
Die Frau wirft ihre Lektüre achtlos in den Sand, läuft zum Ozean, wird von ihm aufgefressen und wieder ausgespuckt, schaukelt darin wie ein lebloser Gegenstand. Gustav steht auf, klopft den Sand von seinen Beinen, nähert sich ihrem Handtuch und dem dicken Schmöker. Balder Nilsson. Brainsnatcher. Ein roter Aufkleber mit weißer Schrift. BESTSELLER. Er hat dieses Buch vor fünf Jahren in nur drei Monaten geschrieben. 725 Seiten, dreihundert zu viel, weil die Leser etwas für ihr Geld haben wollen und glauben, dass viel auch viel kann. Der Gehirnräuber. In alle gängigen Sprachen übersetzt, wie alle zwölf Romane von Balder Nilsson, den er erfunden hat, weil sich skandinavische Thriller besser verkaufen als deutsche. Manchmal fragt er sich, ob er als Gustav Zimmermann genauso erfolgreich geworden wäre. Wenn er einen Roman beendet hat, liest er ihn nicht noch einmal durch. Das macht Fritz für ihn, der nichts infrage stellt, weil er nichts erfindet. Fritz sucht nach Fehlern, bessert sie aus, markiert geeignete Passagen für Lesungen, kümmert sich um den ganzen formalen Kram, bleibt klaglos auf der dunklen Seite des Mondes.
Die Frau kommt aus dem Wasser zurück zu ihrem Handtuch. Ihre Haare und ihre gebräunte Haut glänzen. Sie ist zierlich, sehnig, etwas jünger als er, aber vielleicht denkt er das nur, weil sie gesünder aussieht als er. Ihre Augen sind fast schwarz, ihr Lippen weder schmal, noch künstlich vergrößert, wie bei so viele anderen.
»Wie gefällt es Ihnen?«, fragt Gustav.
»Hier?«
»Nein. Das Buch.«
»Es ist grauenvoll. Absoluter Schund. Voller Klischees. Dutzendware.«
»Warum haben Sie es dann gekauft?«
»Das habe ich nicht. Es lag da drüben neben dem Mülleimer. Manchmal ist es eine Wohltat, zu sehen, wie schlecht andere schreiben. Es klingt gemein, aber es gibt mir Kraft.«
Ihr Englisch ist so gut wie seines. Gemeinsame Sprache als spätes Geschenk der Kolonialzeit. Wenigsten etwas. Ihr Name ist Marisa. Sie lebt in Lissabon. Abends arbeitet sie im Bairro Alto in einer Bar, tagsüber schreibt sie. Für den August hat sie ein kleines Appartement in Odeceixe gemietet, um einige Wochen lang nicht müde aufzuwachen, nicht übermüdet zu schreiben und nicht müde zur Arbeit gehen zu müssen, die sie noch müder macht.
»Dann sind Sie also Schriftstellerin?«
»Mehr als dieser Balder Nilsson zumindest, falls er überhaupt existiert. Wahrscheinlich stecken vier professionelle Plagiateure dahinter, die sich darüber kaputtlachen, dass Millionen Menschen ihren Mist kaufen«, sagt Marisa.
»Warum vier?«
»Von mir auch aus zwei oder fünf. Erfolg ist nichts wert, wenn das, womit man Erfolg hat, keinen Wert besitzt.«
Marisa schreibt an ihrem zweiten Roman. Für den ersten hat sie keinen Verlag gefunden. Gustav erinnert sich an seinen Anfang, an die Zeit bevor er Balder Nilsson wurde. Auf der nach oben offenen Vernichtungsskala rangiert das Desinteresse von Agenten und Verlagen weit vor schlechten Kritiken. Er war kurz davor aufzugeben.
»Und du? Was machst du? Lass mich raten. Hautarzt?« sagt Marisa. Sie lacht, drückt ihren Zeigefinger gegen seinen sonnenverbrannten Oberarm, hinterlässt eine weiße Druckstelle, die sich nur zögerlich wieder rot färbt. Er ist neugierig, worüber Marisa schreibt. Über die Liebe vermutlich, ohne sie beim Namen zu nennen. Sie schiebt ihre Sonnenbrille in ihre lockigen Haare und greift nach dem Sonnenschutzspray, das neben ihrer Strandtasche liegt, streift die Träger ihres Bikinis über ihre Schultern und cremt sich ein. Gustav würde ihr gerne behilflich sein, aber die Zeiten, in denen er später behaupten könnte, er habe dabei keine Hintergedanken gehabt, sind vorbei. Bestseller Autor begrapscht Frau am einem Strand in Portugal.
Er hat seit sieben Jahren keinen Urlaub mehr gemacht, nur geschrieben, geschlafen, geschrieben, zu viel getrunken, unzäh-lige Lesereisen und Autogrammstunden absolviert. Nichts langweilt ihn mehr, als aus seinen Büchern vorzulesen, die nicht mehr als Gelddruckmaschinen sind. Fritz studiert für ihn die erfolgreichsten Thriller auf dem Markt, analysiert sie, legt ihre Eingeweide frei, ist der Anatom seines Erfolges. Balder Nilsson macht nichts Neues, sondern setzt Bewährtes geschickt auf andere Weise zusammen. Das Genre ist längst ausgelutscht, aber die Leser scheint das nicht zu stören.
Eine fünfköpfige Familie zieht ein Schlauchboot über den Strand. Die Frau und der Mann Anfang dreißig, die zwei Mädchen im Vorschulalter, Zwillinge dem Anschein nach. Das Baby liegt im Bauch des Bootes, schreit gegen den Wind und die Brandung an, aber niemand nimmt es wahr.
Marisa nimmt das Spray, sprüht seinen Rücken ein, lässt ihre Handflächen und ihre schmalen Finger darüber gleiten. Sie muss sich keine Sorgen um ihren Ruf machen, braucht keine Angst vor einer Anzeige wegen sexueller Belästigung zu haben
»Du musst besser auf dich aufpassen. Sonst verbrennst du«, sagt Marisa.
Die meisten seiner Begegnungen mit Frauen dauern eine Nacht, die Nacht nach einer Lesung, manchmal auch ein Frühstück länger, bevor er weiterreist. Burn after reading. All die Jahre hat er nie das Bedürfnis verspürt, irgendwo anzukommen, aber in letzter Zeit machen ihn Bahnhöfe und Häfen aller Art melancholisch.
»Darf ich etwas von dir lesen?«
»Du kannst Portugiesisch?«
Sein Laptop kann alle Sprachen, ist dank Fritz mit einem Übersetzungsprogramm ausgerüstet, das Geheimdienste verwenden. Der Turm von Babel ist befreit. Marisa könnte auf Suaheli schreiben, auf Russisch oder Kalaallisut. Es würde ihn nicht hindern, ihren ersten Roman zu lesen.
Marisa greift nach seiner Hand, zieht ihn hoch, weg von seinen Gedanken, die im heißen Sand zurückbleiben und läuft mit ihm den Wellen entgegen. Er hat Geschichten über die tückische Strömung gehört, aber bestimmt weiß sie, an welchen Stellen es ungefährlich ist. Vertrauen entsteht von einer Sekunde auf die andere, und genauso schnell kann es wieder verschwinden. Es dauert nicht lang, bis Marisa den Boden unter den Füßen verliert. Sie legt einen Arm um seinen Hals, hält sich an ihm fest. Die ankommenden Wellen schieben ihre Körper aneinander und trennen sie wieder. Es ist wie ein Tanz, ein langsamer Fado, der Beginn einer Geschichte, deren Ausgang ungewiss ist.
Keine zwei Kilometer vom Strand entfernt hat er ein Haus mit zwei Hektar Land gekauft und es von einem renommierten Architekten aus Lissabon modernisieren lassen. Glück dich käuflich. Wenn man ihn danach fragt, behauptet er, genug von der Berliner Kälte und den vielen Landeiern und Provinzlern zu haben, die nach Berlin ziehen, um Großstädter zu spielen, aber das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Im Grunde verachtet den Schund, den Balder Nilsson schreibt, kein bisschen weniger als Marisa. Er ist auf der Flucht vor ihm, halbherzig, die Taschen voll mit seinem Geld. Es ist lächerlich.
»Meu Deus. O que você está? Um milionário?«, sagt Marisa, als sie sein Haus betritt, und obwohl er kein Portugiesisch kann, versteht er, was sie sagt. Die neuen Glasfronten wirken wie Kinoleinwände, auf denen Brecher an Klippen zerbersten und weiße Gischt in den Himmel speien. Der Swimmingpool leuchtet türkisfarben, ist ein farbiger Happen vom leichten Glück, nach dem sich die halbe Welt sehnt.
»Es ist fantastisch.«
»Es gehört einem Freund. Fühl dich ganz wie zu Hause«, sagt Gustav, aber vielleicht ist es zu viel verlangt. Viele Menschen in Portugal sind arm und leben in beengten Verhältnissen. Daran hat er beim Kauf nicht gedacht. Marisa durchwühlt ihre Strandtasche, zieht einen USB-Stick daraus hervor, der die Ursprünglichkeit ihre Gedanken behütet, der wie ein Schatz wirkt, wertvoll und unersetzlich.
Gustav steigt...