E-Book, Deutsch, 624 Seiten
Matharu Der Flug der Drachenreiter
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-30272-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 624 Seiten
ISBN: 978-3-641-30272-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Taran Matharu wurde 1990 in London geboren und entdeckte schon früh seine Leidenschaft für Geschichten. Nach seinem BWL-Studium und einem Praktikum bei Random House UK schrieb er 2013 seinen ersten Roman Die Dämonenakademie, der auf der Leserplattform Wattpatt innerhalb kürzester Zeit zum Publikumsliebling avancierte. Seither widmet sich Taran Matharu ganz dem Schreiben. Der Autor lebt und arbeitet in London.
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2
Er landete am Vordereingang des Pavillons, und das nicht mit einem dumpfen Aufschlag, sondern mit solcher Anmut, dass Jai kaum etwas hörte. Trotzdem fühlte er den Windstoß seiner großen Schwingen, der die Decke aus Stoffbahnen aufbauschte und Staub aufwirbeln ließ.
Dies war der erste Drache, den er je gesehen hatte. Tatsächlich war es wahrscheinlich sogar der erste Drache, den ein Sabiner überhaupt in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte, auch Leonid selbst. Wenn die Geschichten zutrafen, musste dieser einer der letzten seiner Art sein.
Zuerst sah er nur dessen Gestalt, umgeben von einem Dunst aus Staub, den das Wesen selbst hervorgerufen hatte. Man erkannte einen schlangenartigen Hals und träge Schwingen, die sich wie ein Umhang an seinem Rücken falteten. Einen Schwanz, der sich unter ihm zusammenrollte, in dem engen Raum zwischen den hinteren Rängen der Legion und der Plattform des Zelts. Der Drache war von seiner Nase bis zum Schwanz so groß wie drei Schlachtrösser.
Jai nahm seinen Farbton in sich auf. Die smaragdenen Schuppen, die wie eine polierte Rüstung glänzten, waren glatt, bis auf die Reihe von Zacken, mit denen sein Rücken bis zum Sporn an seiner Schwanzspitze besetzt war. Und dann vervollständigte den Anblick noch ein gehörnter Schädel. Er hatte eine lange Schnauze, und an den Rändern seines Mauls, das seine Lippen wölfisch kräuselte, deuteten sich scharfe Zähne an.
Da war so viel zu verkraften, dass Jai kaum den Reiter beachtete, der rittlings auf dem Rücken des Tieres saß. Erst als er auf die Plattform des Zelts sprang, riss er seinen Blick von dem Drachen los.
Die Gestalt wirkte geschmeidig und war in ein weißes Gewand aus Musselin gekleidet, das sich an ihre Beine schmiegte, während sie näher an die Throne heranschritt. Ihr Gesicht und ihr Haar waren mit einem Schleier bedeckt. Obwohl Jai aufgrund der Anmut ihrer Bewegungen vielleicht schon erraten hätte, dass der Besucher weiblich war, bestätigte es schließlich eine goldene Locke, die bis zur Taille reichte und von dem Haar herrührte, das sich hinter dem dünnen Stoff gelöst haben musste.
Mit einer juwelenbesetzten Hand strich sie die Strähne fort, während sie sich dem Thron des Kaisers näherte – dem Sitz von Constantin, dem Gesegneten. Oder von Constantin, dem Grausamen, als den ihn die meisten kannten.
Sie hielt vor den beiden Thronen des Kaisers und des Prinzen an und schwieg, während die Schreie der Schlacht im Wind dahintrieben.
Neben dem Kaiser zuckten die Hände der Wachen näher zu ihren Schwertknäufen, und ein Gemurmel erhob sich, als sie nicht niederkniete. Sogar Prinz Titus musste sich vor seinem eigenen Vater verbeugen, doch dieses Mädchen stand weiter unerschrocken aufrecht. Ganz langsam wandte sich ihr Kopf neugierig angesichts des Schauspiels der erhöhten Throne vor ihr von einem zum anderen.
»Wir bringen Euch ein Geschenk, Kaiser Constantin«, rief sie aus. Dabei erklang ihre Stimme laut und hart, mit einem Akzent, in dem Jai sofort den Tonfall der Dansken erkannte. So hieß das Volk der Nördlichen Tundra, ein Königreich, das nicht von den Sabinern erobert worden war. Offenbar hatten sie beschlossen, lieber in die Dynastie einzuheiraten, statt sie zu bekämpfen.
Constantin gab seinen Wachen zu beiden Seiten mit den Händen ein Zeichen, und die Spannung im Zelt lockerte sich mit dem plötzlichen Lächeln des Kaisers.
»Was für ein Geschenk mag das sein, Prinzessin Erica?«, fragte er und lehnte sich dabei vor, um sie genauer zu betrachten. »Vielleicht die frühzeitige Freude deiner Gesellschaft? Wir hatten dich nämlich erst in einigen Wochen erwartet.«
»Wir bringen den Sieg«, erwiderte das Mädchen.
Wie auf ein unsichtbares Kommando hin hob der Drache seinen Kopf zum Himmel. Das große Maul öffnete sich und offenbarte einen mit Zähnen gespickten Rachen, der leicht einen Mann im Ganzen verschlingen konnte. Der Anblick ließ Jai den Atem stocken.
Dann … ein Aufbrüllen.
Der Laut fuhr durch das Zelt und stieg zum Himmel empor. Sogar noch über den Schlachtlärm hinweg hallte er in der Ebene wider. Und er setzte sich weiter und weiter fort, während sich die Brust des großen Tiers vor Anstrengung hob. Mit jeder verstreichenden Sekunde musste Jai den Drang unterdrücken davonzurennen.
Dann folgte eine Stille im Zelt, bis der ferne Zusammenstoß von Waffen und die Schreie der Sterbenden auf dem Schlachtfeld hörbar wurden. Und schließlich kam eine Antwort: ein weiteres Brüllen, aber weit entfernt. Jetzt konnte Jai noch einen Drachen am Himmel sehen, der über dem Höhenrücken segelte. Doch nicht von ihm wurde sein Blick angezogen, sondern von der dunklen Welle, die sich formte, wo der Hügelkamm auf den Horizont traf. Sie glitzerte im Sonnenlicht über dem Morast der Hudditenhorde.
Ein Heer war eingetroffen, nur einhundert Fuß hinter den rückwärtigen Reihen der Hudditen. Tausende Männer, die Äxte gegen Schilde schlugen im Einklang mit dem Rhythmus einen kehligen Kriegsgesang anstimmten. Jetzt wandten sich die erschöpften Hudditen der neuen Bedrohung zu. Ihre Schreckensschreie waren gerade noch über dem Schlachtlärm hörbar.
Constantin stand auf, um von seinem Thron aus besser sehen zu können, und dann klatschte er begeistert in die Hände.
»Du wirst es wirklich nicht leicht haben, mein Junge«, lachte er. »Deine Frau wird dich zum Frühstück verspeisen, wenn du nicht aufpasst. Und wenn ihr Drache dich nicht zuerst frisst.«
Erneut lachte Constantin über seinen eigenen Witz, während er sich wieder hinsetzte, wie es auch sein Gefolge tat, das hinter ihm gestanden hatte. Titus, der neben seinem Vater auf seinem eigenen Thron saß, machte bei dessen Worten nur ein mürrisches Gesicht und wandte sich seiner Leibwache zu, um ihr etwas zuzuflüstern.
Wie immer staunte Jai darüber, wie unscheinbar der Kaiser mit seinem gestutzten Kinnbart und dem dünnen Schnurrbart aussah. Er wies die gleiche aufwärts gerichtete Nase auf, die auch im Gesicht seines Sohnes zu sehen war, der den Vater unter einem dicken Schopf blonden Haars finster anstarrte. Die scharfen Gesichtszüge des Prinzen verzogen sich, und er kräuselte die Lippen. Seine zukünftige Braut begrüßte er nicht.
Neben Jai mokierte sich Leonid leise über die Szene, die sich vor seinen trüben Augen abspielte. Mit dem Abstand von einem Dutzend Schritten konnte der alte Mann die Interaktion zwischen der Drachenreiterin und dem Kaiser gerade so ausmachen. Jai war erleichtert, dass er keine Beschreibung verlangte, denn er wollte die relative Stille im Zelt nicht unterbrechen. Wenn Constantin sprach, wagten wenige, etwas anderes zu tun als zuzuhören.
Das Mädchen stand beinahe linkisch in ihrer Haltung für sich, bis sie der königlichen Familie den Rücken zuwandte. Ihr Drache gab ein leises Grollen von sich. Von der Stelle, an der er neben der Plattform Platz genommen hatte, streckte er seinen anmutigen Hals nach ihr aus.
Angesichts dieser Unhöflichkeit runzelte sogar Constantin die Stirn, aber der Grund für die Bewegung des Mädchens wurde bald deutlich. Jai konnte kaum glauben, mit welcher Geschwindigkeit der andere Drache den Malstrom der Schlacht überquerte, aber binnen Augenblicken landete das zweite Tier neben dem ersten, und Jai zog den Kopf ein, als abermals Staub aufgewirbelt wurde.
Dieser Drache sah älter aus als Ericas, denn seine schwarzen Schuppen strahlten nicht mit dem gleichen Glanz, und außerdem fehlten einige seiner Zähne. Narben überzogen kreuz und quer seinen Rücken, das Zeugnis eines Lebens voller Kämpfe gegen die Greifen des Kaiserreichs. Inzwischen wusste Jai, wer gleich auf die Plattform springen würde, gekleidet in all der Pracht, die die Nördliche Tundra zu bieten hatte.
Das war König Ivar, Ericas Vater. Er trug das weiße Fell eines Höhlenbären so um seine Schultern, dass dessen Unterkiefer auf seinem Kopf ruhte. Auf seiner zerfurchten Stirn war ein Reif aus Silber zu sehen, und Ringe klirrten an seinen Armen, die trotz des fortgeschrittenen Alters des Königs noch immer muskulös wirkten.
Der danskische König hob sein Kinn. Sein Gesicht war ebenso undurchschaubar wie das von Erica unter ihrem Schleier. Nur seine Blicke, die zwischen den Gesichtern des Kaisers und seines Sohns hin und her zuckten, deuteten an, dass er Gedanken folgte.
Verglichen mit dem Kaiser erschien Ivar in seinem Auftreten beinahe wie ein Barbar. Der Eindruck wurde durch die gelbe Farbe seiner Zähne und die Tätowierungen, die sich in Wirbeln über seine entblößte Brust und den Hals entlang zogen, noch verstärkt – obwohl letztere von einem dunkelblonden Bart halb verdeckt wurden. Im Gegensatz zu ihm machte Constantin in einer faltenlosen purpurnen Robe und einer aufwendigen goldenen Krone einen prächtigen Eindruck.
Ivar breitete seine Arme weit aus, und ein Lächeln erschien auf seinem wettergegerbten Gesicht.
»Wir bitten für unsere frühe Ankunft um Verzeihung, Constantin«, sagte er, und Jai konnte dabei, wenn er auch einen Steinwurf weit entfernt stand, das Bier in Ivars Atem riechen. »Die Winde über den Silbernen Meeren sind unseren Schiffen freundlich gesinnt gewesen, als wir die Küste hinab reisten.«
Er weigerte sich ebenfalls, sich zu verbeugen, stattdessen nickte er dem Kaiser und dessen Sohn zu. Leonid gegenüber erwies er die meiste Hochachtung, wobei sein verschmitztes Lächeln verblasste, als er sich vor dem alten Mann verneigte. Dann legte er einen Arm um seine Tochter und zwinkerte Titus zu. Wieder verzog der Prinz das Gesicht und rückte auf seinem Thron unbehaglich hin und her. Erica zog am Arm ihres...