E-Book, Deutsch, Band 1, 496 Seiten
Reihe: Dämonenakademie-Serie
Matharu Die Dämonenakademie - Der Erwählte
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-15373-1
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 496 Seiten
Reihe: Dämonenakademie-Serie
ISBN: 978-3-641-15373-1
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Taran Matharu wurde 1990 in London geboren und entdeckte schon früh seine Leidenschaft für Geschichten. Nach seinem BWL-Studium und einem Praktikum bei Random House UK schrieb er 2013 seinen ersten Roman Die Dämonenakademie, der auf der Leserplattform Wattpatt innerhalb kürzester Zeit zum Publikumsliebling avancierte. Seither widmet sich Taran Matharu ganz dem Schreiben. Der Autor lebt und arbeitet in London.
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1
Jetzt oder nie. Falls Fletcher danebenschoss, musste er hungrig ins Bett. Es dämmerte schon, und er war spät dran. Wenn er es nicht rechtzeitig zurück zum Dorf schaffte, wäre das Tor bereits verschlossen, und dann müsste er entweder die Wachen mit Geld bestechen, das er nicht hatte, oder im Wald schlafen.
Gerade hatte sich der Elch an einer mächtigen Kiefer den Flaum vom Geweih geschabt. An der Größe und Statur sah Fletcher, dass es sich um ein Jungtier handelte – ein prachtvolles Exemplar mit glänzenden, klugen Augen, das dieses Jahr sein erstes Geweih trug. Fletcher schämte sich beinahe, einem so schönen Geschöpf nachzustellen. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, sich schon jetzt auszumalen, wie viel er dafür bekäme. Das dicke Fell würde bei den Händlern einen guten Preis einbringen, vor allem jetzt im Winter. Bestimmt fünf Schilling oder noch mehr. Das Geweih war in hervorragendem Zustand, wenn auch ein wenig klein. Vier Schilling, wenn er Glück hatte. Am meisten hatte er es jedoch auf das rote, saftige Fleisch abgesehen. Fletcher konnte beinahe hören, wie das Fett zischend ins Kochfeuer tropfte.
Dichter Nebel hing in der Luft, der sich wie Tau auf seiner Kleidung niederschlug. Im Wald war es ungewöhnlich still. Normalerweise fuhr der Wind raschelnd durch die Äste und übertönte jedes Geräusch, das er beim Pirschen machte, im Augenblick aber traute sich Fletcher kaum zu atmen. Er nahm seinen Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf die Sehne. Es war sein bester, der Schaft schön gerade, mit einer Befiederung aus echten Gänsefedern, nicht dem billigen Truthahnzeug, das es auf dem Markt zu kaufen gab. Er nahm einen flachen Atemzug und spannte die Sehne. Sie fühlte sich glitschig an. Fletcher hatte sie mit Gänsefett eingeschmiert, um sie vor der feuchten Luft zu schützen.
Er spähte am Schaft entlang und richtete die Spitze auf den Elch aus. Fletcher kauerte etwa zehn Schritt entfernt im hohen Gras, es war ein schwieriger Schuss, aber bei Windstille würde zumindest keine Böe den Pfeil aus der Bahn wehen.
Er ließ vollkommene Ruhe in Körper und Geist einkehren, wie er es durch mühselige Erfahrung gelernt hatte, atmete dann aus und ließ los. Fletcher hörte das Schwirren der Sehne und schließlich das dumpfe Klatschen, mit dem der Pfeil einschlug.
Es war ein großartiger Schuss, genau in die Brust. Die Spitze drang durch die Lunge und mitten ins Herz. Der Elch brach zusammen und wühlte in seinen Todeszuckungen den Waldboden ringsum auf.
Fletcher spurtete los und zog noch im Laufen sein Häutemesser aus der Oberschenkelscheide, aber das Tier war bereits tot, bevor er es erreichte. Ein schneller, sauberer Tod, wie Berdon gesagt hätte. Aber Töten war nie sauber. Das schaumige Blut, das aus dem Maul des Elchs quoll, zeigte es in aller Deutlichkeit.
Vorsichtig zog Fletcher den Pfeil heraus. Der Schaft war noch heil, nicht einmal die Spitze aus Feuerstein war an den Rippen des Tiers gesplittert. Fletcher war zwar ein guter Pfeilmacher, aber die Zeit, die es ihn jedes Mal kostete, ärgerte ihn. Viel lieber arbeitete er in Berdons Schmiede und schlug mit dem Hammer ein glühendes Eisen in Form. Vielleicht mochte er einfach die Hitze dort und den befriedigenden Schmerz in den Muskeln nach einem Tag harter, ehrlicher Arbeit. Oder es lag an dem Geld, das Berdon ihm bezahlte. Die schweren Münzen fühlten sich in Fletchers Taschen gut an.
Der junge Elch war schwer, aber bis zum Dorf war es nicht weit. Das Geweih bot sich als praktischer Griff an, und der Kadaver ließ sich ohne allzu große Mühe über das feuchte Gras ziehen. Das einzige Problem waren jetzt noch die Wölfe und Wildkatzen. Immer wieder kam es vor, dass sie einen Jäger auf dem Heimweg um seine Mahlzeit brachten, manchmal sogar um sein Leben.
Fletchers Jagdgründe lagen auf den Hängen der Bärenzahnberge. Der Name rührte von den zwei charakteristischen spitzen Gipfeln her, die wie Reißzähne aussahen. Das Dorf lag in dem Joch genau dazwischen, den einzigen Zugang bot eine steile Schotterstraße, die vom Tor aus gut einzusehen war. Die gesamte Siedlung wurde von einer hohen, hölzernen Palisade umfasst, aus der in regelmäßigen Abständen Wachtürme ragten, aber Überfälle waren selten. Während der fünfzehn Jahre, die Fletcher nun schon auf der Welt war, hatte es nur einen einzigen gegeben. Glücklicherweise hatte es sich damals lediglich um eine kleine Bande Banditen gehandelt, nicht um einen Überfall der Orks, die sich so hoch im Norden und weit entfernt vom Dschungel nur selten blicken ließen. Dennoch nahm der Rat die Bewachung des Dorfes sehr ernst, und wer nach der neunten Glocke am Tor auftauchte, bekam ernsthafte Schwierigkeiten, wenn er noch eingelassen werden wollte.
Fletcher stapfte durch das dichte Gras neben der Straße und schleifte den Elch hinter sich her. Auf keinen Fall wollte er das wertvolle Fell beschädigen. Pelze und Tierhäute gehörten zu den wenigen Handelsgütern, die sein Dorf zu bieten hatte. Sie hatten ihm auch seinen Namen gegeben: Pelz.
Der Weg bergauf war steil und mühsam, vor allem bei hereinbrechender Dunkelheit. Die Sonne war bereits hinter einem Kamm verschwunden, und Fletcher wusste, dass die Glocke jeden Augenblick läuten würde. Er biss die Zähne zusammen und beschleunigte seinen Schritt, rutschte prompt aus und schlug sich das Knie auf. Dann fluchte er laut, erst recht, als er das Tor sah: Es war geschlossen. Die Nachtwache hatte bereits ihre Laternen entzündet. Offensichtlich hatten die nichtsnutzigen Büttel früher Schluss gemacht und waren schon auf dem Weg in die Taverne.
»Ihr faulen Hunde, die neunte Glocke hat noch nicht mal geläutet«, rief Fletcher und ließ das Elchgeweih los. »Lasst mich rein! Ich werde nicht hier draußen übernachten, nur weil ihr es nicht erwarten könnt, euch um den Verstand zu saufen!« Er trat mit dem Stiefel gegen das Tor.
»Schon gut, Fletcher, immer mit der Ruhe. Hier drinnen gibt es brave Bürger, die jetzt gern schlafen würden«, ertönte eine Stimme von oben. Das war Didric. Mit einem hinterhältigen Grinsen auf dem rundlichen Gesicht lehnte er sich über die Brüstung.
Fletcher zuckte zusammen. Ausgerechnet Didric Cavell, der Schlimmste von allen, musste heute Nachtwache haben. Er war fünfzehn, also genauso alt wie Fletcher, führte sich aber auf wie ein Erwachsener. Fletcher mochte ihn nicht. Didric war ein Fiesling und immer auf der Suche nach der nächsten Gelegenheit, seine Macht auszuspielen.
»Ich habe die Tagwache heute früher nach Hause geschickt. Ich nehme meine Pflichten nämlich sehr ernst, musst du wissen. Morgen kommen die Händler, da kann man nicht vorsichtig genug sein. Man weiß nie, was für Gesindel da draußen herumschleicht.« Didric amüsierte sich königlich über die kleine Spitze.
»Lass mich rein, Didric. Wir wissen beide, dass die Tore bis zur neunten Glocke geöffnet bleiben müssen«, erwiderte Fletcher. Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da ertönte sie auch schon, so laut, dass sie im ganzen Tal unterhalb widerhallte.
Didric hielt sich eine Hand ans Ohr. »Was sagst du? Ich kann dich nicht hören!«
»Ich habe gesagt, du sollst mich reinlassen, du Idiot. Was du tust, ist gegen das Gesetz! Wenn du nicht sofort öffnest, werde ich es dem Rat sagen müssen!« Wütend funkelte er den blassen Nichtsnutz oben auf der Palisade an.
»Ja, das wäre dein gutes Recht. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden wir allerdings beide bestraft werden, und was hätten wir dann davon? Warum treffen wir nicht eine Abmachung: Du gibst mir den Elch, und ich bewahre dich davor, die Nacht draußen im Wald verbringen zu müssen.«
»Du kannst dir deine Abmachung sonstwohin schieben!«, schrie Fletcher. Eine so unverfrorene Erpressung hätte er nicht einmal Didric zugetraut.
»Komm schon, Fletcher, sei vernünftig. Jetzt im Winter wird nicht mal dein Lagerfeuer die Wölfe und Wildkatzen abhalten. Wenn sie kommen, kannst du entweder die Beine in die Hand nehmen oder dich ihnen als Appetithäppchen zum Fraß vorwerfen. Und selbst wenn du überleben solltest, morgen früh wirst du so oder so mit leeren Händen durch dieses Tor gehen. Lass mich dir doch helfen.« Seine Stimme klang beinahe freundlich, als tue er Fletcher einen Gefallen.
Dessen Gesicht brannte vor Zorn. So etwas hatte er nie zuvor erlebt. Ungerechtigkeiten waren im Dorf an der Tagesordnung, und Fletcher hatte längst hingenommen, dass er in einer Welt, die in Reich und Arm unterteilt war, auf jeden Fall zur zweiten Gruppe gehörte. Aber was der Sohn eines der reichsten Männer in ganz Pelz da gerade versuchte, war glatter Diebstahl. »Du hältst dich wohl für besonders schlau?«, knurrte er wütend.
»Von uns beiden halte ich nun mal das bessere Blatt in Händen und tue nur, was die Vernunft mir gebietet.« Das ganze Dorf wusste, dass Didric Sprechunterricht bekam, damit er sich möglichst geschwollen ausdrücken konnte. Sein Vater hoffte, Didrics Chancen auf einen Posten als Richter in einer der größeren Städte Hominums auf diese Weise zu verbessern.
»Aber eins hast du dabei vergessen«, murrte Fletcher. »Bevor ich dir meinen Elch überlasse, schlafe ich lieber draußen im Wald.«
Didric lachte. »Ha, das wollen wir doch mal sehen! Ich hab noch...