May | Das Seminar | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 238 Seiten

May Das Seminar


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7597-5364-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 238 Seiten

ISBN: 978-3-7597-5364-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Du bist ein Träumer," sagte sie und strich ihm nachsichtig lächelnd über das Haar. Spätestens in diesem Moment hätte er aufwachen müssen. Doch Philipp lässt die Liebe seines Lebens nicht los. Und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Thomas May lebt und arbeitet in Gotha. Die Liebe zum geschriebenen Wort prägt sein Leben von Jugend an. Viele Jahre verantwortet er die Redaktion eine Sozialverbandes. Später ist er in der mittelständischen Industrie als PR-Fachmann tätig. Seit dem Rückzug aus dem Berufsleben widmet er sich lange gehegten Wunschprojekten. Mit "Das Seminar" legt er seinen ersten Roman vor.

May Das Seminar jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


I.
Lange Zeit hatte er die Erinnerung an diesen Ausflug mit ihr verdrängt. Jetzt, in dem Moment, wo er diese Straße vielleicht das letzte Mal langfuhr, war die Situation plötzlich wieder präsent. Gleichzeitig erfasste ihn eine Leichtigkeit, die im völligen Widerspruch zum Grund seiner Anwesenheit stand. Er erschrak darüber so heftig, dass er beinahe die Abbiegung verpasst hätte. Das weiße Hinweisschild war aber auch kaum zu sehen hinter dem dichten Geäst der Trauerweide neben dem Bach, der die Straße schon seit einigen Kilometern begleitete. Am Ende der Allee, die sich hügelwärts zog, war sein Ziel deutlich zu erkennen. Er fuhr langsam die enge Straße hinauf, sorgsam darauf bedacht, mit seinem Auto so wenig Lärm wie möglich zu machen. Der Parkplatz neben dem Friedhof war bereits voll. Von der kleinen Kapelle zog die lange Reihe der Menschen schon zu ihrem traurigen Terminus irgendwo in der Reihe der Gräber. Neben der Kapelle, an der Seite, die dem Friedhof abgewandt war, entdeckte er einen schmalen Streifen Wiese. Dorthin lenkte er seinen Sportwagen. Niemand würde an dieser Stelle das auffällige, vielen bekannte Cabrio bemerken. Philipp kämpfte sich das Stoppelfeld hinauf, das von außen an die Friedhofsmauer grenzte. Dort angelangt, hielt er an. Die Schuhe voller Dreck und etwas außer Atem, postierte er sich hinter der fast mannshohen Mauer und schaute hinüber. Die Trauergemeinde war inzwischen am Grab angekommen und hatte sich zu einem Halbkreis mit dem Rücken zu ihm formiert. Wahrscheinlich vermissten ihn heute manche der ehemaligen Arbeitskollegen. Er konnte einige von ihnen deutlich ausmachen in der Gruppe der schwarz gekleideten Menschen. Ein leichter Duft von Weihrauch stieg ihm in die Nase. Dort zwischen den zwei Frauen, das musste er sein. Die beiden Frauen stützten ihn. Philipp konnte es deutlich sehen. Wahrscheinlich waren es Gertruds Tochter Carolin und die Schwester. Er versuchte, den gedrungenen Mann in dem langen Mantel aus dem Bild wegzudenken. Gerade wurde der Sarg in den Boden abgesenkt. Wortfetzen drangen zu ihm. Das war der Pfarrer. Und trotz des kräftigen Windes, der von der Seite kam und goldgelbe, welke Blätter über den Boden trieb, glaubte er manches Schluchzen zu hören. "Tschüs Prinzessin,“ murmelte er. Im selben Moment fühlte er einen schmerzlichen Drang hinüber zu laufen, sich durch die schwarze Wand der Trauernden bis ans Grab durchzuwühlen und ihr ein Lebewohl hinterher zu rufen. Plötzlich war sie wieder da, diese Verzweiflung, die er in den letzten Wochen fast abgestreift hatte. Ein wüstes Szenario aus Gedanken und Erinnerungen hämmerte in seinen Schläfen. In der Ferne zogen Krähen mit klagenden Rufen über die kahlen Felder. Er wandte sich abrupt vom Geschehen ab und stolperte über die Wiese in Richtung Parkplatz. Erst im Auto beruhigte er sich wieder etwas. Der geteerte Feldweg führte vom Friedhof am Dorf vorbei direkt auf die Hauptstraße. An der Kreuzung wusste er nicht, für welche Richtung er sich entscheiden sollte. Links von ihm lag Gedersdorf. Am Hang, wie auf der Schnur gezogen, reihte sich Haus an Haus. Zerrissene Rauchfahnen standen am schwach grauen Himmel. Die Leute hatten schon mit dem Heizen begonnen. Er blickte hinauf und spürte das gleiche Gefühl der Unsicherheit, das ihn befallen hatte, als er zum ersten Mal durch die Straßen des kleinen Ortes gefahren war. Die Konturen der Häuser verschwammen im milchigen Licht des Herbsttages zu einer abstrakten, unwirklichen Kulisse. In einem dieser an diesem Tag so seltsam verformten Gebilde, von der Bundesstraße nicht sichtbar, hatte sie gewohnt. Ein altes verwinkeltes Bauernhaus mit angebauter Scheune, das sich mitsamt einem kleinen gepflasterten Hof zwischen andere Anwesen gezwängt hatte. Drei Zimmer für sie und ihren Mann. Die Tochter oben in den eigenen vier Wänden. Und irgendwo wohnte da auch noch der Opa. Nur zweimal hatte Philipp das Haus betreten. Nein, so weit hatte er es gar nicht geschafft. Beide Male war er tatsächlich bloß die steinerne Treppe davor hochgestiegen und auf dem von einem angerosteten Geländer umsäumten und von einem Vordach aus Holz geschützten Absatz stehen geblieben. Beim ersten Mal hatte er geläutet, um sie abzuholen. Zum Seminar für Betriebsräte. Sie hatte ihm geöffnet. Er erinnerte sich an den Blick in den engen, dunklen Flur. Speedy, ihr geliebter Cockerspaniel war ihm entgegen gesprungen. Ein bisschen zu dick war sie gewesen, die um die Schnauze bereits ergraute Hundedame. An diesem Tag hatte eigentlich alles begonnen. Tuuut. Das aggressive Signal einer Hupe schreckte Philipp aus den Gedanken. Er stand immer noch an der Kreuzung und ein Auto war hinter ihm. „Is ja gut,“ brummte er und bog nach links ab. Nachdenklich fuhr er Richtung Heimat. Einige Wochen nach dem Seminar hatte sie ihm von ihrem Leben in Gedersdorf erzählt. Ein Gespräch, das ihn die ganze Zeit ihrer Beziehung begleitete, sein Handeln bestimmte und für vieles ursächlich war, was nachher geschah. Sie hatte vom Tag nach der Hochzeit mit ihrem Bernd erzählt, als sie auf dem Balkon der zukünftigen Wohnung gestanden war. "Und das soll jetzt alles gewesen sein?", hatte sie sich damals gefragt, wie sie ihm einmal erzählte. Wenn er jetzt, in diesem Moment, daran dachte, kam ihm ihre Äußerung fast ein wenig kitschig vor. So, wie ein Satz aus einem schlechten Film. Doch es war die zeitliche Distanz, die ihn so kritisch machte. In dem Augenblick, in dem sie es sagte, hatte es seine Wirkung bei ihm getan. Es war eine seltsame Regung so kurz nach der Hochzeit. Da musste doch alles rosarot sein. Und wenn nicht, warum hatte sie es dann immerhin fast zwanzig Jahre ausgehalten? In diesem trostlosen Dorf. Sie, diese Frau mit dem Chic einer Städterin. Und einer unbekümmerten Lebensfreude, wie sie den als selbstgenügsam bekannten Leuten aus Gedersdorf eher fremd war. Es blieb ein Geheimnis, das sie mit ins Grab nahm. Grab. Er zuckte zusammen bei diesem Wort. Die Wirklichkeit war zurückgekehrt. Seine Finger gruben sich ins Lenkrad. So fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Gleich würde er in Sulzheim sein. Fast jeden Tag war sie diese Strecke gefahren. Achtzehn Jahre lang. Jeden Werktag der Woche. So lang, wie sie als Buchhalterin in dem kleinen Städtchen gearbeitet hatte. Bei einer Selbsthilfeorganisation für körperbehinderte Menschen. Genau wie er auch. Gerade passierte er das Ortsschild. Es war ein Ortsschild, mit dem Philipp eine ganz besondere Geschichte verband. Tief in der Nacht war er aus Brodersheim unter einem dummen Vorwand hierher gefahren. Er hatte vergessen, was er damals Regina, seiner Frau, gesagt hatte. Im Kofferraum mit dabei war ein pinkfarbenes, aufblasbares Plastikherz mit der Aufschrift "Ich liebe Dich". Darunter hatte er das Wort "Prinzessin" gesprüht. Es war ein riesiges Herz und er hatte es an einem Nylonfaden am Ortsschild festgebunden. Philipp hatte noch das Bild vor Augen, wie es prall und trotz der Dunkelheit als grell leuchtender Ballon im Mondlicht in die Höhe stieg. Gertrud hatte es am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit bemerkt. So, wie er sich das vorgestellt hatte. Nur ein paar Minuten, nachdem er in seinem Büro angekommen war, läutete bereits das Telefon. „Wie kannst du so etwas machen,“ hatte sie in die Muschel geflüstert. Mit dieser scheinbar vorwurfsvollen Stimme, in der ein Hauch von Abenteuerlust schwang. Gertrud war nicht die atemberaubende Schönheit, bei deren Anblick einem Mann auf der Party das Glas aus der Hand fällt. Aber sie war durchaus attraktiv, schlicht das, was man sinnlich nennt. Mit ihrer betörend weiblichen Ausstrahlung, ihrem gepflegten Äußeren und ihrer sanften Stimme. Mit den großen, ausdrucksstarken Augen, die so wundervoll hilfesuchend schauen konnten. Dieser adrett frisierte, blonde Pagenkopf. Bescheiden und manchmal fast schüchtern war sie. Eine Frau, die nicht wirken wollte und es doch tat. Ohne diese Abgeklärtheit, die Frauen ihres Alters sonst eigen ist. Stattdessen mit der Scheu eines jungen Mädchens gesegnet, die ihm das verrückte und gleichzeitig berauschende Gefühl gab, der erste zu sein. So war dieses Prickeln entstanden, das ihn später nie mehr losgelassen hatte. Diese rauschhafte Schwerelosigkeit, deren ungehemmtes Ausleben ihm Kopfschütteln und Unverständnis in seiner Umgebung einbrachte. Nie zuvor war er derart verliebt gewesen. Aber hatte er überhaupt jemals geliebt? Alles vorher war ein Nichts gewesen, ein Umherirren für jemanden, dessen ganzes Leben bis dahin aus Suchen bestanden hatte. Als er sie kennenlernte, wusste er, dass er angekommen war. Gertrud war eine überirdische Erscheinung, der er sich nicht widersetzen konnte. Dabei kannten sie sich schon lange, bevor der Blitz einschlug. In dem weitläufigen Bürotrakt liefen sie sich aber nicht oft über den Weg. Sie saß oben in der Buchhaltung, er unten in der Redaktion. Auch ihre völlig unterschiedlichen Tätigkeiten trugen dazu bei, dass es wenig Kontakte gab. Und doch hatte es sie gegeben. Allerdings ohne dass irgendetwas passierte. Bis es dann plötzlich geschah. Doch was war eigentlich der Auslöser gewesen? War es eine Sitzung des Betriebsrates? Oder nur eine Berührung mit der Hand,...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.