E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: Romana
McIntosh Die Klinik unter grünen Palmen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7515-3257-0
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: Romana
ISBN: 978-3-7515-3257-0
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach einer schweren Verletzung wird Chirurgin Mina nie wieder operieren können. Alles scheint verloren - bis ihr bester Freund Dr. Kiah Langdon vorschlägt, dass sie in seiner Inselklinik unterrichtet. Doch unter dem karibischen Himmel gerät ihre Freundschaft in Gefahr ...
Ann McIntosh kam in den Tropen zur Welt, verbrachte einige Jahre im kalten Norden und lebt jetzt mit ihrem Ehemann im sonnigen Florida. Sie ist stolze Mutter von drei erwachsenen Kindern, liebt Tee, Basteln, Tiere (außer Reptilien!), Bacon und das Meer. Sie glaubt fest an die heilenden und inspirierenden Kräfte der Liebe, die uns in unserer komplexen Welt Hoffnung gibt.
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1. KAPITEL
Als es unerwartet an der Tür klingelte, hob Dr. Mina Haraldson den Kopf vom Kissen. Sie hatte sich mit einem dicken Quilt zugedeckt, und nur der laufende Fernseher erhellte das Wohnzimmer. Benommen registrierte sie, dass gerade irgendetwas passiert war, doch sie hatte keine Ahnung, was, bis es erneut klingelte.
Sie brauchte nicht zu öffnen, denn sie hatte kein Essen oder sonst irgendetwas bestellt. Da sie ihre Eltern nicht mehr gebraucht hatte, waren diese nach Florida abgereist, wo sie normalerweise den Winter verbrachten. Ihr Bruder Braden war zu Hause in British Columbia. Erst vor vierundzwanzig Stunden hatte sie wie jeden Freitagabend mit ihm telefoniert. Sie hatte sich fröhlich gegeben und war offenbar überzeugend gewesen, sonst hätte er sie vermutlich ausgequetscht.
Vielleicht sollte sie nun, da sie nicht mehr als Ärztin arbeiten konnte, Schauspielerin werden. Schließlich war eine einhändige Schauspielerin glaubhafter als eine einhändige Ärztin.
Minas Augen füllten ich mit Tränen. Dann legte sie sich wieder hin und zog sich die Decke unters Kinn.
Sie fühlte sich so nutzlos.
Als es zum dritten Mal klingelte, presste sie flüchtig die Lippen zusammen. „Verschwinde!“
Das Wort hallte in ihrem Apartment wider, doch die Person unten in der Eingangshalle konnte es nicht hören und klingelte erneut.
Im nächsten Moment begann auch ihr Telefon zu blinken.
„Oh, verd…!“
Mina wand ihren Arm aus der Decke, um auf dem Boden danach zu tasten. Sie entsperrte den Bildschirm und las die Nachricht. Sofort ging ihr das Herz über.
Mach auf, Mädchen. Calypso Kiah ist hier und will mit dir feiern!
„Kiah?“
Der anfängliche Schock wich einer so überwältigenden Freude, dass ihr schwindelig wurde. Was machte Kiah hier? Er hatte gesagt, er würde anlässlich der Hochzeit seiner Cousine nach Calgary reisen und anschließend nach Toronto kommen, doch das war erst am Fünfundzwanzigsten. Oder war es der Einundzwanziste?
Was war überhaupt für ein Datum? Was für ein Wochentag?
Mina konnte sich nicht mehr erinnern. Offenbar war ihr jegliches Zeitgefühl abhandengekommen.
Als sie sich aufsetzen wollte, verfing sie sich in der Decke und musste deshalb beide Hände auf das Kissen stützen. Ein heftiger Schmerz in ihrem Stumpf durchzuckte ihren ganzen Arm, sodass sie fluchend auf die Couch sank und dabei das Telefon fallen ließ.
Obwohl seit dem Unfall ein Jahr vergangen war, gab es immer noch Momente, in denen sie es völlig vergaß. Vielleicht hatte sie sich in ihrem tiefsten Inneren noch nicht damit abgefunden, dass sie ihre linke Hand verloren hatte.
Bei jeder Erinnerung daran setzte ihr Herz einen Schlag aus, und sie wollte es nicht wahrhaben, genau wie an jenem Tag, als sie im Krankenhaus aufgewacht war und von der Amputation erfahren hatte.
Sie konnte das Telefon nicht finden. Schmerzerfüllt hielt sie sich mit der rechten Hand den linken Arm.
Aber es war Kiah, und sie durfte ihn nicht gehen lassen. Er war ihr ältester und bester Freund.
Sie hatte ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen.
Mit den Füßen versuchte Mina, sich aus dem Quilt zu befreien. Mit dem Mobiltelefon konnte sie die Haustür unten öffnen, doch sie schaffte es nicht mit einer Hand. Also sprang sie auf und rannte zur Wohnungstür, um auf den Knopf der Gegensprechanlage zu drücken.
„Kiah. Kiah, bist du noch da?“
Da sie nichts hörte, dachte sie einen schrecklichen Moment lang, er wäre gegangen. Dann jedoch antwortete er mit seiner tiefen, melodischen Stimme.
„Natürlich bin ich noch hier, Mädchen. So leicht wirst du mich nicht los.“
Mina lehnte sich an die Wand, ihr war plötzlich schwindelig. Unter Tränen lächelte sie. „Komm rauf.“
Als sie auf den Knopf drückte, wurde ihr bewusst, wie es in ihrem Apartment aussah – auf dem Sofatisch lagen und standen einige benutzte Becher, ein alter Pizzakarton und zusammengeknüllte Papiertaschentücher.
Und sie sah auch nicht besser aus. Wann hatte sie sich zuletzt die Haare gewaschen? Seit mindestens zwei Tagen trug sie dasselbe Sweatshirt und dieselbe unförmige Jogginghose. Für einen Moment schämte sie sich, doch ihre Aufregung und ihre Freude überwogen.
Schließlich war es Kiah.
Mit klopfendem Herzen öffnete sie die Wohnungstür und trat in den Flur. Die widersprüchlichsten Gefühle überkamen sie zuerst in heißen und anschließend in kalten Wellen.
Als das Signal des Aufzugs erklang, der sich um die Ecke befand, schien ihre Welt für einige Sekunden stillzustehen, um sich anschließend in Zeitlupe weiterzudrehen. Schließlich kam Kiah um die Ecke – dick angezogen, denn er kam von einer tropischen Insel in den kanadischen Winter.
Im Gehen zog er den Reißverschluss seines Parkas hinunter. Durch den Tränenschleier sah Mina, dass er sich verändert hatte. Er sah älter aus, hatte mehr Fältchen in den Augenwinkeln und einige graue Strähnen an den Schläfen. Aber sein Lächeln war so schön wie eh und je – seine weißen Zähne, die einen faszinierenden Kontrast zu seiner dunklen Haut bildeten, das Grübchen in seiner linken Wange.
Schon bei seinem Anblick löste sich etwas in ihr, und der Nebel, der sie umgeben hatte, lichtete sich.
„Oh, Kiah!“, rief sie, als Kiah vor ihr stand und sie in die Arme nahm. „Ich habe dich so vermisst!“
Und zu ihrer Bestürzung brach sie in Tränen aus.
Kiah hob Mina hoch und trug sie in ihr Apartment, froh, dass sie das Gesicht an seiner Schulter geborgen hatte und deshalb nicht sehen konnte, wie schockiert er war.
Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Die alte Mina war immer perfekt gekleidet und selbstbewusst gewesen. Jetzt trug sie formlose Sachen, hatte strähniges Haar und war aschfahl, sodass er sie fast nicht wiedererkannt hätte. Außerdem hatte sie abgenommen.
Und sie schluchzte herzzerreißend. Inzwischen kannten sie sich seit über zwanzig Jahren, und er konnte die Male, die sie geweint hatte, an einer Hand abzählen. Aber selbst in jenen Momenten war sie nicht so aufgelöst gewesen. Sie hatte sich immer zusammengerissen. Dass sie sich nun derart gehen ließ, machte ihm große Angst.
Da er unter Frauen aufgewachsen war, wusste er, was man nicht zu einer schluchzenden Frau sagte. Deshalb setzte er sich mit Mina aufs Sofa und hielt sie fest. „Ich bin ja da, Süße. Ich bin da“, sagte er immer wieder.
Obwohl es ihm das Herz zerriss, sie so zu erleben, war er froh, dass er bei ihr war und sie trösten konnte, so, wie sie all die Jahre für ihn da gewesen war. Genauer gesagt, von der siebten Klasse an. Mrs. Nowacs Klasse.
Damals war er immer noch traumatisiert von dem Tod seines Vaters gewesen und hatte Angst vor der neuen Schule, vor dem neuen Leben gehabt. Von dem Moment an, als er den Fuß in die Moraine Academy setzte, hatte er gewusst, dass er nicht dorthin gehörte und nie gehören würde. Er und seine kleine Schwester Karlene waren nur auf die exklusive Privatschule gekommen, weil Mrs. Burton, die Arbeitgeberin seiner Mutter, ihre Beziehungen hatte spielen lassen und Stipendien für sie bekommen hatte. Und das hatte sie nur getan, weil die Schule in der Nähe ihres Herrenhauses lag und sie wollte, dass ihre Haushälterin ihr morgens zur Verfügung stand und nicht ihre Kinder zur Schule fuhr.
Da es keine Busverbindung gab, hatten sie die knapp sechs Kilometer immer zu Fuß gehen müssen. Die anderen Kinder waren gebracht worden und später selbst gefahren. Schon an ihrem ersten Tag bemerkten sie die spöttischen Blicke der anderen, weil sie keine Markensachen trugen. Er wünschte, sie wären wieder an ihrer alten Schule in Scarborough, wo sie beide im vergangenen Jahr Freunde gefunden hatten.
Nachdem er Karlene zu ihrem Klassenraum gebracht hatte, ging er zu seinem und wartete an der Tür, bis alle sich gesetzt hatten. Dann nahm er auf dem letzten freien Stuhl Platz, wobei er alle Blicke auf sich spürte und das Flüstern hörte.
„Wir haben einen neuen Schüler“, verkündete Mrs. Nowac. „Hezekiah Langdon. Bitte heißt ihn willkommen.“
„Hezekiah?“, spottete der Junge hinter ihm und trat dabei gegen seinen Stuhl. „Was ist das denn für ein dämlicher Name?“
Alle lachten, doch Kiah nahm es kaum wahr. Er wünschte nur, alles wäre so wie früher – bevor sein Vater gestorben und seine Mutter durchgedreht war. Er hatte geglaubt, in Kanada würde es schön werden, doch alles war den Bach hinuntergegangen. Sein Vater war derjenige gewesen, der alles zusammengehalten und ihnen die Liebe und Unterstützung gegeben hatte, die sie gebraucht hatten, während er dem Zorn und der Bitterkeit seiner Frau entgegenzuwirken versuchte.
Und nun, da er gestorben war, war die Welt dunkel und beängstigend.
Verzweifelt wünschte Kiah sich nach Sint Eustatius zurück. Dort wäre er wahrscheinlich am Strand entlanggelaufen oder hätte mit seinen Freunden Kricket gespielt.
„Es ist ein biblischer Name. Hezekiah war ein König von Judäa. Das solltest du eigentlich wissen, Justin. Ist dein Großvater nicht Pastor?“
Kiah hatte das Mädchen vor sich, das sich zu ihm umwandte, nebenbei registriert, aber gedacht, sie würde...




