E-Book, Deutsch, 122 Seiten
Meyer Wolken klingen rosa
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7531-9234-5
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 122 Seiten
ISBN: 978-3-7531-9234-5
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Katrin Meyer, Jahrgang 1967, ist Gesundheitsberaterin mit den Schwerpunkten chronische Schmerzen und Hochsensibilität. Sie ist selbst betroffen und möchte ermutigen, insbesondere das Persönlichkeitsmerkmal Hochsensibilität als wertvolle Gabe zu verstehen. Das Schreiben hilft ihr, die großen und kleinen Spielbälle des Alltags besser aufzufangen. Katrin Meyer lebt mit ihrer Familie und Hündin Laila in Hamburg. Sie erreichen die Autorin unter www.leicht-SINN.org.
Autoren/Hrsg.
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Sonne, Mond und Berge
Als der Zug die Stadt verlässt, geht langsam die Sonne auf. In meinem Abteil bin ich alleine und ich blicke aus dem Fenster um diese faszinierende Stimmung einzuatmen. Noch gleitet der Zug langsam über die Schienen, hier und da knackt es, es ruckelt ein wenig. Schemenhaft kann ich die Skyline der Stadt und die Kräne im Hafen erkennen, bis die Lichter immer weiter in die Ferne rücken. Der Zugführer begrüßt die Fahrgäste, seine Stimme ist tief und warm. Vor mir liegen etwa acht Stunden Fahrt, ich freue mich auf das was kommt, auf die Zeit für mich, die Ruhe, die Erholung.
Der Zusammenbruch traf mich mit voller Wucht. Es musste so kommen, es konnte so nicht weitergehen. Wie lange braucht es, bis der Körper die Notbremse zieht? Wie lange hält die Seele es aus, beiseitegeschoben zu werden?
Der Arzt hat mich für zehn Tage krankgeschrieben. In dieser Zeit sollte ich mal zur Ruhe kommen, ganz an mich denken und mir etwas Gutes tun. Vielleicht mal in ein Café setzen oder ein gutes Buch lesen. Aber das hier war mehr als ein gutes Buch zu lesen. Ich kann das Gefühl nicht in Worte fassen. Diese Leere, diese Kraftlosigkeit. Es war als wäre ich in der Tiefe der Erschöpfung ertrunken. Unfähig, mich daraus zu befreien.
Und nun kann ich wieder atmen, habe wieder einen Zugang zu meiner inneren Kraft gefunden und ein leises Gefühl von Hoffnung. Ich würde es behutsam in der Hand halten wie ein Küken, das gerade geschlüpft war. Ich würde es aufpäppeln und ihm die Gewissheit geben, gut aufzupassen, wohl wissend um seine Zerbrechlichkeit.
Die Morgensonne steht bereits hoch am blauen Himmel als der Zug die erste Haltestelle erreicht. Inzwischen haben sich ein paar zarte, strahlend weiße Wolken formiert. Ich muss wohl eingeschlafen sein. Das, was mir zuhause in der letzten Zeit nicht gelungen ist, erreiche ich nun mühelos.
Ich bin hingerissen von diesem wunderschönen Naturschauspiel. Im Abteil ist es mittlerweile angenehm warm, ich ziehe meine Jacke aus. Einige Fahrgäste verlassen den Zug, nur wenige steigen zu. Eine junge Frau öffnet die Tür zum Abteil und sinkt erschöpft auf einen der freien Plätze. Sie hat eine angenehme Ausstrahlung, wirkt aber müde. Wir lächeln uns kurz an, ich frage, ob ich ihr mit ihrem Gepäck behilflich sein kann. Dankend nimmt sie mein Angebot an, der Koffer ist groß und schwer. Ihr Handgepäck stellt sie auf dem Sitz zwischen uns ab, jedoch nicht ohne sich vorher zu vergewissern, ob ich mich dadurch auch nicht gestört fühle. Ich muss an Merle denken und stelle erleichtert fest, dass man doch immer wieder auf diese rücksichtsvollen Menschen trifft, für die Höflichkeit anscheinend kein Fremdwort ist.
Ob sie darauf wartet, dass ich ein Gespräch mit ihr beginne? Möchte sie überhaupt reden? Oder doch lieber in Ruhe gelassen werden? Was für einen Eindruck mache ich auf sie? Unnahbar? Sympathisch? Arrogant?
Wenige Minuten später ertönt das Signal des Schaffners am Bahnsteig, dann rollt der Zug sanft wieder an.
Je weiter wir Richtung Süden kommen, desto stiller wird es in mir. Ich blicke einfach nur aus dem Fenster und lasse die Landschaft vorüberziehen. Das Band, das mich mit allem verbindet, was meinen Alltag ausmacht, scheint langsam zu zerreißen. Ich halte nicht daran fest. Ich fühle mich frei.
Mich findet man in der Regel nicht in Freizeitparks, auf Partys oder an Samstagen zu ausgedehnten Shopping Touren in der Innenstadt. Ich reise gerne alleine und habe nicht die Absicht, Menschen kennenzulernen, es sei denn, sie interessieren mich. Und nun stehe ich am Münchener Bahnhof! Inmitten quengelnder Kinder an der Hand genervter Mütter. Geschäftsreisende drängeln sich durch die Masse ankommender Fahrgäste um ihre Anschlusszüge zu erreichen und aus den Imbissbuden wabert der Geruch ranzigen Fettes. Undeutliche Durchsagen an den Bahnsteigen und das Gewicht des eigenen Gepäcks führen dazu, dass ich mich sofort wieder überfordert fühle und alles wird von meinem Gehirn als besonders bedrohlich interpretiert. Jetzt heißt es, Ruhe bewahren. Auch ich muss meinen Anschluss erreichen um nicht stundenlang auf den nächsten warten zu müssen, aber zuvor muss ich mich erst einmal orientieren, wo ich überhaupt angekommen bin.
Zum Glück habe ich genügend Zeit, das Gleis zu wechseln. Mühelos erreiche ich die Regionalbahn und finde auch schnell einen Sitzplatz. Zügig verstaue ich mein Gepäck um weitere Fahrgäste nicht zu behindern. Ein paar tiefe Atemzüge, ein Blick aus dem Fenster und ein Schluck Wasser. Das müsste reichen um den Alarmzustand in meinem Körper wieder herunter zu regeln.
In der Ferne kann ich bereits schemenhaft den Umriss der Berge erkennen. Wieder spüre ich das Herz in meiner Brust. Dieses Mal aber vor Freude. Ich kann es kaum erwarten anzukommen und ich spüre, wie sich in jeder meiner Zellen ein Lächeln formt.
Um diesen malerischen Anblick ein wenig zu unterstreichen, setze ich meine Kopfhörer auf und stelle leise Musik an. Leider wird dieser wunderbare Moment durch eine ankommende WhatsApp Nachricht unterbrochen:
“Hsllo Svhatz! wo bist du? Geht es dit gut” Typisch Sascha! Offensichtlich schreibt er die Nachricht wieder multitasking. Beim Anblick der Worte muss ich schmunzeln.
“Danke Schatz, mir geht es gut. Ich bin gerade in München umgestiegen und abgesehen von meinem durchgesessenen Hintern freue ich mich auf die erste zünftige bayerische Mahlzeit!” Ich füge noch ein lächelndes Smiley hinzu und drücke auf senden.
Da Sascha online ist, lässt die Antwort nicht lange auf sich warten.
“Meib spatzl in der grossen weitwn welt!”
Wieder amüsiere ich mich über die grauenhafte Rechtschreibung, dann antworte ich ihm noch kurz, dass ich mich melden werde, sobald ich angekommen bin.
“Bussi!”
“Bussi!”
Sascha liebt seine Freiheit. Genauso wie ich. Vielleicht ist das der Grund, warum er sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Seitdem ich ihn kenne, liebt er es, Modellflugzeuge zu bauen. Fliegen sei für ihn der Inbegriff der Freiheit, sagte er einmal. Und jetzt schraubt er mit derselben Leidenschaft an echten Flugzeugen herum und träumt davon, irgendwann einmal in leitender Position zu sein. Immer wenn wir einen gemeinsamen Spaziergang im Naturschutzgebiet am Rande des Hamburger Flughafens machen, schaut er sehnsüchtig startenden Flugzeugen nach und manchmal, wenn einer seiner “Patienten”, wie er sie liebevoll nennt, über unseren Köpfen gen Himmel klettert, erklärt er mir ganz aufgeregt, dass er bei der Inspektion des Leit – und Steuerwerks dabei war. Selbstverständlich zählt er mir bis ins kleinste Detail alle Daten der Maschine auf, bis mir ganz schwindelig wird vor lauter Informationen.
Während es für ihn immer selbstverständlich war, in einem Team zu arbeiten und er nach Feierabend noch gerne mit seinen Kollegen ein Bier trinken geht, brauche ich nach einem anstrengenden Arbeitstag etwas zu Essen und meine absolute Ruhe. Dass ich mir ein paar Tage Auszeit genommen habe, gab uns beiden nie einen Anlass zur Diskussion. Er gönnt mir meine Freiheit ebenso wie ich ih
Bad Reichenhall empfängt mich mit Sonnenschein. Es ist kühl aber nicht zu leugnen, dass endlich der Frühling im Anmarsch ist.
Ich bin erschöpft aber glücklich, beseelt von dem Anblick der Berge, die nun zum Greifen nah scheinen. Ich sauge die frische Luft ein, trinke sie förmlich und brauche eine Weile um zu verstehen, dass ich wirklich hier bin. Vor mir liegen drei Wochen ganz für mich alleine. Ich werde viel schlafen, spazieren gehen, lesen und mich treiben lassen. Der Anblick dieser vollkommenen Schönheit der Natur wird mir jeden neuen Morgen die Erfüllung sein.
Das kleine Hotel liegt in unmittelbarer Nähe des Kurparks. Das Zimmer ist schlicht eingerichtet, aber gemütlich, sauber, hell und ruhig. Genauso wie ich es mag. Unruhige Muster von Tapeten oder grelle Farben würden mich wahrscheinlich wieder nur nervös machen. Am liebsten würde ich mich jetzt einfach auf das große Bett fallen lassen, prüfen ob es weich genug ist, und dann einfach nur schlafen. Ich habe nicht das Bedürfnis zu reden oder jemandem zu begegnen, aber ich habe versprochen, Sascha anzurufen, wenn ich angekommen bin. Dass es mich ein klein wenig Überwindung kostet, dies zu tun, löst sofort wieder einen Alarm in meinen Gedanken aus.
“Hallo Schatz, ich bin gut angekommen! Es ist soooo schön hier!”
Müsste jetzt nicht eigentlich kommen, wie schön es wäre, wenn er jetzt auch hier ist? Wäre das tatsächlich schön?
“Das freut mich, mein Spatzl,” versucht Sascha in einem gequälten bayerisch zu erwidern.
“Hast du die lange Fahrt gut überstanden?”
Jetzt fehlt nur noch, dass er mich nach der Wetterlage fragt und ob ich genügend warme Kleidung mitgenommen habe. Im Geiste verdrehe ich die Augen.
“Naja, es war schon anstrengend, aber in meinem Abteil war es schön leer, ich habe zwischendurch immer wieder geschlafen. In München war es hektisch, aber das habe ich ja schon erwartet. Großstadt eben...”
Ich ertappe mich dabei, wie ich tatsächlich mit den Augen rolle.
“Aber mein Anschluss ging pünktlich,“ füge ich noch schnell hinzu.
“Und jetzt bist du ganz fasziniert von der Landschaft, richtig?”
Warum hat er nicht “gell” gesagt?
“Und wie!” bestätige ich aufgeregt.
“Dann genieße deine Auszeit und erhol´ dich gut. Hast es verdient!”
Seiner sanften Stimme entnehme...




