Meyrink | Der Engel vom westlichen Fenster | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 574 Seiten

Meyrink Der Engel vom westlichen Fenster


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3167-3
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 574 Seiten

ISBN: 978-3-8496-3167-3
Verlag: Jazzybee Verlag
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Meyrinks fesselnder Roman befasst sich mit der Person des englischen Alchemisten John Dee. Ein Muß für Liebhaber okkulter Literatur.

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Unvermittelt hob sich die herrliche Gestalt halb im Sessel hoch, wieder streifte mich der gelbschimmernde, unbeschreiblich wohltuende elektrisierende Blick, als die Fürstin begann:

"Sergej Lipotin ist ein alter Bekannter von mir, müssen Sie wissen. Er hat die Sammlungen meines Vaters in Jekaterinodar geordnet. Er hat die Liebe zu schönen Gegenständen von alter und besonderer Arbeit in mir geweckt. Ich bin Sammlerin von – von alten Erzeugnissen meiner Heimat, von Geweben, Schmiedearbeiten, von – insbesondere aber von Waffen. Von gewissen Waffen vor allem, die in meiner Heimat – ich darf sagen – sehr geschätzt sind. Es gibt da unter anderem –", ihre weiche girrende Stimme mit dem fremdmusikalischen, wundervoll den deutschen Wortklang mißhandelnden Akzent, stockte immer wieder, rhythmisch wie Wellengang, daß es mir ins Blut ging und dort mit kaum vernehmbarer Brandung zu antworten begann, wie mir schien. Was sie sagte, war mir, wenigstens zunächst noch, vollkommen gleichgültig, aber der Tonfall ihrer Rede erzeugte in mir einen feinen Rausch, den ich jetzt noch zu spüren meine und dem ich die Schuld gebe, daß manches von dem, was gesprochen, getan oder vielleicht auch nur zwischen uns gedacht wurde, mir nachträglich vorkommt, als hätte ich es vielleicht nur geträumt. Die Fürstin brach die Schilderung ihrer Sammlerneigungen jäh ab und sprang über:

"Lipotin schickt mich zu Ihnen. Ich weiß von ihm, daß Sie im Besitz einer – einer sehr edlen, sehr schätzbaren, sehr – altehrwürdigen Kostbarkeit sind: einer Lanze – ich will sagen: einer Lanzenspitze von seltenster Arbeit. Kostbar tauschiert, wie ich weiß. Ich bin genau unterrichtet. Lipotin hat mir die Beschreibung gegeben. Mag sein, Sie haben sie durch seine Vermittlung erworben. Einerlei – –" wehrte sie einen verwundert bei mir aufsteigenden Einwand ab, "– einerlei, diese Lanze wünsche ich zu erwerben. Wollen Sie sie mir überlassen? Ich bitte darum!"

Ihre letzten Worte überstürzten sich fast. Sie saß weit vorgebeugt, – wie zum Sprung bereit, mußte ich denken; und ich wunderte und lächelte innerlich einen Augenblick lang über die befremdende Gier der Sammler, die sich auf die Lauer legen und zum Sprung niederducken können, wo sie ein begehrtes Objekt sehen, oder auch nur zu wittern meinen –, wie beuteschlagende Panther. –

– – Panther!! – –

Wieder durchzuckt mich das Wort Panther! – – Bartlett Green ist eine gute Romanfigur in John Dees Leben, scheint mir. Seine Aussprüche prägen sich ein! –

Was nun aber meine zirkassische Fürstin angeht, so wiegte sich diese auf der äußersten Kante des Sessels, und über ihr schönes Gesicht liefen unverstellt geradezu Wellen von Erwartung, Dankesbereitschaft, zuckender Besorgnis und ausdrucksvoller Schmeichelei.

Ich war kaum imstande, meine ehrlich bekümmerte Enttäuschung zu verbergen, als ich ihr lächelnd und so sanft wie nur möglich antworten mußte:

"Fürstin, Sie machen mich in Wahrheit unglücklich. Ihre Bitte ist so geringfügig, und die Gelegenheit, einer edlen Dame, einer großmütig vertrauenden, bezaubernden Frau einen kleinen Wunsch erfüllen zu dürfen, so unwiederbringlich, daß ich es kaum vermag, Sie durch die Mitteilung zu enttäuschen: ich besitze weder die beschriebene Waffe, noch habe ich sie je gesehen."

Wider alle meine Erwartung lächelte die Fürstin unbefangen, und mit der geduldigen Nachsicht einer jungen Mutter, die ihr Goldjunge planlos anlügt, beugte sie sich noch näher zu mir herüber:

"Lipotin weiß es. Ich weiß es: Sie sind der glückliche Besitzer dieser Lanze, die ich zu erwerben wünsche. Sie werden sie mir – verkaufen. Ich danke Ihnen herzlich."

"Es ist mir fürchterlich, Ihnen sagen zu müssen, gnädigste Fürstin, daß Lipotin sich irrt! Daß Lipotin sich täuscht! Daß Lipotin irgendwie, irgendwen zu verwechseln scheint, kurz – –"

Wippend erhob sich die Fürstin. Sie trat auf mich zu. Ihr Gang – – ja, ihr Gang! – Auf einmal fällt mir ihr Gang in die Erinnerung. – Ihr Gang war lautlos, wie auf Zehenspitzen wiegend, federnd, manchmal fast schleichend, unerhört anmutig schleichend – – wo bin ich nur mit meinen Gedanken? Unsinn! –

Die Fürstin erwiderte:

"Es ist möglich. Natürlich, Lipotin wird sich geirrt haben. Die Lanze kam nicht durch ihn in Ihren Besitz. Das ist doch einerlei, Sie haben aber versprochen, sie – mir – – zu schenken."

Ich fühlte, wie mir Verzweiflung in die Haare emporkroch. Ich nahm mich zusammen, mit jeder Fiber bestrebt, das schöne Weib nicht zu erzürnen, das da voll beseelter Erwartung, mit weit geöffneten, wunderbar goldschimmernden Augen vor mir stand und mich mit der Kraft nie gefühlter Bezauberung anlächelte; ich konnte nur mit Mühe an mich halten, daß ich nicht ihre Hände ergriff, um Küsse oder Tränen der Wut darauf regnen zu lassen, – der Wut darüber, daß ich ihr den Wunsch nicht erfüllen konnte. Ich reckte mich krampfhaft zu meiner ganzen Länge empor, schaute ihr mit gerader Offenheit ins Gesicht und gab meiner Stimme jeden nur möglichen Ausdruck betrübter Ehrlichkeit, als ich sagte:

"Zum letztenmal, Fürstin, wiederhole ich, daß ich nicht der Besitzer der von Ihnen gesuchten Lanze oder Lanzenspitze bin, daß ich es nicht sein kann, da ich in meinem ganzen Leben – zwar mancherlei Liebhabereien gehabt, auch dieser und jener Sammlerneigung gefrönt habe, niemals jedoch und nach keiner Richtung Sammler von Waffen oder Waffenteilen, überhaupt von Schmiedearbeiten irgendwelcher Art – – –" Erschrocken hielt ich inne und eine Glutflamme falscher Beschämung stieg mir wider Willen in die Stirn, denn –: da stand die herrliche Frau vor mir, anmutig lächelnd, nicht im mindesten erzürnt, und ihre rechte Hand glitt spielend, unaufhörlich, wie magnetische Striche dem schön geschmiedeten Silber erteilend, über das Tulakästchen Lipotins, das, da es doch Schmiedearbeit war, meine Beteuerungen auf die plumpste Weise Lügen strafte. – Wie sollte ich in der Eile Erklärungen finden? – Ich suchte nach Worten. Die Fürstin wehrte mit erhobener Hand ab:

"Ich glaube Ihnen von Herzen gern, mein Herr; bemühen Sie sich nicht. Ich wünsche auch durchaus nicht, in die Geheimnisse Ihrer Liebhabereien einzudringen. Sicherlich irrt Lipotin. Auch ich kann irren. Nur bitte ich Sie nochmals mit aller – Ergebenheit, – – mit aller – – Unbeholfenheit eines – vielleicht allzu – – törichten – Hoffens – um die Waffe, von der mir Lipotin – –"

Ich fiel vor ihr auf die Knie. Es mutet mich jetzt selber ein wenig theatralisch an; doch mir schien's im Augenblick so, als bliebe mir kein anderer stärkerer und zugleich zarterer Ausdruck meiner zornigen, ratlosen Ungeduld übrig. Ich sammelte meine Gedanken zu einer unendlich sieghaft überzeugenden Anrede, – öffnete den Mund und wollte beginnen: "Fürstin" – da glitt sie mit leisem, weichen – ja, ich muß schreiben: betörendem Lachen an mir vorbei der Tür zu, wandte sich dort nochmals und sagte:

"Mein Herr, ich sehe, wie Sie kämpfen. Glauben Sie mir, ich verstehe und empfinde wie Sie. Denken Sie nach! Finden Sie den mich beglückenden Entschluß! Ich komme ein andermal wieder. Sie werden dann meine Bitte erfüllen. Sie schenken mir dann die – Lanzenspitze."

Und damit war die Fürstin verschwunden.

Nun ist der Raum um mich her erfüllt von dem eigentümlichen feinen Duft ihrer Gegenwart. Ein mir unbekanntes Parfüm: süß, flüchtig, wie fremdartige Blüten und – dennoch: ein Hauch dazwischen, scharf, seltsam aufregend, irgendwie, ich kann mir nicht helfen, irgendwie – tierhaft. Unerhört aufregend – widersinnig – beglückend – beklemmend – Hoffnungen ins Unbestimmte hinaus vorbeiwirbelnd – Unbehagen und – Furcht, daß ich nur gestehe, im Tiefsten hinterlassend: dieser Besuch!

Ich fühle, daß ich heute nicht mehr imstande bin, weiterzuarbeiten. Ich will einmal zu Lipotin gehen in die Werrengasse.

Zweierlei muß ich noch kurz notieren, weil es mir soeben wieder einfällt: als die Fürstin Chotokalungin mein Zimmer betrat, lag die Tür im tiefen Schatten des dunkeln, halb vorgezogenen Abendvorhangs an meinem Fenster hinter dem Schreibtisch. Warum bilde ich mir jetzt ein, die Augen der eintretenden Fürstin hätten in dieser Dämmernis den Bruchteil einer Sekunde lang geflimmert wie Tieraugen in phosphoreszierendem Schein? Ich weiß doch ganz genau, daß es keineswegs der Fall gewesen ist! Und dann: das Kleid der Fürstin war aus schwarzer Seide, mit unterlegtem Silber, wie ich meinen möchte. Es rieselte beständig Bänder und Wellen von gedämpftem Metallschimmer durch das Gewebe. Denke ich jetzt daran, so schweift mein...



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