Meyrink | Phantastische Novellen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 319 Seiten

Meyrink Phantastische Novellen


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3168-0
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 319 Seiten

ISBN: 978-3-8496-3168-0
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gustav Meyrink war ein österreichischer Schriftsteller. Als einer der Ersten im deutschen Sprachraum (nach Paul Scheerbart und E.T.A. Hoffmann) verfasste Meyrink phantastische Novellen und Romane. Dieser Sammelband beinhaltet die Werke: Das dicke Wasser Die Urne von St. Gingolph Das ganze Sein ist flammend Leid Das Automobil Blamol Bocksäure Das Fieber Der violette Tod Amadeus Knödlseder - Der unverbesserliche Lämmergeier Das Grillenspiel Wie Dr. Hiob Paupersum seiner Tochter rote Rosen schenkte Meine Qualen und Wonnen im Jenseits Der Herr Kommerzienrat Kuno Hinrichsen und der Büßer Lalaladschpat-Rai Meister Leonhard Die vier Mondbrüder Eine Urkunde Der Kardinal Napellus J. H. Obereits Besuch bei den Zeitegeln Der seltsame Gast Die Abenteuer des Polen Sendivogius

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Das Grillenspiel



"Nun?" fragen die Herren wie aus einem Munde, als Professor Goclenius rascher, als es sonst seine Gewohnheit war, und mit auffallend verstörtem Gesicht eintrat, "nun, hat man Ihnen die Briefe ausgefolgt? -- Ist Johannes Skoper schon unterwegs nach Europa? -- Wie geht es ihm? Sind Sammlungen mit angekommen?" -- riefen alle durcheinander.

"Nur das hier", sagte der Professor ernst und legte ein Bündel Schriften und ein Fläschchen, in dem sich ein totes, weißliches Insekt in der Größe eines Hirschkäfers befand, auf den Tisch, "der chinesische Gesandte hat es mir selbst mit dem Bemerken übergeben, es sei heute auf dem Umweg über Dänemark angekommen."

"Ich fürchte, er hat schlimme Nachrichten über unsern Kollegen Skoper erfahren", flüsterte ein bartloser Herr hinter der Hand seinem Tischnachbar zu, einem greisenhaften Gelehrten mit wallender Löwenmähne, der -- wie er selbst, Präparator am naturwissenschaftlichen Museum -- die Brille auf die Stirn geschoben hatte und mit tiefstem Interesse das Insekt in der Flasche betrachtete.

Es war ein seltsames Zimmer, in dem die Herren -- sechs an der Zahl und sämtlich Forscher auf dem Gebiet der Schmetterlings- und Käferkunde -- saßen.

Ein stumpfer Geruch von Kampfer und Sandelholz verstärkte aufdringlich den Eindruck des fremdartig Totenhaften, das von den Igelfischen, die an Schnüren von der Decke herabhingen -- glotzäugig, wie abgeschnittene Köpfe gespenstischer Zuschauer -- von den weiß und rot grellbemalten Teufelsmasken wilder Indianerstämme, von den Straußeneiern, den Hairachen, Narwalzähnen, verrenkten Affenkörpern und all den tausenderlei grotesken Formen einer fernen Zone ausging.

An den Wänden über den braunen wurmstichigen Schränken, die etwas Klösterliches hatten, wie das morsche Licht des Abendrots aus dem verwilderten Museumsgarten herein durch das bauschige Gitterfenster spielte, hingen, liebevoll in Gold gerahmt, gleich ehrwürdigen Ahnenbildern verblaßte Porträts ins Riesenhafte vergrößerter Baumwanzen und Maulwurfsgrillen.

Verbindlich den Arm gekrümmt, verlegenes Lächeln um die Knopfnase und die gelben, kreisrunden Glasaugen, den Zylinderhut des Herrn Präparators auf dem Haupte, beugte sich in der Haltung eines vorsintflutlichen Dorfschulzen, der sich zum erstenmal im Leben photographieren läßt, ein Faultier aus der Ecke, umwipfelt von baumelnden Schlangenhäuten.

Den Schwanz in den dämmrigen Fernen des Ganges geborgen und die edleren Teile laut Wunsch des Unterrichtsministers im Frischlackiertwerden begriffen, starrte der Stolz des Institutes, ein zwölf Meter langes Krokodil, mit treulosem Katzenblick durch die Verbindungstür herein ins Gemach. --

Professor Goclenius hatte Platz genommen, die Schnur von dem Briefbündel gelöst und die einleitenden Zeilen unter Gemurmel durchflogen.

"Datiert ist es aus Bhutan -- Südosttibet -- und zwar vom 1. Juli 1914 -- also vier Wochen vor Kriegsausbruch; der Brief war demnach länger als ein Jahr unterwegs", setzte er dann laut hinzu. "Kollege Johannes Skoper schreibt hier unter anderem: 'Über die reiche Ausbeute, die ich auf meiner langen Reise aus den chinesischen Grenzgebieten durch Assam in das bisher unerforschte Land Bhutan machte, werde ich Ihnen nächstens ausführlich berichten; heute nur kurz über die seltsamen Umstände, denen ich die Entdeckung einer neuen weißen Grille' -- Professor Goclenius deutete auf das Insekt in der Flasche -- 'verdanke, die von den Schamanen zu abergläubischen Zwecken gebraucht und 'Phak' genannt wird, ein Wort, das zugleich ein Schimpfname ist für alles, was einem Europäer oder weißrassigen Menschen ähnlich sieht.

Also: Eines Morgens erfuhr ich von lamaistischen Pilgern, die nach Lhasa zogen, es befinde sich unweit meines Lagerplatzes ein sehr hoher, sogenannter Dugpa -- einer jener in ganz Tibet gefürchteten Teufelspriester, die, an ihren scharlachroten Kappen kenntlich, behaupten, direkte Abkömmlinge des Dämons der Fliegenschwämme zu sein. Jedenfalls sollen die Dugpas der uralten tibetischen Religion der Bhons angehören, von der wir so gut wie nichts wissen, und Nachkommen einer fremdartigen Rasse sein, deren Ursprung sich im Dunkel der Zeit verliert. Jener Dugpa, erzählten mir die Pilger und drehten dabei voll abergläubischer Scheu ihre kleinen Gebetsmühlen, sei ein Samtscheh Mitschebat, das ist ein Wesen, das man nicht mehr mit dem Namen Mensch bezeichnen dürfe, das 'binden und lösen' könne, dem, kurz und gut, infolge seiner Fähigkeit, Raum und Zeit als Wahnvorstellungen zu durchschauen, nichts unmöglich sei auf Erden zu vollbringen. Es gäbe, sagte man mir, zwei Wege, um jene Stufen zu erklimmen, die über das Menschentum hinausführen: den einen, den des 'Lichtes' -- der Einswerdung mit Buddha -- und einen zweiten, entgegengesetzen: den 'Pfad der linken Hand', zu dem nur ein geborener Dugpa die Eingangspforte wüßte -- ein geistiger Weg voll Grauen und Entsetzlichkeit. Solche 'geborene' Dugpas kämen -- wenn auch sehr vereinzelt -- unter allen Himmelsstrichen vor und wären merkwürdigerweise fast immer die Kinder besonders frommer Leute. 'Es ist', sagte der Pilger, der es mir erzählte, 'wie wenn die Hand des Herrn der Finsternis ein giftiges Reis aufgepfropft auf den Baum der Heiligkeit', und man wisse nur ein Mittel, an einem Kinde zu erkennen, ob es geistig zum Bunde der Dugpas gehört oder nicht, das ist -- wenn der Haarwirbel auf dem Scheitel von links nach rechts, statt umgekehrt, läuft.

Ich sprach sofort -- rein aus Neugierde -- den Wunsch aus, den erwähnten hohen Dugpa zu Gesicht zu bekommen, aber mein Karawanenführer, selber ein Osttibeter, widersetzte sich mit Hartnäckigkeit. Das alles sei dummes Zeug, Dugpas gäbe es im Bhutangebiet überhaupt nicht, schrie er in einem fort, auch würde ein Dugpa -- schon gar ein Samtscheh Mitschebat -- nie und nimmer einem Weißen seine Künste zeigen.

Der allzu eifrige Widerstand des Mannes wurde mir immer verdächtiger, und nach stundenlangem Kreuz- und Querfragen brachte ich denn auch aus ihm heraus, daß er selbst Anhänger der Bhonreligion sei und ganz genau wisse -- aus der rötlichen Färbung der Erddünste, wollte er mir vorlügen -- daß ein 'eingeweihter' Dugpa in der Nähe weile.

'Aber er wird dir niemals seine Künste zeigen', schloß er jedesmal seine Rede.

'Warum denn nicht?' fragte ich schließlich.

'Weil er die -- Verantwortung nicht übernimmt.'

'Was für eine Verantwortung?' forschte ich weiter.

'Er würde infolge der Störung, die er damit im Reiche der Ursachen anrichtet, von neuem in den Strudel der Wiederverkörperung verstrickt werden, wenn nicht etwas noch viel Schlimmeres.'

Es interessierte mich, Näheres über die geheimnisvolle Bhonreligion zu erfahren, und ich fragte daher: 'Hat ein Mensch nach deinem Glauben eine Seele?'

'Ja und Nein.'

'Wieso?'

Als Antwort nahm der Tibeter einen Grashalm und machte einen Knoten hinein: 'Hat das Gras jetzt einen Knoten?'

'Ja.'

Er löste den Knoten wieder auf. 'Und jetzt?'

'Jetzt hat es keinen mehr.'

'Genauso hat der Mensch eine Seele und hat keine', sagte er einfach.

Ich versuchte es auf eine andere Weise, mir ein Bild über seine Ansicht zu machen: 'Gut, nimm an, du wärest auf dem schrecklichen, kaum handbreiten Gebirgspaß, den wir neulich überschritten, in die Tiefe gestürzt -- hätte deine Seele weitergelebt oder nicht?'

'Ich wäre nicht abgestürzt!'

Ich wollte ihm anders beikommen, deutete auf meinen Revolver: 'Wenn ich dich jetzt totschieße, lebst du dann weiter oder nicht?'

'Du kannst mich nicht erschießen.'

'Doch!'

'Also versuch's.'

Ich werde mich hüten, dachte ich bei mir, das wäre eine schöne Geschichte, ohne Karawanenführer in diesem grenzenlosen Hochland umherzuirren. Er schien meine Gedanken erraten zu haben und lächelte höhnisch. Es war zum Verzweifeln. Ich schwieg eine Weile.

'Du kannst eben nicht "wollen"', fing er plötzlich wieder an. 'Hinter deinem Willen stehen Wünsche, solche, die du kennst, und solche, die du nicht kennst, und beide sind stärker als du.'

'Was ist also die Seele nach deinem...



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