Miller Ein Marshal zum Verlieben
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95576-400-5
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Novelle
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Reihe: MIRA Taschenbuch
ISBN: 978-3-95576-400-5
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Feiern Sie die schönste Zeit des Jahres mit der Nr. 1-New York Times-Bestsellerautorin Linda Lael Miller!
Die junge Witwe Dara Rose Nolan hat nur einen Wunsch: Sie will ihr Zuhause und ihre geliebten Kinder nicht verlieren! Verzweifelt fragt sie sich, wie es weitergehen soll. Da kommt der neue, attraktive Marshal Clay McKettrick nach Blue River, und mit ihm kehrt in Daras Herzen die Hoffnung auf ein Weihnachtswunder zurück ...
Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin unternahm Linda Lael Miller längere Reisen nach Russland, Hongkong und Israel und lebte einige Zeit in London und Italien. Inzwischen ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt - in den weiten 'Wilden Westen', an den bevorzugten Schauplatz ihrer Romane.
Autoren/Hrsg.
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1. KAPITEL
Anfang Dezember 1914
Wäre Clay McKettrick nicht schon durch das ohrenbetäubende Kreischen von Stahl auf Stahl aus seinem unruhigen Schlaf gerissen worden, dann hätte ihn spätestens der folgende Ruck aufgeweckt. Als der Zug abrupt zum Stehen kam, wäre Clay beinahe auf den gegenüberliegenden Sitz geschleudert worden.
Ungehalten setzte er sich auf, fuhr sich durchs Haar und versuchte, durchs Fenster etwas zu erkennen. Blue River, Texas: sein neues Zuhause. Dabei war er mehr als nur irgendein Neuankömmling. Als künftiger Marshal trug er ab jetzt die Verantwortung für die Sicherheit der Stadt und ihrer Bewohner.
Allerdings konnte er in diesem Augenblick kaum etwas von seiner neuen Wirkungsstätte erkennen, da der Rauch der Lokomotive ihm die Sicht nahm. Nicht, dass das schlimm gewesen wäre: Der Anblick der Stadt war ihm gleichgültig. Ein paar Monate zuvor hatte er ihr bereits einen kurzen Besuch abgestattet und dabei alles gesehen, was es zu sehen gab – was noch nicht einmal an einem strahlenden Sommertag sonderlich viel gewesen war. Nun streckte der Winter seine eisigen Finger nach Blue River aus, sodass die holprigen Straßen und heruntergekommenen Fassaden der Häuser vermutlich ein noch trostloseres Bild boten. Clays Großvater Angus hatte immer behauptet, in dieser Gegend von Texas schneie es Staub und Sandflöhe.
Seufzend stand Clay auf, um seinen schwarzen Hut mit der runden Krempe und den abgetragenen Staubmantel von der Hutablage zu nehmen. Dabei gestattete er sich, noch einmal bedauernd an all das zu denken, was er hinter sich gelassen hatte, um hier am Ende der Welt mit eigenen Händen etwas Neues aufzubauen.
Zurückgelassen hatte er eine Menge – nicht zuletzt eine Frau. Außerdem seine Familie, den weitverzweigten McKettrick-Clan, zu dem außer seiner Mutter Chloe und seinem Vater Jeb auch seine beiden älteren Schwestern gehörten. Mittelpunkt des Familienlebens war die Triple-M-Ranch, ein blühender Betrieb mit jeder Menge Land, gutem Wasser und saftigen Weiden.
Ihm kam bruchstückhaft ein Bibelvers in den Sinn „… und das Vieh auf tausend Hügeln”.
Auf tausend Hügel kam die Triple-M-Ranch zwar trotz ihrer Größe bei Weitem nicht, Vieh allerdings gab es wirklich reichlich. Und Clays Großvater Angus McKettrick mochte zwar Hügel und Land als Leihgabe des Allmächtigen betrachten, aber alles andere gehörte in seinen Augen zweifellos ihm, seinen vier Söhnen und seiner Tochter Katie: Rinder, Menschen, Bodenschätze und Holz.
Clay zog den langen Mantel an und setzte sich den Hut auf. Das Pistolenhalfter mitsamt Waffe hatte er in den Koffer im Gepäckabteil gepackt, und sein gescheckter Wallach Outlaw reiste allein im Viehwaggon.
Der einzige andere Passagier war eine knochige Frau mit strengen Gesichtszügen, die keinerlei Neigung zeigte, sich mit einem Fremden zu unterhalten. Auf dem Schoß hielt sie die größte Bibel, die Clay jemals gesehen hatte. Sie schien bereit, sich in die apokalyptischen Drohungen und Heilsversprechen der Heiligen Schrift zu versenken, sobald sie Sündiges auch nur von fern erschnupperte. Der Schaffner, ein nervöser kleiner Mann mit blatternarbigem Gesicht, hatte Clay anvertraut, dass sie den langen Weg aus Cincinnati nach Texas gekommen war, um hier die Heiden zu bekehren.
Am liebsten hätte Clay sich bei ihr erkundigt, ob in Cincinnati die Heiden knapp geworden waren. Doch Erschöpfung und Heimweh nach der Ranch und seiner Familie wogen schwerer als die Belustigung, die ihm dieser Gedanke bereitete. Daher beließ er es dabei, seiner Mitreisenden zum Abschied respektvoll zuzunicken. Vermutlich hatte sie in Cincinnati bereits alle Ungläubigen bekehrt und war nun hergekommen, weil sie als Nächstes dem Teufel den Staat abringen wollte. Ich persönlich würde auf die Siegeschancen des Leibhaftigen keinen Pfifferling geben, dachte Clay, während er die Tür öffnete.
Ein eisiger Wind blies Clay entgegen, und winzige Schneeflocken wirbelten in der Luft herum. Auf dem Bahnsteig wartete der Stadtrat darauf, den neuen Marshal in Empfang zu nehmen. Alle drei Mitglieder trugen zur Feier des Tages Sonntagsanzüge.
Bürgermeister Wilson Ponder ergriff das Wort. Seine Stimme dröhnte über den Bahnsteig. „Willkommen in Blue River, Mr McKettrick.” Er war ein beleibter, reizbar wirkender älterer Mann mit weißen Koteletten und hervorstehenden Zähnen, die sich unabhängig von seinem Kiefer zu bewegen schienen.
Clay, der mit Ende zwanzig zu den jüngsten Mitgliedern des McKettrick-Clans gehörte, war es nicht gewohnt, mit „Mister” angesprochen zu werden. Zu Hause rief man ihn gewöhnlich: „Hey, du da!” Aber die neue Erfahrung gefiel ihm. „Nennen Sie mich ruhig Clay”, sagte er.
Während er den Männern die Hände schüttelte, hievte der Schaffner seinen Koffer aus dem Gepäckabteil auf den Bahnsteig. Mit einem Blick auf seine Taschenuhr bemerkte er: „Sie laden wohl jetzt besser Ihr Pferd ab, falls Sie nicht wollen, dass es nach Fort Worth weiterreist. Der Zug fährt in fünf Minuten ab.” Sein Tonfall verriet die Art von Diensteifer, wie sie typisch ist für kleine Männer, die selbst triefnass kaum fünfzig Kilo auf die Waage bringen.
Clay nickte nur. Vermutlich sehnte sich Outlaw nach frischer Luft und Bewegung. Immerhin war der Wallach seit der Abfahrt von Flagstaff in einem rollenden Stall eingesperrt gewesen.
Zum Abschied tippte sich Clay an die Hutkrempe und versprach den Mitgliedern des Begrüßungskomitees, sich später noch ausführlicher mit ihnen zu unterhalten. Er überquerte den bescheidenen Bahnsteig, stieg ein paar Stufen hinab und schritt durch Asche und Rauchfetzen auf den Viehwaggon zu. Nachdem er die schwere Rampe herabgelassen hatte, kletterte er in das Dunkel des Wagens mit seinem durchdringenden Pferdegeruch.
Outlaw bedachte ihn mit einem leisen Wiehern. Lächelnd tätschelte Clay ihm den langen Hals, bevor er seinen Sattel und das übrige Zaumzeug ergriff und aus dem Waggon warf. Sobald alles draußen war, löste er den Knoten an Outlaws Halfter und führte das Pferd zur Rampe. Viele andere Pferde hätten sich gegen das Unbekannte gesträubt, Outlaw jedoch folgte seinem Herrn willig. Er und Clay gingen seit über zehn Jahren zusammen durch dick und dünn, und sie vertrauten einander bedingungslos.
Ohne Schwierigkeiten bewältigte Outlaw den Abstieg über die Eisenrampe. Sobald ihm der frische Wind mit den ersten Schneeflocken entgegenwehte, blinzelte er kurz, bis sich seine ungewöhnlich blauen Augen an das Licht des Nachmittags gewöhnt hatten. Eigentlich hatte Clay vorgehabt, den Wallach unangebunden stehen zu lassen, während er selbst die Rampe zurückschob. Aber noch bevor er sich umdrehen konnte, kam ein kleines Mädchen um die Ecke des Lagergebäudes gerannt und fasste mit geübtem Griff nach Outlaws Halfter.
Sie konnte kaum älter sein als sieben, aber selbst dafür wirkte sie klein. Ihr abgewetztes Kattunkleidchen, das braune Hütchen und der Mantel waren zwar sauber, hatten aber schon deutlich bessere Tage gesehen. Unter dem Hut war eine blonde Korkenzieherlocke hervorgeschlüpft und lag auf der Stirn des Mädchens, das Clay mit dem Selbstbewusstsein eines gewieften Cowboys anlächelte.
„Ich heiße Miss Edrina Nolan”, verkündete sie. „Sind Sie der neue Marshal?”
Belustigt legte Clay die Hand an die Hutkrempe, um die Kleine ordnungsgemäß zu begrüßen. „Ja. Clay McKettrick mein Name.”
Edrina streckte ihm die freie Hand entgegen. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr McKettrick.”
„Gleichfalls”, entgegnete er lachend. Dass dieses Mädchen dermaßen entspannt mit einem Tier umging, das es um ein Vielfaches überragte, überraschte ihn nicht. Schließlich waren er und seine Cousins auf der Triple-M-Ranch ebenfalls mit Pferden aufgewachsen. Trotzdem beeindruckte ihn Edrinas Gelassenheit.
„Ich halte Ihr Pferd schon”, erklärte sie. „Helfen Sie lieber dem Mann von der Bahn mit der Rampe, sonst tut er sich noch weh.”
Clay wandte den Kopf. Und tatsächlich: Dieser Hänfling von einem Schaffner mühte sich nach Kräften mit der schweren rostfleckigen Eisenplatte ab, damit der Zug weiterfahren konnte. Schnell eilte er ihm zu Hilfe, damit der Mann sich keinen Leistenbruch oder gar einen Herzschlag holte. Für sein Mitanpacken erntete er jedoch keineswegs Dank, sondern lediglich einen ungehaltenen Blick.
Doch Clay scherte sich herzlich wenig um die Befindlichkeiten des Schaffners. Er wandte sich dem Mädchen zu, um Outlaw wieder in Empfang zu nehmen.
Inzwischen saß Edrina auf dem Pferderücken. Das verschlissene Kleid bauschte sich um ihre Beine, und im schneedurchtanzten Licht der Nachmittagssonne wirkte sie wie eines dieser engelhaften Kinder, die auf Kalendern, Valentinskarten und Kekspackungen abgebildet waren.
„Hey, warte mal!” Unwillkürlich griff er nach dem Halfter. Wie Edrina es auf Outlaws Rücken geschafft hatte, war ihm schleierhaft – schließlich hatte er den Wallach noch nicht satteln können. Vielleicht war sie wirklich ein kleiner Engel, der die kleinen Flügelchen unter dem dünnen schwarzen Mantel verbarg?
Vorn am Bahnsteig blies der Ingenieur zur Abfahrt des Zuges. Bei dem schrillen Geräusch fuhr Outlaw zwar zusammen, aber er stieg nicht. Gott sei es gedankt!
„Hey”, wiederholte Clay beruhigend, aber fest. Erst dann bemerkte er den Baumstumpf auf der anderen Seite des Pferds. Edrina musste hinaufgeklettert sein, damit sie sich von dort aus auf Outlaws Rücken hochgezogen haben konnte.
Sie alle – Mann, Pferd und Engelchen – warteten, bis der Zug davongetuckert war und der Lärm sich ein wenig...




