Minard Mit heiler Haut
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95757-073-4
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 301 Seiten
ISBN: 978-3-95757-073-4
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Céline Minard, 1969 in Rouen geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Paris. Ihre Bücher wurden mit wichtigen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Franz-Hessel-Preis für So Long Luise (2011) und mit dem Prix Virilo (2013) und dem Prix du Livre Inter (2014) für faillir être flingué.
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Bis dahin hatte der Kerl gar nicht so übel reagiert, aber sobald es ums Pferd ging, würde er ganz andere Saiten aufziehen. Der Bursche war kein Fußgängertyp. Auch wenn er einen Großteil des Schnapses ausgetrunken hatte, schienen seine Reflexe nicht sehr viel langsamer geworden zu sein, mochte er auch alle typischen Anzeichen eines Rauschs zeigen. Er war beim Trinken redselig geworden. Er hatte ihm erzählt, dass er von den Ausläufern der Black Hills kam, wo er achtzehn Monate lang in einem gefrorenen Wildwasserfluss nach Gold gesucht hatte. Dass er zur Stadt wollte, um seinen Gewinn ein wenig zu genießen, bevor er in seine Heimat Tennessee zu seinen Eltern zurückkehren und ihnen zeigen würde, was er alles erreicht hatte. Dass er Elie Coulter hieß. Sich ein Lächeln verkneifend hatte Zebulon seinem Bericht mit halb geschlossenen Augen gelauscht und gefolgert, dass der Typ imstande war, für ein Pferd Vater und Mutter zu verkaufen. Was ihn sympathisch machte. Er selbst hatte so wenig wie möglich gesagt. Und weil er ihn sympathisch fand, machte er ihm einen Vorschlag, der beiden vorteilhaft erschien. Statt eines Kräftemessens, hatte Zeb sich überlegt, konnten sie um das Pferd würfeln. Er wäre doch viel spannender, den Abend auf diese Weise zu verbringen, anstatt den anderen nach ein paar Schlägen mit dem Gewehrkolben an einen Baum zu fesseln, damit er stillhielt. Elie hatte sofort zugestimmt. Also machten sie sich, nachdem sie das Feuer wieder entfacht hatten, an die Arbeit, mit Zebulons Würfeln auf einer Decke, die sie zwischen sich ausgebreitet hatten. Elie verwettete mit großem Ernst Stück für Stück sein Pferd gegen den mutmaßlichen Inhalt von Zebs Taschen, von dem er sich kein Bild machen konnte, weil Zeb sich beharrlich weigerte, auch nur das kleinste bisschen hervorzuziehen. Was den Wert ihres Inhalts anging, blieb Elie nichts anderes übrig, als Zebs Worten Glauben zu schenken. Schon einmal hatte er alles bis auf den linken hinteren Hufen verloren, dank dessen er das Pferd wiedergewonnen hatte. Anstatt sich jedoch damit zu begnügen, wollte er sein Glück herausfordern und obendrein die Taschen, auf denen Zeb saß, als Prämie mitnehmen, wenigstens eine. Zebulon ahnte, dass die Neugierde den Ausschlag gegeben hatte, und wieder war Elie ihm sympathisch erschienen. Und auch ein wenig dumm. Die nächste Runde hatte begonnen, und Elie hatte Stück für Stück sein ganzes Pferd verloren, mit ihm die Kandare, den Sattel, die Eisenpfannen und den prall gefüllten Geldbeutel. Als er so mittellos war wie ein Einsiedler, brach die Morgendämmerung an, und er fand sie plötzlich kühl. Er zog die Decke über die Schultern, mit einer etwas eckigen Bewegung, die Zebulon daran erinnerte, dass der Kerl sympathisch war und ihn bei der erstbesten Gelegenheit ebenso skrupellos abknallen würde wie er, wenn es nötig sein würde, ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen. Schließlich herrschte hier kein Recht und Gesetz. Genau deshalb war er ja hier. Mit einem Ruck stand er auf, ließ absichtlich seinen Colt am Gürtel aufblitzen und erklärte, dass es nun an der Zeit für ihn sei, seinen Gewinn an sich zu nehmen. Das angebundene Pferd schien ihm mit einem Schnauben zu antworten. Sicher hatte es den Höllenritt des Vortages noch in schlechter Erinnerung, denn es ließ ohne Murren seinen neuen Besitzer näherkommen, der ihm Sattel und Zaumzeug anlegte und es dabei vermied, den Blickkontakt zu seinem nächtlichen Partner zu verlieren.
Zeb stieg auf den Rücken des Pferdes und lächelte zufrieden. Er nahm die Zügel in die linke Hand, legte die rechte auf die Hüfte und ließ sein Reittier vor Elie kehrtmachen, der ihn nicht aus den Augen ließ. Er lupfte zum Abschied den Hut und machte sich auf und davon. Am Fuße des ringsum abgefressenen Busches ließ er einen vor Kälte erstarrten Mann zurück, dem beim Gehen schon wieder warm werden würde.
Als Zeb sicher war, dass Elie ihn nicht mehr sehen konnte, wechselte er in leichten Trab und lenkte das Pferd nach Norden. Über mehrere Meilen folgte er einem leicht abschüssigen Gelände, das ihn zu einem Bach führte. Dort ließ er das Pferd so lange wie möglich im Flussbett gehen. Als sie an den Fuß eines schwer zu überwindenden Hanges kamen, verließ er den Bach wieder und beschrieb einen weiten Halbkreis, bevor er ans Wasser zurückkehrte, dessen Strömung deutlich zugenommen hatte. Dasselbe tat Zeb am anderen Ufer, wobei er den Halbkreis weiter ausdehnte und schließlich wieder an den Strom zurückkehrte, um seine Spuren zu verwischen. Gegen Mittag ließ er das Pferd ruhen und legte ihm in der Nähe eines Wasserlochs, das so groß war wie ein Zuber, die Laufleine an. Ein kleiner Wasserfall stürzte in das Becken. Zeb zog die Stiefel aus, krempelte die Ärmel hoch und stieg vorsichtig hinein. Er stellte sich in die Mitte und begann, vornübergebeugt und die Arme bis zu den Ellbogen im Wasser, den felsigen Boden und die Spalten abzutasten. Nach nur zwei Minuten scheuchte er eine dicke Bachforelle mit schwarz-goldenen Punkten auf, die wie ein Schmuckstück glitzerte. Er ließ sie durch ihr Revier schwimmen und verharrte reglos, ohne sie zu drängen, die Hände am Boden mit nach oben gekehrten Handflächen. Sie kehrte früher als gedacht, von Neugierde getrieben, vorsichtig in die Mitte zurück. Mit kleinen Flossenstößen kam sie näher, wobei ihr winziger Mund am Wasser nippte, bis sie sich genau über Zebulons offenen Händen befand. Ganz langsam führte er sie nach oben, berührte den glatten, bebenden Bauch der Forelle und warf sie, noch bevor sie reagieren konnte, mit einem jäh hochgeschleuderten Schwall Wasser, vor dem das Pferd zurückwich, ans Ufer. Schnurstracks sprang er hinterher und erschlug sie mit einem Stein. Dann kehrte er zu seinem Reittier zurück und sprach ihm besänftigend zu, bevor er ein langes spitzes Messer aus seinem rechten Stiefel zog. Damit schnitt er den Fisch von den Kiemen bis zum Darmausgang auf, nahm ihn aus, wusch ihn, suchte sich einen Stein, nahm Platz und löste die Filets heraus, die er eines nach dem anderen eilig hinunterschlang.
Daraufhin legte er zufrieden die Kleider ab und setzte sich ins Becken, den Kopf unterm herabstürzenden Wasser. Er ließ es ausgiebig auf die Schultern und Halsmuskeln prasseln. Die Müdigkeit der Nacht wurde von der Kälte fortgespült. Als er ans Ufer zurückkehrte, um in seine Kleider zu schlüpfen, fühlte er sich wie ein junger Mann zu Beginn des Erwachsenenlebens. Was nicht wirklich den Tatsachen entsprach. Er schwang sich wieder in den Sattel und trieb sein Pferd zu einem kräftigen Galopp entlang des Wassers an. Er wollte dem Lauf des Baches folgen, bis er auf einen Fluss stieße, diesen entlangreiten und, sobald er die Berge erblicken könnte, nach Westen biegen, wo er von einer neuen Ansiedlung wusste. In den Vorposten und von einzelnen Boten hatte er von ihr gehört, und zwar oft genug, als dass es sich nur um ein Gerücht handeln konnte, und selten genug, um anzunehmen, dass dort alles erst im Werden war. Genau das, was er brauchte.
Der Bach führte über eine weite offene Ebene, die scheinbar flach war wie ein Billardtisch, aber mit den üblichen Tücken der Prärie gespickt war. Sein Pferd schien sie genauestens zu kennen und wusste sie klug zu umgehen. Zebulon konnte es kaum noch abwarten, das Pferd bei der Jagd auszuprobieren oder bei einer Auseinandersetzung, wie sie in diesem Gebiet häufig vorkamen. Sein Colt war genauso austariert wie seine Taschen vor dem Sattel. Schon lange hatte er keinen Gebrauch mehr von ihm gemacht. Das Gelände stieg an und war mit einer immer höheren Vegetation bewachsen. Hier und da ragten die ersten Felsen hervor und nahmen allmählich immer mehr Raum ein. Das Tal verengte sich, und so ritt er durch bewaldete Hügel. Nach einem Anstieg von etwa hundert Metern, den das Pferd mühelos bezwang, stießen sie auf eine weite Hochebene, durch die sich der von Zebulon gesuchte Bach wand. Er sprudelte den Hang hinunter und hüpfte freudig murmelnd über die Kiesel. Zeb hätte es ihm gern gleichgetan, wenn er nicht die Spuren eines Vorfalls entdeckt hätte, bei dem es heftig zugegangen sein musste. Im Kreis angeordnete Steine wiesen darauf hin, dass hier überhastet Zelte abgebrochen worden waren. Trägerstangen waren am Boden verstreut, Felle zurückgelassen worden, Teller waren umgekippt. An mehreren Stellen war Feuer ausgebrochen, breite schwarze Spuren zogen sich von den Zelten aus in verworrenen Pfaden durch das Dorf. Sattelmatten, Decken, Federn hingen an fast zusammenbrechenden Gestängen. Dunkle modrige Pfützen waren hier und da rot gefärbt. Und um das Dorf herum war das Getrappel durchgegangener Pferde zu hören.
Zeb sog die Luft ein und spitzte die Ohren. Sein Reittier blieb nicht ruhig auf dem Hang stehen, er musste es mehrmals wenden lassen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Ort menschenleer war, ließ er das Pferd laufen und sie ritten hinab. Das Gemurmel des Bachs klang für ihn weniger lebhaft als zuvor. Sie durchquerten die Überreste des Dorfes im Schritt. Aufmerksam für das, was der Ort ausstrahlte, und für die Spuren, die der Kampf hinterlassen hatte. Hinter ihnen fiel eine schwere Stange zu Boden. Mit dem Colt in der Hand fuhr Zeb auf seinem Sattel...