E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Minck Wüüstes Treiben
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7597-3216-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Drei Meilen hinter dem Wind, dann links
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
ISBN: 978-3-7597-3216-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alle sind reif für die Insel, alle kennen Sylt, aber keiner kennt Wüüst, die Perle der Nordsee, nur drei Meilen hinter dem Wind, dann links. Das muss sich ändern. Skurrile Ureinwohner, deren rauer Charme noch jeden begeistert hat, und ihre nicht minder gewöhnungsbedürftigen Sitten und Gebräuche erwarten Sie. Ebenso ein Papst, jede Menge Journalisten und ein Schwein na-mens Bothilde. Nur Mut, Bothilde und die Wüüster beißen nicht ... jedenfalls nicht oft, eigentlich fast nie ... Was den Papst angeht, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Werfen Sie sich ins Ölzeug, nehmen Sie die Fähre Erik der Rote, setzen Sie über, und dann hinein ins Abenteuer.
Edda Minck, *1958, lebt in Bochum. Nach einem mäandernden Berufs- und Arbeitsleben zwischen Medizinlabor, Fernsehstudio, Theaterbühne und Restaurantküche arbeitet sie als freie Schriftstellerin, Autorencoach und Lektorin. Einer großen Leserschaft ist sie durch die schwarzhumorige Ruhrpott-Krimireihe um ihre Heldin Maggie Abendroth bekannt. ("totgepflegt", "abgemurkst", "umgenietet","ausgeträllert", "totgequatscht"). Bisweilen beschäftigt sie sich in ihren Romanen und Geschichten, neben kriminellen Machenschaften ("Das Schweigen der Aale"), auch mit Vampiren ("Biss zum letzten Schluck"), dem Tod ("Trudy ist nicht tot, nur anders" und allen anderen Erscheinungen zwischen Himmel und Erde ("Der Mond ist bewohnt"), die die Wissenschaft (noch) nicht erklären kann ("Die Sache mit Jo". Hauptsache, das Thema ist skurril und sie kann dabei ihrem schrägen Humor freien Lauf lassen.
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Kapitel 1
Groß Wüüst machte seinem Namen alle Ehre. Am Bòthildr Brunnen, unter dem Schutz der jahrhundertealten heiligen Esche, lag Sif Trygvarsson, die Besitzerin des Friseursalons Hairy Fairy, auf Pfarrer Magnus Habel, dessen Soutane das Gesicht der Bürgermeisterin, Tofà Sveinsson, verdeckte. In einigem Abstand, einer umgestürzten Laokoon Gruppe gleich, fanden sich auch Aki Sveinsson, der Bestatter, Hakon Trygvarsson, Hafenmeister und Briefträger, mit einer Axt in der Hand und Rune Sveinsson, Hotelier, der sein tropfendes Trinkhorn fest umklammert hielt. Die Tröpfchen versickerten auf Nimmerwiedersehen in der Fellweste des Fährkapitäns, Thorgay Eriksson. Im Eingang des Supermarktes, nur wenige Meter von der Esche entfernt, hatte sich das dritte Menschenknäuel formiert. Es bestand aus Hedda und Agni Snorradottir, die eine Dorfärztin, die andere Gode3, als Schwestern durch ihre unterschiedliche Auffassung von Heilkunst grundsätzlich entzweit, aber nun im Rausch wieder vereint. Dazu hatte sich Freya Trygvarsson gelegt, als wolle sie ihren Supermarkt vor den beiden Heilkundigen beschützen. Gustav Trygvarsson, der Dorfälteste, saß in seinem elektrischen Rollstuhl, sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken, sein Wikingerhelm lag auf dem Bürgersteig. Einzig die Tatsache, dass Eyrunn Eriksson, die Hüterin des Wüüster Heimatmuseums, des Inselradios und des Touristenbüros, direkt vor seinem Rollstuhl lag, hinderte diesen daran, mitsamt seiner gebrechlichen Fracht zum nahe gelegenen Hafen zu rollen und dort für immer in den Tiefen der Nordsee zu verschwinden. Die übrigen Inselbewohner, die mit den oben genannten allesamt verschwägert, benachbart oder verwandt waren, verteilten sich je nach Laune und Schweregrad ihres Rausches in den Dünen, am Hafen oder im Wikingerschiff, das in der leichten Brise des zweiten Oktobertages auf dem Wasser schaukelte. Auf allen Wegen der Insel lagen zerbrochene Holzschaufeln und leere Metfässer, die Überreste des Wüüstens, einer Art Volkssport, bei dem man in voller Wikingermontur mit einer Holzschaufel Schlick aus dem Watt über seinen Kopf hinweg so weit wie möglich hinter sich werfen muss. Teilnahmeberechtigt waren alle geborenen Wüüster ab 21 Jahren. Die Anwesenheit des Pfarrers, der kein Wüüster war, erklärt sich daraus, dass er bei der Siegesfeier kräftig geistigen Beistand geleistet hatte. Denn war der Sieger ermittelt, konnte die Orgie beginnen. Den Weg vom Watt zurück ins Dorf versüßte man sich damit, irgendjemandem mit der Holzschaufel eins überzubraten. Dieses Schauspiel konnte nur mit ausreichend Met und einem schnapsähnlichen Gebräu namens Odins Vann4 ertragen werden, von dem gemunkelt wird, es könne in hoher Konzentration Gold auflösen. Am nächsten Tag würde sich niemand erinnern können, wer gewonnen hatte, daher blieb die Hall of Fame im Wüüster Inselmuseum leer. Was man mit Sicherheit beim Anblick des Wüüster Schlachtfeldes sagen konnte, war, dass die Insel eine weitere Sommersaison hinter sich gebracht und diesen für die Wüüster erfreulichen Umstand ausgiebig gefeiert hatte. Was man nicht sagen konnte, war, ob alle wieder erwachen würden. Um den alten Gustav musste man sich keine Sorgen machen, seine Leber war die widerstandsfähigste von allen – und da waren sich sogar Agni und Hedda einig. Die Zweifel am Überleben aller waren berechtigt, denn keiner zuckte auch nur mit einer Wimper, als sich von Ferne das Quietschen eines Holzkarrens ankündigte und die kräftigen Stimmen aus elf jungen Kehlen „Geh aus mein Herz und suche Freud“ schmetterten. Den Sopran dazu sang Schwester Fidelis, die von keinem Alkohol beeinträchtigt die Truppe anführte. Am Wegesrand wurden die Reste der geborstenen Holzschaufeln und die leeren Metfässer eingesammelt. Ein Privileg für das Behindertenheim St. Bartholomäus, ebenso wie die Herstellung von Holzschaufeln und anderer Dinge aus Holz und Metall, die die Insel brauchte, inklusive der Totenboote, des Wikingerschiffs, der benötigten Paddel, Helme, Schwerter, Äxte und Hämmer. Selbst als diese seltsame Truppe mitten durchs Dorf karriolte, ließ keiner der Herumliegenden ein Lebenszeichen erkennen. Schwester Fidelis hieß die Truppe am Dorfbrunnen anhalten. Alle Jugendlichen setzten sich um den Leiterwagen herum und es wurden Getränke verteilt. Jeder bekam einen Keks, außer Frode, der sich schon dadurch auszeichnete, dass er kein T-Shirt trug, auf dem Werkstätten St. Bartholomäus stand. Frode mit seiner Dyskalkulie und dem lahmen Fuß am abgeknickten Bein half zwar gern, aber nur so lange Schwester Fidelis ihn nicht zu sehr vereinnahmte, denn mit seinen 19 Jahren hatte er erfolgreich die Ausbildung in St. Bartholomäus hinter sich gebracht und war stolzer Besitzer des örtlichen Fahrradverleihs mit Reparaturwerkstatt und Helmschmiede. Schwester Fidelis beschirmte ihre Augen mit der rechten Hand und guckte in die Ferne. „Ah“, sagte sie. „Da kommt der Gordian mit Bothilde.“ Ein großer, beinahe hagerer Mann um die vierzig näherte sich mit strammem Schritt der Dorfmitte. Im Gegensatz zu allen Herumliegenden trug er eine normale Jeans und ein T-Shirt, auf dem gar nichts stand, und er hatte auch keinen Helm auf dem Kopf. Eine lederne Umhängetasche baumelte an seiner Schulter, und er hielt einen Wanderstab in der Rechten, während er mit der Linken winkte. Begleitet wurde er von einer mächtigen Sau, die losgaloppierte, als sie die Kinder am Dorfbrunnen sah, um sich auf ihre Kekse zu stürzen. Auf Schwester Fidelis machte Gordian den Eindruck, als habe er es eilig, was sonst nicht seine Art war. Endlich hatte er die Gruppe von St. Bartholomäus erreicht und war außer Atem, als er sagte: „Schwester Fidelis. Sie werden es nicht glauben.“ „Warum flüstern Sie?“ Gordian sah sich um. „Es ist etwas Unglaubliches passiert.“ „Sie haben unter Ihrer Wüüsteborg einen Wikinger-Goldschatz gefunden.“ „Nein, und wenn, würde ich das noch nicht mal flüstern.“ Die Kinder rückten näher an die beiden heran. Sogar Bothilde hörte auf zu kauen. Eine Neuigkeit nach Saisonende war außergewöhnlich für Wüüst. Kam mit den Touristen über den Sommer alles Mögliche und Unmögliche auf die Insel, wurde es nach Saisonende erst wieder spannend, wenn im November der Herbstnebel stieg und für einen Monat nicht mehr verschwand – eine klimatische Eigenheit, deren Ursache noch kein Wissenschaftler ergründet hatte. Die Wüüster ertrugen diese Zeit in dem Wissen, dass sie sie nicht alleine verbringen mussten, denn es war die Zeit, wenn, kurz bevor die Wüüster Suppe sich festsetzte, die Wikingerfreunde aus dem hohen Norden mit ihren Booten einfielen, um für eine oder auch mehrere Wochen ihr Lager rund um die Wüüsteborg aufzuschlagen. Dann war es mit Gordians seliger Ruhe vorbei, aber er hatte sich mittlerweile an die freundschaftlichen Überfälle aus dem Norden gewöhnt und legte seine Manuskripte über mittelalterliches Kirchenrecht und seine Jazzplatten beiseite, um beim fröhlichen Treiben dabei zu sein. Während die Wüüster im Sommer die Touristen nach alter Wikingermanier ausraubten, teilten sie während des Einfalls der befreundeten Stämme aus Island, Dänemark, Norwegen, Island und Schweden alles, was sie hatten und amüsierten sich wie einst Bolle zu Pfingsten. Gordian beugte sich zu Schwester Fidelis hinüber und flüsterte ihr etwas zu. Im nächsten Augenblick stieß die Nonne einen Schrei aus, der wahrhaftig Tote hätte wecken können. Dann jubelte sie und tanzte auf einem Bein. Aber noch immer rührte sich niemand. Schwester Fidelis fackelte nicht lange und rannte zur Kirche, um den Knopf zu drücken, der die große Glocke zum Leben erweckte. Leider kommt man dieser Tage nicht mehr in den Genuss, eine Nonne oder einen Pfarrer am Glockenseil auf- und abschwingen zu sehen, da die Wüüster ein modernes Völkchen sind, meistens jedenfalls, und die Segnungen der Technik gerne in Anspruch nehmen. Und siehe da, der erste Wüüster schlug ein Auge auf. „Was…?!“, lallte er, und sein Auge fiel sofort wieder zu. Fidelis kam zurück, formte mit beiden Händen einen Trichter um ihren Mund und rief: „Wachet auf! Wachet auf! Habemus Papam! Habemus Papam!“ Nun kam Bewegung in Pfarrer Habels Soutane. Durch den stechenden Sonnenstrahl, der plötzlich ihre selige Ruhe störte, erwachte auch Tofà aus ihrem Schlummer, und die Metleichen regten sich. Die Konversation gestaltete sich zunächst zäh, denn auf der einen Seite war man zu mehr als einem „Was’n …?“ oder „Ruhe! Verdammt!“ nicht fähig, während Fidelis mit gerafftem Habit noch eine Runde tanzend um den Dorfbrunnen hinlegte. In solchen Momenten sieht man ihr ihre siebzig Jahre gar nicht an, dachte Gustav, der ebenfalls wach geworden war. Nur schade, dass sie sich über seine Wenigkeit noch nie so...




