Mitterauer St. Jakob und der Sternenweg
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-205-79369-4
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mittelalterliche Wurzeln einer großen Wallfahrt
E-Book, Deutsch, 213 Seiten
ISBN: 978-3-205-79369-4
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
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„Jakobus, der Sohn des Zebedäus“
Im Neuen Testament begegnen mehrere Träger des Namens Jakobus. Sie werden in der Bibel selbst, ebenso aber auch in der christlichen Tradition in der Regel durch zusätzliche Bezeichnungen unterschieden. In der Aufzählung der Apostel im Matthäusevangelium finden sich zwei Jakob – der eine als „Sohn des Zebedäus“, der andere als „Sohn des Alphäus“ charakterisiert. Lateinisch werden sie als „Jacobus maior“ und „Jacobus minor“ bezeichnet, also als „Jakobus der Ältere“ und „Jakobus der Jüngere“. Letzterer ist nicht zu verwechseln mit Jakobus „dem Kleinen“, dem Sohn einer Jüngerin Jesu. Das Konzil von Trient hat im 16. Jahrhundert für die katholische Kirche eine Gleichsetzung von Jakobus, dem Sohn des Alphäus mit Jakobus „dem Kleinen“ und dem „Herrenbruder“ Jakob verbindlich gemacht, was zu exegetischen Problemen führt. Neben den beiden Aposteln mit Namen Jakob zählt der gleichnamige „Herrenbruder“ zu den besonders prominenten Persönlichkeiten der christlichen Frühzeit. Er leitete nach dem Bericht der Apostelgeschichte die Gemeinde von Jerusalem und spielte beim Apostelkonzil eine bedeutende Rolle. Ein Großteil der Forschung erscheint bereit, in ihm einen leiblichen Bruder Jesu zu sehen. Die Überlieferung schreibt ihm die Autorenschaft des kanonischen Jakobusbriefes sowie mehrerer apokrypher Schriften, darunter des sogenannten „Protoevangeliums des Jakobus“ zu. Letzteres gilt heute als eher unwahrscheinlich. Es ist also für die Frühzeit [<<13||14>>] der Kirche mit weiteren bedeutenden Namensträgern zu rechnen. Dazu gehört auch der Schöpfer der Jakobusliturgie, der ältesten christlichen Gottesdienstordnung, die ihren Ausgang von Jerusalem genommen hat. In der Überlieferung kam es zwischen diesen verschiedenen Namensträgern zu Überschneidungen bzw. Verwechslungen.
Die Erwähnungen von Jakobus, dem Sohn des Zebedäus, im Neuen Testament sind allerdings ziemlich eindeutig zuordenbar. Es handelt sich nur um einige wenige, aber durchaus bedeutsame. Stets tritt Jakobus gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Johannes in Erscheinung – so bei der Berufung der ersten Jünger, bei der Auswahl der zwölf Apostel, bei der Bitte seiner Mutter für ihn und seinen Bruder um die Ehrenplätze an Jesu Seite in dessen zukünftigem Reich, bei der Auferweckung der Tochter des Jairus von den Toten, bei der Verklärung Jesu am Berg Tabor und schließlich beim Gebet Jesu im Garten Gethsemane vor der Gefangennahme. Gemeinsam mit Petrus und seinem jüngeren Bruder gehört er zum engsten Kreis der Jünger Jesu. Stets wird er als der ältere Zebedäussohn dem jüngeren vorangestellt. Erst in der Apostelgeschichte erscheint er diesem in der Aufzählung der Apostel an dritter Stelle nachgereiht. Auffallend ist, dass er im Evangelium des Johannes kein einziges Mal namentlich genannt wird. Aber auch Selbstnennungen des Lieblingsjüngers erfolgen in dem ihm zugeschriebenen Evangelium sehr zurückhaltend.
Nachbenennungen nach Trägern des Namens Jakob im frühen Christentum lassen in der Regel nicht erkennen, auf welchen Jakob jeweils Bezug genommen wird. In [<<14||15>>] der Entwicklung der Namensformen werden allerdings unterschiedliche Grundlinien erkennbar. Man kann sie mit verschiedenen Traditionen der Jakobsverehrung in Verbindung bringen. Das gilt vor allem für den Raum der Iberischen Halbinsel. Hier begegnen zwei Gruppen von Formen des Namens Jakob. Im Osten dominiert der Typus Jaime/Jaume. Er ist mit dem italienischen Giacomo, aber auch mit dem englischen James verwandt. Seine Wurzel liegt im vulgärlateinischen Jacomus, der sich – wahrscheinlich unter griechischem Einfluss – aus Jacobus gebildet hat. Im Westen finden sich so unterschiedliche Namensformen wie Jacobus, Jacopo, Yago, Jago, Santiago, Tjago, Tiago und Diego. Solche Varianten begegnen im Kastilischen und Portugiesischen, im Baskischen und vor allem im Galicischen. Nirgendwo anders im christlichen Großraum der Benennung nach einem biblischen Träger dieses Namens finden sich in der historischen Entwicklung so viele so unterschiedliche und so stark veränderte Namensformen nebeneinander. Zweifellos geht diese Sonderentwicklung auf die besondere Verehrung des heiligen Jakobus des Älteren in Santiago de Compostela in Galicien zurück. Ausdruck dieser besonderen Verehrung ist die Verbindung des Heiligennamens mit dem Prädikat „sanctus“/heilig, die wiederum zur gekürzten Namensform geführt haben dürfte. Der Name Diego kommt – latinisiert zu Didacus – in galicischen Adelsgeschlechtern schon seit dem ausgehenden 9. Jahrhundert vor. Eine Kürzung solcher in der Vollform besonders tabuisierten „nomina sacra“ begegnet in der Geschichte der Namengebung mehrfach. Auch die Entwicklungslinie Jago-Santiago-Diego führt letztlich auf eine vulgärlateinische [<<15||16>>] Wurzel zurück. Der Unterschied zwischen der Jacomus-Gruppe und der Jacobus-Gruppe dürfte in einer unterschiedlichen Betonung des Namens auf der ersten bzw. auf der zweiten Silbe in Anschluss an die griechischsprachige Septuaginta bzw. die lateinischsprachige Vulgata zu suchen sein. Von der biblischen Grundform hat sich die Namensentwicklung besonders durch die Kurzform wegbewegt. Der Jakobskult mit dem Zentrum in Santiago de Compostela hat diesbezüglich sicher eine besondere Dynamik bewirkt.
Heiligkeit von Namen korrespondiert vielfach mit der Heiligkeit von Bildern. In der byzantinischen Tradition macht erst der Name des Heiligen dessen Bild zur Ikone, die den Heiligen repräsentiert. Namengebung nach biblischen Vorbildgestalten lässt allerdings bei Gleichnamigkeit keine eindeutige Zuordnung zu. Unterschiedliche Bildformen ermöglichen das. So wird auf der Iberischen Halbinsel in Analogie zu Jakobus dem Älteren auch Jakobus der Jüngere als „Santiago“ bezeichnet. In der bildlichen Darstellung hingegen ist er durch das Attribut der Walkerstange – dem Instrument seines Martyriums – eindeutig von ersterem unterschieden. Die Darstellungsformen von Jakobus dem Älteren haben eine vielfältige Entwicklung durchgemacht – im Westen mit weitaus stärkerer Dynamik als im Osten. Die ältesten zeigen ihn mit Buch oder Schriftrolle – jenen Zeichen, die den Aposteln als Verkündigern des Evangeliums allgemein beigegeben wurden. In der Ostkirche wird Jakobus der Ältere auch als Schöpfer der Jakobusliturgie verehrt. Dementsprechend hat er auf der Ikonenwand seinen Platz neben anderen Heiligen, denen liturgische [<<16||17>>] Ordnungen zugeschrieben werden, nämlich Basilius von Cäsarea, Johannes Chrysostomos und Gregor von Rom. Weiters begegnet er in der Festtagsikone der Verklärung auf dem Berg Tabor als einer der drei Jünger, die Jesus begleitet haben. In der Westkirche kommt diesem Bildmotiv keine vergleichbare Bedeutung zu. Hier gehört das Schwert, mit dem der Apostel der Überlieferung nach unter der Herrschaft des Herodes Agrippa (41–44) hingerichtet wurde, zu den älteren Attributen des Heiligen. Es lebt in der spezifischen Gestaltung des Jakobus-Kreuzes nach.
Im Hoch- und Spätmittelalter ändern sich in der Westkirche die Darstellungsformen grundlegend. Europaweit tritt das Bild des Apostels als Pilger in den Vordergrund. Als solcher trägt er die Pilgertracht, nämlich einen kurzen Mantel sowie den Pilgerhut, weiters eine umgehängte Tasche, die Flasche zum Trinken sowie den Pilgerstab. Sein wichtigstes Attribut ist nun die Muschel, die in verschiedenen Formen in die Bildgestaltung aufgenommen werden kann. In der Bauplastik begegnet sie schon seit dem frühen 12. Jahrhundert.
Die große Kammmuschel („Pecten maximus“), um die es sich bei der Ikonographie des heiligen Jakobus handelt, ist zu unterscheiden von der seit Linné irrtümlich als „Pecten jacobaeus“ bezeichneten mediterranen Schwesterart. Sie ist an der Küste Galiciens, aber auch anderwärts an der Atlantikküste weit verbreitet. Sie verweist über Santiago de Compostela hinaus auf ein Pilgerziel am Meer. Schon seit der Antike ist mit ihr die religiöse Symbolik des ewigen Lebens verbunden. Als Nachweis der heroischen Leistung der Pilgerschaft „bis ans Ende [<<17||18>>] der Welt“ wurde sie Jakobspilgern vielfach ins Grab mitgegeben.
Gerade bei Grabungskampagnen aus jüngster Vergangenheit kamen zahlreiche Jakobsmuscheln in Pilgergräbern zutage. Das gilt vor allem für Nordspanien und Südwestfrankreich, aber insgesamt für den Einzugsbereich der Wallfahrt nach Santiago in ihrer ganzen europäischen Dimension. Die ältesten Funde stammen aus dem 11. Jahrhundert. Zunächst handelt es sich um natürliche Muschelschalen, die zum Aufnähen auf die Pilgerkleidung oder für den Gebrauch als Anhänger perforiert wurden, dann um Nachbildungen in verschiedenen Materialien, deren Verwendung auch sonst bei Pilgerzeichen üblich war.
Warum nahmen Jakobspilger vom Zielort ihrer Wallfahrt bzw. von den nahe gelegenen Küsten Galiciens Muscheln mit? Warum wurden ihnen diese nach ihrem Tod so häufig ins Grab mitgegeben? Diese Fragen...