Möllhausen | Der Schatz von Quivira | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 542 Seiten

Möllhausen Der Schatz von Quivira


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3186-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 542 Seiten

ISBN: 978-3-8496-3186-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Schatz von Quivira gehört nicht zu den Abenteuerromanen im klassischen Sinn, auch wenn Möllhausens Faible hier immer wieder durchblitzt. Die eher traurige Geschichte wird dominiert von Frauen, zwischen denen sich der 'Held' entscheiden muss ...

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Siebentes Kapitel. Der Schulmeister.


Lachende Gefilde umringen den Karmeliterhof und seine wüsten Gärten in weiterem Umkreise. In der Ferne tauchen langgestreckte Dörfer auf, welche bis in die kleinsten Hütten hinein ein gewisser Charakter ländlicher Betriebsamkeit und Wohlhabenheit auszeichnet. In einem dieser Dörfer, halb versteckt zwischen Weinbergen und Obstgärten, braucht man nur den bescheidenen Kirchthurm zum Wegweiser zu wählen, um vor das mit gediegener Einfachheit errichtete Schulhaus zu gelangen. Freundlich umhüllt von Bäumen lugt es mit dem blumenreichen Vorgarten gleichsam schüchtern in die Welt oder vielmehr auf die einzige breite Dorfstraße hinaus.

Die sich westlich neigende Sonne beleuchtete röthlich das bemooste Schieferdach des Kirchthurms, die strohgedeckten Scheunen und Ställe, und endlich den gewaltigen Hollunderstrauch auf dem Giebel des Schulhauses, welcher sich laubenartig über einen mit dem Erdboden vereinigten Gartentisch und ähnlich hergestellte Bänke wölbte. Auf der einen Bank vor dem Tisch saß der Schulmeister, eine jener aus Mangel und Noth hervorgegangenen achtungswerthen Gestalten, welche, in der Ausübung ihres Berufes kaum über den Neuling hinaus, neben weihevollem Ernst sich durch einen gewissen jugendfreudigen Enthusiasmus auszeichnen, der sie wiederum anspornt, durch eifriges Lesen der Werke hochberühmter Forscher und Denker ihr Wissen auf eigene Hand und heimlich weit über die von strengen Regulativen gezogenen Grenzen hinaus auszudehnen. Von dem Pfarrer wie von den Eingepfarrten bei seinem Antritt herzlich willkommen geheißen, ruhte in seinen klugen hellbraunen Augen reine Ueberzeugungstreue und warmer Eifer, den von ihm gehegten Erwartungen nach jeder Richtung hin zu entsprechen. Noch unverheirathet, fehlte ihm außer dem ihn schützenden Dache, eine eigentliche Häuslichkeit. Er war deshalb darauf angewiesen, abwechselnd bei den vornehmeren Mitgliedern der Gemeinde zu Tische zu sitzen, ein Umstand, welcher des Peinlichen durch die Herzlichkeit entkleidet wurde, mit welcher man ihn überall willkommen hieß. Den Hut hatte er neben sich auf die Bank gelegt, daß der unter dem Holunder hinstreichende sanfte Luftzug mit seinem braunen Haar spielte. Innere Zufriedenheit thronte auf dem redlichen Antlitz, aufrichtiges Wohlwollen tönte aus seiner Stimme hervor, indem er, ein offenes Buch vor sich, einen belehrenden Vortrag hielt, nur zeitweise einen Blick auf die bedruckten Seiten senkte und dann wieder frei in die auf ihn gerichteten großen Augen des unsteten Irrwischs, der graziösen Gertrud, schaute.

Diese saß ihm gegenüber, und wer sie beobachtet hätte, wie ihre Blicke mit gespannter Aufmerksamkeit an den Lippen des jungen Schulmeisters hingen, der würde schwerlich geahnt haben, daß sie selbigen Tages vor der Marquise mit zügelloser Begeisterung die kühnsten und schwierigsten Stellungen ausführte, eine Stunde später vielleicht einen auf sie gerichteten bewundernden Blick mit beißendem Spott lohnte, einen andern, welcher ohne Huldigung über sie hinschweifte, durch diese oder jene trotzige Bemerkung auf sich lenkte.

Vor ihr auf dem Tisch lagen mehrere Hefte mit den Proben einer schönen, wenn auch noch wenig geläufigen Handschrift. Die Tinte war in der benutzten Feder längst getrocknet, so lange hatte Herr Jerichow über eine Stelle in den schriftlichen Arbeiten seiner Schülerin gesprochen.

»Bei Deinem scharfen Verstande wäre es vergebliche Mühe, die mir in meinem Lehrplan vorgeschriebenen Grenzen genau innezuhalten,« erklärte er, während glühender Eifer seinem beinahe mädchenhaft zarten Antlitz eine tiefere Farbe verlieh. »Derselbe ist ohnehin für jüngere Gemüther berechnet, denen es schwerlich zum Heil gereichte, wollte man den Kreis ihres, nur für ländliche Verhältnisse berechneten Wissens in einem Grade erweitern, daß sie, nachdem ihnen das fernere Vordringen abgeschnitten wurde, dadurch in endlose Zweifel gestürzt würden. Solche Zweifel aber könnten nur jene glückliche Ruhe erschüttern, welche einem kindlich einfältigen, ich möchte fast sagen: blinden Glauben entspringt. Mit Dir ist es ein Anderes. Bei Deinem scharf auffassenden Geiste, nebenbei geheimnißvollen, wenigstens für mich geheimnißvollen Einflüssen unterworfen, wäre es ein Frevel, Dich jetzt noch in jene Grenzen zurückzuweisen zu wollen. Es fehlt Dir zwar das Verständniß für manche Dinge, aber Deine Fragen beweisen, daß es nur des Eingehens auf dieselben bedarf, um Dich Schritt für Schritt weiterzuführen auf den Pfaden höherer Gesittung, wie sie im Allgemeinen – und ich erhebe deshalb keinen Vorwurf gegen eine ganze Menschenklasse – in Deinen Kreisen nicht gewöhnlich. Der Abdruck eines Farrenkrautblattes auf einem Schieferstein, von welchem Du weißt, daß er aus tiefem Erdschacht ans Tageslicht gefördert wurde, veranlaßt Dich zu der Frage, wie das Blatt dorthin gekommen, weshalb es, zwischen hartes Gestein gebettet, überhaupt nicht spurlos verschwand, sondern bis in die feinsten Gliederungen hinein seine Form bewahrte. Eine bequeme Antwort wäre, Dich an den Glauben zu mahnen, der Berge versetzt, anstatt Dingen nachzuforschen, welche dem menschlichen Geiste unergründlich. Einfältigen Gemüthern würde diese Anwort genügen, ein Mehr könnte sogar nachtheilig wirken, könnte ihren religiösen Glauben zu einem Schatten herabwürdigen, ihre Furcht vor einer Vergeltung durch göttliche Gerechtigkeit vernichten und damit dem allmäligen Versinken in Verderbniß die Thore öffnen. Dir hingegen darf ich frei offenbaren, sogar ohne Dich, so weit meine eigenen schwachen Kräfte reichen, mit den Grundsätzen dieser oder jener Wissenschaft vertraut gemacht zu haben: Tief unten im verborgensten Schoße der Erde ruhen Wälder, Wiesen und Sümpfe; hoch nach den Gebirgen hinaus verirrten sich Meeresgründe, die heute noch, zu festem Gestein erhärtet, die unzweideutigen Proben eines einstigen organischen Lebens in sich einschließen. Zwischen diesen beiden Grenzlinien aber schiebt sich Alles durcheinander, je nachdem die Erdrinde immer wieder erschüttert und umgestaltet wurde. Ich lese Erstaunen in Deinen Blicken, jedoch ein gläubiges, obwohl Ursachen und Wirkungen Dir wohl für Deine Lebenszeit fremd bleiben werden. Und wie wäre es auch möglich, Dich über Alles aufzuklären, was, in viele besondere Fächer sich abzweigend, ebenso vielen hocherleuchteten Köpfen und Korporationen von Köpfen eine besondere Lebensaufgabe bildet. Ein Segen ist es daher für Dich, wenn Du Jemand fandest, dessen Mittheilungen Du unbedingten Glauben beimißt, Jemand, der in Deinem Gemüth einen dankbaren Boden für seine Lehren findet, freudig die Gelegenheit willkommen heißt, gewissermaßen aus sich herauszugehen, auf kurze Zeit abzulegen die Schnürbrust strenger Verordnungen –« er verstummte, lächelte zweifelnd und sprach dann mit schwermüthigen Ausdruck: »Kannst Du mir folgen auf dem Wege, welchen ich unwillkürlich, sogar unüberlegt einschlug, und bist Du zufrieden mit dem, was Dir erklärlich?«

In Gertruds Augen leuchtete es heller auf. Zu ihrem einfachen, beinahe ärmlichen Aeußern contrastirten wunderbar die anmuthige Haltung und gespannte Aufmerksamkeit. Ihre ungeregelten, in stetem Kampfe unter sich befindlichen Anschauungen hatten auf den Grundlagen des von der Marquise mit peinlicher Sorgfalt ausgebildeten Schönheitssinnes unstreitig eine Veredelung erfahren; ob sie aber für das, was sie vernahm, ein volles Verständniß besaß, wer hätte es errathen? Sie selbst wäre am wenigsten fähig gewesen, Auskunft darüber zu ertheilen. Denn wie Jerichow aus ihrem durch glühenden Eifer noch verschönten Antlitz seine Begeisterung herleitete, durch den Ausdruck desselben bis zu einem gewissen Grade getäuscht, mit seinen Offenbarungen immer weitere Kreise um sie zog, so weite Kreise, daß sie schließlich ihren Blicken entschwanden; wie seine Begeisterung in demselben Maße wuchs, in welchem er sich in Schilderungen vertiefte, die in seiner Stellung ihm selbst als eine verbotene Frucht erschienen, die er nur vorsichtig berühren durfte, denen er sogar ängstlich auswich, um nicht gegen sein besseres Wissen zu lehren, nicht ein Heuchler zu werden: so schöpfte Gertrud ihre Andacht nicht aus den zum größten Theil unverstandenen Darstellungen selbst, sondern aus dem überzeugenden Tone seiner Stimme, aus den eine heilige Wahrheit austrahlenden Augen. Stunden und Stunden hätte sie seinen Worten lauschen können ohne zu ermüden, Stunden auf Stunden zu ihm aufschauen mit jener athemlosen Spannung, welche dem Unterweisenden der erste und schönste Lohn seines Strebens.

»Ich verstehe Alles,« antwortete sie freimüthig, Wirkung und Ursache der empfangenen Eindrücke verwechselnd, »das Farrenkrautblatt grünte einst, die Kohlen, die wir täglich brennen, rühren von Bäumen her, die vor vielen Jahren Blätter trugen.«

»Es grünten die Kräuter, es belaubten sich im Frühling die Bäume,« fuhr Jerichow leuchtenden Auges fort, »sie warfen Schatten rings umher in spärlich belebter Wildniß; sie entfärbten sich zur Herbstzeit, durch ihre kahlen Wipfel strich der winterliche Nordwind, wenn nicht andere Bedingungen, wie noch heute weit unten im Süden, den Winter ganz ausschlossen. Wie aber die Jahreszeiten wechseln, in nie gestörter Ordnung eine Geist und Herz erfrischende, unsern Augen wahrnehmbare Wandlung sich vollzieht, so wechselte im Laufe der Jahrhunderttausende im wüthenden Kampfe unversöhnlicher Elemente die Erdoberfläche, indem das bald durch Feuer, bald durch Wasser aufgelöste Material in neue Formen erstarrte, unberechenbare Kräfte Oceane verlegten, mit...



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