Mohr | Frau ohne Reue | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Mohr Frau ohne Reue


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-944621-55-5
Verlag: Reese Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

ISBN: 978-3-944621-55-5
Verlag: Reese Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Der schicksalhafte Weg einer Frau aus der Familiengebundenheit in ein Leben frei von allen Beziehungen. Mohrs Menschen leben alle mit einem Urdunklen hinter sich. Sie folgen auf ihren Wegen einem Drang aus dem Unbewußten. Es ist die Angst, das Gefühl des Abgeschnittenseins, das aus der Ebbe, dem Leersein der Welt kommt, was sie auf rastlose Wanderungen treibt. Sie fliehen vor den Falschheiten der Zeit und suchen ihr eigenes Leben, um darin glücklich zu sein. So bewegt, spannend, heutig, taghell und leicht die Vorgänge in diesem Roman sind, so merkwürdig, nächtlich und unfaßbar ist der Untergrund. 'Ähnlich wie der frühe Erich Kästner bewahrt Mohr in seiner Erzählweise die Atmosphäre, ja so etwas wie das Aroma der zwanziger Jahre auf. Die Figuren bewegen sich wie der Autor immer an der Grenze des Bürgerlichen.' (Martin Lüdke, Die Zeit)

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2


Paul Fenn, bevor er unterm gleichen Mond in die gleiche Villa marschierte, trank einen abendlichen Schnaps mit Alexander Golo. Sie trafen sich im »Ritz«. Das war aber kein echtes »Ritz«, sondern eine unterirdische Kneipe, die nur bei den zwei Freunden »Ritz« hieß. Alexander Golo entdeckte immer wieder neue Kneipen, die billiger waren als die alten. Auf diese Weise wechselten zwar alle paar Wochen die Lokale, aber die guten Namen aus dem früheren Leben blieben.

Es gab ein »Savoy«, wo man für eine halbe Mark einen Suppentopf mit Rindfleisch bekam. Es gab eine kleine Weinstube »Zur betrunkenen Frau«, weil Golo behauptete, er hätte einmal den schönsten Abend seines Lebens in einer Weinstube gleichen Namens erlebt. In welchem Land das gewesen war, wußte er nicht mehr, auch nicht wann und wieso und warum. Paul Fenn zweifelte daher diese Geschichte immer wieder an, doch es blieb bei dem Namen. Und es gab dieses »Ritz«, ein Keller mit sauberen Holztischen und einem preiswerten Korn. Hier traf man sich aber nur zum Start in bessere Räume. Oder, weil das Lokal meistens leer war, zu ernsten Besprechungen, wie heute abend eine stattfand.

»Warum hast du deinen hellen Anzug an?« schrie Golo schon von der Treppe aus, als er endlich erschien, verspätet wie immer. »Du hättest doch den dunklen anziehn sollen!«

Fenn saß schon eine halbe Stunde vor seinem Glas und war froh, daß die Einsamkeit vorüber war. »Ich hab’ den hellen angezogen, wenn du erlaubst«, brummte er.

»Und diese Krawatte, Mensch!« Golo griff über die Tischplatte hinüber und zog Fenns Schleife auf. Als Fenn zu spät abwehrte, lachte er sehr. »Wir nehmen sofort ein Taxi und fahren in meine Bude und suchen dir eine herrliche Krawatte aus.«

»Blödsinn!« sagte Fenn und versuchte, den Schlips wieder zu binden.

Es war wirklich ein blödsinniger Vorschlag. Daß Golo viele herrliche Krawatten besaß, Bestände aus dem früheren Leben, das stimmte. Aber das Taxi in die entlegene Bude hätte doppelt soviel gekostet als eine neue Krawatte. Und ob sie beide zusammen noch das Geld für dieses Taxi in der Tasche hatten, war zweifelhaft genug.

Golo prüfte sein Schnapsglas, ob ehrlich eingeschenkt war, und goß es hinunter. Dann wartete er, bis Fenns Krawatte wieder saß, und zog sie mit einem blitzschnellen Griff wieder auf. Als Fenn ärgerlich wurde, sprach er in ernstem Ton auf ihn ein.

»Hör mal, mein Lieber, das ist kein Witz mit dieser Krawatte. Was kümmert’s mich, ob du diese Stellung bekommst oder nicht? Mir ist’s wahrhaftig lieber, wenn du nicht nach China geschickt wirst! Dann bleiben wir zusammen und tippeln endlich als Handwerksburschen los, nachdem wir schon seit Monaten davon quatschen und keinen Finger dazu rühren. Aber wenn du wirklich heute abend etwas erreichen willst, muß erst mal alles gut sitzen.«

»Es sitzt alles«, sagte Fenn und versuchte, eine neue Schleife zu binden. »Ich bin ohne dich vierzig geworden, also hab keine Angst um mich und sorg für dich selber.«

Golo brach in Gelächter aus. »Vierzig!« Er knöpfte seinen Kragen ab, zog die Krawatte heraus und reichte sie dem Freund. »Meinetwegen! Ich laufe heute abend mit deiner vierzigjährigen Babykrawatte herum, und du ziehst diese fünfzigjährige Gentlemankrawatte an! Und wenn du dann bei Herrn Gade Glück hast, weißt du wenigstens, warum.«

Fenn ließ es geschehn, daß Golo ihm den Kragen abknöpfte und die neue Krawatte einzog. Der Freund hatte recht, es war ein wichtiger Abend für ihn.

Trotz der großen Erfolge am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn saß er seit der Rückkehr von seinen amerikanischen Gastvorlesungen auf der Straße. Er war in den letzten Jahren nichts anderes gewesen als ein Gelegenheitsarbeiter, treppauf und treppab, ein journalistischer Landstreicher. Jetzt bot man ihm endlich wieder eine feste Stellung an, das erste gute Angebot seit Harplands-College.

Golo gab sich selber einen Handkuß, bevor er ihm die neue Schleife band. »Jetzt ist nur noch die Gefahr, Herr Professor«, sagte er, während er sein Meisterwerk vollendete. Fenn besaß wirklich den Professortitel, jedoch Golo machte nur Gebrauch davon, wenn er ihn verulken wollte. »Herrn Gade wird der Schlag treffen, wenn er diese märchenhafte Krawatte sieht, dann kann er den Vertrag nicht mehr unterschreiben.«

Fenn hielt geduldig den Hals hin. Eine große Zeitung wollte ihn für mehrere Jahre als Berichterstatter nach dem fernen Osten schicken. Die Vorverhandlungen mit den verschiedenen Herren des Hauses hatten geklappt. Es fehlte nur noch die Zustimmung von Herrn Gade. Herr Gade war Bankier und hatte nichts mit dem fernen Osten zu tun. Aber es war in eingeweihten Kreisen bekannt, daß er der Geldmensch sowohl dieser Zeitung wie verschiedener anderer öffentlicher Institute war. Und bei wichtigen Verträgen in den von ihm finanzierten Unternehmungen sprach er selber das letzte Wort. Heute abend war’s zwar nur eine »Einladung auf ein Butterbrot«, hatte die Sekretärin telephoniert. Aber Fenn wußte, was dieses »Butterbrot« bedeutete. Nachdem alles andere klar war, sollte der neue junge Mann des fernen Ostens auch noch von dem Geldmann des Hauses berochen werden. Und wenn die Beriechung gut ausfiel, war morgen der Vertrag fertig.

Golo musterte Fenn, nachdem er noch einige Male an der Schleife gezupft hatte, und brach in Bewunderungsgeschrei aus. Danach band er sich selber Fenns Krawatte, beguckte sich in seinem Handspiegel und zog ein Gesicht, als habe er Petroleum getrunken. Er machte: »Brrr!« und schüttelte sich vor Ekel. Dann steckte er den Spiegel weg und wandte sich wieder dem Freund zu. »Wunderbar! Wenn du jetzt den Vertrag nicht kriegst, kann nichts in der Welt mehr dir helfen.«

»Ich kriege ihn«, sagte Fenn.

»Ist eine Frau da?«

»Hoffentlich nicht.«

»Hoffentlich ja! Mit dieser Krawatte, Mensch! Du mußt die Frau bezaubern.«

»Ich bin kein Bezauberer.«

»Nein, du bist ein Mönch, das ist der Jammer. Ich hätte sofort diesen Geldmenschen auf meiner Seite, wenn eine Frau da wäre. In zehn Minuten hätte ich den Vertrag.«

»Sicher«, sagte Fenn.

Golo seufzte, der stellungslose Meister der Pferde und Frauen. »Trotzdem ich keinen guten Satz Deutsch aufs Papier bringen kann!«

»Sicher nicht«, sagte Fenn, der stellungslose Meister der geschliffenen Sätze.

Sie zahlten und brachen auf. Golo begleitete Fenn noch ein Stück Weg. Er verabreichte ihm noch ein paar gute Ratschläge. Er versuchte ihm die schwere Seele etwas zu erleichtern. Aber Fenn wurde immer schweigsamer, je näher das Haus Gade heranrückte.

Schließlich bewies Golo, wie leicht Fenns Aufgabe war. Die Hauptsache war auch bei diesen Berichten aus dem fernen Osten die feste Weltanschauung des Verfassers. Alles andere kam dann von selber. Und diese feste Weltanschauung wollte er dem Freund noch in der letzten Minute beibringen, damit er bei dem Geldmann gut abschnitte.

Er nahm Fenn beim Arm und deutete mit der freien Hand auf die Passanten, die an ihnen vorüberzogen. Er bewies, wie großartig er selber aus dem fernen Osten berichten würde, wenn man ihm diese Chance gäbe, sowohl aus dem fernen Osten wie aus dem fernen Westen, Süden, Norden.

Er deutete auf eine dicke Frau im Pelz und sagte: »Wunderbar!« Und er deutete auf einen Herrn mit einer Mappe und sagte: »Scheußlich!« Eine kleine Schülerin mit blonden Zöpfen: »Wunderbar!« Ein Herr mit einer Zigarre: »Scheußlich!« Zwei Köchinnen im mittleren Alter: »Wunderbar!« Eine lange Dame mit gelbem Gesicht: »Wunderbar!« Eine ganz alte Frau in Trauerkleidung: »Wunderbar!« Ein hochgeschossener Jüngling mit einem Tennisschläger: »Scheußlich!« Ein Bettler mit Streichhölzern: »Scheußlich!« Ein massiver Direktor: »Scheußlich!« und die massive Gattin an seinem Arm: »Wunderbar!« Eine kleine schwarze Schönheit: »Wunderbar!« Ein Mann mit Bart und tiefen Sorgenfalten: »Scheußlich!« Eine abgekämpfte Verkäuferin: »Wunderbar!« Und als der Freund stumm blieb, brüllte er ihn an: »Stimmt’s, Herr Professor, ja oder nein?«

»Genau so werde ich meine Berichte schreiben«, sagte Fenn. »Das wird ein Riesenerfolg.« Er mußte den Autobus nehmen, es war höchste Zeit.

»Dieser Abend ist der Anfang zu einer Million«, sagte Golo an der Haltestelle. »Es handelt sich bei jeder Million nur um den Anfang. Denk daran, wenn du mit dem Kerl sprichst!«

Fenn nickte und bestieg den Autobus.

»Wir warten in der Betrunkenen Frau auf dich«, rief Golo vom Gehsteig aus. »Und wenn es zwei Uhr wird, wir warten!«

»Ich komme«, rief Fenn zurück. »Mit der Million.«

»Wenn Sie ohne die Unterschrift von Herrn Gade kommen, Herr Professor«, rief Golo, so daß alle Fahrgäste es hören mußten, »dann sind Sie für ewig verloren und verdammt!«

Fenn winkte zurück, bis die Gestalt des Freundes im Zwielicht der ersten Lichtreklame und des letzten Himmelscheines versunken war. Herrlich stand Golo da und winkte mit dem Seidentuch aus seiner Jackentasche, herrlich verloren und verdammt …

Das Dienstmädchen führte ihn in die Garderobe und wartete unter der Tür, bis er sich nachgekämmt und den Schlips nachgezogen hatte. Er bereute nun doch, daß er nicht den dunklen Anzug genommen hatte. Ein paar geheimnisvolle Damenmäntel hingen in der Garderobe. Offenbar war’s doch nicht nur ein »Butterbrot«?

Aber dieser alte Homespun saß besser als der alte Dunkelblaue und sah auch mehr nach dem fernen Osten aus. War das Dienstmädchen betroffen über den hellen Abendgast, oder begriff es die...



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