Moore | Pariser Geschichten | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 108 Seiten

Moore Pariser Geschichten


1. Auflage 2016
ISBN: 978-80-268-6806-4
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 108 Seiten

ISBN: 978-80-268-6806-4
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dieses eBook: 'Pariser Geschichten' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. George Moore (1852-1933) war ein irischer Schriftsteller und Kunstkritiker. Wegen seines Einsatzes für die irische Sprache gilt Moore als ein Mitbegründer der modernen irischen Literatur. In vielen seiner Werke thematisierte Moore Schicksale von Frauen, wie z.B. in seinem Roman A mummer's wife, in dem er äußerst realistisch den sozialen Abstieg einer Frau, bedingt durch die Selbstzerstörung mittels Alkohol, schildert. Ein weiteres Thema für Moore war der Burenkrieg der Briten, gegen den er sich immer wieder aussprach. Inhalt: Der Blumengarten der Normandie Eine Kellnerin Marie Pellegrins Ende La Butte Verflossene Liebschaften Ninons Tafelrunde Im Luxembourg-Garten Bringen Sie die Lampe!

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Marie Pellegrins Ende


Octave Barrès sah seine Freunde gern bei sich im Atelier. Ein paar von uns, die an sein Talent glaubten, stellten sich im Laufe des Nachmittags regelmäßig bei ihm ein. So lernte ich allmählich jedes Bild, jede Skizze von ihm kennen; aber man kennt nie alles, was ein Maler macht. Als ich eines Tags ins Atelier kam, erblickte ich ein Porträt in Lebensgröße, das ich nie zuvor auf der Staffelei gesehn.

»Es stand im Hinterzimmer, an die Wand gelehnt«, sagte er. »Ich hab's herausgeholt, weil ich dachte, der russische Fürst, der den Pegasus bei mir bestellt hat, kauft's vielleicht.« Und er wandte sich ab, weil er meine Lobeserhebungen nicht mit anhören wollte; denn ein Maler hat es nicht gern, wenn man seine Erstlingswerke lobt oder schmäht.

»Ich hab es gemalt, eh ich malen konnte.« Er stand vor mir, mit der Palette in der Hand, und setzte mir seine neue Technik auseinander: bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts habe man alle Bilder zuerst einfarbig ausgeführt und dann lasiert; was wir unter "Malerei" verstünden, das sei von Greuze erfunden worden. Eines Tags habe er im Louvre etwas bei Delacroix entdeckt, etwas, das ihm nicht ganz einwandfrei erschienen. Dies Etwas habe ihn zum Nachdenken angeregt. Rubens habe ihm jedoch das Geheimnis offenbart. Rubens habe ihn malen gelehrt. Es sei gewiß gefährlich, umzukehren, seine Erziehung von vorn anzufangen; aber was habe man für eine Wahl – in den Schulen werde einem das Malen ja doch nicht beigebracht.

Ich hatte alles, was er mir zu sagen wußte, schon vorher gehört und konnte meine Überzeugung nicht aufgeben, daß der Mensch in den Ideen seiner Zeit leben muß, ob sie nun gut oder schlecht sind. Es ist leicht gesagt: wir müssen uns einfach die Technik eines Rubens zu eigen machen und sie ängstlich vor jedem Übergriff unsrer Persönlichkeit bewahren; nein, in der Kunst wird unsre Persönlichkeit durch die von uns angewandte Technik bestimmt.

Octaves Porträt interessierte mich mehr als der Pegasus und die drei fleischfarbenen Liebesgöttinnen, die eine Blumenschale über dem Kopf halten. Das Porträt war roh und gewaltsam, aber das war auch der Mann, der es gemalt hatte, gemalt hatte, als er noch Manets Schüler war, und die Technik Manets entsprach dem Temperament meines Freundes. Wir alle sind heutzutag Impressionisten; wir sind darauf aus, was wir empfinden und sehn aufzuzeichnen. Die sorgsam vorbereitete rhetorische Art eines Rubens stimmte so wenig zu Octaves Temperament, wie die Art John Miltons zu meinem. Ein Hauch von Goyas Art fand sich im Hintergrund, in der Kontrastierung von grau und schwarz, und eine Spur von Manets schlichter Auffassung im Gesicht, doch diese Anklänge waren nur schwach und nicht von Belang, denn sie gehörten unsrer Zeit an. Bei der Betrachtung seines Modells hatte er etwas gesehn, etwas empfunden. Er hatte dies hart, roh festgehalten, aber doch festgehalten; und darauf kommt es schließlich an. Sein Modell hatte ihn inspiriert. Das Wort "inspiriert" beleidigte ihn. Ich nahm es daher zurück; sagte, er hätte Glück gehabt mit seinem Modell, und er gab so viel zu: das magere Mädchen mit dem olivenfarbenen Teint, mit den Feinen, zarten Zügen und dem blauschwarzen Haar, das dicht anlag wie Federn – sie trug ihr Haar wie die Amsel ihren Flügel – das hätte einen zum Malen getrieben. Nachdem ich mich an dem Gesicht erbaut, bewunderte ich das schwarzseidene Kleid, worin er sie gemalt hatte – ein schwarzseidenes Kleid mit schwarzem Spitzenüberwurf. Sie trug graue Perlenohrringe und eine Perlenhalskette.

Mich interessierte die Malerei, die so ganz anders war als Octaves jetzige Art, aber mehr noch das Weib selbst. Das Bild enthüllte mir etwas in der menschlichen Natur, das ich nie zuvor gesehn, woran ich nie zuvor gedacht hatte. Das Seelische auf dem Bild war so stark, daß ich die Malerei vergaß und an das Weib zu denken begann. Sie glich so gar nicht den andern, die ich bei Octave Barrès im Atelier getroffen hatte – in einem Atelier, das die Weiber mit Vorliebe besuchten. Anscheinend verkehrten dort alle möglichen Arten Weiber, in Wirklichkeit aber waren alle derselben Art. Gegen vier Uhr nachmittags kamen sie an und blieben, bis man sie wegschickte. Er ließ sie Klavier spielen und singen; ließ sie, wie er sich auszudrücken Pflegte, in der Wohnung grouiller, und sie erzählten von den Malern, denen sie gesessen, von ihren Kleidern und zeigten uns ihre Schuhe und Strumpfbänder. Er nahm kaum von ihnen Notiz, ging hin und her in Gedanken an seine Malerei, an seine archaische Malerei. Ich fragte mich oft, ob sein Äußeres irgendwie damit zu tun habe, daß er die moderne Technik aufgegeben, und gewiß, sein Äußeres war mit im Spiele: er sah nicht wie ein moderner Mensch aus, sondern wie ein Lehnsherr des sechzehnten Jahrhunderts; der Bart, die gebrochene Nase, das hierarchische Wesen halfen die Ähnlichkeit vervollständigen, und die Wolljacke, die er anhatte, erinnerte an einen Küraß, einen Panzer. Selbst in der Wahl seiner Wohnung schien er instinktiv dem Modernen aus dem Wege zu gehn: er hatte ein Atelier in einer Straße gefunden, deren Namen noch nie jemand gehört hatte, in die man nur schwer gelangte. Und das Atelier war ebenfalls hinter großen, bröckligen Mauern versteckt, mitten auf einem Grundstück, wo Kohl gezogen wurde. Octave war stets – seinen eignen Worten zufolge – dans une dèche épouvantable; gleichwohl brachte er es fertig, sich im Stall hinter dem Garten ein Vollblut zu halten, und er ließ das Pferd kommen, sobald die Dämmerung hereinbrach. Dann sagte er: »Mes amis et mes amies, je regrette, mais mon cheval m'attend«. Und die Weiber sahen ihn mit Vergnügen aufsteigen, und manch eine dachte sicher, wenn er davonritt: er sieht wie ein Kentaur aus.

Doch wer war das verfeinerte Mädchen? dies – ein Bild sagt Dinge, die sich nicht in Worte übertragen lassen – dies Mädchen mit der olivenfarbenen Haut, das einem Raffael als Madonna gesessen haben könnte, das so ganz anders war als Octaves übliche Weiber? Sie gehörten zur Montmartre-Sippe, aber dieses Wesen war vielleicht eine spanische Prinzeß. Da fiel mir ein: Octave hatte gesagt, er habe das Bild hervorgeholt in der Hoffnung, der Russe, der den Pegasus bei ihm bestellt, werde es kaufen, und der Gedanke durchfuhr mich: sie ist vielleicht die Geliebte des Fürsten. Seine Geliebte! Ah, ein märchenhaftes Glück! Was mochte sie erlebt haben? Ich brannte vor Begier, es zu erfahren, und langweilte mich bei Octaves anscheinend endlosem Geschwätz über seine Technik. Alles, was er sagte, hatte ich schon oft vernommen, aber ich hörte alles wieder mit an und sprach, um ihn günstig zu stimmen, mein Bedauern aus, daß das Bild nicht in seiner jetzigen Manier gemalt sei. »Es hat sein Gutes, das Bild«, sagte ich, »und das Modell – Sie haben offenbar Glück gehabt mit Ihrem Modell.«

»Ja, sie war ein gutes Modell, aber es war schwer, sie zum Sitzen zu bekommen. Eine Conciergetochter – das hätten Sie nicht gedacht, was?«

Mein Erstaunen belustigte ihn, und er brach in Lachen aus.

»Sie kennen sie nicht?« sagte er. »Es ist Marie Pellegrin.«

Und als ich ihn fragte, wo er sie getroffen, entgegnete er: bei Alphonsine; aber ich wußte nicht, wo Alphonsine wohnte.

»Ich esse dort heut abend. Ich treffe sie da. Sie geht wieder mit dem Fürsten nach Rußland. Sie hat während ihrer Ferien im Quartier Bréda gewohnt. Sacré nom! Schon halb sechs, und ich habe meine Pinsel noch nicht ausgewaschen.«

Auf meine Frage, was er mit den Ferien im Quartier Bréda meine, antwortete er:

»Das will ich Ihnen alles im Wagen erzählen.«

Aber kaum waren wir im Wagen, da fiel ihm ein, daß er einer Frau, die ihm zu sitzen versprochen, Bescheid hinterlassen müsse; er beteuerte, es werde uns nur ein paar Minuten aufhalten, und gab dem Kutscher die Adresse. Man führte uns in einen Salon – die Dame lief aus ihrem Schlafzimmer, wobei sie sich in ihren Peignoir hüllte, und die Sitzung wurde mitten auf dem gebohnten Parkettboden besprochen. Endlich kehrten wir zum Wagen zurück, aber wir saßen noch nicht recht, als ihm eine andre Verabredung einfiel. Er kritzelte Zettel in den Pförtnerlogen und erzählte mir zwischendurch alles, was er von der Geschichte Marie Pellegrins wußte. Dies zarte Geschöpf, das, wie mir eine Ahnung gesagt hatte, nicht zur Montmartre-Sippe gehören konnte, war die Tochter eines Concierge der äußeren Boulevards. Mit fünfzehn Jahren war sie davongelaufen und im Elysée Montmartre als Tänzerin aufgetreten.

Sa jupe avait des trous,
Elle aimait des voyous,
Ils ont des yeux si doux.

Aber ein russischer Fürst hatte sie eines Tages zu Gesicht bekommen und ihr einen Palast in den Champs-Elysées gebaut; doch sie hatte den russischen Fürsten samt seinem Palast satt.

Durch das Halten des Wagens wurde Octave in seiner Erzählung unterbrochen. »Da sind wir«, sagte er und griff nach der Klingel, die an einem rasselnden Draht hing. Die grüngestrichene Tür in der bröckligen Wand wurde geöffnet, und ich erblickte eine untersetzte Frauensperson – Alphonsine. Und ihr Bild, eine von Octave gezeichnete Karikatur in Lebensgröße, sah mir von der getünchten Wand des Hühnerstalls entgegen. Er hatte sie mit zwei Katzen gezeichnet, die ihr um die Beine schnurrten, und darunter geschrieben: Ils viennent aprés le mou. Ihr Garten war ein mit Kies aufgeschütteter Raum; ich glaube, es stand ein Baum darin. Von Mauer zu Mauer war ein Zelt gespannt; und ein schäbiger Kellner deckte die Tische (zwei an der Zahl), stellte vor jedes Besteck eine Flasche Wein und legte lange Brotstangen in...



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