Morrison | Wie Frank Derrick mit 81 Jahren das Glück kennenlernte | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 286 Seiten

Morrison Wie Frank Derrick mit 81 Jahren das Glück kennenlernte

Roman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7325-0600-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 286 Seiten

ISBN: 978-3-7325-0600-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Mit über achtzig Jahren ist es manchmal schwer, jeden Tag die Stunden totzuschlagen. Wie soll das erst werden, wenn man mit gebrochenem Arm und Fuß ans Haus gefesselt ist? Frank Derrick hat die schlimmsten Befürchtungen.

Doch was zuerst wie eine mittelschwere Katastrophe aussieht, entpuppt sich als wahrer Glücksfall: Denn seine Pflegekraft Kelly wirbelt Franks Leben ordentlich durcheinander. Und schon bald wird ihm klar, dass es die kleinen Abenteuer des Alltags sind, die das Leben zu einem großen Wunder machen - egal, wie alt man ist.

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1

An seinem einundachtzigsten Geburtstag wurde Frank Derrick von einem Milchwagen überfahren. Ein Büchergutschein oder Manschettenknöpfe wären ihm lieber gewesen, aber man muss nehmen, was kommt.

Der Milchwagen hatte eine Geschwindigkeit von etwa acht Kilometern pro Stunde, als der Milchmann irgendwie die Kontrolle über seinen Wagen verlor. Er strandete auf dem schmalen Bürgersteig und landete mit den Rädern auf der niedrigen Steinmauer eines Vorgartens. Milchkästen, leere Flaschen, Kartons mit Schlagsahne und ein paar Dutzend Eier rutschten von der Ladefläche auf den Bürgersteig.

Abgesehen davon, dass der Milchmann den Garten des großen Favoriten beim bevorstehenden Wettbewerb »Blühende Dörfer« verwüstet hatte, hatte er auch Frank keinen Gefallen getan. Er lag unter dem Milchwagen. Der einzige für die Außenwelt sichtbare Teil seines Körpers war sein rechter Arm, der unter dem Laster hervorragte. In der Hand hielt Frank immer noch den halben Liter Milch, den er gerade bei Fullwind Food & Wine gekauft hatte. Nicht wirklich das, was dem Schauplatz fehlte – noch mehr Milch. Der hochkant stehende Milchwagen, unter dem der Arm eines Rentners hervorragte, und der beständige Strom an Molkereiprodukten, die den Rinnstein hinunterflossen, wären die perfekte Szenerie für eine alberne Fernsehshow, bei der man nur noch auf die Pointe wartete.

Frank lag drei Tage im Krankenhaus. Er hatte eine Gehirnerschütterung; außerdem waren ein Arm und ein Mittelfußknochen des linken Fußes gebrochen.

»Wie bei einem Fußballspieler«, bemerkte der Arzt. »Spielen Sie Fußball?«

»Jetzt nicht mehr. Nicht mit einem gebrochenen Mittelfußknochen.«

»Wie auch immer. Jedenfalls sollten ein paar recht einfache Maßnahmen für Linderung sorgen. Halten Sie sich einfach an die gute alte PECH-Regel.«

»Brech-Regel?«

»Nein, PECH.«

»Ja, ich hatte wirklich Pech.«

»Nein, nein, es handelt sich um ein Akronym. PECH steht für Pausieren, Eis, Compression und Hochlegen.«

»Ein Akronym?«

»Ja, genau.«

»Wie bei einem Schlaganfall?«

»Ja, ganz genau«, sagte der Arzt. »Ich gebe Ihnen eine Broschüre mit.«

Frank hatte auch einen gebrochenen Zeh. Er würde also wohl eine Weile zu Hause bleiben müssen. Zudem hatte er ein paar Schnitt- und Schürfwunden sowie Prellungen, und sein Gesicht hatte etwas von zerquetschtem Obst. Er sah aus wie auf einem dieser schrecklichen Zeitungsfotos von überfallenen Rentnern.

»Ein oder zwei dieser Schnitte in Ihrem Gesicht könnten Narben hinterlassen«, meinte der Arzt.

»In meinem Alter hinterlässt jeder Schnitt eine Narbe.«

Franks rechter Arm war vom Handgelenk an bis über den Ellbogen eingegipst. In einem 90-Grad-Winkel. Wie in einem Comic. Sein Arm würde also mindestens sechs Wochen lang rechtwinklig abstehen. Frank sah aus, als wolle er ständig jedem die Hand schütteln. Würde man seinen Arm an der Schulter absägen und wegschleudern – er käme umgehend zurück.

Bevor Frank das Krankenhaus verlassen durfte, musste er sich dem Mini-Mental-Status-Test unterziehen, um seinen geistigen Zustand zu überprüfen. Ein erschöpft aussehender junger Arzt in gestreiftem Hemd mit weißem Kragen und Schweißflecken unter der linken Achsel zog einen Plastikstuhl an Franks Krankenbett und schlug einen DIN-A4-Block auf.

»Okay, Frank«, begann er. »Das ist ein Standardtest. Einige Fragen erscheinen Ihnen sicherlich etwas zu leicht, andere hingegen vielleicht nicht. Sind Sie bereit?«

Der Arzt fragte Frank nach dem aktuellen Jahr, der Jahreszeit, dem Monat und dem Datum. Frank beantwortete alle Fragen richtig, obwohl der Arzt das nicht bestätigte. Er machte sich nur Notizen und fuhr mit den nächsten Fragen fort.

»In welchem Land leben wir?«

»In England.«

»In welcher Stadt?«

»Eigentlich ist es eine Kleinstadt.«

»Sie scheinen verärgert zu sein, Mr. Derrick.«

»Ich wurde von einem Milchwagen überfahren. Wie war Ihr Tag denn so?«

»Ja, verstehe«, sagte der Arzt.

»Ich möchte einfach nur nach Hause, bevor ich mir MMST einfange.«

»Das ist die Abkürzung für Mini-Mental-Status-Test, Mr. Derrick. Das ist das, was wir gerade machen. Ich glaube, Sie meinen MRSA.«

»Was bedeutet das?«

»Tief Luft holen«, sagte der Arzt und atmete tief ein. »Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus.« Er lächelte so selbstzufrieden, als hätte er gerade erfolgreich den ellenlangen Namen dieses berühmten walisischen Bahnhofs ausgesprochen. »Sollen wir fortfahren?«

Der Arzt fragte, ob Frank wisse, wo er war, wie das Krankenhaus hieß und auf welcher Station er lag. Frank musste nur bei der Station passen. Den Pokal für das Superhirn hatte er so gut wie in der Tasche. Er würde sich gut auf dem Kaminsims neben den drei Porzellan-Pinguinen machen, die er nie richtig gemocht hatte. Er war sich sicher, dass der mittlere Pinguin irgendetwas ausheckte.

»So, Frank. Ich nenne jetzt drei Gegenstände, und ich möchte, dass Sie sie wiederholen und versuchen sich zu merken, okay?«

Als Frank nickte, schmerzte sein Kopf.

»Apfel, Kugelschreiber, Tisch«, sagte der Arzt.

»Apfel, Kugelschreiber, Tisch.«

Der Arzt bat Frank, das Wort WELT rückwärts zu buchstabieren, und Frank machte irgendeine Bemerkung darüber, wie rückwärtsgerichtet diese Welt in der Tat war. Der Arzt bat ihn, sieben von hundert abzuziehen und von dem Ergebnis ebenfalls sieben und immer weiter, bis er ihm sagte, dass er aufhören könne. Frank kam bis einundfünfzig und war ein bisschen enttäuscht, als der Arzt sagte, dass es reichte. Frank war nie gut in Mathe gewesen und hatte das Gefühl, dass der Schlag auf den Kopf ihm vielleicht gutgetan haben könnte.

»Wissen Sie, wie unser Premierminister heißt?«

Frank nannte dem Arzt den Namen des Premierministers und fügte hinzu, dass er seiner Meinung nach ein Idiot sei und er ihn nicht gewählt habe. Der Arzt sagte, das sei nicht wichtig.

»Oh doch, das ist sehr wichtig.«

»Sehr gut«, sagte der Arzt, obwohl er es ganz und gar nicht so meinte, und ließ ein paar Fragen aus, um schneller fertig zu werden. Er wollte ja auch, dass Frank nach Hause fahren konnte. Der Arzt wollte ebenfalls nach Hause. Alle im Krankenhaus wollten nach Hause. Wer wollte schon im Krankenhaus sein?

»Können Sie sich noch an die drei Dinge erinnern, die Sie vorhin aufgezählt haben?«, fragte der Arzt.

»Sie meinen den Apfel, den Kugelschreiber und den Tisch?«

Der Arzt zeigte auf seine Armbanduhr und fragte Frank, was das sei.

»Sieht aus wie eine billige Armbanduhr.«

Der Arzt hätte Frank gerne eine verpasst. Wenn das in seinem Job nicht so verpönt gewesen wäre, hätte er es vielleicht getan.

Er stellte ihm noch ein paar Fragen und führte ein paar weitere Tests durch. Unter anderem sollte Frank ein Blatt Papier falten, es wieder auseinanderfalten und dann einen Satz darauf schreiben. Frank schrieb: »Kann ich jetzt bitte gehen?«

Später an diesem Tag wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Als der Mitarbeiter des Transportdienstes ihn im Rollstuhl zu den Fahrstühlen schob, trug ihm die Krankenschwester extra den Gehstock hinterher, den Frank mit voller Absicht im Zimmer hatte liegen lassen. Die Krankenschwester gab ihm auch eine Tragetasche, in dem sich sein Tetrapak Milch befand. Die Milch hatte inzwischen drei Tage außerhalb des Kühlschranks verbracht und war warm. Sie hatte sich mit Sicherheit schon in Hüttenkäse oder Sauerrahm verwandelt. Frank bedankte sich bei der Krankenschwester und nahm sich vor, Milch und Tragetasche später im Krankenwagen zu vergessen.

Nach dem Unfall bot Franks Tochter an, alles stehen und liegen zu lassen und sofort aus den Staaten nach England zu fliegen, um sich um ihn zu kümmern. Frank sagte, das sei nicht nötig, sie habe wichtigere Dinge zu tun, sie habe ihr eigenes Leben und ihre eigene Familie, um die sie sich kümmern müsse, er komme schon zurecht, er habe nicht einmal große Schmerzen, es sei zu weit, sie solle nicht albern sein, das sei viel zu teuer – all diesen Quatsch. Was er wirklich wollte, war, dass sie auflegte und ein Taxi zum Flughafen nahm.

»Dann lass mich wenigstens nach jemandem suchen, der sich um dich kümmert«, sagte sie.

»Ich kann mich selbst um mich kümmern.«

»Lass mich ein bisschen im Internet recherchieren. Ein paar Telefonate führen. Rausfinden, welche Möglichkeiten es so gibt.«

»Wirklich, das ist nicht nötig. Das kostet alles ein Vermögen. Mir geht es gut. Ich hatte schon Kater, die schlimmer waren als das hier.«

»Dad.«

»Habt ihr in Amerika keine True-Crime-Shows? Die werden mich an einen Stuhl fesseln und mir meine Rente stehlen.«

»Dad.«

»Sie werden sich als Klempner ausgeben und meinen Trinkwassertank als Toilette benutzen.«

»Ich kann mich doch wenigstens mal erkundigen. Für meinen Seelenfrieden, Dad. Ich will mir keine Sorgen machen müssen, ob du genug zu essen hast oder mit dem Toaster das Haus in Brand gesetzt hast.«

»Weißt du, wie viel Arbeit es war, die ganzen Leute abzuwimmeln, die unbedingt in mein Haus wollten? Es würde sich herumsprechen. Wenn ich zulasse, dass so ein Robin Williams im Kleid meine Wohnung betritt, mich an einen Stuhl fesselt und meine Wertsachen stiehlt, dann werden im Nullkommanichts windige Versicherungsvertreter und Kredithaie bei mir Schlange...



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