E-Book, Deutsch, 303 Seiten
Müller Der Geisterjunge
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8190-5882-0
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 303 Seiten
ISBN: 978-3-8190-5882-0
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Die 1974 in Berlin geborene Dana Müller ist von allem Okkulten und Übersinnlichen so fasziniert, dass sie sich zwischen Horror und Fantasy pudelwohl fühlt. Ihre Ideen begegnen ihr oft im Traum. Im Wald findet sie die notwendige Ruhe, um den Geist freizubekommen und der Inspiration freien Lauf zu lassen. Ebenso begeistert ist sie seit früher Jugend vom Geschichtenerzählen. Um die Grundlagen des schriftstellerischen Handwerks zu erlernen, absolviert sie 2013 erfolgreich das Fernstudium »Kreatives Schreiben«. Seitdem ist sie nicht zu bremsen. Sie erfindet unaufhörlich neue Geschichten und Charaktere. 2017 erblickt die Buchreihe »Legenden« das Licht der Welt, die bis heute regelmäßig erweitert wird.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 2
Lebendige Träume
Tiefe Dunkelheit umgab mich, wie ein schwerer Mantel. Ich stand an einem Fenster, dessen Scheibe zerschlagen auf dem morschen Holz um meine Füße verteilt war. Fahles Mondlicht lag über dem Hof und ließ das Rot der gegenüberliegenden Scheune leuchten. Eine kleine Tür im Dachbereich sprang auf und ein Kind stand in schwindelerregender Höhe in dieser Tür. Sein Kopf war zur Seite geneigt. Aus der Entfernung, es lagen bestimmt zweihundert Meter zwischen mir und der Scheune, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Aber, was ich ganz deutlich ausmachen konnte, war der weiße Pyjama mit roten Punkten. Was um alles in der Welt machte ein Kind im Schlafanzug in dem Scheunentürchen? Meine Nackenhärchen stellten sich auf, ein Huschen hinter mir ließ mich herumfahren, doch ich konnte niemanden erkennen. Dann blickte ich wieder zu der Scheune, aber das Kind war verschwunden. Ein furchtbarer Gedanke drängte sich mir auf. Ich versuchte, auf dem Boden vor der Scheune etwas zu erkennen.
»Sophie«, rief eine Kinderstimme meinen Namen.
Wieder fuhr ich herum, doch ehe ich den Raum auch nur erfassen konnte, verschwamm alles und ich fühlte mich beobachtet.
Meine Lider sprangen auf und ich blickte in die seichte Dunkelheit meines Schlafzimmers. Neben meinem Bett stand Julian und traute sich offenbar nicht, mich zu wecken. Er sah mich nur an.
»Geh wieder ins Bett, Hase«, murmelte ich, aber der Junge gab keinen Laut von sich.
»Was ist denn? Hast du schlecht geträumt?«
Wieder blieb er stumm und stand einfach nur da. Ich blinzelte den Schlaf aus meinen Augen und versuchte zu erkennen, ob er überhaupt wach war. Am Ende würde er wieder schlafwandeln, genauso, wie er es letzten Monat getan hatte. Etwas passte nicht in das Bild, denn ich war mir sicher, dass Julian seinen dunkelblauen Pyjama angehabt hatte, den mit dem kleinen Dino auf der Brust. Dieses Kind trug einen weißen Schlafanzug mit roten Punkten, wie das Kind in meinem Traum. Die Erkenntnis erstickte mich fast, mein Herz begann, wie wild zu rasen, während ein Schauer meinen ganzen Körper erfasste. Hastig tastete ich nach der kleinen Taschenlampe auf meinem Nachttischchen und schaltete diese ein. Im hellen Lichtkegel standen weder Julian noch das Kind aus meinem Traum neben dem Bett. Es stand dort niemand. Ich war verwirrt und legte die Taschenlampe wieder zurück. Mein Herz beruhigte sich langsam wieder und schlug im gewohnten Rhythmus, aber der kalte Schauer hatte sich unter meiner Haut festgesetzt und blieb. Ich zog die Decke weiter hinauf, sodass bis zur Nase alles bedeckt war, und schlug sie unter den Füßen ein. Dann drehte ich mich zu Marcel und kuschelte mich dicht an seinen Rücken. Es dauerte eine gefühlte Stunde, ehe mich der Schlaf erneut in seinen Mantel hüllte.
Zu meinem Glück war meine gestörte Nachtruhe auf einen Samstag gefallen und Marcel hatte mich ausschlafen lassen. Gegen elf Uhr schälte ich mich gerädert aus dem Bett und stieg unter die Dusche. Unter dem Wasser, das wie warmer Regen auf meine Haut traf, überrollten mich die Bilder der vergangenen Nacht. Hatte ich so intensiv geträumt, dass mir mein Gehirn einen Streich gespielt hatte? War es überhaupt möglich, eine Figur aus den Träumen in die Aufwachphase mitzunehmen? Ich wusste es nicht, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ständig überkam mich das Bild des kleinen Kindes in der Scheunentür.
Auf dem Küchentisch lag ein Zettel, auf dem Marcel in krakeliger Schrift notiert hatte, dass er mit Julian zum Drachensteigen in den Park gefahren sei. Also war ich alleine. Alleine mit meinen Gedanken und alleine mit dem Gefühl, nicht alleine zu sein. Hinter jeder Nische vermutete ich etwas oder jemanden, der jeden Moment aus seinem Versteck hervorspringen würde, um mich zu verletzen. Was war nur los mit mir? Der Kaffee in der Thermoskanne war noch warm genug, um genießbar zu sein. Also nahm ich eine Tasse aus dem Küchenschrank und schenkte mir ein. Nach dem Süßstoff musste ich suchen und fand ihn schließlich im hintersten Bereich des Vorratsschranks. Marcel musste ihn versteckt haben, um mich zum, wie er meinte, gesünderen Zucker zu bewegen. Er meinte es gut, aber langsam hasste ich seine Bevormundungen. Manchmal spielte er sich als Gesundheitsguru auf und war selbst nicht besser, mit den Unmengen an Gummibärchen, die er regelmäßig verschlang. Etwas Milch rundete meinen Kaffee ab. Ich nippte an der Tasse. Der warme Schluck glitt angenehm meine Kehle hinunter. Ich stellte mich ans Fenster, um das herabfallende Laub zu beobachten. Für Ende September war der Herbst bereits weit fortgeschritten und hatte die Bäume in Farbe getaucht. Sie leuchteten in Gelb-und Rottönen um die Wette. Die Jahreszeit, mit der ich mich gerne identifizierte, denn sie verdeutlichte die Vergänglichkeit des Glücks.
Der Schlüssel wurde ins Schloss geschoben. Ein Poltern kündigte Julian an. Ich liebte diesen kleinen Jungen, wie mein eigenes Kind, dennoch würde ich ihm nie die Mutter ersetzen wollen. Auch, wenn Marcel das vielleicht von mir erwartete. Ich wollte, dass er seine Wurzeln genau kannte und diese nicht mit Wunschdenken übertüncht werden.
»Sophie, mein Drachen ist ganz weit hochgeflogen und dann ist er im Baum gelandet. Papa ist raufgeklettert und hat ihn wieder runter geholt«, erzählte er aufgeregt, während Marcel in der Tür stand und uns beobachtete.
Seine Lippen umspielte ein zartes Lächeln, als sich unsere Blicke trafen.
»Noch böse?«, fragte er leise und näherte sich mir.
Unseren kleinen Streit von gestern Abend hatte ich fast vergessen, die Erlebnisse der Nacht hatten ihn verdrängt. So wehrte ich mich nicht, als er seine Arme um meine Hüfte schlang und mich küsste.
»Ihhh, warum knutscht ihr immer?«, meldete sich Julian mit einem Kichern zu Wort.
Marcel wandte sich ihm zu und antwortete: »Weil Erwachsene das machen, wenn sie sich sehr lieb haben.«
»Aber Oma hast du doch auch sehr lieb und mit ihr hast du noch nie geknutscht«, bemerkte der Junge.
Ich konnte ein albernes Kichern nicht unterdrücken.
Am Abend setzte sich Marcel an den Laptop, um ein wenig abzuschalten. Mir fiel ein, dass die rote Disc immer noch im Laufwerk steckte und hoffte, sie würde ihm nicht auffallen. Ich wollte keine Fragen beantworten müssen. Als er dann für einige Augenblicke im Bad verschwand, entnahm ich die CD und versteckte sie hinter den Büchern im Regal. Ich hatte nicht bemerkt, dass er bereits in der Tür stand und mich beobachtete.
»Was machst du da?«, fragte er und ich fuhr herum.
»Nichts!«, schoss es über meine Lippen.
Es klang so offensichtlich nach Lüge, dass sich mein Gewissen regte.
»Das sieht aber nicht nach Nichts aus! Was hast du da versteckt?«, fragte er direkt.
»Versteckt?«, schrillte meine Stimme auf. »Warum sollte ich was verstecken?«
Marcel näherte sich dem Regal und zog die drei Bücher heraus, hinter denen meine heimliche Disc steckte.
»Und was ist das?«, zog er diese fragend hervor.
»Eine CD, nehme ich an«, stotterte ich und versuchte, mit aller Macht meine Lüge aufrechtzuerhalten.
Er blickte mich an, als wäre ich ein kleines Mädchen, das beim Stehlen ertappt worden war. Ich war aufgeflogen. In diesem Moment fragte ich mich, warum ich überhaupt diesen absenderlosen Brief verschweigen wollte. Irgendwie ergab das keinen Sinn mehr, je länger ich darüber nachdachte.
»Also gut, ich habe die Disc dahinter verstaut.«
»Verstaut«, sagte er in sarkastischem Ton.
»Na ja, versteckt, wenn dir das lieber ist.«
»Und warum? Was ist da drauf?«, bohrte er weiter.
»Eine Audiodatei. Irgendwelche Meditationsklänge. Keine Ahnung, die war gestern im Briefkasten und ich habe sie angehört, als du geschlafen hast«, erklärte ich und fühlte mich besser, das Teil nicht mehr für mich behalten zu müssen.
»Sophie, lüg mich nicht an! Was ist da wirklich drauf? Komm schon, wenn das Ding harmlos ist, warum versteckst du es dann vor mir?«
Das hatte ich ja super hinbekommen. Jetzt hatte ich das Vertrauen meines Verlobten eingebüßt. Das nur, weil ich dachte, dass er Geheimnisse vor mir hätte. Nun saß ich, wie ein Kaninchen in der Falle.
»Da ist wirklich nichts anderes drauf. Ich weiß nicht mal, wer mir das Ding geschickt hat. Leider hat der Absender vergessen, seinen Namen auf den Brief zu schreiben«, sagte ich mit einem sarkastischen Unterton.
»Wenn das so ist, lass sie mich einlegen«, sagte Marcel und versah mich mit einem misstrauischen Blick.
Wie konnte er mir nur so sehr misstrauen? Sein Verhalten verletzte mich, aber ich wollte keinen weiteren Streit heraufbeschwören, also nahm ich mich zusammen und antwortet mit einem Schulterzucken.
»Von mir aus. Aber du wirst auch nicht mehr entdecken, als ich. Mach ruhig, wenn es dich beruhigt.«
Marcel ging zum Schreibtisch und legte die CD in das Laufwerk, aus dem ich sie vor einigen Minuten entfernt hatte. Ein mulmiges Gefühl sammelte sich in meiner Magengegend, als er die Datei abspielte. Nach einer Weile klickte er auf dem Wiedergabebalken herum.
»Wie? Das geht jetzt fünf Stunden so? Soll ich dir sagen, was das ist? Ein Werbegag! Ich könnte schwören, dass in den nächsten Tagen diese blöde CD in den Medien auftaucht«, erklärte er kopfschüttelnd.
»Meinst du wirklich?«, entgegnete ich.
Wahrscheinlich hatte er Recht und es war wirklich alles nur eine riesige Werbekampagne, aber mein Bauchgefühl sträubte sich dagegen. Trotzdem beließ ich es dabei und versuchte, meinen Zweifel für mich zu...




