Müller | Du kannst dich jetzt ausziehen, wir rauchen hier nackt | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Müller Du kannst dich jetzt ausziehen, wir rauchen hier nackt

Über den Wahnsinn der Liebe in der Mitte des Lebens
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96121-502-7
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Über den Wahnsinn der Liebe in der Mitte des Lebens

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-96121-502-7
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nach zehn Jahren Ehe, jenseits der 40, ist es vorbei: kein Mann mehr, kein trautes Heim, stattdessen eine neu erlangte Freiheit. Mit viel Humor und Selbstironie erzählt Andrea Müller, wie sie sich ins Singleleben stürzt und dabei versehentlich in einer Sex-WG aufwacht, bei einem Date in einem Stripclub landet und sich in einen Fußfetischisten verliebt. Sie begegnet neuen Lieben und gebrochenen Herzen und erlebt die ganz normalen Katastrophen im Leben einer Singlemutter, die oft klamm ist und regelmäßig peinliche Fragen ihrer Kinder beantworten muss.

Als Journalistin schreibt Andrea Müller für verschiedene Medien wie z..B. »Stern«, »Spon«, »Zeit-Magazin-Online« und »Barbara« online über gesellschaftliche Themen. Ihr Lieblingsthema: Frauen und Familie im Wandel der Zeit . Sie lebt mit zwei Söhnen und einer Schildkröte im Hamburger Westen.
Müller Du kannst dich jetzt ausziehen, wir rauchen hier nackt jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


PROLOG
DER MANN IM BAUM


Wie ich mich in einen Gärtner verliebe und wie meine Kinder versuchen, mir die Tour zu vermasseln.

In dem Moment, als ich ihn im Rückspiegel durch die regenverschmierte Heckscheibe auf dem frisch eingesäten Acker stehen sehe, weiß ich: Wir werden Sex haben. Herbstregen fällt wie aus Eimern vom Hamburger Himmel; wir sitzen im Auto vor meiner Haustür. Die Kinder hinten, ich vorne. Er schaut in meine Richtung, hebt die Hand zum Gruß.

Mit Schwung steckt er die Schaufel in den feuchten Boden, streift im Gehen seine Handschuhe ab, kommt in Zeitlupe auf meinen Wagen zu. Es ist sein letzter Tag auf der Baustelle gegenüber. Ich bin rechtzeitig zurück, um mich zu verabschieden. Fünf Minuten später, und er wäre weg gewesen.

Hat er auf mich gewartet? Trotz des Regens? Ich komme immer um kurz nach 16 Uhr, wenn ich die Kinder aus Schule und Kindergarten abgeholt habe. Die Jungs schießen jedes Mal wie Pfeile aus dem Auto, während der Gärtner von gegenüber seine Sachen packt und mir stets zum Abschied winkt.

»Kennst du den etwa?«, fragte mein Sohn Caspar einmal.

»Ja, wir trinken morgens manchmal Kaffee«, sagte ich.

Seit acht Wochen geht das so, zwischen Balkon und Baustelle, Baum und Küchenfenster. So haben wir uns kennengelernt, der Gärtner und ich. Er mit Laubsäge in der Hand, ich im Morgenrock, mit Kaffeebecher am Küchenfenster. Er winkte stets lächelnd zu mir herüber, wenn ich länger als nötig am Fenster stand und ihm zusah, wie er im Baum hing und Äste absägte. Heute werde ich ihm meine Handynummer geben. Mein Herz rast, ich atme durch. Was kann schon groß passieren? Außer dass er sich geschmeichelt fühlt und doch nicht anruft. Auslachen wird er mich schon nicht. Ich bitte meinen Sohn Caspar, neun, mir ein Blatt Papier aus einem Schulblock zu reißen, um meine Handynummer draufzuschreiben.

»Kein Blatt mehr frei, sorry, Mama!«

Wow, das nenn ich Sabotage, mein Sohn will mir die Tour vermasseln. Er fühlt sich als Chef im Haus, seit Papa weg ist. Für ihn herrscht dort unverändert das Patriarchat. Nach ihm kommt lange nichts; sein Bruder Ben, vier, ist Vizechef, und seit sie wissen, dass die Schildkröte ein Junge ist, belegt sie den dritten Platz in dieser Machtstruktur. In Ermangelung eines Zettels kritzele ich meine Nummer auf die Innenseite eines Kaugummipapiers, welches sich zwischen anderen Papierchen unter dem Beifahrersitz anfindet. Und falte es in die ursprüngliche Form des Kaugummis zurück.

Auf der Autorückbank schlingt Caspar indes schlagartig Arme über Kopf und Augen und duckt sich, als würde im näheren Umfeld demnächst eine Handgranate explodieren.

»Warum gehst du in Deckung?«, will ich wissen.

»Also, Mama, ich will jetzt echt nicht miterleben, wie der nicht deine Nummer will!«

Ich atme ein. Und wieder aus. Was denkt sich mein Sohn? Who the fuck ist in seinen Augen Mama? Ein teilweise mit Gammelfleisch versetztes Küchengerät, das ungefragt die eigene Mobilfunknummer an Typen verteilt, die bisweilen in 15 Meter hohen Bäumen hängen? In Caspars Augen ist das so weit oben, wie ein Mann eben oben sein kann. 15 Meter Höhe, für ihn ist das gleich Chefetage und eh weit über Mama, die lieber auf einer Fisch-sucht-Fahrrad-Party mit Resthaar-Material ihres Alters Foxtrott tanzen sollte. Vorausgesetzt, er wüsste, was das ist. Andererseits: Spricht es nicht auch für tief empfundene Loyalität mir gegenüber, dass mein Neunjähriger meine Blamage, »falls der Gärtner nicht meine Nummer will!«, stellvertretend für mich mitempfindet?

Während der Mann von der Baustelle sich langsam nähert, berät sich mein Backoffice auf respektive unter dem Autorücksitz, so als wäre ich gar nicht da, über die Konsequenzen: Was, wenn der jetzt doch Mamas Nummer will?

»Der ist viel zu cool für Mama!«, sagt Caspar.

»Wieso, aber falls er besser Fußball spielt …«, meint Ben.

»Besser als WER, Ben? Hast du je einen Freund von Mama gesehen, der Fußball spielt?«, fragt Caspi.

»Aber vielleicht hat er wenigstens ein iPad?«, ergänzt Ben.

Der Mann vom Baum klopft mit dem Fingerknöchel an die Fahrerscheibe. Er hat die Kapuze seiner Regenjacke tief ins Gesicht gezogen, seine Augen leuchten helltürkis in seinem gebräunten Gesicht.

Es regnet. Es ist peinlich.

Ich steige aus. Auch weil ich es unhöflich finde, ihn da allein im Regen stehen zu lassen. »Bleib doch im Auto sitzen bei dem Regen, ich setze mich auf den Beifahrersitz, dann können wir uns in Ruhe verabschieden«, sagt der Mann mit den türkisfarbenen Augen. Abschied! Mir wird schlecht bei der Vorstellung.

»Nee, lass mal. Die Kinder sind im Auto«, sage ich und denke an den armen Caspar, eingequetscht hinter dem Beifahrersitz.

»Die Kinder? Ich sehe nur einen, aber der ist ja noch klein …?«

In der Sekunde streckt Ben seinen Kopf durch die offene Fahrertür. »Mein Bruder versteckt sich, weil er sich schämt!« Und weiter: »Ich bin nicht klein. Und Mama ist viel älter als du. Und wir wissen, dass kein Kaugummi da drin ist, sondern Mamas Telefonnummer!«

Schmerzliche Worte der Wahrheit gehören zu den Spezialgebieten meiner Kinder. Seit sie reden können. Sie haben ein Gefühl dafür, wo’s wehtut. »Haben sie von mir«, sagt Sebastian, ihr Vater. So wie alles Schlechte. Bevor alles noch schlimmer wird, überreiche ich dem Mann vom Baum hastig das Fake-Kaugummi mit meiner Handynummer drin. »Vielleicht können wir mal in Ruhe ein Bier trinken.«

Um die Szene nicht unnötig in die Länge zu ziehen – mit Caspar unterm Sitz, Ben, dem Tonband ohne Stopptaste, im Nacken und dem Gärtner und mich im Regen –, lüge ich.

Ich müsse sofort los (gelogen), mein Metzger schließe (auch gelogen) und ich bekäme später noch Gäste (auch gelogen). Na ja, manchmal bekomme ich ja tatsächlich spontan und völlig unverhofft Gäste. Also, was man so Gäste nennt. Frisch getrennte, zum Teil nur noch flüssig ernährte Frauen mittleren Alters, deren Vermehrung in Hamburg einem losgetretenen Schneeball gleicht, der langsam zur Lawine wird. Einer Epidemie, die sich langsam ausbreitet. Wir essen wenig und therapieren uns in erster Linie selbst. Manche von ihnen beten ab einem bestimmten Promillepegel in Endlosschleife dieselben Textpassagen runter, so lange, bis ich auf dem Sofa einschlafe. Meine Gäste sitzen dann immer noch da. Also keine Gäste in dem Sinne, für die ich zum Metzger hätte gehen müssen. Sondern höchstens in die Weinhandlung oder die Schnapsabteilung bei Aldi.

Eine Notlüge ist eine Lüge, die meine Not verkürzt. Ich steige zurück ins Auto, klatsche die Fahrertür zu und lege den Rückwärtsgang ein. Nichts wie weg hier, egal, wohin. Der Mann von der Baustelle sieht hilflos aus. Er winkt am Straßenrand, während ich in Richtung Ottensen links auf die Elbchaussee abbiege. Ich kann noch sehen, wie er sein Handy aus der Hosentasche fischt, das Papierchen entfaltet und meine Nummer eingibt.

»Wofür braucht der denn jetzt genau deine Nummer, Mama?«, fragt Ben.

»Hecke schneiden!«, sage ich.

»Welche Hecke denn, Mama?«

Man muss Vierjährigen auch nicht alles beantworten als Mutter.

»Wir haben keine Hecke, du Noop!«, sagt Caspar.

»Kannst wieder hochkommen, Caspi, er ist weg.«

Die Arbeit des Gärtners hatte er wochenlang mit sehnsüchtigem Kleinjungsblick verfolgt. Wie er im Bagger saß, den Acker umgrub, die Hecke beschnitt, Zaunpfähle mit dem Hammer in die Erde klopfte. Bisweilen standen er und sein Bruder mit Kumpels am Küchenfenster, wenn der Gärtner wie ein Orang-

Utan in der Baumkrone hing, Äste absägte und manchmal sein T-Shirt auszog. Im Spätsommer habe ich ihn zum ersten Mal angesprochen. Ich ihn. Nicht er mich. Ob er mir helfen könne, meinen alten Teppich vom Wohnzimmer in meinen Kofferraum zu tragen. Der Teppich müsse dringend zum Recyclinghof.

Ich siezte ihn, um mir zu beweisen, dass ich die nötige Distanz bewahre. Warum einen Freund anrufen, wenn direkt vor meiner Haustür ein Garten- und Landschaftsbauer steht, dessen Muskeln in der Sonne glänzen?

»Klar helf ich dir«, sagte er, rollte den schwerfälligen Teppich zusammen wie ein Seidendeckchen, verstaute ihn geschickt in meinem kleinen Kofferraum und drückte behutsam den Kofferraumdeckel zu. »Ich bin übrigens Adrian«, sagte er höflich und hielt mir die Hand hin. »Schaffst du den Rest alleine?« Er duzte mich. Welchen Rest?

Meinte er damit: Gibt es etwas, was du alleine kannst, nachdem du mich mit diesem blöden Frauending angequatscht hast? Als wärst du ein schwaches, hilfloses Mädchen? Das in Wirklichkeit eine sexuell frustrierte Mutter von der Elbchaussee ist, die diesen Vorwand benutzt, um anzubandeln? Die von Sex auf dem Bagger träumt, während ich Teppiche in ihr Auto trage? Oder denkt er das gar nicht? Sondern denke ich nur, dass er das denkt, weil ich Angst habe, dass jede Frau mit ihm ins Bett will, die ihn einmal im Baum hängen sah? 1,90 Meter groß, schwarzes, dichtes Haar, Grübchen in den Wangen …

Nach der Sache mit dem Teppich habe ich aufgehört, in den Baum zu glotzen. Das gehörte sich dann nicht mehr. Ich gebe Gas, stelle das Radio laut und überlege, was ich Sinnloses einkaufen könnte. Wäre der Vater meiner Kinder noch da, würde ich jetzt über das Abendessen nachdenken. Safranhühnchen mit Zitronen-Couscous oder Kürbiscremesuppe mit Croûtons und Koriander. Irgendwas Vernünftiges eben. Aber so? »Seit Papa weg ist«, fehlt mir oft die Muße für selbst gekochtes, gesundes Abendessen. Zumindest war es am Anfang so.

Als ich Ben am nächsten Tag aus der Kita hole, berichtet er seinem Kumpel Linus: »Seit Papa weg ist, gibt es abends immer Chicken...


Als Journalistin schreibt Andrea Müller für verschiedene Medien wie z..B. »Stern«, »Spon«, »Zeit-Magazin-Online« und »Barbara« online über gesellschaftliche Themen. Ihr Lieblingsthema: Frauen und Familie im Wandel der Zeit . Sie lebt mit zwei Söhnen und einer Schildkröte im Hamburger Westen.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.