Müller-Funk / Budnák / Urválek | 30 Jahre Grenze und Nachbarschaft in Zentraleuropa | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 27, 334 Seiten

Reihe: Kultur - Herrschaft - Differenz

Müller-Funk / Budnák / Urválek 30 Jahre Grenze und Nachbarschaft in Zentraleuropa

Literatur, Kultur und Geschichte
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7720-0151-2
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Literatur, Kultur und Geschichte

E-Book, Deutsch, Band 27, 334 Seiten

Reihe: Kultur - Herrschaft - Differenz

ISBN: 978-3-7720-0151-2
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ende 2019 jährte sich zum dreißigsten Mal der Jahrestag der Samtenen Revolution in der damaligen Tschechoslowakei. Im vorliegenden Band wird dies zum Anlass genommen, die Geschichte der politischen, kulturellen und literarischen Grenzziehungen und Nachbarschaften im Zentraleuropa des 20. Jahrhunderts neu zu sichten. Die Überblicks- und Fallstudien lassen mit großer Deutlichkeit die zentraleuropäische Interkulturalität hervortreten - als Korrektiv des scheinbar durch Nationalismen und Eiserne Vorhänge getrennten Jahrhunderts. Durch paradoxe Wendungen wie 'erträgliche Unzufriedenheit' (Lukás Fasora) oder 'sensible Beziehungen' (Oliver Rathkolb) auf den Punkt gebracht, wird in den Beiträgen die Koexistenz von Grenzlinien und Grenzüberschreitungen bei zentraleuropäischen 'Konfliktgemeinschaften' (Jan Kren) vorgeführt. Präsentiert werden Fallbeispiele aus österreichischer und tschechischer, aber auch im weiteren Sinne (post-)habsburgischer Geschichte und Literatur.

Dr. Jan Budnák ist Mitarbeiter am Institut für Germanistik, Nordistik und Nederlandistik der Masaryk-Universität Brno/Brünn (CZ). Prof. Dr. Wolfgang Müller-Funk war Professor an der Univ. Wien. Seit 2018 hält er eine internationale Lehr- und Forschungstätigkeit, zuletzt am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), Wien sowie an der Univ. Sapienza in Rom. Doz. Dr. Ales Urválek lehrt am Institut für Germanistik, Nordistik und Nederlandistik der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität Brno/Brünn (CZ). Doz. Dr. Tomás Pospisil ist Mitarbeiter lehrt am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Masaryk-Universität Brno/Brünn (CZ).

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Vorwort
Im November/Dezember 2019 jährte sich zum dreißigsten Mal der Jahrestag der Samtenen Revolution (Sametová revoluce) in der damaligen Tschechoslowakei. Die epochemachenden Ereignisse wurden damals nicht nur von politischen und diplomatischen Repräsentationen der Nachbarländer wahrgenommen und begrüßt, sondern sie brachten auch einen Wendepunkt in der Entwicklung der Grenzregionen mit sich. Der Eiserne Vorhang (Železná opona) fiel nicht nur als Sinnbild einer scheinbar unerschütterlichen Weltordnung, nicht nur als eine geopolitische Dominante, sondern auch als ein konkretes ‚Bauwerk‘, eine reale, vor kurzem noch unüberwindbare Trennlinie. Auch in dieser Sphäre der Begegnung, der unmittelbaren Kontaktzone wurde der Eiserne Vorhang überraschend schnell von Grenze und Nachbarschaft abgelöst. Ein konkretes Beispiel, eines von vielen, sei hier genannt: Bereits Ende November 1989 fanden die ersten Solidaritätsveranstaltungen in der niederösterreichischen Grenzregion Drosendorf-?Langau statt. Studentinnen und Studenten aus dem südmährischen Brünn/Brno, aber auch Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft lernten zum ersten Mal nach Jahrzehnten ihre Nachbarn im österreichischen Waldviertel kennen. Im Rahmen der Waldviertelakademie wurde das Veranstaltungsformat Grenze und Nachbarschaft ins Leben gerufen. In zahlreichen Symposien kamen Wissenschaftler_innen aus beiden Ländern zusammen, und es entstand ein breiter, grenzüberschreitender Austausch, der von Sprachkursen und Ausstellungen bis zu literarischen, sportlichen und filmischen Aktivitäten reichte. Die heute in beiden Ländern lebenden Generationen blicken auf diese Ereignisse bereits zurück wie auf eine Geschichte, die sie selbst nicht erlebt haben. Mit dem EU-?Beitritt Österreichs und später auch Tschechiens (und der Slowakei) hat sich der Charakter von Grenze und Nachbarschaft weiter modifiziert und so kann mittlerweile zu Recht gefragt werden, ob sich die beiden Länder in den drei Jahrzehnten näher gekommen sind, wie ‚normal‘ unsere Beziehungen sind, welche Rolle dabei das europäische Projekt spielt und was uns heute trennt. Der Band Grenze und Nachbarschaft in Zentraleuropa. Literatur, Kultur und Geschichte strebt eben einen solchen reflektierten Rückblick auf die genutzten, sowie die versäumten Möglichkeiten in dieser Nachbarschaft an. Der Tradition der einstmaligen Symposien Grenze und Nachbarschaft folgend, wurde vom 5. bis 7. Dezember 2019 aus Anlass des 30jährigen Jubiläums von 1989 ein transdisziplinäres, wissenschaftliches Symposion veranstaltet, das Grenze und Nachbarschaft in verschiedenen Bereichen (Literatur, Sprache, Kultur, Politik, Zeitgeschichte, Region) sowie Epochen und Perioden thematisierte. Die historische Dimension, die über das kurze 20. Jahrhundert hinausgreift, war nicht zuletzt deshalb wichtig, weil an ihr deutlich wird, dass sich Phänomene wie Grenze, Nachbarschaft, Zugehörigkeit und Identität ändern. Die universitären Kooperationspartner der Veranstaltung waren die Universität Wien (Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft, Institut für Slawistik) und die Masaryk-?Universität Brünn/Brno (Institut für Germanistik, Nordistik und Nederlandistik), die lokalen Mitveranstalter waren der Waldviertler Heimatbund, die Waldviertel-?Akademie, die Stadtgemeinde Drosendorf-?Zissersdorf, der Kulturverein KuKUK und der Filmclub Drosendorf. Die Tagung wurde maßgeblich vom Land Niederösterreich unterstützt. Die Ergebnisse der Tagung werden im vorliegenden Band in fünf Blocks mit eigenen thematischen Schwerpunkten präsentiert. Dem ersten Block Grenze und Nachbarschaft, der vier Studien synthetisierenden Charakters enthält, steht der Beitrag Wolfgang Müller-?Funks (Wien) „Zeitliche und räumliche Grenzlinien. Zwei Essays zwischen Literatur und Geschichtsphilosophie“ voran. Der Verfasser nimmt das berühmte Wort Václav Havels vom „Leben in der Wahrheit“ zum Ausgangspunkt und untersucht die Parallelitäten zu dieser – erst recht angesichts totalitärer politischer Systeme – durchaus anspruchsvollen, subversiven Existenzform in Milan Kunderas Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins und Jirí Grušas Buchessay Beneš als Österreicher. Der zweite Abschnitt des Beitrags Müller-?Funks, der zweite Essay (Untertitel, im Folgenden UT), zieht den Schluss, dass im zentraleuropäischen Kontext „eine offene Gesellschaft auf Grund der Geschichte des Halbkontinents nur europäisch ausgestaltet werden [kann]. Das ist die eigentliche Botschaft einer Revolution, die eine Korrektur einer fehlgelaufenen Geschichte gewesen ist, aber noch nicht ein Projekt, das sich nicht zuletzt auch dadurch auszeichnen würde, dass seine transnationalen Akteure gelernt haben, angemessen mit Grenzen umzugehen.“ Der Umgang mit tschechisch-österreichischen Grenzen und Nachbarschaften in historischer Perspektive des ‚langen 20. Jahrhunderts‘ wird in den Beiträgen von Lukáš Fasora (Brünn) und Oliver Rathkolb (Wien) durch eine Reihe paradoxer Formulierungen ins Auge gefasst. Das nationale Zusammenleben von ‚Tschechen‘ und ‚Deutschen‘ in der späten Habsburger Monarchie wird von Fasora durch die Formel einer „erträglichen Unzufriedenheit“ charakterisiert, Rathkolb spricht wiederum im Hinblick auf die österreichisch-?tschechoslowakischen Nachbarschaft zwischen 1918 von „sensiblen Beziehungen“. In der Tat aber zeigen beide Beiträge, dass der „integrale Nationalismus“ (Fasora), d.h. ein nationales Identitätsangebot, das „alle anderen überlagerte“, eine historisch begrenzte Geltung sowie eine erhebliche Variabilität aufweist. Die österreichisch-?tschechoslowakische bzw. tschechische Nachbarschaft erscheint in diesem Lichte als ein Prozess, der voll von kon- und divergierenden Tendenzen, voll von Dis- und Kontinuitäten ist, die es konkret zu untersuchen gilt. Im letzten Beitrag des ersten Blocks über „Sprachliche und kulturelle Konvergenz in den linguistischen Arealen der ehemaligen Habsburgermonarchie“ (UT) werden von Stefan Michael Newerkla (Wien) die Ergebnisse einer breit angelegten Analyse von linguistisch-?kulturellen Kontakträumen in der Habsburger Monarchie vorgelegt. Diese werden als ein „linguistisches Areal“ (van Gijn/Muysken) betrachtet und zeichnen sich durch weitreichende sprachlich-?kulturelle Konvergenzen in Lexik und Syntax, in Standard- und Substandardvariäteten des (österreichischen) Deutsch, Tschechisch, Slowakisch, Yiddisch, Ungarisch usf. aus. Die Menge der von Newerkla aufgezeichneten Konvergenzen ist schier unendlich; sie allein straft den teleologischen, oft rückwärtsgewandten Anspruch vieler national-?kultureller Narrative Lügen. Im zweiten Block folgen Analysen von zentraleuropäischer Geschichte bzw. zentraleuropäischen Geschichten im Medium der Literatur. Alfrun Kliems (Berlin) und Alexandra Millner (Wien) gehen von den Romanen Radka Denemarkovás aus, um die hauting memory des Holocaust und des Krieges (Kliems) bzw. die Tabus der männlich dominierten Geschichte der totalitären Regimes in Zentraleuropa (Millner) anhand von literarischen Repräsentationen zu untersuchen. Kliems hält in den Werken von Denemarková, Jirgl und Twardoch mehrere literarische Figuren fest, die die Latenz transgenerationeller Traumata aufscheinen lassen: montierendes Schreiben, sprachkryptische Ausdrucksweisen („Nach-?Auschwitz-?Sprache“), posthumanes Erzählen. Demgegenüber konzentriert sich Millners Analyse von Denemarkovás Romanen stärker auf den tschechischen Kontext: Von den kollektiven Verdrängungen, die Denemarkovás Texte deutlich machen und aufbrechen wollen, beleuchtet Millner nicht ‚nur‘ die ‚nationalen‘ (z.B. die Vertreibung), sondern deutet diese auch als genderspezifische Gewalt und Verdrängung. Gerade in diesem Aspekt erblickt Millner mit Recht das größte subversive Potential der Autorin. Literatur bedeutet aber nicht nur subversives Schreiben, sondern stellt im günstigen Fall auch Beziehungen zwischen Menschen her. Für Friederike Mayröcker, die leider unlängst (4. Juni 2021) verstorben ist, und die tschechische Autorin und Übersetzerin Bohumila Grögerová, hat sich diese günstige Situation vor bzw. im ‚Prager Frühling‘ der 1960er Jahre ergeben. Ihre durch Literatur zustande gekommene und in Literatur festgehaltene Freundschaft wird zum Abschluss des zweiten thematischen Blocks von Gertraude Zand (Wien) rekonstruiert. Der dritte und vierte Block des Bandes befassen sich mit Repräsentationen von Grenzen bzw. mit deren realer historischer Erscheinungsform in ‚Mikrokosmen‘ einiger zentraleuropäischer Regionen. Milka Car (Zagreb) arbeitet die ausweglose, schließlich ins Groteske umstülpende Grenzlage eines zentraleuropäischen Intellektuellen in Miroslav Krležas Novelle Der Großmeister aller Schurken (Veliki meštar sviju hulja) aus, dessen Grenzerfahrung in den Kontext einer nicht realisierbaren gesellschaftlichen Wandlung eingesetzt und mit dieser konfrontiert wird. Zdenek Marecek (Brünn) befasst sich in seinem Beitrag mit zwei literarisch-?essayistischen ‚Grenzgängen‘: Karl-?Markus Gauß‘ Texten zum Thema Grenze und Peripherie, insbesondere der Anthologie Buch der Ränder, deren Vorwort und Konzept, und der Brünner Essay Der Regen von Brünn, und Beppo Beyerls literarisiertem Wanderbericht Achtung Staatsgrenze. Auf den Spuren des Eisernen Vorhangs. Bei beiden Autoren diagnostiziert Marecek eine Korrelation zwischen dem sozialkritischen Ansatz und dem ‚Unterwegssein‘ an der Grenze...



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