Müller-Funk | Kulturtheorie | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 431 Seiten

Müller-Funk Kulturtheorie

Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften
3. aktualisierte und erweiterte Aufl 2021
ISBN: 978-3-8463-5627-2
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften

E-Book, Deutsch, 431 Seiten

ISBN: 978-3-8463-5627-2
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dieses Einführungswerk behandelt aktuelle Diskurse und Themen in dem unübersichtlich gewordenen Feld der Geistes- und Kulturwissenschaften. In sechzehn Kapiteln stellt es verschiedene Begriffe und Zugänge vor: ein neues Verständnis von 'Kultur', Begriffe wie Lebensstil, Habitus, symbolische Formen, dichte Beschreibung, semiotischer Raum, Diskurs, Chronotopos, Narrativ, Mimesis. Jede theoretische Leitfigur wird durch einen zentralen Text mit Blick auf die jeweilige Theorie eingehend diskutiert und kommentiert. Die damit verbundenen Fragestellungen sind nicht nur in den Kulturwissenschaften, sondern auch für die gegenwärtigen öffentlichen Diskurse von maßgeblicher Bedeutung. Das Spektrum der vorgestellten Zugänge umfasst Psychoanalyse, Diskurstheorie, Kulturanthropologie, Philosophie, Narratologie und Semiotik.

Prof. Dr. Wolfgang Müller-Funk war Professor an der Universität Wien. Seit 2018 hält er eine internationale Lehr- und Forschungstätigkeit, zuletzt am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), Wien sowie an der Universität Sapienza in Rom.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einleitung: Kultur, Kulturwissenschaften, Kulturtheorie
Kapitel 1 Überlegungen zum Kulturbegriff: T. S. Eliots Spuren in denangelsächsischen Kulturwissenschaften
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 2 Psychoanalyse als Kulturtheorie: Sigmund Freud
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 3 Philosophische Grundlagen der Kulturanalyse: Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 4 Giambattista Vico, Johann Gottfried Herder und die Folgen:Von der Neuen Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker zur aufklärungskritischenKulturphilosophie
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 5 Georg Simmel: Geld und Mode
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 6 Kritische Theorie als Kulturtheorie: Dialektik der Aufklärung und Pariser Passagen
Kritikpunkte und Anmerkungen (1)
Kritikpunkte und Anmerkungen (2)
Literatur
Kapitel 7 Roland Barthes: Von den Mythologies zur Semiotik der Kultur
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 8 Michel Foucault: Diskurs als kulturelle Macht
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 9 Pierre Bourdieu: Von den symbolischen Formen zu den sozialen Feldern
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 10 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 11 Opfer, Mimesis und verborgene Gewalt: Von der Literaturwissenschaft zur Kulturtheorie René Girards
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 12 Cultural Studies als offenes Theorieprojekt: Stuart Hall
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 13 Zur Narrativität von Kulturen: Paul Ricœurs Zeit und Erzählung
Kritikpunkte und Anmerkungen
Literatur
Kapitel 14 Michail Bachtin: Chronotopischer „turn“ und „Hybridität
Kritikpunkte
Literatur
Kapitel 15 Mieke Bal: Das Briefje. Alteritäre Strukturen in Literatur und kulturellen Artefakten
Kritikpunkte
Literatur
Kapitel 16 Jurij Lotman: Kultur als semiotischer Raum
Kritikpunkte
Literatur
Auswahlbibliographie
Personenregister
Sachregister


Kapitel 1 Überlegungen zum Kulturbegriff:
T.S. Eliots Spuren in den angelsächsischen Kulturwissenschaften


Die kulturelle Wende () in den Human- und Geisteswissenschaften hat neue Perspektiven und Forschungsfelder eröffnet, zugleich aber eine nachhaltige Verunsicherung erzeugt, die ganz offenkundig mit der begrifflichen Unschärfe von Termini wie und zusammenhängt. Inhalt, Bandbreite und Methodik dieser neuen Wissenschaftsfelder sind unbestimmt, um nicht zu sagen ausufernd. Das schlägt sich auch in den verschiedenen disziplinären Bezeichnungen nieder: Kulturwissenschaften, Kulturanalyse, Kulturanthropologie, Kulturtheorie, Kulturphilosophie, Kulturgeschichte. Diese Bezeichnungen sind keine Homonyme, sie haben Familienähnlichkeiten im Sinne Wittgensteins, aber es gibt keinen Oberbegriff, der all diese neuen binnen-, trans- und außerdisziplinären Fokussierungen angemessen zu einem Ganzen zusammenzufassen vermöchte.

Besonders verschwommen und deshalb auch fortgesetzt Objekt zünftig-traditioneller Kritik ist der Terminus , der bekanntlich im Singular wie im Plural gebräuchlich ist. Insbesondere im Singular legt er die Idee einer neuen avancierten Disziplin oder gar Leitdisziplin nahe, während er im Plural zudem noch zwei weitere Bedeutungen umfasst. Zum einen die Idee einer Umwandlung bzw. bloßen Umbenennung aller bisherigen human- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen, zum andern aber die Idee eines transdisziplinären Netzwerkes, das – wie im Fall der angelsächsischen die Human- und gegebenenfalls auch die Sozialwissenschaften im Hinblick auf das Makrophänomen Kultur integriert.

Der im Deutschen wenig gebräuchliche Terminus nimmt sich demgegenüber viel bescheidener und punktueller aus und bezieht sich – in Analogie zu den angelsächsischen auf neue Themenfelder wie Popularkultur, Neue Medien, Geschlecht () und Interkulturalität. Aber es ist gerade mit Blick auf den angelsächsischen Raum unverkennbar, dass sich die zu einer einflussreichen Alternativ-Disziplin im akademischen Milieu entwickelt haben, die in einem schwer zu definierenden Grenzgebiet zwischen Sozial- und Humanwissenschaften anzusiedeln ist (? Kap. 12).

Den Begriff hat die niederländische Literatur- und Kunstwissenschaftlerin Mieke Bal nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit den Kulturstudien angelsächsischer Provenienz und den deutschen Kulturwissenschaften geprägt. Bal teilt den kritischen politischen Impetus der auch ihre implizite Einsicht, dass die Analyse von kulturellen Phänomenen immer einen konstitutiven Bestandteil des Analysierten darstellt. Sie moniert indes deren einseitige Parteinahme für die ‚moderne‘ Popularkultur sowie ihre mangelnde methodische Stringenz. Weder hätten die eine verbindliche Methodologie entwickelt, noch hätten sie eine ausreichende Theorie der Inter- bzw. Transdisziplinarität entfaltet. Dadurch gerieten sie in Gefahr, den Anspruch wissenschaftlicher Intersubjektivität und Rationalität dem kulturellen und politischen Engagement (etwa für ethnische oder sexuelle Minderheiten, Frauen, Popular- und Sonderkulturen) unterzuordnen (? Kap. 12, 15).

Man tut gut daran, eine solche Kritik ernst zu nehmen, gerade um die reflexiven – politischen, wissenschaftlichen und intellektuellen – Möglichkeiten zu bewahren und das kulturelle Paradigma gegen eine fortgesetzte traditionelle Kritik argumentativ zu verteidigen und vor einem kulturalistischen Zugriff zu bewahren. Wenn hier dem Begriff gegenüber dem der Kulturanalyse der Vorzug gegeben wird, so im Hinblick auf die Einsicht, dass kulturwissenschaftliche Ansätze nur – in der Forschung wie in der Lehre – durch eine Theorie legitimiert werden können, in welcher der Begriff der Kultur, einer der schwierigsten, verwirrendsten und vielfältigsten Termini überhaupt, angemessen geklärt und expliziert wird.

Eine solche Kulturtheorie wird vorab darauf verweisen, dass die neue Unübersichtlichkeit im Gefolge der kulturellen Wende ganz offenkundig mit der schillernden Bedeutungsvielfalt des Begriffs zu tun hat. Die Heterogenität, die kulturellen Phänomenen eigen ist, scheint ihren Niederschlag in eben diesen vielfältigen Betätigungsfeldern zu haben, die oben zitiert worden sind. Der Begriff ist nach innen wie nach außen multipel. Kultur setzt die Vielfalt von Kulturen kategorisch stets voraus. Vermutlich konstituieren, wie das Beispiel der angelsächsischen Kulturstudien und der deutschen Kulturwissenschaften zeigt, verschiedene (akademische) Kulturen auch unterschiedliche Typen von Wissenschaften, die sich mit dem Großphänomen Kultur befassen.

Kultur lässt sich von ihrer inhaltlichen wie von ihrer formalen Seite her bestimmen, inhaltlich als ein Insgesamt von Praktiken, Techniken, Überlieferungen und Artefakten, formal als ein Ensemble von Formgebungen und Medialisierungen. Die medialen Revolutionen des frühen und des späten 20. Jahrhunderts haben unser Augenmerk auf die medialen Aspekte kulturellen Geschehens und Tuns gelegt, auf die Tatsache, dass der Mensch immer schon in einer symbolisch vermittelten Welt lebt: Zeichen, Laut, Schrift, Piktogramm, ‚Bild‘ sind solche Formen der Wirklichkeitsgestaltung, die unser Sein in der Welt erschließen und unser Tun in ihr leiten und bestimmen. Was die heutige Kulturtheorie von ihren Vorläufern unterscheidet, ist vor allem dieser veränderte semiotische Blickwinkel: Die linguistischen, medialen und ikonographischen Fokalisierungen, all diese inflationär gewordenen Wenden () sind Detailaspekte eben jener kulturellen Wende. In ihrem Kern beinhaltet jene die anthropologische Aussage, dass der Mensch, wie es Ernst Cassirer in seinem Spätwerk dargelegt hat, ein auf symbolische Vermittlung angewiesenes Lebewesen darstellt.

Im Sinne einer ersten heuristisch tastenden Denkbewegung lassen sich zunächst einmal drei unterschiedliche Begriffe von Kultur beschreiben, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind. Sie gehen nicht ineinander auf und sie verhalten sich auch nicht wie jene Spiele, die Ludwig Wittgenstein als Beispiel für sein Konzept der Familienähnlichkeit vorgestellt hat: Denn hier geht es um die Frage, ob die Mengen aller Spiele überhaupt eine Gemeinsamkeit besitzen oder ob sie nicht vielmehr zu einem Begriff zusammengefasst werden, weil sie ein Verwandtschaftssystem beinhalten, ohne das jedes Spiel einen abstrakten Wesenszug mit allen anderen gemeinsam hätte.

Obschon es also sehr bemerkenswerte Verbindungen zwischen Spiel und Kultur gibt, verhalten sich die Dinge in Bezug auf den Begriff doch etwas anders. Während das Spiel die Summe aller möglichen Spiele und Spieltypen umfasst – vom Maskenspiel bis zum Schach, vom Fußball bis zum Patiencenlegen – variiert der Begriff Kultur in seiner Reichweite beträchtlich: Kultur kann holistisch und allumfassend, Kultur kann aber auch partikulär und exklusiv verstanden werden.

Um den Begriff handhabbar zu machen, reichen also klassische Definitionsversuche, wie sie immer wieder – von der Ethnologie bis zur Semiotik – unternommen wurden, ebenso wenig aus wie Wittgensteins logisch pfiffiges Konzept der Familienähnlichkeit. Eine Möglichkeit, diesem Dilemma zu begegnen, besteht darin, aus der Not eine Tugend zu machen und Kulturtheorie zu einer „fröhlichen Wissenschaft“ ohne Methodenzwang zu machen. . Wen diese Beliebigkeit, die in der Tat interessante empirische Kulturstudien möglich macht, nicht befriedigt, der wird zu einem anderen Verfahren greifen müssen: Er oder sie wird die...


Müller-Funk, Wolfgang
Prof. Dr. Wolfgang Müller-Funk war Professor an der Universität Wien. Seit 2018 hält er eine internationale Lehr- und Forschungstätigkeit, zuletzt am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), Wien sowie an der Universität Sapienza in Rom.



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