E-Book, Deutsch, 106 Seiten
Müller Koma in Alicetown
4. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8190-5904-9
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mystery Horror
E-Book, Deutsch, 106 Seiten
ISBN: 978-3-8190-5904-9
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die 1974 in Berlin geborene Dana Müller ist von allem Okkulten und Übersinnlichen so fasziniert, dass sie sich zwischen Horror und Fantasy pudelwohl fühlt. Ihre Ideen begegnen ihr oft im Traum. Im Wald findet sie die notwendige Ruhe, um den Geist freizubekommen und der Inspiration freien Lauf zu lassen. Ebenso begeistert ist sie seit früher Jugend vom Geschichtenerzählen. Um die Grundlagen des schriftstellerischen Handwerks zu erlernen, absolviert sie 2013 erfolgreich das Fernstudium »Kreatives Schreiben«. Seitdem ist sie nicht zu bremsen. Sie erfindet unaufhörlich neue Geschichten und Charaktere. 2017 erblickt die Buchreihe »Legenden« das Licht der Welt, die bis heute regelmäßig erweitert wird.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Eigentlich wollte sich Hannah aus fremden Angelegenheiten heraushalten. Aber wenn sich etwas direkt vor ihrer Nase abspielte, konnte sie einfach nicht wegsehen.
Ihr Dad hatte eine kleine Minigolfanlage geplant und baute gerade an dem Grundgerüst im Garten, als Hannah auffiel, dass die Nachbarin schluchzend den Müll hinausbrachte. Das kleine gelbe Haus hinter der Central-Road war vom Garten der Goodmans aus gut einzusehen, zumindest der vordere Bereich.
Dort wohnte Marge Hanson mit ihrer Tochter Vanessa. Hannah machte nach Möglichkeit einen Bogen um das Mädchen. Vanessa suhlte sich in Eitelkeit, die einzig von ihrer Arroganz übertroffen wurde. Die kleine Miss Hanson, wie sie von den älteren Bewohnern Alicetowns genannt wurde, war zwei Jahre älter als Hannah und eine geborene Wortkriegerin. Wenn man außer Acht ließe, dass es ihre Intention zu sein schien, Speerspitzen aus Silben zu formen, mit denen sie ihr Gegenüber in den meisten Fällen dort traf, wo es wirklich wehtat, hätte man sie für eine begnadete Rednerin gehalten. Hanna war sich gar nicht sicher, ob es Vanessa tatsächlich so egal war, dass ihre Worte sehr tiefe Wunden hinterlassen konnten. Vielleicht hatte sie größeren Gefallen an dem durch sie verursachten Leid, als sie zugeben wollte. Solange sich Vanessa auf Kosten anderer amüsieren konnte, schien die Welt für sie in Ordnung zu sein.
Und nun heulte ihre Mutter wie ein Schlosshund und es lag nahe, dass Vanessa an diesem Zustand nicht ganz unschuldig war.
»Hannah, sei doch so lieb und hol mir mal den kleinen Hammer. Mit dem großen Teil komme ich hier nicht weiter«, rissen sie die Worte ihres Dads aus der Beobachtung.
»Klar, gleich. Hast du eine Ahnung, was mit Mrs. Hanson los ist?«
Er stützte die Hände in die Hüften und sah zum gelben Haus hinüber. Mrs. Hanson war gerade dabei, die Haustür abzuschließen. Sie war mit ihrem marineblauen Kostüm und dem weißen Halstuch ziemlich schick gekleidet, was nicht zu ihrem derzeitigen seelischen Zustand passte, wie Hannah fand.
»Die arme Mrs. Hanson«, sagte er und schüttelte den Kopf voller Mitleid. »Ihre Tochter liegt im Krankenhaus.«
»Vanessa ist im Krankenhaus? Warum, was ist denn passiert?«
Er schluckte und fuhr sich über den Bart, dann kratzte er sich am Kopf. »So genau weiß ich das auch nicht. Ich habe gehört, dass sie am Donnerstag spät abends nach Hause kam, wortlos an ihrer Mutter vorbeiging und sich auf ihr Bett setzte. Mrs. Hanson dachte, sie hätte schlechte Laune und beließ es wohl bei einem vorsichtigen Versuch, sie an dem Abend anzusprechen. Angeblich blieb sie die ganze Nacht so sitzen. Sie war überhaupt nicht bei sich. Am nächsten Morgen hat die arme Frau wohl alles versucht, um sie aus diesem Zustand zu holen. Als du gestern in der Schule warst, hat sie schließlich den Notruf gewählt.«
»Krass, woher weißt du das alles?«
»Mrs. Brown, du weißt schon, die von der Burger-Bude meinte, dass Vanessas Mutter vermutete, ihre Tochter hätte Drogen genommen. Das Mädchen saß in seinen Fäkalien, als es abgeholt wurde.«
»Wie abgeholt? Von wem denn?«
»Die Polizei holte den Krankenwagen dazu und sie wurde abtransportiert. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Das ist echt krass«, erwiderte Hanna. Sie kannte sich mit Rauschmitteln nicht aus, fragte sich deshalb, ob Drogen so etwas anrichten könnten. Alleine die Vorstellung, in den eigenen Fäkalien zu sitzen, ließ sie erschaudern. Sie konnte sich gut vorstellen, wie das gestunken haben musste. Außerdem wäre es für Hannah so demütigend, dass sie sich nie wieder aus dem Haus trauen würde. Vielleicht war es einfach Karma.
»Der Hammer?«, drängte ihr Vater.
Ohne ihn anzusehen, fragte sie: »Wo liegt er denn?«, und beobachtete Mrs. Hanson dabei, wie sie in ihren Wagen stieg, sich im Rückspiegel betrachtete und offenbar Tränen mit einem Taschentuch abtupfte.
»Ich glaube, auf dem Küchentisch«, erwiderte er.
Doch sie vernahm seine Aussage nur am Rande, denn ihr Interesse galt noch immer Vanessas Mom. Erst, als sie wegfuhr, machte sich Hannah auf den Weg ins Haus.
Ihr wollte einfach nicht aus dem Kopf gehen, was mit der rebellischen Prinzessin auf der Erbse geschehen war. Möglicherweise, so dachte sie, hatte sie jemanden so sehr verletzt, dass dies nun die Rache dafür sein sollte. Es war ja nicht von der Hand zu weisen, dass sie sich mehr Feinde als Freunde gemacht hatte. Und jetzt lag sie im Krankenhaus.
Das Werkzeug befand sich ausgebreitet auf dem Küchentisch, was Hannah die Suche erleichterte. Der kleine Hammer lag gleich neben dem Schraubenkasten. Sie griff danach und eilte mit dem Fund hinaus. Daniel studierte gerade den Bauplan, den er selbst angefertigt hatte, und fuhr sich gedankenverloren über den Bart.
»Hey, schwer am Arbeiten?«, ertönte Joes Stimme. »Was ist los, ihr guckt so komisch.«
Er blickte kurz hinter den Bauplänen auf und kratzte sich am Kopf. »Hallo, Junge.« Gefesselt von der Zeichnung versank er gleich wieder darin.
Hannah hingegen war gesprächiger. Sie nahm Joe zur Seite und fragte ihn direkt nach den Hansons. »Vanessa kennst du, oder?«
Er nickte. »Die lebt doch mit ihrer Mutter in dem gelben Haus da«, meinte er sofort.
»Genau. Und weißt du auch, was passiert ist?« Hannah legte eine kurze Pause ein, gab ihm so Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Aber er schwieg und wartete offensichtlich darauf, dass sie ihn aufklärte. Also fuhr sie fort. »Vanessa liegt im Krankenhaus.«
»Und warum?«, wollte er wissen.
»Tja, so genau sind meine Informationen jetzt nicht. Aber sie stand irgendwie total neben sich. Ganz so als wäre sie in einem Schock gefangen. Vielleicht ist sie auch besessen. Sie hat sich auf ihr Bett gesetzt und ist dortgeblieben. Selbst, als sie auf Toilette musste, ist sie nicht weggegangen. Du kannst dir also vorstellen …«, sie wurde von Joe erst mit einer abwehrenden Geste, dann verbal unterbrochen.
»Igitt! Das ist ja widerlich. Es reicht, ich will nichts weiter hören«, warf er ein und hinterfragte nach einigen Sekunden doch. »Die hat sich doch nicht in die Hose gemacht?«
»Doch! Und das Schlimme ist: Sie saß die ganze Nacht da, und als ihre Mutter am nächsten Morgen kam, war sie nicht ansprechbar. Joe, ich will ja nicht voreilige Schlüsse daraus ziehen, aber das klingt doch nach einem Fall für uns, oder?«
»Nee! Jetzt mach mal halblang. Ich habe mich von dem letzten Ding noch nicht erholt und du witterst schon wieder den nächsten Fall? Falls du dich dran erinnerst, hat man dich beinahe in einen Baum verwandelt und mich fast totgeschlagen. Sei mir nicht böse, aber ich habe keinen Bock darauf, mich mit irgendwelchen Dämonen oder Geistern oder sonst irgendwas rumzuplagen. Ich brauch eine Pause von alledem.«
»Ja, verstehe ich ja«, Hannah tat zumindest so. Aber diese Sache mit Vanessa ging ihr ziemlich nah. Sie konnte doch nicht einfach die Augen davor verschließen und so tun, als hätte sie nichts mitbekommen, wo doch die Situation nach ihrer Hilfe schrie. Und genau deswegen musste sie Joe erst mal besänftigen. Er würde noch zu sich kommen und ihr zur Seite stehen, wenn es darauf ankäme. Das wusste sie ganz genau, auf ihn konnte sie zählen. »Na los, lass uns ein Eis essen gehen«, schlug sie deshalb vor.
»Eis essen? Und du bist dir sicher, dass du nicht versuchen willst, mich zu überreden, meine Seele zu verkaufen?«
Erwischt! Aber so einfach gab sie nicht auf. Es war offenbar der falsche Zeitpunkt, also entschied Hannah, noch ein wenig zu warten, bis sich ein besserer ergab.
Seit ein Fluch ausgerechnet hier ihr Geschmacksempfinden gestört hatte, fühlte sie sich im Eiscafé unwohl. Außerdem wurde sie von der Besitzerin und ihrer Angestellten seit ihrem kuriosen Ausbruch damals mit Argusaugen beobachtet. Eigentlich konnte sie froh sein, kein Hausverbot bekommen zu haben. Es war Emelys Engelszungen zu verdanken, dass Hannah dieses Eiscafé überhaupt noch betreten durfte.
»Okay«, sagte Joe. »Ich nehme den Zauberkessel mit Sahne und Streuseln – und du?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Hannah und studierte die Eiskarte. »Ich glaube«, fuhr sie fort und tippelte nervös mit dem Zeigefinger auf ihrer Nasenspitze herum. »Ich nehme den großen Eiskaffee«, entschied sie sich schließlich und legte die Karte beiseite.
In diesem Café war das ein Zeichen dafür, dass der Kunde gewählt hatte und die Kellnerin die Bestellung aufnehmen konnte. Doch diese machte gar keine Anstalten, an ihren Tisch zu kommen.
»Boah«, entfuhr es Hannah. »Die ist bestimmt immer noch wegen meines Ausfalls sauer. Dabei kann ich doch nichts dafür.«
»Ja, siehst du! Der bescheuerte Okkultismus bringt immer nur Ärger. Du und deine Geister, du und deine … Mann.« Joe machte sich Luft, was Hannah in ihrem Stuhl versinken ließ.
Er hatte ja nicht ganz unrecht, aber es war nun mal ihre Berufung, und eine Berufung ist wie ein Beruf, und jeder Beruf bringt auch Schattenseiten mit sich. Dass sie in Gefahr gerieten oder in seltsame Situationen, die für andere verrückt wirkten, gehörte einfach dazu.
»Du hast ja recht. Trotzdem! Wir haben Evangeline geholfen, das darfst du nicht vergessen. Ihre Seele hat Frieden gefunden und Nancy hat ihre Strafe bekommen. Empfindest du denn gar keinen Stolz, dass wir das waren?« Hannah betrachtete Joe eingehend.
Er vermied jegliche Regung im Gesicht. Seine Miene wirkte genauso versteift, wie seine Einstellung zu dem Thema, mit dem er sogar aufgewachsen war. Emely, seine Mom, hatte nach eigenen Aussagen im frühen Kindesalter versucht, ihn aus ihrer Berufung herauszuhalten. Doch als kleiner...