Müller / Öhlschläger Der souveräne Mensch
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-86234-876-3
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Anthropologie Heinrich von Kleists
E-Book, Deutsch, Band Band 001, 240 Seiten
Reihe: Zäsuren
ISBN: 978-3-86234-876-3
Verlag: V&R unipress
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Dr. Tim Müller, geboren 1972, studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie. Er arbeitet als Lektor und lebt mit seiner Familie in München.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;7
2;1 Einleitung: Der entworfene Mensch;11
3;2 Herleitungen des Menschen;23
3.1;2.1 Aristoteles: Der handelnde Mensch;23
3.2;2.2 Der geschaffene Mensch- Die christliche Inkriminierung der Eigenmacht;31
3.3;2.3 Zwei Naturen: Der neuzeitliche Mensch als Doppelwesen;37
4;3 Herrscher und Freiheit: Bedingungen des Menschen;43
4.1;3.1 Die anthropologische Aufgabenstellung der Souveränitätstheorie;43
4.2;3.2 Herrschaftslegitimationen: Die Natur des Menschen bei Hobbes und Rousseau;49
5;4 Zwischenbetrachtung: Einige Charakteristika der Kant-Rezeption um 1800;59
6;5 Handlungssouveränität – Kants Menschenbild;65
6.1;5.1 Kants Anthropologiebegriff;65
6.2;5.2 Anleitung zur Freiheit – das politische Souveränitätsmodell Kants;70
6.3;5.3 Freiheit als Natur des Menschen – Kants mutmaßlicher Menschheitsbeginn;77
6.4;5.4 Freiheit nach Regeln – die Pflichtethik Kants;84
7;6 Kritik normativer Menschenbilder in den literarischen Anthropologien von Lessing und Schiller;91
8;7 Souveränitätskritik – Die Kant-Rezeption in den frühen Briefen Heinrich von Kleists;107
8.1;7.1 Kritik der überlegenen Vernunft – Handlungsorientierung, Handlungskontrolle;107
8.2;7.2 Kleists innere Vorschrift als Souveränitätsanspruch;114
9;8 Grundzüge von Kleists Anthropologie;119
9.1;8.1 Die Herkunft des Menschen – Nichtwissen als Grenze und Potential beim frühen Kleist;119
9.2;8.2 König Ödipus als Unwissender;122
9.3;8.3 Souveränität als Zustand – Das Modell von Herrscher und Untertan in Sophokles’ »König Ödipus« und Kleists »Robert Guiskard«;124
10;9 Der individuelle Umgang mit Souveränität;133
10.1;9.1 Souveränität als Hindernis – Penthesileas Entdeckung des Eigenen;133
10.2;9.2 »Michael Kohlhaas« – Souveränität als Verbrechen;138
11;10 Reflexionen des geschaffenen Menschen bei Kleist;145
11.1;10.1 »Werd eine Mutter wie ich« – Paradoxe Souveränität in der »Penthesilea«;145
11.2;10.2 »Wes ist das Kind?« – Geburt und patriarchale Gewalt in »Das Käthchen von Heilbronn«;154
11.3;10.3 »Fremde Pflanzen« – Das Zuchtprogramm in »Prinz Friedrich von Homburg«;160
12;11 Kleists Ethik des Handelns – Taktiken der Subversion;167
12.1;11.1 »Hündin, Hunden beigesellt« – Entgrenztes Handeln als Überwindung der Norm;167
12.2;11.2 Macht durch Hingabe – Die Zersetzung normativer Grenzen;173
12.3;11.3 »Diktieren in die Feder macht mich irr« – Schreiben und Diktat im »Prinz Friedrich von Homburg«;180
13;12 Umschmelzung und Wandlung – Das Modell Penthesilea;189
13.1;12.1 Penthesileas Selbsttaufe;189
13.2;12.2 Geschmolzenes Erz – Selbstsetzung jenseits der Mutterworte;193
13.3;12.3 Der Umgang mit Unterlegenheit;200
14;13 Marionettentheater / Menschentheater;207
15;14 Die Krönung des Einzelnen – Souveränitätsbestätigung und Außenseitertum Kleists;221
16;15 Resümee;227
17;16 Literaturverzeichnis;235
17.1;Quellen;235
17.2;Forschungsliteratur;237
" (S. 221-222)
Mit einem eingehenden Blick auf Fallbeispiele aus KleistsWerk hat sich ergeben, daß Kleist als literarischer Anthropologe den Menschen dort verortet, wo er nicht mehr funktionierender Teil seiner Gemeinschaft sein kann oder sein will. Gerade im illegitimen Handeln können seine Figuren erst das Potential entwickeln, sich selbst jenseits der Vorgaben und Existenzrahmen zu erkennen, aus denen sie hervorgehen, deren Geschöpfe sie sind.
Doch damit verlieren sie die Anerkennung ihrer Lebensumgebung; wie bei Käthchen erscheint ihr Handeln den anderen als »krank«, als falsch; wie bei Penthesilea ist ihnen ab einem gewissen Punkt die Rückkehr in die Heimat, in ihre Welt, verwehrt. Abschließend soll mit einem kurzen Blick auf die Biographie Kleists gefragt werden, wie der Schöpfer eines Menschenbilds, das eine Harmonisierung zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen dem Mensch und der Möglichkeit seiner kategorialen Erfassung überhaupt (die ja eine Voraussetzung des Miteinanders ist) nicht geben kann, wie der Autor eines radikal anderen Menschen sich selbst als Teil der Gemeinschaft verortet bzw. herbeisehnt.
Problematischer Bezugspunkt für Kleist ist neben seiner Familie das Preußen der Napoleonischen Kriege, das er als seine Heimat zu restituieren versucht. In seinen nationalistischen Aspirationen ist Kleist, zusammen mit einigen wenigen anderen Intellektuellen, in seiner Zeit Außenseiter. In der Dedikation seines letzten Dramas »Prinz Friedrich vonHomburg«, das er Prinzessin Amalia von Preußen als Geschenk vermacht, bringt Kleist dieses Bewusstsein deutlich zum Ausdruck:
Gen Himmel schauend greift, im Volksgedränge, / Der Barde fromm in seine Saiten ein. / Jetzt trösten, jetzt verletzen seine Klänge, / Und solcher Antwort kann er sich nicht freun. / Doch eine denkt er in dem Kreis derMenge, / Der die Gefühle seiner Brust sich weihn: / Sie hält den Preis in Händen, der ihm falle, / Und krönt ihn die, so krönen sie ihn alle. (II/629)
Doch die von Kleist erhoffte »Krönung« setzt nicht ein, im Gegenteil – das Drama erfährt am Hof Prinz Wilhelms Ablehnung, Aufführung und Druck werden auf Veranlassung Amalias verhindert, ja die Handschrift droht in Vergessenheit zu geraten und wird erst 1814 durch Ludwig Tieck, den späteren Herausgeber der Werke Kleists, aus dem Besitz Wilhelms gelöst, wo es »gering geschätzt wurde«418. Kurze Zeit später, am 18. September 1811, erfährt Kleist eine weitere Demütigung, die Abweisung durch die Familie, die er in einem Brief an seine Vertraute Marie von Kleist eindringlich schildert."