Müller / Wölfling | Verhaltenssüchte - Pathologisches Kaufen, Spielsucht und Internetsucht | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 70, 106 Seiten

Reihe: Fortschritte der Psychotherapie

Müller / Wölfling Verhaltenssüchte - Pathologisches Kaufen, Spielsucht und Internetsucht

E-Book, Deutsch, Band 70, 106 Seiten

Reihe: Fortschritte der Psychotherapie

ISBN: 978-3-8444-2427-0
Verlag: Hogrefe Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Substanzungebundene Abhängigkeitserkrankungen rücken in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. 2013 fanden die sogenannten Verhaltenssüchte auch Eingang in das DSM-5. Das Buch widmet sich drei spezifischen Verhaltenssüchten: dem pathologischen Kaufen, dem pathologischen Glücksspielen und der Internetsucht. Für diese substanzungebundenen Abhängigkeiten scheint in der Bevölkerung eine besonders hohe Gefährdung zu bestehen.
Der Band beschreibt die Besonderheiten der drei Verhaltenssüchte, informiert über den Verlauf der Störungen, gibt differenzialdiagnostische Hinweise und liefert einen Überblick über diagnostische Verfahren und Dokumentationshilfen. Störungsspezifische kognitiv-behaviorale Therapieansätze, die sich als wirksam bei der Behandlung der drei Störungsbilder erwiesen haben, werden praxisorientiert vorgestellt. Dabei geht es u.a. um den Aufbau von Änderungsmotivation, die Vorbereitung von Verhaltensanalysen, die Entwicklung eines individuellen Entstehungsmodells und die Durchführung der Expositionsbehandlung.
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Zielgruppe


Ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psychologen, Psychologische Berater, Suchttherapeuten, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.

Weitere Infos & Material


|31|2 Störungstheorien und -modelle
Hinsichtlich der Pathogenese von substanzungebundenen Abhängigkeiten scheinen neben soziostrukturellen, soziopolitischen und anthropologischen Faktoren vor allem psychologische und neurobiologische Variablen eine wichtige Rolle zu spielen. Auf der Ebene der psychologischen Faktoren, die das Gerüst des Bedingungsgefüges der Suchtentstehung bei Verhaltenssüchten darstellen, sind vor allem Lernprozesse, wie die klassische und operante Konditionierung, beteiligt (Bilke-Hentsch, Wölfling & Batra, 2014; Grüsser & Albrecht, 2007). Verhaltenssüchte werden dabei als dysfunktional erlernte Verhaltensweisen verstanden. Ein derartiges Krankheitsmodell impliziert, dass die exzessiven Verhaltensweisen auch wieder verlernt werden können. Merkmale des Lernens sind demnach sowohl für die Entstehung, im Umkehrschluss aber auch für die Therapie von psychischen Störungen als zentral anzusehen. In der Verhaltenstherapie wird daher auch über Lernprozesse insbesondere eine Rückbildung von pathologischen Gewohnheiten (z.?B. Abstinenz vom Glücksspiel), eine Abschwächung zuvor etablierter neuronaler Vernetzungen (z.?B. Reaktionsverhinderung beim Verlangen zu kaufen oder zu spielen, Expositionstraining) sowie durch die Ausformung fehlender oder alternativer Handlungsmuster (z.?B. Aufbau funktionaler Stressbewältigungsfähigkeiten) angestrebt. Bei der Entstehung einer Suchterkrankung wird davon ausgegangen, dass der Betroffene lernt, schnell und effektiv seine Gefühle durch den Suchtmittelgebrauch zu regulieren, wobei gleichzeitig andere adäquate – zuvor z.?B. Freude bringende und die Gefühle regulierende – Verhaltensweisen in den Hintergrund rücken. Diese werden schließlich als zunehmend weniger belohnend empfunden und somit auch nicht mehr in der gleichen Häufigkeit ausgeführt (Bilke-Hentsch et al., 2014). Studien, die substanzgebundene und substanzungebundene Abhängigkeitserkrankungen verglichen haben, zeigten, dass Lernprozesse nicht nur bei der wiederholten und gewohnheitsmäßigen Zufuhr von psychotropen Substanzen zur Entstehung von Suchtphänomenen führen können, sondern dass auch durch die gewohnheitsmäßige Ausübung belohnender Verhaltensweisen, wie etwa beim wiederholten Kaufen, Glücksspielverhalten oder der Internetnutzung, Suchtprozesse entwickelt werden können (Bilke-Hentsch et al., 2014). |32| Abbildung 1: Klassische und operante Konditionierung bei pathologischem Glücksspielverhalten (modifiziert nach Grüsser & Thalemann, 2006, S. 33) Zuvor neutrale äußere (z.?B. Anblick einer Warenauslage, einer Spielkarte, eines Spielautomaten oder einer Website) oder interne Reize (z.?B. bestimmte Gefühlszustände, Stresserleben) können mit dem Suchtverhalten assoziiert werden. Bei mehrfacher Verknüpfung der Reize mit dem Suchtverhalten können die vormals neutralen Reize dann als erlernte konditionierte suchtmittelassoziierte Reize einen motivationalen Zustand (= konditionierte Reaktion) auslösen, der zu Verlangen nach dem Suchtverhalten führt (Grüsser & Wölfling, 2003; Sharpe, 2002). Darüber hinaus kann die Suchtentstehung auch durch operante Konditionierungsprozesse erklärt werden. Nachdem das süchtige Verhalten ausgeführt wurde, wirkt der angenehme Suchtmitteleffekt (z.?B. Euphorie) belohnend, also positiv verstärkend, auf das Verhal|33|ten. Neurobiologisch basierte Erklärungsmodelle von Suchterkrankungen postulieren dabei, dass aufgrund einer Neuroadaptation des körpereigenen (dopaminergen) Belohnungssystems eine Aufmerksamkeitszuwendung gegenüber drogen- oder glücksspielbezogenen Reizen ausgelöst werden kann (Robinson & Berridge, 2008). Durch die im Rahmen der Konditionierung auftretende fortschreitende Neuroadaptation kommt es zu einer Anreizhervorhebung (incentive salience), d.?h., dass sich die Wahrnehmung für bestimmte konditionierte Reize im Sinne einer erhöhten Aufmerksamkeit verändert und dass diese als besonders attraktiv wahrgenommen und damit „gewollt“ aus der allgemeinen Reizfülle hervorgehoben werden (motivationaler Wertzuwachs). Drogen- oder verhaltenssuchtbezogene Reize rufen demnach bei Personen, die eine Suchtentwicklung durchlaufen, einen spezifischen erlernten Motivationszustand – das Suchtverlangen – hervor. Das Auftreten von Suchtverlangen führt dann in Folge zu erneutem Spielverhalten. Dieser Vorgang läuft wahrscheinlich unbewusst ab. Die Verbindung der Reizrepräsentation mit der Aktivierung des mesolimbischen Dopaminsystems führt u.?a. zur Bildung impliziter Gedächtnisinhalte, die der bewussten Verarbeitung nicht zugänglich sind. Diese erlernte Aufmerksamkeitszuwendung könnte das neurobiologische Korrelat eines sogenannten individuell erworbenen Suchtgedächtnisses darstellen (Robinson & Berridge, 2008). Wenn nun durch das Suchtmittelverhalten Entzugserscheinungen oder Anspannungszustände, also unangenehme Situationen, vermieden oder beseitigt werden, wirkt dies negativ verstärkend. Das Glücksspielverhalten führt im Verlauf zu weiteren, immer schwerwiegenderen Problemen. Der Betroffene versucht, diese erneuten Belastungen und deren unangenehme, vorrangig psychische Auswirkungen verstärkt „wegzukaufen“, „wegzuspielen“ und zu vergessen (Bilke-Hentsch et al., 2014). In Abbildung 1 sind die beschriebenen Prozesse exemplarisch für Spielsucht zusammengefasst. 2.1 Risikofaktoren und Störungsmodell für pathologisches Kaufen
Aufgrund empirischer Daten aus den Bereichen Psychiatrie, Psychologie, Psychosomatik sowie Konsum- und Verbraucherforschung werden verschiedene Risikofaktoren als bedeutsam bei der Entstehung von Kaufsucht angesehen (A. Müller, Mitchell et al., 2015). Allerdings stützen sich die Angaben ausschließlich auf Querschnittsuntersuchungen und lassen daher keine validen Rückschlüsse auf kausale Zusammenhänge zwischen den einzelnen Variablen zu. Gleichwohl berechtigen klinische Anamnesen zu der Annahme, dass viele der nun genannten Aspekte potenzielle Risikofaktoren für pathologisches Kaufen darstellen. Die Auflistung ist keinesfalls als vollständig zu be|34|trachten. Im Einzelfall können weitere Entstehungsfaktoren vorliegen, die hier nicht berücksichtigt sind. Angst und Depression. Kaufsucht ist häufig mit klinisch manifesten psychischen Störungen vergesellschaftet (vgl. Kap. 1.6). Depression, soziale Ängste und damit verbundene Selbstwertprobleme sowie Selbstunsicherheit können das Risiko für eine Kaufsucht erhöhen. Sogenannte „Ecological Momentary Assessment“-Untersuchungen an Patienten mit pathologischem Kaufen haben ergeben, dass negative Befindlichkeiten durch Kaufhandlungen zumindest kurzfristig kompensiert werden, was im Sinne von negativen Verstärkungsprozessen wahrscheinlich zur Aufrechterhaltung von kaufsüchtigem Konsumverhalten beiträgt (A. Müller, Mitchell et al., 2015). Temperament und Persönlichkeitsvariablen. Nachdem bei kaufsüchtigen Patienten wiederholt eine erhöhte Impulsivität, eine generelle Neigung zu unvorteilhaften und riskanten Entscheidungen und Defizite in der Selbstkontrolle festgestellt wurden, sind diese Faktoren möglicherweise prädisponierend für eine Kaufsucht. Emotional-instabile, narzisstische und/oder zwanghafte Persönlichkeitseigenschaften sind ebenfalls Vulnerabilitätsfaktoren. Im Einzelfall spielen zudem dissoziale Persönlichkeitsakzentuierungen, die sich in Form von wiederholtem Lügen, Missachten der Rechte anderer, Vortäuschen von Zahlungsfähigkeit und anderen gesetzwidrigen Verhaltensweisen zur Befriedigung des Kaufdranges äußern, eine Rolle. Materielle Werteorientierung. Die meisten Befunde zur Bedeutsamkeit von materiellen Werteeinstellungen entstammen der Konsumforschung. Wenn der Besitz von materiellen Gütern ein erstrebenswertes Ziel darstellt und eine sehr zentrale Rolle im Leben einnimmt, kann dies zur Entstehung und Aufrechterhaltung von kaufsüchtigem Verhalten beitragen. Negative Lebensereignisse. Ausgehend von Patientenberichten kann pathologisches Kaufen durch negative Lebenserfahrungen, z.?B. traumatische Erlebnisse, ausgelöst werden. Zumindest wird im klinischen Kontext sehr häufig eine zeitliche Kontingenz von negativen Life Events und dem Auftreten oder der rapiden Verschlechterung kaufsüchtiger Symptome berichtet. Umweltfaktoren. Dass Kaufattacken durch ein reichhaltiges Produktangebot und Marketingstimuli getriggert werden, scheint plausibel. Das Internet gestattet zudem eine von Ladenöffnungszeiten völlig unabhängige Kaufkultur, bei der unbegrenztes „Browsing“ möglich ist und man unbeobachtet shoppen kann. Digitale, gegebenenfalls auch...


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