Münzel / Antes / Hutter | Indigene Religionen Südamerikas | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 366 Seiten

Münzel / Antes / Hutter Indigene Religionen Südamerikas

E-Book, Deutsch, 366 Seiten

ISBN: 978-3-17-034950-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



There are three apparently contradictory aspects that define the religious features of South America: traditionally strong Catholicism, Protestant and Pentecostal denominations that have gained strength since the 19th century, and religions of pre-Columbian origin that have survived and developed further. This volume offers a descriptive account of these strands as the living religions of people today, which can be inquired into by ethnologists and religious scholars. In the process, the book divides South America into two religious areas: the Central Andes region, where pre-European traditions were already incorporated into local Christianity in many places during the colonial period, and the area east of the Andes (and to a lesser extent the northern and southern Andes), where separate religions survived more autonomously, but lost a large number of their adherents in the 20th century due to new, intensive Christian missionary work.
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Einleitung: Die unendliche Vielfalt der Religionen
Mark Münzel »Wer diese Religion [nämlich das Christentum und seine Geschichte] nicht kennt, kennt keine, und wer sie sammt ihrer Geschichte kennt, kennt alle«, sagte der Kirchengeschichtler Adolf von Harnack 1901, gegen den Satz des vergleichenden Sprachwissenschaftlers Max Müller: »Wer eine kennt, kennt keine«.1 Das waren Eckpfosten einer religionsgeschichtlichen Kontroverse des 19. Jahrhunderts, in der es nicht um Südamerika ging, aber die Sätze gelten in ihrer Gegensätzlichkeit auch hier: Kennt man eine der in Südamerika entstandenen Religionen, so weiß man schon viel über die meisten anderen, wobei in allen auch der fünfhundertjährige Einfluss des Christentums wirkt. Auf der anderen Seite jedoch wartet jede einzelne unter diesen Religionen mit so viel Besonderem auf, dass man eben auch sagen muss: Kennt man eine, kennt man keine. 1  Vielfalt der Sprachen
Max Müller ging von der Vielfalt der Sprachen aus und hatte dabei einen Goethe-Satz im Kopf, vermutlich diesen: »Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen.«2 Das übertrug er dann auf die Religionen. Auch auf Sprachen bezogen, passt sein Satz auf Südamerika. Schier unendlich ist die Vielfalt der hier schon vor der europäischen Konquista heimischen Sprachen, sogar heute noch, nachdem viele ausgestorben sind. Es existiert keine gemeinsame südamerikanisch-indianische Sprachfamilie, und selbst innerhalb einer einzelnen der vielen Sprachfamilien finden sich bisweilen ganz verschiedene Grammatiken. So umfasst die Tupí-Guaraní-Sprachfamilie mehrheitlich Sprachen des synthetischen (mit zahlreichen Affixen arbeitenden) Sprachtypus, daneben aber auch das Aché, das typologisch, fast ohne Affixe, dem isolierenden (oder analytischen) Typus etwa des Chinesischen nähersteht. Die überwiegende Mehrzahl der südamerikanischen Sprachen voreuropäischen Ursprungs wird jeweils nur von kleinen und kleinsten Gruppen gesprochen, manchmal von nicht mehr als 50 Menschen. Nur drei haben mehr als 100.000 Sprecher: Quechua, Aymara und Guaraní (in seiner paraguayischen Variante, Guaraní paraguayo). Dabei ist aber Guaraní insofern ein Sonderfall, als es die Umgangssprache nicht allein indigener Guaraní ist, sondern auch eines Großteils der nicht-indigenen Paraguayer. Nur so erklärt sich die große Anzahl seiner Sprecher. Muttersprache von Millionen Indigenen sind nur Quechua und Aymara, beide in den Zentralanden. Karte 1:  Die größten südamerikanischen Sprachfamilien (Münzel 1976:171) 2  Zwei Hauptregionen
Die Zentralanden sind, ähnlich wie in sprachlicher Hinsicht, überhaupt auch kulturell relativ einheitlich, zumindest im Vergleich zu dem vielfältigen Kaleidoskop der Kulturen östlich der Anden. Das erklärt sich historisch durch Vereinheitlichungen im zentralen Andenraum, die getragen wurden von großen Reichen wie dem Inkareich oder zumindest von überregionalen politisch-ökonomischen Zusammenhängen schon Jahrhunderte vor den Inka. In der Ethnologie ist die Grobunterscheidung zwischen andinen und extra-andinen Kulturen üblich, auch wenn solche schematische Gliederungen im Einzelnen selten ganz zu stimmen pflegen. Immerhin gab es auch östlich der Anden in voreuropäischer Zeit intensive überregionale Querkontakte, wie sich aus der Verbreitung von Keramikstilen archäologisch ablesen lässt. Auf der anderen Seite war die kulturelle Vereinheitlichung des zentralandinen Raumes nie vollständig, und zerfallen auch die Großsprachen Quechua und Aymara in zahlreiche regionale Varianten. Aber für die Orientierung ist das Schema nützlich: In den Zentralanden zwei schon voreuropäisch weit verbreitete Landessprachen und eine gewisse kulturelle Einheit; östlich davon selten eine politische Einheit über das Dorf hinaus, allenfalls gelegentliche Bündnisse mehrerer Dörfer. In den Nordanden (vor allem Kolumbien) lassen sich politische Gebilde historisch nachweisen, die zwar nicht Reichweite und Zentralisierungsgrad des Inkareiches besaßen, aber immerhin so etwas wie Regionalfürstentümer darstellten. In den Südanden (Chile, östlich daran angrenzende andine Teile Argentiniens) haben die Mapuche zwar kein Reich oder Fürstentum gebildet, aber Zusammenschlüsse in Kriegszeiten. Gemeinsam ist allen heutigen südamerikanischen Religionen voreuropäischen Ursprungs, dass sie keine zentralen Instanzen besitzen, keine Kirchenorganisation, die eine religiöse Vereinheitlichung durchsetzen könnte. In voreuropäischer Zeit gab es zumindest Ansätze religiöser Zentralgewalt im Zentralandenraum, der ja auch politisch einer Vereinheitlichung unterworfen war, doch hat die europäische Konquista diese eigenständige Zentralisierung durch einen christlichen Zentralismus europäischer Herkunft ersetzt, der die indigenen Eigenentwicklungen nur überdacht und beeinflusst, aber nicht ersetzt. Heute gilt für die Religionen voreuropäischen Ursprungs, ob in den Anden oder östlich davon, dass individuelle Weiterentwicklungen nicht von einer Kirche kontrolliert werden, sondern von der jeweiligen kleinen Gemeinschaft. 3  Das Christentum
Die meisten heutigen Nachkommen der Ureinwohner Südamerikas sind Christen. Ihr Christentum ist allerdings vielfach von ihren vorchristlichen Wurzeln mitgeprägt. Sie sind darum keineswegs »Heiden« im Sinne einer Religion neben dem Christentum, aber europäische Christen sind sie auch nicht. So hat etwa eine der Autorinnen dieses Sammelbandes, Graciela Chamorro, die hier über die traditionelle Religion der Guaraní schreibt, an anderer Stelle (2016) die Herausbildung pfingstkirchlicher Religiosität bei den Guaraní beschrieben. Im Gran Chaco, dessen Ureinwohner heute allesamt Christen sind, findet José Braunstein zahlreiche eigenständige, aus der nicht-christlichen Vergangenheit weiterlebende Elemente (in diesem Sammelband, und etwa auch in Braunstein 2004), vor allem in evangelikalen und pfingstkirchlichen Gemeinden. Der christliche Prediger ist gleichsam auch ein Schamane. Galten Süd- und Mittelamerika einschließlich Mexiko bis weit ins 20. Jahrhundert als der katholische Weltteil, so wird die einst vorherrschende Position der katholischen Kirche seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht allein von dem schon seit dem 19. Jahrhundert mächtigen Laizismus erschüttert, sondern auch von religiösen Strömungen aus dem Protestantismus (überwiegend aus seinen nordamerikanischen Varianten), der Pfingstbewegung und spiritistischem Glauben (hauptsächlich dem Kardecismus). In Regionen mit hohem Bevölkerungsanteil afrikanischer Herkunft, am stärksten in Brasilien haben afrikanische Religionen sich mit dem Katholizismus verbunden, im 20. Jahrhundert auch vielfach mit dem Kardecismus. All diese Einflüsse blieben nicht ohne Wirkung auf die zuvor auf dem Kontinent heimischen Religionen. Doch sind Christentum und Spiritismus nicht das Thema dieses Bandes, wenn sie auch nicht völlig ausgeklammert werden – für diese sei nur, etwa, auf einen Sammelband zu Religionen in Brasilien verwiesen (Schmidt/Engler Hrsg. 2016), der vom Katholizismus über den Buddhismus, Islam, Pfingstkirchentum usw. bis hin zur Neureligion Santo Daime den ganzen Fächer religiöser Vielfalt ausbreitet. Oder man lese in diesem Sammelband hier den Aufsatz über die Religionen im Gran Chaco, die überwiegend eigenständige Weiterentwicklungen des Protestantismus bilden. Diese religiöse Vielfalt erlaubt es oft kaum noch, einzelne Einflüsse in den aus voreuropäischer Zeit erhaltenen Religionen auseinander zu definieren. Für christliche Einflüsse lassen sich in einem jahrhundertelang christianisierten Kontinent gute Argumente finden. Der Erzähler Rigasedye vom Volk der Witoto, der dem Ethnologen Konrad Theodor Preuss schon 1914 berichtete, die Welt sei aus Illusion entstanden, hatte zuvor auf einer Missionsstation gelebt – hat er dort die christliche oder platonische Lehre von der Erde als Illusion aufgenommen? Ähnliche Gedanken finden sich auch bei anderen Erzählern seines Volkes, bei denen man ebenso wenig christlichen Einfluss ausschließen kann. Nur ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass auf einer christlichen Missionsstation Anfang des 20. Jahrhunderts antike Philosophie gelehrt wurde. Die Bedeutung des Wortes als eines Grundprinzips der Welt (in diesem Sammelband von Chamorro/Combès für die Religionen der Guaraní beschrieben) ließe sich als Echo des Anfangs des Johannes-Evangeliums interpretieren: »Am Anfang war das Wort«. Doch ist im Einzelnen sehr genau darauf zu achten, in welchem Zusammenhang der gesamten Religion solche Ähnlichkeiten stehen. Wenn ein Schamane gen Himmel fährt, wäre zu untersuchen, ob diese Reise die gleiche wie die Himmelfahrt Jesu oder Mohammeds ist, oder ob sie zu ganz anderen Zielen und Bewusstseinszuständen führt. Und auch wenn die Vorstellung einer Himmelfahrt christlich sein könnte, so ist die Praxis doch eine ganz andere. In schamanischen Religionen ist die Himmelfahrt des Schamanen nicht alltäglich, aber doch so häufig, dass sie niemanden mehr verwundert; im Christentum und im Islam hingegen ist sie ein einmaliges, besonderes Ereignis. Eine Rückführung der schamanischen Reise auf die christliche oder islamische Himmelfahrt würde diese Unterschiede verkennen und letztlich wenig zum Verständnis des Schamanismus beitragen. 4  Indianer, Indios, Indigene, Ureinwohner,...


Prof. Mark Münzel formerly taught ethnology at the University of Marburg.


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