E-Book, Deutsch, 374 Seiten
Multatuli Die Abenteuer des kleinen Walther
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3236-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 374 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3236-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Für den jungen Walther ist noch nicht mal der Himmel das Limit. Voller Elan und Euphorie meistert er sein Leben - bis er eines Tages im Judenviertel von Amsterdam die andere Seite des Lebens kennenlernt ...
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11.
Ein kurzes Kapitel mit viel Handlung. Der Vorteil des Rauchens. Der punische Krieg.
Ich sehe wohl, daß meine Kraft als Geschichtschreiber nicht ausreicht, um die Krisis zu schildern, die diesem schrecklichen Wort folgte.
Jüffrau Laps, die mehr und direkter angegriffen war als die anderen, und die außerdem, als angehende Betstundenabhalterin, etwas kriegerisches in ihrem Charakter hatte, ließ ihr Antlitz alle Farben annehmen, die man gewöhnlich braucht, um den Zorn zu schildern.
Die vorletzte französische Romanschule ging bis ins Grüne, aber weil sie kein Französisch las, beschränkte sie sich auf ein erschreckliches Violett und rief ... nein, sie rief nichts, denn sie hatte keine Luft. Aber sie zerdrückte ihren Pfefferkuchen zu Grus und sah abwechselnd Stoffel und seine Mutter an, auf eine Weise, die für sie sehr belastend gewesen wäre, wenn diese beiden Personen an jenem Abend gestorben wären.
Stoffel entging diesem Blick, indem er, etwa nach Art der Tintenfische, wenn sie Unannehmlichkeiten befürchten, sich in eine dicke Rauchwolke hüllte. Aber die arme Jüffrau Pieterse, die nicht rauchte, war waffenlos. Sie stammelte demütig: "'s steht im Buch ... 's steht wahrhaftig im Buch ... Menschen, seid friedlich ... 's steht im Buch ..."
Es kam Luft in Jüffrau Laps' Kehle, genug Luft, um sie vor dem Ersticken zu bewahren. Sie wartete noch einen Augenblick, hustete, warf den mißhandelten Überbleibsel von dem Pfefferkuchen auf den Tisch und begann:
"Jüffrau Pieterse. Sie sind ein Rabenaas! Sie mögen selbst ein Säugetier sein, Sie und Ihr Sohn, das sage ich Ihnen! Ich bin so anständig, als Sie nur zu denken wagen, denn mein Vater war im Kornhandel, und nie hat jemand auch nur so viel auf mich sagen können! Fragen Sie alle Menschen nach mir, und ob ich mich je mit Mannsleuten eingelassen habe oder so was ... und ob ich jedem das Seine gebe ... und er war Faktor, wissen Sie ... und wir wohnten überm Stiftshaus ... denn er war im Kornhandel, und da können Sie nach mir fragen, hören Sie! Sie können, Gott sei Dank, überall nach mir fragen ... aber nie und nie, niiiie ist mir so etwas passiert, was Sie mir anthun ... und wenn ich nicht an mir hielte, wollte ich Sie säugetieren, bis Sie gesäugetiert wären ... ja, das thät' ich! Und ich sage Ihnen nochmal, daß Sie ein Rabenaas sind, Sie und Ihr Sohn und Ihre ganze Familie, weg, Trude! Mein Vater war im Korn, wissen Sie ... und ich bin zu anständig, um durch Sie ..."
"Aber ... 's steht im Buche ... um der Liebe willen, glauben Sie mir ... 's steht im Buche!"
"Halten Sie Ihren Mund mit Ihrem Buche! Sie dürfen wohl schweigen von Ihrem Buche, Sie, die Gottes Wort verschachert haben und verthan auf der Ouwebrüg ..."
Das war nun nicht ganz richtig. Das hatte Walther gethan und nicht seine Mutter. Aber in der Aufregung nimmt man es wohl nicht so genau.
"Stoffel, hol doch dein Buch." rief die Mutter, "und zeig's der Jüffrau ... ach, lieber Gott, was hab' ich angerichtet!"
"Geht in die Hölle mit eurem Buch und euren Säugetieren! Ihr habt mir nichts zu zeigen in eurem Buch, das sage ich! Und ich sage nochmal, daß ihr Rabenäsers seid, Sie und Ihr Lümmel von Sohn und Ihre Dirnen von Töchtern, die aufwachsen wie ..."
Truitje, Myntje und Pietje, die daraus entnahmen, daß an ihrer Art aufzuwachsen etwas haperte, kreischten nun auch mit. Die übrige Gesellschaft heulte von Zeit zu Zeit ein Wort dazwischen. Es kam wieder eine Botschaft von der Jüffrau unten, die mit der Polizei drohte. Die Kinder machten Gebrauch von der Aufregung, um den Bann zu brechen, unter dem sie bisher gesteckt hatten. Sie hatten das Bett verlassen und lauerten durch das Schlüsselloch. Jüffrau Pieterse rief nach ihrem Riechfläschchen und sagte, daß sie sterben wollte. Frau Stotter verlangte ihr "Altes", und Stoffel spielte den Tintenfisch, so gut es ging.
Alle waren aufgestanden und wollten fort. Man konnte viel vertragen, aber das nicht! Jüffrau Krümmel wollte es ihrem Mann sagen. Jüffrau Zipperman dem Kataster oder der Assekuranz. Frau Stotter wollte es dem Mann auf der Prinzengracht erzählen, bei dem sie gewesen war, und Jüffrau Mabbel, ich weiß nicht wem. Kurz, jeder wollte diesen oder jenen zum Genossen der Sache machen, und der Himmel mag wissen, ob es bei der Drohung geblieben wäre, wenn nicht zu guter Stunde der Hausgenius der Pieterses diesen Augenblick den würdigen Mann hätte an der Hausglocke ziehen lassen, den wir so verzweifelt tugendhaft in einem früheren Kapitel verlassen haben.
12.
Ja, es läutete – und noch einmal: es war also "zu uns."
Jüffrau Pieterse holte Atem, und daran that sie wohl, finde ich, wenn es auch eigentlich thöricht ist zu sagen, daß man etwas gut finden würde, wenn man ein anderer wäre als man ist. Es kommt mir aber so vor, weil ich an ihrer Stelle Atem geschöpft hätte. Erstens, weil ich mir vorstellen kann, daß sie es lange nicht gethan hatte. Ferner, weil ich weiß, wie man in widrigen Umständen auf jede Änderung Hoffnung setzt, und sogar auf die Veränderung jeder Kleinigkeit. Und endlich, weil ich mir vorstelle, daß Jüffrau Pieterse in diesem Punkt wohl ein Mensch wie jeder andere gewesen sein wird.
"Ach, meine Lieben," sagte sie, "seid doch friedlich, es werden die Herren sein."
Die Damen behaupteten, die Herren könnten es noch nicht sein, weil es noch zu früh war, und gerade dieser Zweifel, diese Ungewißheit, ob es wohl die Herren sein könnten, gab der Krisis eine günstige Wendung.
Ungewißheit wirkt immer lähmend, gleichgültig, ob sie mit der Sache in Zusammenhang steht, die uns gerade beschäftigt, oder nicht. Dazu kommt, wenn man einmal in seinem Zorn gestört worden ist, findet man nicht leicht den richtigen Punkt wieder, wo man stehen geblieben ist.
Jüffrau Laps machte diese Erfahrung; sie versuchte es, aber es ging nicht. Ihr "Ein Säugetier, hat man so was gehört, ein Säugetier!" wurde überstimmt durch das "Meine Zeit! sonst kommt er nie vor zehn!"
Jüffrau Pieterse bemächtigte sich schleunigst dieser Ableitung, und sie bewog die Gesellschaft, wieder Platz zu nehmen.
Trudchen wurde beauftragt, die Kinder "zurecht" zu bringen – die recht schlecht dabei wegkamen – und die Gastgeberin hatte gerade eine neue zoologische Verhandlung im Sinn, die einen rückhaltlosen Frieden unter den kriegführenden Parteien zustande bringen sollte, als die Thür geöffnet wurde und Meister Pennewip vor der verstörten Gesellschaft erschien. Er war auch verstört, der Leser weiß es.
Die Homöopathen bekommen hier wieder einmal Oberwasser, denn die Überraschung seiner Ankunft wirkte günstig auf die eingeleiteten Friedensunterhandlungen. Stillschweigend wurde ein Waffenstillstand geschlossen zwischen den kriegführenden Parteien – nicht ohne Vorbehalt auf der Lapsseite, den Streit wieder aufzunehmen, sobald der Neugier um die Ursache von Pennewips Ankunft Genüge geschehen wäre – und sie entschloß sich hierzu um so leichter, als man dem Mann ansehen konnte, daß er etwas sehr Gewichtiges auf der Pfanne hatte. Die Perücke rief deutlich Mord und Brand, und das liebte sie, die gute Jüffrau Laps.
"Guten Abend, Jüffrau Pieterse, ich bin Ihr unterthäniger Diener. Sie haben, wie ich sehe, Besuch, aber ..."
"Das macht nichts, Herr Lehrer; treten Sie nur ein und nehmen Sie Platz."
Die Gesellschaft "machte nichts" und "nehmen Sie nur Platz." Es herrscht eine eigenartige Umgangsform im Bürgerstand III, 7, b¹ (Pp) .
"Trinken Sie ein Täßchen mit, Herr Lehrer?"
"Jüffrau Pieterse," sagte der Mann in würdevollem Ton, "ich bin nicht hierher gekommen, um Salbeimilch zu trinken!"
"Aber nehmen Sie doch Platz, Herr Lehrer!"
Es ging zwar nicht leicht, aber man rückte zusammen, und es ging.
Pennewip räusperte sich mit Würde. Er sah in die Runde, holte eine Rolle Papier heraus, zog die Perücke schief und sprach:
"Jüffrau Pieterse! Sie sind eine brave, anständige Frau, und Ihr Mann ... verkaufte Schuhe ..."
Jüffrau Pieterse sah Jüffrau Laps mit einem Blick des Triumphes an.
"Ja, Herr Lehrer, das that er!"
"Fallen Sie mir nicht in die Rede, Jüffrau Pieterse. Ihr heimgegangener Gatte verkaufte Schuhe. Ich habe Ihre Kinder auf meiner Schule gehabt von so klein auf, bis zur Einsegnung. Ist es nicht so, Jüffrau Pieterse?"
"Ja, Herr Lehrer," antwortete sie betreten, denn sie bekam Angst vor der nachdrücklichen Würde in Pennewips Ton.
"Und ich frage Sie, Jüffrau Pieterse, ob Sie, so lange Sie durch Vermittlung Ihrer Kinder mit meiner Schule etwas zu thun hatten, Klagen hatten – ich meine: begründete Klagen, – über die Art und Weise, wie ich – mit Hilfe...




