Mustagab Irrnisse und Wirrnisse des Knaben Numân
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-85787-929-6
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 154 Seiten
Reihe: Arabische Welten
ISBN: 978-3-85787-929-6
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In seiner wunderbaren Satire erzählt uns Muhammad Mustagab von den Abenteuern Numâns, eines candidesken Toren aus dem Niltal. Schon in früher Kindheit für allerhand Missetaten berüchtigt und laut seiner Mutter wohl von einem bösen Dschinn befallen, nimmt ihn eine reiche Witwe zu sich und bringt ihm die Annehmlichkeiten des Stadtlebens nahe. Doch schon bald ist Numân zurück in seinem Dorf und wird Gehilfe eines Totengräbers. In einer weiteren Episode erlebt er die Turbulenzen um seine - verspätete - Beschneidung.
Muhammad Mustagab ist einer der Autoren der modernen arabischen Literatur, die sich am intensivsten mit der Mentalität des ägyptischen Dorfes und dessen Bewohnern befassen, und zugleich einer der spitzzüngigsten Schriftsteller seiner Zeit. Mit treffendem Humor nimmt er das Landleben aufs Korn, das sich zwischen Traditionen und Ritualen, Glauben und Aberglauben sowie den absurdesten Gerüchten und Streitereien abspielt. Dabei ist auch sein Spott über religiöse Traditionen unüberhörbar.
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Von Geburt und Genealogie
Niemand auf diesem weiten Erdenrund kann genau das Jahr bestimmen, in dem Numân das Licht der Welt erblickte. Sicher ist: Der Deutsche Reichstag war – Vorbereitung für die Abservierung der Oppositionellen des Dritten Reichs durch Adolf – bereits abgebrannt; auch Lenin war sicher schon tot und hatte das sozialistische Russland seinem halsstarrigen Nachfolger überantwortet. Weniger wahrscheinlich ist es, dass Chamberlain sich bereits Grossbritanniens angenommen hatte; ebenso wenig ist anzunehmen, dass mein Onkel Mihimmad (er hiess wirklich so, ja, nicht Muhammad) bereits aus dem Gefängnis entlassen war, in das er wegen des hartnäckigen Anbaus von Opiummohn inmitten der Baumwolle geraten war – ein Vorfall, der parallel zur Geschichte mit der Uhr meines Grossvaters Hagg Mustagâb1 lief. Damit ist der ungefähre Zeitpunkt von Numâns Geburt eingekreist, wir können also dieses Thema abschliessen und all denjenigen Ansichten auf die Finger klopfen, die versucht haben, unserem Mann am Zeug zu flicken. Fest verbürgt ist, dass Numân am Mittag eines Hundstags geboren wurde, zu einer Zeit, da der Ertrag des Nilmaises zu reifen beginnt. Seine Mutter, Frau Umm Numân, besass das Monopol für den Verkauf von Pökelfisch an den Ufern des Jûssufkanals, der sich von nördlich der Dämme von Dairût al-Scharîf bis zu den Buchten der Güter von Abu Gabal dahinwindet. Dort, fern der dichtbewohnten Flecken, in ihrer transportablen Hütte, deren Verschiebungen den plötzlichen Überflutungswellen gehorchen, gebar sie ihn. Es ist nicht auszuschliessen, dass ihr bei der Geburt jemand zur Hand ging, doch tut dies nichts zur Sache. Fest steht jedenfalls, dass Numân zur Zeit, da britische Panzer den Abdîn-Palast belagerten und Mustafa Nahhâs Pascha mit der Regierungsbildung beauftragt wurdeI, schon in der Lage war, einen halben Palmstamm zu erklimmen oder in den Seitenarmen des Jûssufkanals herumzupaddeln. Dies wiederum passt haargenau zu einer weiteren Hypothese, die in Scheich Abdalasîs Chalîls Version einmal die Runde machte und der zu glauben wir persönlich geneigt sind. Danach sei Numân eine gewisse Zeit nach dem Aufruhr2 geboren. Doch ist es schwierig festzulegen, um welchen »Aufruhr« es sich handelte: War es derjenige von Urâbi Pascha im Jahre 1881 oder die Revolution von 1919, oder war es gar der Aufruhr der Ghus – jener letzten, versprengten Osmanensoldateska, die sich im Jahre 1934 mit den übrigen Dörfern der Region schlug –, der mit dem Auszug mehrerer Familien aus ihren Dörfern endete, die sich in die Bäuche der Berge und auf die Schwingen der Täler begaben? Dies alles veranlasst uns, andere, schwache Überlieferungen auszuscheiden. Zum Beispiel jene Reminiszenzen seiner einzigen Tante väterlicherseits, die später der Schwindsucht zum Opfer fiel, sie habe, als sie die Nachricht von Numâns Geburt vernahm, Tee trinkend im Hause eines Wachmanns gesessen. Tee nämlich blieb nach seinem Auftreten im Lande für längere Zeit, ja bis nach der Entlassung meines Onkels Mihimmad aus dem Gefängnis, ein Privileg der gehobenen Schicht. Zu den schwachen Überlieferungen gehört auch, Numân Abdalhâfis sei während der Feier der Nacht von Scheich Rabii Mursi Bilâl geboren. Bei der Überprüfung von Namen und Nächten der im Dorf ebenso wie in der Region allgemein anerkannten Scheiche und bei der Diskussion mit deren Jüngern und Fürbetern haben wir nämlich keinerlei Bestätigung für die Existenz eines Scheichs dieses Namens finden können.3 Es ist also, aufgrund der präzisesten Annahmen, so gut wie gewiss, dass Numân die Welt am Ufer des Jûssufkanals während der achtmalzwölfmonatigen Zeitspanne erblickte, die mit dem Jahr 1930 einsetzt. Abu Numân, Numâns Vater also, war Abdalhâfis Chamîs, der einem Clan der Hadâjida entstammte, die sich südlich von Dairût al-Scharîf niedergelassen haben. Er gehörte nicht zu den Vermögenden: weder durch Grund und Boden noch durch Immobilien, noch durch Handel. Dennoch besass er einzigartige Eigenschaften, die ihn zu einer der berühmtesten Persönlichkeiten im ausgehenden 19. und beginnenden (erstes Drittel) 20. Jahrhundert machten. Er war ein Sportsmann, der seine läuferische Begabung bei der Verfolgung der Esel der besseren Leute trainierte, wenn diese sich vom Dorf nach Dairût-Station begaben, bei klirrender Kälte ebenso wie bei sengender Hitze. Er war schweigsam und ein wenig menschenscheu, so dass seine sportlichen Neigungen ins Gerede kamen. Er hatte nämlich begonnen, sich die Ernte einiger Bewohner anzueignen, des Nachts und in kleinen Mengen, weshalb die so Geschädigten sich gezwungen sahen, Mittel und Wege zu suchen, ihn in flagranti zu ertappen. Doch Abdalhâfis Chamîs, ruhig, wie er war, bot ihnen keinerlei Handhabe, ihre diesbezüglichen Absichten in die Tat umzusetzen. Bald einmal verschwand er für eine Weile und kehrte dann, mit ruhigem Stolz ein Kamel führend, ins Dorf zurück. Abu Numân war unablässig und unermüdlich an seinem Kamel beschäftigt, abgesehen von wenigen Unterbrechungen – etwa wenn die Nacht von Scheich Abu Harûn gekommen war. Einen Tag wie diesen erwartete er sehnlichst. Dann liess er sein Kamel vor seinem Domizil niederknien und hastete mit weitaufgerissenem Mund und erwartungsvoll heiteren Zügen zum Zelt der Tänzerinnen, um dort Zimttee zu schlürfen. Und wenn eine von ihnen zum zwanzigsten oder fünfzigsten Mal vor ihm vorüberschwebte, gerieten Abu Numâns Glieder in Erregung. Er warf seine Filzkappe auf den Boden und tanzte zitternd um sie herum, im hinreissend tosend geklatschten Takt. Einmal ermüdet, liess er sich erschöpft auf die erstbeste Bank fallen und zückte aus seiner Leinengallabija eine Münze, die er pompös der Tänzerin zuwarf. Danach verweilte er wortlos bis zu den ersten Anzeichen des Morgens. Eines Jahres nun geschah es, dass eine Tänzerin namens Badrîja ihm keine Gelegenheit liess, nach Verrichtung seiner Routine nachhause zurückzukehren. Sie richtete das Wort an ihn, und so verstrickten sich die beiden in eine deftige Beziehung, an der Abdalhâfis weiterkaute, bis besagte Dame im folgenden Jahr wiederkam. Da ging er hin, verkaufte sein einziges Kamel und umkreiste fortan Badrîja in Weilern, Dörfern und Städten, bis sich die Nachrichten über ihn verloren. In der Folge machten Vermutungen – wir werden deren Wahrheitsgehalt gleich entkräften – die Runde, Abu Numân habe den Tod durch Mörderhand gefunden, und zwar im Muharrakkloster während christlicher Feierlichkeiten. Einige Männer aus dem Dorf wollen seine Leiche mit eigenen Augen gesehen haben. Nach Aussage anderer sei der Mann im Rahmen der Revolution von 1919 bei dem berühmten Angriff der Dorfbewohner auf den englischen Zug ums Leben gekommen.4 Böswillige Zungen verbreiteten hingegen, er habe jene Tänzerin geehelicht und sei dadurch in ihre Entourage geraten. Ein Reaktionär erzählte gar, Abdalhâfis Chamîs sei in sich gegangen und habe sich als Novize einem Wunderwirker irgendwo in den Bergen angeschlossen. Doch all dies üble Gerede wird durch die Tatsache entkräftet, dass Abu Numân eines Feiertags zurückkehrte – zurück ins Dorf, zurück in die Gasse und zurück zur Gattin, wortlos wie üblich, beladen mit Erfahrungen und dem richtigen Bewusstsein, aber ohne Kamel. Eine Weile blieb er verschlossen, dann ging er wieder seinen Lieblingsbeschäftigungen nach – taub für Ratschläge, unzugänglich für Ermahnungen, gleichgültig gegenüber Drohungen, bis er den Bewohnern der Gasse unerträglich wurde, nicht nur wegen seines Verhaltens auf den Feldern, sondern weil sich zusätzlich noch das Verschwinden von Geflügel und kleinem Hausgetier aus der Gasse häufte. Irgendwann in den dreissiger Jahren wurde Abdalhâfis Chamîs vom Beduinenrat sowohl in absentia als auch einstimmig zum erleichterten Wegzug aus dem Dorf verurteilt. Doch als der so Verurteilte dem Beschluss kein Gewicht beimass, begann man ihn an Leib und Gut zu schädigen. Die folgenden Schandtaten sollen ihm zugefügt worden sein: a. Ein wild gewordenes Kalb rammte ihn, während er mit Umm Numân das Abendbrot einnahm – im Hof seines eigenen Hauses! Das hatte die Zersplitterung seiner achten Rippe auf der linken Seite zur Folge. Für diesen Vorfall lieferte niemand eine Erklärung, geschweige denn eine Entschuldigung. b. Man konspirierte mit dem Schneider, einen Teil des für seine Gallabija vorgesehenen Stoffes abzuzweigen, was Abu Numân dazu zwang, sein Gewand mit einem andersfarbenen Stoff fertigzustellen. c. Man weigerte sich, ihn als Zeugen im Mordfall des Abu Idrîs vorzuladen, obwohl diesem der Hals direkt vor ihm, Abu Numân, durchgeschnitten worden war. d. Man verschwor sich mit einem Schlangen- und Skorpionbeschwörer, Abu Numâns Haus als ungeziefer- und reptilienfrei zu erklären. Am darauffolgenden Tag jedoch spie eine Schlange ihr Gift auf seinen Fisch. Und ohne seine Einsicht, Vorsicht und Umsicht wäre Abu Numân diesem Vorfall zum Opfer gefallen. e. Man entwendete ihm mehrfach seine Gallabija: sowohl vom Kanalufer als auch aus seinem Haus.5 Abu Numân blieb geduldig und unerschütterlich. Doch irgendwann einmal überschritten die ihm missgünstig Gesinnten die Grenze der Ehre. Sie verbreiteten im Dorf, sein Männlichkeitsguthaben sei verschwindend und der Hinschied seiner Kinder noch vor der Entwöhnung sei darauf zurückzuführen, dass sie auf einem Gott nicht wohlgefälligen Wege zustande gekommen seien. Was die ganze Angelegenheit noch verschlimmerte, war die Tatsache, dass die Dorfältesten Verse von der Art gegen ihn schmiedeten: Abdalhâfis o Chamîs, ach, dein Tun ist teuflisch...