E-Book, Deutsch, Band 4, 176 Seiten
Reihe: Ein Fall für die MounTeens
Naas Alarm am Gletscher
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-906037-65-3
Verlag: boox-verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der vierte Fall für die MounTeens
E-Book, Deutsch, Band 4, 176 Seiten
Reihe: Ein Fall für die MounTeens
ISBN: 978-3-906037-65-3
Verlag: boox-verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Marcel Naas, geboren 1973, arbeitete zehn Jahre als Sekundarlehrer, bevor er ein Studium der Pädagogik, Publizistik und Philosophie an der Universität Zürich abschloss. Nach Promotion an der Universität Luxemburg war er in einem Post-Doc-Projekt der Universität Basel für die Herausgabe von Isaak Iselins pädagogischen Schriften verantwortlich. Seine Tätigkeit in der Lehrerbildung begann er 2010 als Dozent an der Pädagogischen Hochschule Zürich, wo er heute als Bereichsleiter 'Bildung und Erziehung' wirkt. Nach diversen wissenschaftlichen Publikationen erfüllt er sich mit seinem Jugendbuch 'MounTeens' einen lange gehegten Wunsch. Marcel Naas lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen im Zürcher Oberland.
Weitere Infos & Material
DIE MOUNTEENS SIND ...11
DIE BEERDIGUNG15
PROTESTE UND PAROLEN23
EIN HINTERHÄLTIGER ANGRIFF32
EISIGER SONNTAGMORGEN39
LOCKVOGEL IN GEFAHR46
EINE UNERWARTETE SPUR54
EISZEIT65
DIE GLETSCHERKONFERENZ74
LICHTSPEKTAKEL MIT DUNKLEM AUSGANG83
FALSCHE FANS99
WO IST LEON?106
HEISSE SPUR IN DER KÄLTE114
UNGLEICHER KAMPF122
DIE DROHUNG130
AUFGEDECKTER TÄTER UND ZUGEDECKTE BROTE139
DIE FALLE153
DER SECHSTE GAST167
Die Beerdigung
»Er ruhe in Frieden«, sagte Pfarrer Kern, und eine tiefe Trauer schien sich über die Anwesenden zu legen.
»Amen«, wisperte Amélie, bevor sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel löste und die Wange hinunterkullerte.
Sam legte seinen Arm um sie und drückte sie an sich. »Es ist ja niemand gestorben«, versuchte er Amélie zu trösten.
»Doch«, schluchzte sie, »der Gletscher ist tot!«
Matteo schaute hoch zu den kümmerlichen Überresten des Rautalgletschers und schüttelte den Kopf. »Das ist eben der Unterschied zu einer Beerdigung von Menschen. Der Gletscher ist noch da, aber er wurde von Glaziologen für tot erklärt, weil er nicht mehr fliesst.«
Die MounTeens hatten soeben an einer Gletscherbeerdigung teilgenommen, wie sie seit einiger Zeit an verschiedenen Orten in den Alpen stattfand.
»Glaziologen müssen übrigens keine Glatze haben oder zu Haarausfall forschen«, witzelte Sam, um die Stimmung etwas aufzuheitern, wobei er auf die zierliche, junge Gletscherforscherin zeigte, die kurz zuvor vehement auf die Gefahren der Erderwärmung und die Wichtigkeit der Gletscher hingewiesen hatte.
Lena kicherte und sah sich um. Neben den MounTeens, Glaziologin Kraus und Pfarrer Kern hatten etwa hundert weitere Personen die knapp dreistündige Wanderung hinauf zum Rautalgletscher auf sich genommen. Sie standen nun versammelt vor der herrlich gelegenen Rautalhütte und warteten auf einen freien Tisch, um sich hinzusetzen und etwas zu trinken. Viele von ihnen waren schwarz gekleidet, andere trugen Transparente, die auf den Klimawandel hinwiesen. Lena kannte die wenigsten Teilnehmenden. Mehrheitlich waren sie unter dreissig Jahre alt und schienen zur »Gefolgschaft« von Leon Tanner zu gehören.
»Was hältst du von ihm?«, fragte Matteo, der bemerkt hatte, dass Lenas Blick am sechzehnjährigen Anführer der Schweizer Klimabewegung hängengeblieben war.
»Er ist cool.« Lena errötete. »Also nicht, dass du jetzt denkst, ich würde auf ihn stehen oder so.«
Matteo schwieg, doch seine Mundwinkel zuckten.
»Hör auf, so dämlich zu grinsen, Berti!«, sagte Lena schnell. »Ich finde es einfach unglaublich, wie er sich für die Umwelt einsetzt und was er alles bewegt. Schau dir nur das hier an.« Sie zeigte auf die »Trauergäste«, dann wies sie mit dem Kinn in Richtung Plateau vor der Rautalhütte, wo zweihundert Meter unter dem Gletscher die symbolische halbstündige Feier stattgefunden hatte. »Da wären sonst nicht halb so viele gekommen, wenn er nicht dazu aufgerufen hätte!«
«Du hast natürlich recht.» Amélie nickte, bevor sie die Nase rümpfte. »Aber ich finde, Leon nimmt sich schon sehr wichtig und hält sich für etwas Besonderes. Der würde wohl nicht mal mit uns sprechen.«
»Er wichtig und etwas Besonderes«, konterte Lena. »Ausserdem habe ich gelesen, dass ihm in den sozialen Medien so viel Hass entgegenschlägt, dass er sich halt mittlerweile distanzierter gibt.«
Amélies Augen weiteten sich, dann gab sie Lena ein Zeichen, dass sie nicht mehr weiterreden solle.
»Was ist los?«, fragte Lena alarmiert.
»Hey, schön, dass ihr gekommen seid!«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Lena drehte sich um und blickte ins Gesicht des freundlich lächelnden Leon Tanner. »Meinst du uns?«, stammelte sie überrascht.
»Ja, seid ihr von hier, oder kennen wir uns bereits von den Anlässen in Bern?«
»Warum Bern?«, platzte Sam heraus.
Lena verdrehte die Augen. »Du stehst auf dem Schlauch, Sam! Er meint natürlich die öffentlichen Demonstrationen und Sitzstreiks.«
Sam wurde rot. »Klar«, murmelte er kleinlaut. »Weiss ich doch.«
»Ich höre es eurem Akzent an, dass ihr von hier seid«, lachte Leon, der Sam nicht blossstellen wollte. »Und in Bern protestieren wir jeweils, um Politikerinnen und Politiker auf unsere Anliegen aufmerksam zu machen. Kommt einfach auch mal.« Leon schaute ins Tal. »Wohnt ihr in Bad Lärchenberg?« Er sog die kühle Oktoberluft ein. »Schön hier.«
»Ja«, beeilte sich Lena zu sagen, stellte sich neben Leon und genoss die Aussicht auf die idyllisch in einer Hochebene gelegene kleine Alpenstadt, die rund tausend Meter unter ihnen lag. »Ich mag vor allem den See«, schwärmte sie. »Schade, dass der Sommer bereits wieder vorbei ist.« Sie schloss den Reissverschluss ihrer Windstopper-Jacke. »Warst du schon mal hier?«
»Vor Jahren besuchte ich mit meinem Vater ein Spiel des HC Lärchenberg.« Er zeigte ins Tal. »Ist das Stadion nicht dort neben dem Thermalbad?«
»Ja, genau.« In Sams Antwort schwang Stolz mit. »Da trainiere ich drei Mal die Woche. Vielleicht schaffe ich es auch mal in die erste Mannschaft!«
Leon musterte Sam. »Du bist jedenfalls jetzt schon so gross wie ich und deutlich kräftiger.«
Amélie betrachtete den schlaksigen, bleichen Jungen, der mit seiner runden Brille und den kurzen, dunklen Haaren so ziemlich das Gegenteil von Sam darstellte. Wäre er ihr nicht aus dem Fernsehen bekannt gewesen, hätte sie sich nie im Leben nach ihm umgedreht. Leon fiel definitiv nicht durch sein Äusseres, sondern vielmehr durch seinen scharfen Verstand auf, den er in bedachten, aber eindringlichen Reden oder während Diskussionen immer wieder bewies. »Das Stadion befindet sich gleich bei der Fussgängerzone«, fuhr Sam weiter. »Nebenan siehst du die Kirche und das Kongresszentrum. Ich vermute, du bist wegen der Gletscherkonferenz hier, die ab Montag stattfindet.«
»Richtig«, bestätigte Leon. »Übermorgen geht’s los. Und am Donnerstag nehme ich an der abschliessenden Gesprächsrunde teil, einer Podiumsdiskussion, wie man das nennt. Erst stand aber heute die Gletscherbeerdigung auf dem Programm. Und um siebzehn Uhr dann die Demonstration in der Fussgängerzone. Kommt ihr auch?«
»Na klar«, antwortete Matteo. »Wir haben sogar ein Plakat gemacht.«
»Und was steht da drauf?«, fragte Leon und schaute interessiert.
»Wir haben uns für ›Schluss mit den neugierigen Fragen von Berner Klimaaktivisten!‹ entschieden«, entgegnete Lena keck. »Lass dich überraschen.«
»Gerne.« Leon lachte. »Hauptsache, ihr seid dabei.«
»Ehrensache«, bekräftigte Lena und zeigte auf die gegenüberliegende Talseite. »Siehst du die Lärchenalp?«
»Du meinst die vereinzelten Häuser, wo oberhalb die vielen Skilifte und anderen Anlagen sind?«
»Ja, das ist unser Skigebiet. Es reicht hinauf bis knapp dreitausend Meter. Folge mit deinem Blick mal den Masten der Gondelbahn, die von der Lärchenalp her hochführt.«
»Mach ich.« Leon kniff die Augen zusammen. »Hat es dort oben auch noch einen Gletscher?«
»Genau den wollte ich dir zeigen. Es ist der Firstgletscher, der gleich neben der Gondelstation am Gämshorn liegt. Er ist ganz klein geworden.«
Leon schien nachzudenken. »Ich glaube, ich habe von diesem Gletscher in einer Fachzeitschrift gelesen – im Zusammenhang mit einer aufwendigen Rettungsaktion, oder nicht?«
Ein Tisch war frei geworden, und die MounTeens setzten sich schnell hin.
»Das ist eine längere Geschichte.« Lena zeigte auf den Platz neben sich. »Setz dich zu uns, wenn du sie hören möchtest.«
Leon sah auf die Uhr. »Es ist gleich zwölf. Und die Wanderung zurück dauert etwa zwei Stunden … Das sollte also gut reichen, um zur Demo wieder unten zu sein. Schiesst los.«
»Meine Mutter ist die Tourismusdirektorin von Bad Lärchenberg«, begann Lena. »Deshalb weiss ich, dass wegen des Firstgletschers ein erbitterter Streit tobt. Die Gemeinde unterhält nämlich zusammen mit den Bergbahnen oben auf dem Gämshorn eine Gletschergrotte.«
»Ich bin froh, gibt es hier keine«, sagte die Kellnerin, die gerade an den Tisch getreten war. »Was möchtet ihr trinken?«
Erst jetzt erkannten die MounTeens, dass es Paula Roth, die Betreiberin der Rautalhütte, war.
»Hallo Paula«, antwortete Amélie erfreut, weil sie die Hüttenwartin von den Besuchen im Friseursalon ihrer Mutter kannte. »Drei Cola und zwei Wasser, bitte. Aber wie meintest du das wegen der Grotte?«
»Entschuldigt, dass ich mich eingemischt habe. Ich hatte gerade eure letzten Worte aufgeschnappt und finde halt einfach, man soll die...




