Nacke / Tannert | Blaulicht | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

Nacke / Tannert Blaulicht


1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-86913-318-8
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

ISBN: 978-3-86913-318-8
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit Blaulicht bewegen sich zwei Wagen voneinander weg: im Rettungswagen liegt der Musiklehrer Wolfgang Gerlach, lebensgefährlich verletzt durch Messerstiche. Im Polizeiwagen sitzt seine ehemalige Schülerin Sandra Kovács, die noch am Tatort festgehalten wurde und beharrlich schweigt. Nur langsam gelingt es den Ermittlern, das Geflecht einer obsessiven Beziehung freizulegen. Dabei wird auch der Fall eines vermeintlich ertrunkenen Schülers noch einmal neu aufgerollt, und allmählich wächst die Gewissheit, dass es sich bei Sandras Tat um mehr handelt als einen Akt der Vergeltung. Nach Rache, Engel! der zweite packende Kriminalroman des kreativen Autorenduos auf höchstem literarischen Niveau.

Petra Nacke wuchs in Norddeutschland auf. Später zog sie nach Nürnberg und studierte Theaterwissenschaften und Literaturgeschichte in Erlangen. In München absolvierte sie am Performing Arts Center eine Ausbildung in Schauspiel, Gesang und Tanz. Heute lebt sie wieder in Nürnberg - als freie Autorin, Moderatorin, Rezitatorin und Sängerin. Seit 1997 ist sie feste freie Mitarbeiterin des Bayerischen Rundfunks. 2002 erhielt sie mit dem Ensemble Feinton den Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg. Elmar Tannert wurde 1964 in München geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte er Musikwissenschaft und Romanistik. Von 1991 bis 2003 war er in verschiedenen Berufen tätig. Ab 1994 erfolgten erste Veröffentlichungen seiner Kurzgeschichten in diversen Zeitungen. Seit 2003 ist er freier Schriftsteller und arbeitet u.a. für den Bayerischen Rundfunk und bei der Abendzeitung Nürnberg. Für seine literarischen Arbeiten erhielt er 1999 den Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg sowie des Freistaates Bayern, 2001 den Kulturförderpreis des Bezirks Mittelfranken.
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Prélude

Eine Stunde hat sie gewartet. Eine geschlagene Stunde, obwohl sie ganz genau wusste, wann er rauskommt. Jeden Dienstag 14 Uhr Bachensemble – das wusste sie doch, hat doch selbst lange genug mitgemacht in Gerlachs Vorzeigeprojekt, in das nur die besten Instrumentalisten und die besten Stimmen der Schule durften. Vollkommen ausgeflippt ist sie, damals in der Siebten, als sie die Aufnahmeprüfung bestanden hatte.

Knapp zehn Minuten braucht man von hier bis zur Schule, mit dem Fahrrad schafft man es noch schneller – und Gerlach ist immer mit seinem albernen Rennrad gefahren – warum stellt sie sich also schon um zehn vor eins hin und wartet – und warum hat sie nicht dieses eine Mal auf die verdammten Dreckspillen verzichten können, die sie von innen auffressen, immer mehr von dem Bisschen, das von ihr übriggeblieben ist, abnagen?

Es ist ihr schwergefallen, wie ein schwarzes Gespenst in der prallen Sonne zu stehen und auf sein Haus zu starren, das konnte man sehen. Sie hat geschwankt und ein paarmal sah es so aus, als würde sie gleich umfallen. Wollte sie das? Wollte sie umfallen – im letzten Augenblick? Oder wollte sie auf Nummer sicher gehen – hat befürchtet, dass er ihr entwischen könnte, weil er ausgerechnet heute doch mal früher losfährt, weil er vielleicht noch was zu korrigieren hat oder dem Klavierstimmer auf die Finger sehen will oder einfach nur einen Eiskaffee trinken? Ja, das sieht ihr ähnlich, sie wollte auf Nummer sicher gehen, deshalb hat sie auch nicht irgendein Messer genommen, sondern dieses teure Sushi-Messer aus der Küchenschublade ihrer Mutter – die hat bestimmt noch nicht einmal gemerkt, dass es fehlt, und jetzt, nach all dem, wird sie es sicher auch nicht mehr benutzen wollen.

In den Nürnberger Nachrichten haben sie heute wieder mal was von der drohenden Klimakatastrophe geschrieben, davon, dass die Meeresspiegel steigen und Küstenstädte wie Hamburg und Rostock unter sich begraben würden. Heinrich Zintl hat weder Freunde noch Verwandte im Norden und hat auch für die meisten Städte nichts übrig – Hamburg und Rostock sind ihm von daher egal, aber er mag Rügen. Gleich nachdem die Mauer weg war, ist er mit Ruth zum ersten Mal dort gewesen. Sicher, in den ersten Jahren hat es an allen Ecken und Enden noch nach Sozialismus gerochen, aber auch nach frischer Luft, und günstig ist es gewesen. Ruth hat denn auch gleich gemeint, dass man für dieses Geld gerade noch in der Oberpfalz Urlaub machen könne, aber was ist Schwandorf schon im Vergleich zu Rügen! Und nun soll Rügen absaufen, nur weil die Leute nicht mehr auf ihre Umwelt achten können, tonnenweise Hamburger in sich reinstopfen und keine Energiesparlampen kaufen – verdammte Ignoranten, verdammtes CO2!, denkt Heinrich Zintl, und er denkt es noch einmal laut, nachdem er das Fenster geöffnet und eine Ladung der aktuellen Klimabilanz wie eine glühende Faust ins Gesicht geschlagen bekommen hat. Hier in der Nordstadt haben die meisten schon angefangen umzudenken, das merkt man immer wieder beim Fest am Kobergerplatz. Überhaupt kann man in dieser Stadt nur noch hier wohnen, die Nachbarschaft ist ordentlich, kaum Ausländer, keine Dönerbuden und schon gar nicht dieses Gesindel in den ewig schwarzen Klamotten wie in Gostenhof oder vor der Lorenzkirche. Widerlich, wie die da am helllichten Tag mit ihren Bierflaschen rumlungern, mit ihren verlausten Hunden, und Passanten um Kleingeld anschnorren.

Jetzt steht die immer noch da!

Vor einer Stunde war sie auch schon so dagestanden, völlig bewegungslos – na ja, ein bisschen hin und her geschwankt ist sie, wahrscheinlich besoffen, wie das so üblich ist bei denen.

»Jetzt schau dir mal das Mädel da drüben an«, hat er zu Ruth gesagt, »die hat doch wohl einen Schlag! Stellt sich bei der Hitze und mit den schwarzen Klamotten mitten in die Sonne! Sieht doch eh schon aus, als würde sie gleich umkippen.«

»Die nimmt bestimmt Drogen«, hat Ruth gemeint und angeekelt die Nase gerümpft, »jetzt kommen die also auch schon in die Nordstadt.«

Und jetzt steht die immer noch da und glotzt auf die Hauswand gegenüber, als würde darauf irgend so ein Film abgespielt!

Gerade in dem Augenblick, als Heinrich Zintl das Fenster wieder schließen will und dabei überlegt, ob er nun doch wegen der da bei der Polizei anrufen soll, geht eine Art Ruck durch die starre, magere Gestalt auf der anderen Straßenseite, es sieht aus, als hätte jemand einen Schalter umgelegt und Strom würde schlagartig durch Gliedmaßen fließen, Beine bewegen, Füße voreinander setzen und über den glühenden Straßenbelag gehen lassen, eine Hand fest um etwas Langes, Spitzes schließen, das Heinrich Zintl nicht genau erkennen kann, weil sich die Sonne darin spiegelt. Dann sieht er den Mann, der sein Fahrrad gerade aus dem Hauseingang schiebt, sein Gesicht kann er nicht erkennen, der Mann trägt einen Fahrradhelm, aber Zintl weiß, dass es der Gerlach ist, der Studienrat, der beim Kobergerplatz-Fest immer ein paar Kisten Apfelsaft aus eigener Ernte spendiert. Die junge Frau geht genau auf ihn zu, der Lehrer ruft etwas, während sie sich ihm nähert, legt den Kopf leicht auf die Seite wie jemand, der nicht glauben kann, was er sieht, ruft: »Sandra, bist du …«, der Satz wird ihm abgeschnitten, sie sticht einmal zu, zweimal, und dann spritzt auch schon das Blut auf den Gehsteig und bildet einen schillernden roten See, in dem der Mann jetzt kniet, die Hand fest auf seine Kehle gepresst. Nun kommt Heinrich Zintl die eigene Kehle wieder ins Bewusstsein, und er schreit aus seinem Fenster im ersten Stock der Kaulbachstraße wie ein Wahnsinniger, schreit Feuer und Mord, schreit zu Hilfe und immer wieder mein Gott, mein Gott, mein Gott! Und obwohl der Stadtteil noch vor wenigen Augenblicken vollkommen menschenleer unter einer grausam schweigenden Hitzeglocke zu dämmern schien, kommt schlagartig Leben in die Szene, rennen zwei Bauarbeiter mit bloßem Oberkörper die Straße runter und auf die knieende Gestalt zu, packen das schwarze Gerippe von Frau, das mit hängenden Schultern über ihm steht, und schlagen ihr das tropfende Messer aus der Hand, das mit einem hellen Klirren auf den Asphalt fällt. Kurz darauf hört man auch schon die erste Sirene, sieht das erste Blaulicht durch den flirrend weißen Nachmittag einen Weg sich bahnen.

*

Als die Stadtplaner Ende der Siebziger Jahre den Jakobsplatz neu anlegten, hat sich mit großer Wahrscheinlichkeit keiner von ihnen Gedanken darüber gemacht, dass die runde Form unter bestimmten Bedingungen fatale Ähnlichkeit mit einer Herdplatte bekommen könnte. Wenn die Sonne nur lang genug und möglichst senkrecht darübersteht, heizt sich zunächst das dunkle Pflaster auf, sodass es Hunden, die von ihren Besitzern ausgerechnet hier Gassi geführt werden, schmerzhaft unter den Ballen brennt. Dann folgt die Hitze den Naturgesetzen, steigt nach oben und wabert zwischen Sankt Elisabeth und Sankt Jakob hin und her wie ein in siedendem Öl ausgebackener ökumenischer Pfannkuchen. Unvorsichtigen Tauben, die den Platz nicht weiträumig meiden, werden die Bäuche derart erhitzt, dass sie nur noch hartgekochte Eier legen, und denjenigen Menschen, die nicht das Glück haben, im Dienste des Herrn zu stehen, verdampft es schlicht und einfach das Gehirn. Polizeibeamte stehen nicht im Dienste des Herrn, sondern im Dienste des Innenministeriums, und deshalb hat die Jakobswache auch Außenmauern, die deutlich dünner sind als die von Kirchen, weshalb die pfannkuchengewordene Hitze sich mühelos ihren Weg in Büros bahnen kann, um die dort Arbeitenden in den Wahnsinn zu treiben.

Dies sind in etwa die Gedanken, die Helmut Mattusch durch den Kopf gehen, als er versucht, den richtigen Winkel zwischen sich, dem Tischventilator hinter seinem Rücken und all dem Papier zu finden, das sich in ungewohnt hohen Stapeln auf seinem Schreibtisch türmt. Mattusch ist ein gewissenhafter Mensch, nicht brillant, aber sorgfältig, gut organisiert und zuverlässig. Aus genau diesem Grund ist er auch der Leiter des Dezernats für Gewaltverbrechen geworden, und er schätzt es ganz und gar nicht, wenn ihn etwas wie diese Hitzewelle aus der Balance wirft. Zwei seiner Leute sind wegen massiver Kreislaufprobleme ausgefallen, zwei weitere im Urlaub, weshalb sich die Arbeit momentan auf viel zu wenige Schultern verteilt, und ausgerechnet er ist verantwortlich für die Verteilung dieser Last. Wenn in vier Wochen die Schulferien beginnen und all die Kollegen mit Familie in Urlaub gehen, bricht hier endgültig das Chaos aus, denn das Verbrechen schert sich einen Dreck um Urlaubspläne – die Haare würden Mattusch vor Ärger zu Berge stehen, wenn sie das nicht sowieso schon in einem attraktiven Dunkelgrau von Natur aus täten.

Die frischgebackene Kommissarin, die sich heute bei ihm vorgestellt hat – wie war noch mal ihr Name? – macht einen patenten Eindruck, und ihre Zeugnisse sind hervorragend. Er wird sie mit Kalz zusammenspannen, von dem kann sie allerhand lernen und wer weiß, vielleicht gelingt es der zierlichen Frau mit ihrem Charme ja, dessen Eispanzer zu knacken. Ja Kreuzdonnerwetter, wo ist denn nur der Notizzettel mit ihrem Namen oder wenigstens ihre verflixte Zeugnismappe?!

Es ist entweder dieser winzige innere Temperamentsausbruch oder der schrille Ton des Telefonapparats gewesen, der den Oberkörper von Mattusch auf eine Weise bewegt, die den richtigen Winkel zwischen Papier, Mann und Ventilator zusammenbrechen lässt. Innerhalb von wenigen Sekunden verteilen sich unzählige Blätter auf dem dunkelblauen, extra...


Petra Nacke wuchs in Norddeutschland auf. Später zog sie nach Nürnberg und studierte Theaterwissenschaften und Literaturgeschichte in Erlangen. In München absolvierte sie am Performing Arts Center eine Ausbildung in Schauspiel, Gesang und Tanz. Heute lebt sie wieder in Nürnberg - als freie Autorin, Moderatorin, Rezitatorin und Sängerin. Seit 1997 ist sie feste freie Mitarbeiterin des Bayerischen Rundfunks. 2002 erhielt sie mit dem Ensemble Feinton den Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg.

Elmar Tannert wurde 1964 in München geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte er Musikwissenschaft und Romanistik. Von 1991 bis 2003 war er in verschiedenen Berufen tätig. Ab 1994 erfolgten erste Veröffentlichungen seiner Kurzgeschichten in diversen Zeitungen. Seit 2003 ist er freier Schriftsteller und arbeitet u.a. für den Bayerischen Rundfunk und bei der Abendzeitung Nürnberg. Für seine literarischen Arbeiten erhielt er 1999 den Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg sowie des Freistaates Bayern, 2001 den Kulturförderpreis des Bezirks Mittelfranken.



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