Nacke / Tannert | Rache, Engel! | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Nacke / Tannert Rache, Engel!


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86913-331-7
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-86913-331-7
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein früher, kalter Morgen unter einer Eisenbahnbrücke in Nürnberg-Gostenhof. Eine Handvoll Menschen, deren Wege sich zufällig kreuzen. Und eine Leiche, die plötzlich keine mehr ist: Paula und Gregor werden Zeugen eines Mordes, doch weil sich ihre Geschichte für die Polizei zu unglaubwürdig anhört, sehen sie sich gezwungen, den Fall selbst aufzuklären und auf unorthodoxe Weise zu ermitteln. Ein Verbrechen ist geschehen, da sind die beiden sich sicher, aber wo ist die Leiche geblieben? Wer ist der Mörder? Wird er noch einmal zuschlagen? Bald nehmen die Hobbydetektive die Fährte verdächtiger Gestalten auf und verstricken sich dabei selbst in ein Gespinst von Tragik und Verbrechen. Als die Polizei endlich eigene Ermittlungen aufnimmt, geraten Gregor und Paula in die Schusslinie, denn sie haben bereits kräftig dazu beigetragen, dass der Fall noch rätselhafter geworden ist. Ein hochintelligenter Kriminalroman, fesselnd, bewegend und voller Überraschungen, sprachlich bestrickend schön. Skurrile und sympathische Figuren bevölkern die kleine Welt dieses Buchs und schlagen den Leser in ihren Bann.

Petra Nacke wuchs in Norddeutschland auf. Später zog sie nach Nürnberg und studierte Theaterwissenschaften und Literaturgeschichte in Erlangen. In München absolvierte sie am Performing Arts Center eine Ausbildung in Schauspiel, Gesang und Tanz. Heute lebt sie wieder in Nürnberg - als freie Autorin, Moderatorin, Rezitatorin und Sängerin. Seit 1997 ist sie feste freie Mitarbeiterin des Bayerischen Rundfunks. 2002 erhielt sie mit dem Ensemble 'Feinton' den 'Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg'. Elmar Tannert wurde 1964 in München geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte er Musikwissenschaft und Romanistik. Von 1991 bis 2003 war er in verschiedenen Berufen tätig. Ab 1994 erfolgten erste Veröffentlichungen seiner Kurzgeschichten in diversen Zeitungen. Seit 2003 ist er freier Schriftsteller und arbeitet u.a. für den Bayerischen Rundfunk und bei der Abendzeitung Nürnberg. Für seine literarischen Arbeiten erhielt er 1999 den 'Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg' sowie des 'Freistaates Bayern', 2001 den 'Kulturförderpreis des Bezirks Mittelfranken'.
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Fremd bin ich eingezogen

Zufall und Perspektive hängen eng zusammen, nur erkennt man das selten, und wenn, hört man auf, an Zufälle zu glauben, und nennt es gleich Fügung oder Schicksal, zumindest wenn man ein Mensch ist. Aber der Mensch kommt ja nur äußerst selten mal aus seiner Perspektive heraus, kommt so gut wie nie auf den Gedanken, dass es unvermeidlich ist, in diese oder jene Situation zu geraten, und hält dann alles für einen riesigen Zufall.

Hätte dieser Mensch auf einem Brückengeländer oder noch höher gehockt und von dort oben mit den scharfen Augen einer Krähe in die Weite geblickt, hätte er voraussehen können, dass sich Wege überschneiden müssen, weil sie gar nicht anders können, und es den Wegen dabei auch völlig egal ist, wer sich gerade auf ihnen befindet. Die Wege schneiden, kreuzen und verheddern sich eben, egal wer oder was dabei auf der Strecke bleibt.

Die Kaninchen in Gostenhof zwischen Bahndamm und Stadtautobahn zum Beispiel, die hatte vor ein paar Wochen auch niemand gefragt, bevor die Maschinen und der Lärm kamen, um eine neue S-Bahn-Strecke zu bauen. Auf der Autobahn sind dann die meisten von ihnen liegen geblieben, weil sich ihr Fluchtweg mit dem vieler Autoreifen überschnitt. Traurig auf der einen Seite, ein freundliches Geschick auf der anderen. Selten gab es fettere Beute für Krähe und Ratte – alles eine Frage der Perspektive.

Und nun hockt die Krähe dick und vollgefressen auf einem Ast Ecke Hessestraße und ist erstaunt darüber, was sich an diesem eisigkalten Montagmorgen – und man muss sagen, es ist ein sehr früher Montagmorgen, eigentlich noch Nacht – in ihrem Blickfeld so alles abspielt. Die Ratte im dichten Gestrüpp sieht es nicht, hört es nur und riecht es. Die Ratte riecht Mensch, viel Mensch, und ein Teil davon nicht mehr lebendig – Futter, denkt die Ratte, viel Futter und so nah!

An diesem frühen Morgen kreuzen sich die Wege einer Handvoll Menschen, kaum einer kennt den anderen und jeder kommt gewissermaßen auf seinem eigenen Weg daher, mit seiner eigenen Geschichte im Gepäck, die ihn blind macht für die Kreuzungen und kunstvollen Knoten der Fügung. Aber nicht gleich sagen Der Mensch wird immer blinder und schaut nicht mehr, schaut immer nur auf sich selbst! Ist nämlich manchmal gar nicht so.

Zum Beispiel Paula Rüss, die gerade reichlich angeschlagen die Schwabacher runterläuft von Leonhard Richtung Gostenhof, die hat lange auf gar nichts anderes mehr geachtet als auf ihren Robert. Dass der gar nicht mehr »ihr Robert« war, hat sie jetzt erst gemerkt, genauer gesagt vor gut zwei Stunden. Na ja, eigentlich hatte sie schon viel früher so ein ganz bestimmtes Gefühl in sich wahrgenommen, wenn er sie angesehen und noch schlimmer: wenn er sie angefasst hat. Und wenn dann auf einer ausgedehnten Geburtstagsparty dieser Mann auch noch zu einer dauergewellten Bocksbeutelkönigin mit Schlafzimmerblick meine kleine Prinzessin sagt und dabei aussieht, als wollte er jeden Moment einen Kopfsprung in ihr pralles Dekolleté machen, ist klar, dass er damit das Fass zum Überlaufen, genauer zum Explodieren bringt.

Paula, die es auf der Party quasi vor Wut zerrissen hat, wackelt nun also mit runtergelaufener Wimperntusche unter den geschwollenen Augen durch Leonhard und vorbei an der Eisdiele, wo sie und Robert an einem warmen Herbsttag noch einen Eiskaffee getrunken hatten. Wackeln ist dabei immer nur komisch für diejenigen, die dich sehen, nicht für dich selber – mit ganz wenigen Ausnahmen. Sagen wir mal, wenn jemand kopfüber hinge und wüsste, dass genau du das Letzte sein wirst, was er sieht. Für den schaust du nicht mehr komisch aus, auch wenn du noch so rumschlingerst in dem verdammten Schnee von wegen dem ganzen Wein und dem Arsch von Mann und den Zehn-Zentimeter-Absätzen, die hier sowieso nicht angebracht sind. Für den bist du kein trauriger Clown, bloß weil du dich selbst gerade so fühlst, für den bist du wie eine Offenbarung. Wenn dich dieser Jemand sehen könnte – ist aber nicht so, denn Paula passiert die Brücke nicht zu Fuß, sie fährt, was gar nicht mehr vorgesehen war.

***

Der Himmel ist unten, die Straße ist oben, daran wird Regina Engler für den Rest ihres Lebens nichts mehr ändern können. Der Schnee fällt nicht, er steigt, auch dagegen kann sie nichts machen. Weglaufen kann sie nicht. Nur wegsterben könnte sie, und das wird sie, gleich. Ob sie wach ist? ob sie träumt? denkt es im Kopf, der den Schnee steigen sieht vom Himmel unten zur Straße oben, und jetzt kommen Lichter näher, sie schmerzen in den Augen, wie die Erinnerung all die vielen Jahre geschmerzt hat, und sie kann sie liegen sehen, nicht im Rückspiegel, vor sich, auf der Straße, die jetzt oben und ihr Himmel ist.

***

Dass Paula inzwischen in einem gut geheizten Benz sitzt, ist auch wieder eine dieser unglaublichen Launen des Zufalls. Als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, noch ein Taxi zu erwischen, und schon wieder anfing zu heulen, diesmal nicht nur aus Wut über den Typen und die widerliche Situation, sondern ganz konkret, weil ihre Füße zum Heulen wehtaten – hielt die Karin neben ihr an!

Karin ist Taxiunternehmerin, das heißt: Der Benz gehört ihr. Aber weil die Zeiten schlecht sind, auch für Taxiunternehmerinnen, sitzt sie heute wieder selbst am Steuer – Pech für sie, Glück für Paula – so ist das mit den Zufallslaunen.

In ihrem wirklichen Leben ist Karin keine Taxifahrerin, sie tanzt! Nicht Schwanensee oder Foxtrot, sie tanzt Flamenco, und genau aus diesem Grund kennen die beiden sich auch – aber das ist eine andere Geschichte. Wichtig ist im Moment nur, dass Karin hinter dem Steuer einer gut geheizten Limousine sitzt und die Frau erkannt hat, die mitten in der Nacht durch den Schneematsch eiert. Was denn los ist? Aber Paula kann nichts sagen, will jetzt auch nicht, will bloß noch nach Hause und die Decke über den Kopf ziehen. Und weil Karin eine von den Guten ist, denkt sie sich ihren Teil und lässt Paula einfach in Ruhe. Erzählt ihr auf den wenigen hundert Metern dieser Freundschaftsfahrt von Andalusien, wo es so gut wie nie schneit. Erzählt von Frauen in gepunkteten Kleidern, die wütend mit den Füßen aufstampfen, während ihre Hände sich so grazil biegen wie die Hälse von balzenden Tauben im Frühling, und die Luft ist so lau und der Wind so salzig scharf wie die Stimmen der Männer und Frauen, die dazu singen. Paula starrt durch die Scheibe in eine Zeit, die heute Nacht Vergangenheit geworden ist.

Der kleine, alte Wagen vor ihnen rutscht bedrohlich, als sie unter der Eisenbahnbrücke durchfahren, und da oben – hängt doch ein Mensch!

***

Dass Gregor Herrmann so spät die Schwabacher Straße entlangfährt, war auch nicht vorgesehen, aber er hätte sich denken können, dass der Abend mit einem Absacker beim alten Schweden enden würde. Sören wirkt wie ein ausgesetztes Kind, wenn man ihn vor seiner Haustür absetzt, und also konnte Gregor sich nicht einfach im Auto von ihm verabschieden und ihn aussteigen lassen, sondern ist noch die eine Treppe hinuntergestiegen, wie immer, obwohl seine Promille schon beinah für zwei Fahruntüchtigkeiten gereicht hätten. Andere Künstler bewohnen Lofts, ganze Rückgebäude, bildhauern auf Dachterrassen, so weit hat Sören es nicht gebracht in seinen dreiundsechzig Lebensjahren, er lebt in zwei Souterrainzimmern in St. Leonhard, vielleicht hat er sich zu früh festgelegt mit seinen Metallskulpturen. Festlegen darf man sich als Künstler erst, wenn man berühmt ist wie Penck, der seit Jahrzehnten Strichmännchen malt. Du musst die richtigen Leute kennenlernen, hatte Gregor zu Sören gesagt und ihn prompt zu den falschen Leuten mitgeschleppt, zu einer Feier bei Thalberg, pardon, »von Thalberg«, der seinen Geburtstag prinzipiell am exakten Datum feiert, auch dann, wenn er, wie heute, oder vielmehr gestern, auf einen Sonntag fällt – darin ähnelt er Robert, aber das kann Gregor zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Thalberg kann sich das leisten, für ihn ist der Montag etwas anderes als für die Mehrheit, die schon am Sonntagabend mit Grauen an den frühmorgens klingelnden Wecker denkt, und auch für seine Gäste, allesamt Leute mit Geld. Der einzige sozusagen Handfeste auf der Gesellschaft war Gregor, der mehr aus geschäftlichen Gründen der Einladung gefolgt war, denn Thalberg hat ein Faible für französische Oldtimer, ohne allzuviel von ihrer Wartung und Reparatur zu verstehen. Gregor wiederum bringt von Streifzügen durch Frankreich alte Peugeots, Renaults und Citroëns mit, setzt sie instand und verkauft sie. Der andere geschäftliche Grund war Sören, den er an finanziell potente Kunstsinnige vermitteln wollte; die Gäste fanden ihn auch wirklich nett und skurril, aber in seine Skulpturen investieren wollte keiner, und wären nicht unversehens zwei alte Freunde von Sören bei Thalberg aufgetaucht, ein Buchhändlerpaar und die einzigen außer Gregor, die sich regelmäßig zum Rauchen auf die Dachterrasse zurückzogen, hätte er es nicht länger als eine Stunde auf der Party ausgehalten.

Natürlich hat Gregor Promillehochrechnungen angestellt, bevor er wieder in seinen Citroën eingestiegen ist; er hat noch nie eine Alkoholkontrolle erlebt, was, statistisch gesehen, bedeuten kann, dass ihm die überfällige Kontrolle unmittelbar bevorsteht, und deswegen heißt es aufpassen, in diesem Zustand darf man weder übervorsichtig noch tollkühn fahren, aber im Zweifelsfall lieber eine Polizeistreife überholen, als ängstlich hinter ihr...


Petra Nacke wuchs in Norddeutschland auf. Später zog sie nach Nürnberg und studierte Theaterwissenschaften und Literaturgeschichte in Erlangen. In München absolvierte sie am Performing Arts Center eine Ausbildung in Schauspiel, Gesang und Tanz. Heute lebt sie wieder in Nürnberg - als freie Autorin, Moderatorin, Rezitatorin und Sängerin. Seit 1997 ist sie feste freie Mitarbeiterin des Bayerischen Rundfunks. 2002 erhielt sie mit dem Ensemble "Feinton" den "Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg".

Elmar Tannert wurde 1964 in München geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte er Musikwissenschaft und Romanistik. Von 1991 bis 2003 war er in verschiedenen Berufen tätig. Ab 1994 erfolgten erste Veröffentlichungen seiner Kurzgeschichten in diversen Zeitungen. Seit 2003 ist er freier Schriftsteller und arbeitet u.a. für den Bayerischen Rundfunk und bei der Abendzeitung Nürnberg. Für seine literarischen Arbeiten erhielt er 1999 den "Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg" sowie des "Freistaates Bayern", 2001 den "Kulturförderpreis des Bezirks Mittelfranken".



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