E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Nauert Nieten ohne Nadelstreifen
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96267-072-6
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Cool, psychopathisch und skrupellos - wie die neue Generation von Führungskräften unsere Wirtschaft ruiniert
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-96267-072-6
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Axel Nauert ist Organisations- und Wirtschaftspsychologe. Er betätigt sich als International Consultant, Trainer und Berater bei Dr. Rosenkranz, als Mitglied im Bundesverband für Burnout-Prophylaxe und Prävention e.V. oder als NLP Trainer. Der Autor war lange Zeit für verschiedene Unternehmen tätig und berät heute selbstständig in München.
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DUMMHEIT IST GEFÄHRLICH: DIE SEHNSUCHT NACH STARKEN FÜHRERN
So sehr wir eine Zunahme von Social-Media-Phänomenen erkennen können, so sehr kann man auch eine weitere sehr interessante Entwicklung beobachten, die sich gerade in der Politik abspielt. Eine Entwicklung, die aktuell quasi immer neue Kaiser schafft. So hat im März 2018 etwa Chinas Nationaler Volkskongress mit großer Mehrheit die Amtszeitbegrenzung des Präsidenten aufgehoben, sodass nun Staats- und Parteichef Xi Jinping bis zu seinem Lebensende Präsident bleiben kann. Die Unterstützer der Verfassungsänderung argumentierten, diese Änderung bringe dem Land »mehr Stabilität«. Im Internet dagegen stieß die Änderung auf Kritik, die allerdings mit Zensur beantwortet wurde.6 Solche und ähnliche Entwicklungen lassen sich jedoch nicht nur in China, sondern auch in anderen Ländern registrieren. Nehmen wir etwa Ungarns Viktor Orbán oder den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Vor rund acht Jahren versprach Viktor Orbán eine nationale Revolution in Ungarn. Und er hat Wort gehalten. Das Land ist heute eine Autokratie, die von der EU gefördert wird. Inzwischen fordert der Premier sogar eine Verfassungsänderung, die Demonstrationen vor den Wohnhäusern von Politikern untersagt, damit diese nicht mehr belästigt werden.7 Ganz anders, aber doch ähnlich, ist das, was in der Türkei unter Erdogan geschieht: Nach einer anfänglichen Phase der Demokratisierung und wirtschaftlichen Reformen entfernt sich die Türkei unter Erdogans Präsidentschaft seit Mitte der 2010er-Jahre zunehmend von demokratischen und rechtsstaatlichen Standards. Das von ihm gestaltete System zielt auf den Ausbau seiner eigenen Macht, die im Jahr 2019 durch die Umwandlung des parlamentarischen Systems mit weitgehend repräsentativem Präsidentenamt in ein autoritäres Präsidialsystem zementiert werden soll.8
Ein Blick auf die Medien verrät, dass gerade diese Politiker mit ihrem eher extremen Gebaren besonders viel Beachtung genießen, während gemäßigte Kräfte in Europa, die durchaus ihre Arbeit machen, und die diese Arbeit auch gut machen, deutlich weniger mediale Präsenz erhalten. Das gibt Anlass zur Sorge, dass polarisierende, extreme Ansichten immer weiter in den Vordergrund rücken.
Auch das Phänomen Dark Leadership passt in diesen Kontext. Vermutlich hat es zu jeder Zeit Wähler mit einer mehr oder weniger rechten Gesinnung gegeben, und zwar wohl immer auch in einer ähnlichen Größenordnung. Nur wurden deren verbale Attacken früher nur am Stammtisch in der Eckkneipe geäußert und sie verbreiteten sich kaum über diesen Raum hinaus. Heute dagegen hat auch der Dümmste verstanden, wie etwa Facebook funktioniert. Und er hat auch verstanden, dass er auf diesem Weg deutlich mehr Zuhörer erreicht, die dann auch auf die Äußerungen reagieren, ihnen womöglich sogar zustimmen. Die rechten Wähler, die sich einst also nur im Einzelfall trauten, ihre häufig kruden Ideen öffentlich zu äußern, wagen sich heute in den öffentlichen virtuellen Raum, weil sie dort auf Gleichgesinnte treffen. Sie können im virtuellen Raum sogar eine Art Führungsrolle übernehmen – indem andere ihren Äußerungen zustimmen und ihnen folgen. Eine Art Dark Leadership einer gänzlich anderen Art also – eine Leadership der Dummen.
Letztlich kann man sagen, Social Media und der damit verbundene Triumph der Dummen führt zu einem bislang nicht gekannten Ausmaß an Aufmerksamkeit für solche Personen und ihre Themen. Auf diese Weise werden zuvor unscheinbare Personen plötzlich wichtig und sie werden auch attraktiv. Was einzelne Beteiligte schließlich glauben lässt, sie seien tatsächlich Teil einer umfangreichen Bewegung.
In dieser Entwicklung finden sich zum einen Parallelen zu dem Umstand, dass der Mensch sich gerne einer Mehrheit und deren Verhalten anschließt. Gleichzeitig erinnert dieses Verhalten auch an das, was in dem Buch und später dem Film mit dem Titel »Die Welle« thematisiert wird. In dem 2008 gedrehten Drama spielt Jürgen Vogel den Lehrer Rainer Wenger, der seiner Schulklasse in einem von ihm konzipierten Sozialexperiment vorführt, wie autoritäre gesellschaftliche Strukturen entstehen. Er lässt die Schüler an einer von Disziplin und Gemeinschaftsgeist geprägten und von ihm selbst angeführten Bewegung namens »Die Welle« mitwirken.
Alles ist möglich, auch hier und heute – »Die Welle«
Der Inhalt des Films ist kurz gefasst folgender: Während einer Projektwoche bekommt der beliebte Lehrer Wenger statt seines Lieblingsthemas Anarchie das Thema Autokratie zugeteilt. Seine Schüler finden das ständige Reden über den Nationalsozialismus langweilig, sie sind überzeugt, es bestehe heutzutage keine Gefahr einer Diktatur mehr. Daher entschließt sich Wenger zu einem pädagogischen Selbstversuch. Er fordert etwa die Schüler auf, beim Reden aufzustehen, ihm schnelle und knappe Antworten zu geben. Außerdem lässt er sie zur körperlichen Ertüchtigung im Gleichschritt marschieren. Zunächst bringt er diese Übungen noch als Vorschläge ein, über die die Schüler abstimmen sollen. Strenger Ton und die straffe Disziplin kommen bei den meisten Schülern gut an, sie zeigen sich motivierter. Schließlich gründet Wenger eine Art autokratische Bewegung. Deren Prinzipien: „Macht durch Disziplin“, „Macht durch Gemeinschaft“ und „Macht durch Handeln“. Als Erkennungsmerkmal sollen die Mitglieder dieser Gruppe weiße Hemden als Uniform tragen. Nur zwei Mädchen protestieren gegen diese Vorschriften. Der Kurs erhält bald durch Mundpropaganda Zulauf von Schülern aus anderen Kursen. In ihrer Begeisterung bitten einzelne Schüler den Lehrer, dem Ganzen einen Namen zu geben. Die folgende demokratische Abstimmung führt zu dem Namen »Die Welle«. Einer der Schüler entwirft ein Logo, eine gemeinsame Grußgeste wird eingeführt. Bald verlässt die »Welle« den Rahmen des Unterrichts und durchdringt in der Folge auch den außerschulischen Alltag. Der Zusammenhalt wächst, die Welle-Mitglieder beschützen sich gegenseitig und feiern gemeinsam.
Doch es dauert nicht lange und das Experiment läuft aus dem Ruder. Wenger selbst jedoch kann die entstandene Bewegung nicht mehr aufhalten. Als es zu Gewalttaten gegen Welle-Gegner kommt, will Wenger das Experiment beenden und die Bewegung auflösen.
Es wird eine Versammlung einberufen, während der Wenger erklärt, alles sei nur ein Experiment gewesen und das sei jetzt vorbei. Was einzelne Schüler jedoch nicht wahrhaben wollen. Einer der Schüler war vor der Welle ein Außenseiter, die Bewegung hatte ihn zu einer Art Machthaber aufsteigen lassen. Nach Wengers Äußerungen nun zieht dieser Schüler eine Pistole, schießt erst einen Mitschüler an, und erschießt schließlich sich selbst. Wenger selbst wird schließlich von der Polizei abgeführt. Er ist fassungslos darüber, welches Ausmaß sein Experiment angenommen hat.
Nun handelt es sich bei der »Welle« um einen inzwischen zehn Jahre alten Film, der oberflächlich betrachtet wenig mit der aktuellen Entwicklung zu tun. Doch wer die Handlung näher betrachtet, wird schnell erkennen, was dieses Experiment mit der aktuellen Entwicklung etwa in den Sozialen Netzwerken zu tun hat und wie diese Entwicklung im schlimmsten Fall weitergehen kann. Sie kann letztlich auch die Grundlage für die Verbreitung von Dark Leadership sein. Der Hass und die Wut im Netz sind auch ein Zeichen für eine nachlassende Empathie und schwindende Teamfähigkeit. Es ist die Frage, inwieweit junge Führungskräfte, die mit den Regeln der Sozialen Medien groß geworden sind, überhaupt noch zum empathischen Umgang mit anderen Menschen in der realen Welt in der Lage sind.
Führungspersönlichkeiten wie Orbán oder Erdogan nutzen heute die Möglichkeiten der Sozialen Medien, um große Gruppen von Unterstützern hinter sich zu versammeln.
Doch in den Online-Welten geht es seit Jahren nicht mehr allein um herkömmliche Machtstrukturen. In ähnlichem Ausmaß werden immer wieder die Religion und die Religiosität der Menschen instrumentalisiert. So geht es Erdogan und seinen Anhängern vorgeblich um die Wahrung des Glaubens, aber auch Terrororganisationen wie der sogenannte Islamische Staat IS nutzen Soziale Netzwerke, um vor allem junge Menschen mit den Mitteln des angeblichen Glaubens für ihre terroristischen Zwecke gewinnen zu können. In beiden Fällen wird die Religion offensichtlich missbraucht, um das eigene Machtbestreben zu verfolgen und Menschen in die Irre zu führen.
Es hat den Anschein, dass also Einzelne religiöse Verhaltensregeln...