E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Navarro Allein gegen den Feind
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96121-042-8
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wie FBI-Agent Joe Navarro den größten Spionageskandal der USA aufdeckte
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-96121-042-8
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
JOE NAVARRO, Jahrgang 1953, kam mit acht Jahren aus Kuba in die USA. Da er kein Wort Englisch sprach, entdeckte er sehr früh den Nutzen der nonverbalen Kommunikation. Später entlarvte er als FBI-Agent in der Abteilung für pionageabwehr 25 Jahre lang Spione, indem er ihre Körpersprache beobachtete und ihre wahren Gedanken und Gefühle bloßlegte. Heute unterrichtet er das Entschlüsseln nonverbaler Kommunikation an Universitäten und verfasst Bücher.
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Schwieriges Lebensumfeld
Al Eways ist doch nicht der stoische Geheimnisträger, für den ich ihn gehalten habe. Auf der nur zehnminütigen Fahrt vom Pickett Hotel zum Tampa International Airport weicht Al (auf meine Veranlassung hin) vom Protokoll ab und setzt mich über den Fall Conrad in Kenntnis.
Eine vom amerikanischen Geheimdienst rekrutierte Person – Al konnte oder wollte keine genaueren Angaben machen – hatte INSCOM den Tipp gegeben, dass sich unter den 250 000 in Deutschland stationierten Mitgliedern der US Army ein Spion befand. Der unbekannte Soldat entwendete Unterlagen, die über Ungarn ihren Weg in die Sowjetunion fanden. Laut Al beschäftigen die Nachforschungen in diesem Fall den Nachrichtendienst der Army und die Außenstelle des FBI in Washington schon seit Jahren. Bei der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen stießen die Ermittler schließlich aus zwei Gründen auf Clyde Lee Conrad: Anders als die meisten Soldaten, die nach wenigen Jahren in andere Gebiete versetzt wurden, war Conrad lange in Deutschland stationiert. Noch bedeutender war die Tatsache, dass er die meiste Zeit über offiziell für die Bewachung genau jener G-3-Planungen, die in die UdSSR durchgesickert waren, zuständig gewesen war.
Die Geschichte ging noch weiter. Nachdem sich die Behörden auf Conrad konzentriert und sich eines verdeckten Ermittlers namens Danny Williams in der Armee bedient hatten, konnten sie Zoltan Szabo als ungarischen Verbindungsmann identifizieren. Der aus Ungarn in die USA emigrierte Szabo war nach seinem Einsatz im Vietnamkrieg mit dem Silver Star, dem für besondere Tapferkeit vor dem Feind verliehenen Orden, ausgezeichnet worden, wurde dann aber in Deutschland zum Verräter. Mithilfe seiner ehemaligen Landsleute spielte er den Sowjets die geheimen Dokumente zu. Als Szabo aus dem Militärdienst ausschied, ernannte er Conrad zum Hüter der Unterlagen der 8. Infanteriedivision.
Mithilfe des verdeckten Ermittlers konnten die Behörden auch zwei Ärzte ungarischer Abstammung, die Brüder Imre und Sandor Kercsik, ausfindig machen, die die Unterlagen in ihren unantastbaren Medikamentenkoffern von Deutschland, wo Conrad stationiert war, nach Ungarn gebracht hatten. Die beiden Brüder waren in Schweden, wo sie sich niedergelassen hatten, festgenommen worden. In den von den schwedischen Behörden unter deutscher Anleitung durchgeführten Verhören gestanden sie schnell, dem Spionagering um Clyde Conrad angehört zu haben. Laut Al sind die beiden nun in Stockholm inhaftiert. Zweifellos wurden bereits großartige Erfolge erzielt, doch ich frage mich, welchen Beitrag die amerikanischen Behörden – INSCOM und das FBI – geleistet haben.
»Was ist mit Rod Ramsay?«, erkundige ich mich, als wir vor dem Terminal anhalten. »Was hat er mit der ganzen Sache zu tun?«
»Vermutlich nichts«, erwidert Al. »Im fraglichen Zeitraum gehörten Zehntausende Menschen der 8. Infanteriedivision an. Davon haben etwa 1000 mit Clyde Conrad zusammengearbeitet oder waren in seinem näheren Umfeld tätig. Entsprechend unserer üblichen Vorgehensweise werden sie alle von uns befragt. Im Prinzip ist dieser Fall aber abgeschlossen.«
»Abgeschlossen?«, hake ich nach. Al ist bereits aus dem Auto ausgestiegen und holt seine Tasche aus dem Kofferraum.
»Ja«, wirft mir Al noch über die Schulter zu, bevor er zu seinem Flug eilt. »Szabo lebt in Österreich. Die Kercsiks sind in Schweden inhaftiert. Da Spionage in diesen beiden Ländern zu den Staatsschutzdelikten zählt, können wir keine Auslieferung beantragen. Und was Conrad anbelangt: Er wurde vor elf Stunden von den deutschen Behörden aufgegriffen – um 4:00 Zulu, wie es in dem Fernschreiben stand, also mitten in seinem Schönheitsschlaf. Alles Weitere liegt in den Händen der Deutschen. Wir sind raus.«
Seine Schilderung der Sachlage klingt schlüssig, doch irgendetwas stört mich. Ich kann nur nicht genau sagen, was.
Wir verabreden, in Kontakt zu bleiben, falls neue Erkenntnisse auftauchen, dann sehe ich Al hinterher, der mit hängenden Schultern zum Gate rennt. Eigentlich sollte ich mich eilig in die entgegengesetzte Richtung aufmachen und ins Büro zurückkehren. Der abzuarbeitende Papierstapel ist inzwischen bestimmt ins Unermessliche gewachsen. Stattdessen drehe ich jedoch drei gemächliche Runden um das Terminal und lasse mir das soeben Gehörte noch einmal durch den Kopf gehen.
Erstens: An dem Spionagering waren mindestens zwei einander nachfolgende Besetzungen beteiligt gewesen. Warum ziehen die Behörden nicht in Betracht, dass auch Conrad die einzelnen Posten – sozusagen in dritter (oder gar vierter und fünfter) Generation – neu besetzt hat?
Zweitens: Wenn INSCOM und die Washingtoner Außenstelle des FBI tatsächlich bereits sechs Jahre Ermittlungsarbeit in den Fall investiert haben, ist es merkwürdig, dass nun nicht noch wenigstens ein paar Monate für weitere Nachforschungen aufgewendet werden können, während sich Conrad an das Leben hinter Gittern gewöhnt.
Am meisten beschäftigt mich jedoch die Tatsache, dass die Ergreifung Conrads den deutschen Behörden überlassen worden war und diesen nun Als Angaben zufolge auch die weitere strafrechtliche Verfolgung obliegt. Beim FBI gilt der Glaubensgrundsatz, dass es in den Fällen, in denen die USA das Opfer sind – die geschädigte Partei, also das Land, dem der Angriff gegolten hat –, es in der Zuständigkeit der Behörde liegt, den Täter zu belangen, auch wenn ein wenig Einfallsreichtum erforderlich ist, um den Beschuldigten auf amerikanischen Boden zu bringen. Die nötigen Ideen lassen sich selbst für die raffiniertesten Verbrecher entwickeln.
Ich denke an einen Einsatz zurück, an dem ich vor vier Jahren beteiligt war. Die mexikanischen Behörden hatten uns um Hilfestellung bei der Ergreifung des wegen Korruption gesuchten ehemaligen Polizeichefs von Mexiko-Stadt, Arturo Durazo, gebeten. Durazo flüchtete damals auf der Suche nach einem sicheren Aufenthaltsort von einem lateinamerikanischen Land zum anderen. Unsere Verfolgung verlief wenig erfolgreich, bis wir aufgrund von Hinweisen von FBI-nahen Quellen Durazos Freundin aufspürten und diese überredeten, es ihrem Liebhaber schmackhaft zu machen, auf eine Insel in der Karibik – einem Paradies für Ganoven, da es dort keine Auslieferungsabkommen mit Mexiko und den USA gab– überzusiedeln. Das war viel verlangt, doch Durazos Freundin war so überzeugend, dass der Expolizeichef aus freiem Willen in eine als Zivilflugzeug getarnte zweimotorige Maschine des FBI stieg – mit seiner Freundin, seinem Bodyguard und einer Million Dollar Bargeld. Statt ins versprochene Paradies brachten wir Durazo auf eine Insel, die unter amerikanischer Gerichtsbarkeit stand: Puerto Rico. Wir nahmen ihn sofort auf Basis eines internationalen Haftbefehls fest, beschlagnahmten das gestohlene Geld und brachten ihn zur Gerichtsverhandlung in sein Heimatland zurück. Wenn es möglich ist, in einem Fall, der uns nur indirekt betrifft, alle Kreativität auszuspielen, dann hätte die Washingtoner Außenstelle Berge versetzen können, um Conrad in die USA zurückzuholen.
War Conrad aus Mangel an Einfallsreichtum, aufgrund fehlender Willenskraft oder aus Mangel an Mut den Deutschen überlassen worden? Wer weiß. Ich für meinen Teil würde fehlenden Mut als Ursache nicht ausschließen.
NACH MEINER DRITTEN RUNDE um das Terminal folge ich den Schildern Richtung Stadtzentrum, doch meine Gedanken sind noch immer nicht nach vorne gerichtet. Auch die Fallbeschreibung beschäftigt mich. Al hatte die Fahndung nach Conrad mit der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen verglichen, der aus insgesamt einer halben Million Militärkräften bestand, die in wechselnder Besetzung Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre der 8. Infanteriedivision angehört hatten. Trägt man von diesem Heuhaufen aber die äußersten Schichten ab, bleibt nur noch ein kleiner Berg übrig, aus dem Conrad wie eine Signallampe herausleuchtet. Die zeitliche Eingrenzung funktionierte perfekt: Conrad hatte Zugang zu den betroffenen Dokumenten. Die Gelegenheit bot sich an, ja sie drängte sich förmlich auf.
Ein echter Erfolg wäre es, unter den über 10 000 Menschen, mit deren Befragung man Al, mich und viele andere beauftragt hatte, einen Mitverschwörer zu finden. Während ich mich dem FBI-Büro in der Zack Street im Zentrum von Tampa nähere, komme ich zu dem Schluss, dass sich ein von Aknenarben gezeichneter, Hasch rauchender, schlaksiger, vielleicht 70 Kilogramm schwerer Kerl mit übergroßem Intellekt, der zufällig ganz in meiner Nähe wohnt, als Möglichkeit Nummer eins erweisen könnte.
Meine Tätigkeit für die Campus Police hatte mir Zutritt zum FBI verschafft, doch sobald ich dort im Sattel saß, weckte die Spionageabwehr mein Interesse. An meinem ersten Einsatzort in Phoenix zählte die Spionageabwehr nur begrenzt zu meinen Aufgaben. Drogenfahndung, Grenzkontrollen, das Unterbinden von Geldwäsche und die Auseinandersetzung mit allen illegalen Machenschaften, die über die Staatsgrenze herüberschwappten – es galt, dem gesamten Spektrum der nach dem Bundesstrafrecht zu ahndenden Vergehen zu begegnen. Während meiner anschließenden Stationierung in New York City war die Spionageabwehr mein einziges Betätigungsfeld: Einsätze mit Doppelagenten, das Akquirieren von nachrichtendienstlichen Quellen und das Ausschalten von in den Reihen der Vereinten Nationen tätigen Spionen. Das sowjetische Kontingent an Einsatzkräften der Vereinten Nationen war damals fast zur Gänze von Geheimagenten durchsetzt.
Abgesehen von der Tatsache, dass die Spionagefälle nicht abrissen, begeisterte...




