E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Navidi Die DNA der USA
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98609-200-9
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie tickt Amerika? | Nominiert für den DEUTSCHEN WIRTSCHAFTSBUCHPREIS 2023
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-98609-200-9
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sandra Navidi ist CEO der in New York ansässigen Unternehmensberatungsfirma BeyondGlobal. Die in New York ansässige deutsche und amerikanische Rechtsanwältin gilt als eine der in der globalen Hochfinanz am besten vernetzten Personen. Sie ist Autorin des preisgekrönten Bestsellers »$uper-hubs«, eines von »Bloomberg's Best Books of The Year.« Ihr drittes Buch »Die DNA der USA« erhielt eine Nominierung für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2023. Die Wirtschaftsexpertin ist bekannt aus internationalen Medien, Mitglied im »Center on Capitalism and Society« und LinkedIn Top Voice.
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Kapitel 1
Amerika – Die wohlmeinende Führungsmacht
In meiner Kindheit pflegte meine Großmutter zu sagen: »Gott sei Dank wohnen wir auf der richtigen Seite des Rheins, falls die Russen kommen.« Wir wohnten in Mönchengladbach, das in der britischen Besatzungszone lag. Kurz nach dem Krieg lebten meine Großeltern in München, das von den Amerikanern besetzt war. Dort hatten sie gute Beziehungen zu den Besatzern gepflegt und beste Erfahrungen mit ihnen gemacht.
1945 war der Zweite Weltkrieg beendet. Millionen Menschen hatten ihr Leben verloren und Deutschland lag in Schutt und Asche. Die amerikanische Siegermacht begegnete der deutschen Bevölkerung unerwartet freundlich. Vorbehalte auf beiden Seiten schlugen rasch in Sympathie um. Die New York Times berichtete im März 1945 über die Erfahrungen des amerikanischen Unteroffiziers Francis W. Mitchell. Er erzählte, wie erschöpfte Menschen in Köln aus ihren Kellern krochen, erleichtert, dass die Besatzungssoldaten nicht vorhatten, sie zu töten. »Wir sollen diese Menschen hassen und hart mit ihnen umgehen«, sagte er. »Aber wenn die Kämpfe vorbei sind, dann empfinden wir nur noch Mitgefühl. Es ist schwer, Menschen gegenüber reserviert zu sein, die einem so freundlich begegnen.«1
Primäres Ziel der Amerikaner war die Wiederherstellung von Recht und Gesetz und der Aufbau einer Demokratie. Das Brachliegen der Wirtschaft bereitete der US-Regierung besonderes Kopfzerbrechen, denn die Infrastruktur und die Lieferketten waren in weiten Teilen zerstört, und es fehlten Arbeitskräfte, vor allem in der Landwirtschaft. Und so mangelte es an allem – an Nahrungsmitteln, Unterkünften und Heizmöglichkeiten. Im Winter 1946/47, einem der kältesten des Jahrhunderts, starben noch einmal Hunderttausende Menschen einen qualvollen Kälte- und Hungertod. Ganz Europa taumelte in eine wirtschaftliche und politische Abwärtsspirale. Derweil baute Josef Stalin seine Macht im Osten immer weiter aus. Um dem wirtschaftlichen Verfall und Stalins Machtstreben etwas entgegenzusetzen, verkündete US-Außenminister Georg C. Marshall 1947 ein Wirtschaftsförderungsprogramm für den Wiederaufbau Europas, das European Recovery Program (ERP), das nachfolgend als Marshall-Plan in die Geschichte einging. Aufgrund des im April 1948 von Präsident Truman unterzeichneten entsprechenden Gesetzes gewährten die USA europäischen Staaten in den Jahren 1948 bis 1951 Investitionskredite und lieferten Lebensmittel, Rohstoffe und Waren im Wert von fast 13 Milliarden US-Dollar. Die Bundesrepublik erhielt davon Kredite und Lieferungen im Wert von 1,4 Milliarden Dollar.
Als die Sowjetregierung im Juni 1948 die westlichen Sektoren Berlins abriegeln ließ und so zwei Millionen Menschen von der Lebensmittel- und Energieversorgung abschnitt, etablierte der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay eine Luftbrücke zur Versorgung der Bevölkerung mit allem Lebensnotwendigen. »Rosinenbomber« warfen über West-Berlin zusätzlich Tonnen von Süßigkeiten und Spielzeugen ab, um den Kindern eine Freude zu bereiten. Auch amerikanische Familien und Wohlfahrtsorganisationen halfen. Sie schlossen sich zur »Cooperative for American Remittances to Europe«, kurz CARE, zusammen, um die gebeutelten Europäer direkt mit dem Wichtigsten, wie Nahrung, Kleidung, Genussmittel, Werkzeugen, Nähutensilien und Heizmaterialien, zu versorgen.
Das Wiederaufbauprogramm der Amerikaner war ein voller Erfolg und resultierte im deutschen Wirtschaftswunder. Mithilfe von Jugend- und Kulturorganisationen, die kostenlose Veranstaltungen und Sportmöglichkeiten boten, ebneten die Besatzer den Weg für den interkulturellen Austausch und zwischenmenschliche Begegnungen.
Der psychologische Effekt der amerikanischen Initiativen war enorm, denn sie überzeugten einen großen Teil der westdeutschen Bevölkerung vom guten Willen der Amerikaner. Ihre Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Unterstützung haben sich tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingeprägt und die Symbolkraft ihrer Gesten strahlt bis heute aus. Sie sind Teil der Versöhnung und der Grundstein der transatlantischen Partnerschaft. Mit der Zeit wurden die amerikanischen Streitkräfte nicht mehr als Besatzungs-, sondern als »Befreiungs-Macht« wahrgenommen. Während des Kalten Krieges wurden die USA zur Schutzmacht gegen den Ostblock und später zu einem wirtschaftlichen und politischen Partner. Das gemeinsame Wertesystem, die wirtschaftliche Kooperation und die gemeinsame Front in der NATO gegen die Bedrohung durch die Sowjetunion vereinten die beiden Nationen.
Auch kulturell befanden sich die Amerikaner in den nachfolgenden Jahrzehnten auf Eroberungskurs. In den 1950er- und 1960er-Jahren prägte der American Way of Life den Zeitgeist und Deutschland erlebte einen Kulturwandel, transportiert vor allem durch Funk, Fernsehen und das Kino. Elvis Presley, Rock ’n’ Roll und Petticoats vermittelten Lebenslust und Fröhlichkeit. Noch Jahrzehnte später beklagte meine Großmutter die in dieser Zeit durchgetanzten Teppiche im Haus. Der von der amerikanischen Militärverwaltung in West-Berlin gegründete Radiosender RIAS war so beliebt, dass die DDR-Führung versuchte, dessen Empfang mit Störsendern zu unterbinden. Auch das amerikanische Konsumfieber ergriff die Westdeutschen. Amerikanische Produkte wie Bluejeans und Coca-Cola wurden zum Symbol eines Lebensgefühls.
Mit der Zeit bekam die positive Wahrnehmung der USA durch die Deutschen allerdings Risse. Die 68er-Bewegung, die in den USA als Bürgerrechtsprotest gegen ethnische, soziale und wirtschaftliche Diskriminierung begonnen hatte, griff schnell auf andere Teile der Welt über, auch auf Deutschland. Der brutale Vietnamkrieg mit dem Einsatz von Napalmbomben sorgte für Entsetzen. In den 1980er- und 1990er-Jahren manifestierte sich ein zunehmender Antiamerikanismus, zunächst insbesondere in den Protesten gegen die Stationierung von atomaren US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Gleichzeitig griff der entfesselte US-Kapitalismus auf Deutschland über. Die Deregulierung und Liberalisierung des Finanzsektors gaben der amerikanischen Wirtschaft nach einer langwährenden Stagflation, zumindest vordergründig, eine Initialzündung. Profitstreben und Konsum bestimmten den Zeitgeist. Fernsehserien wie Dallas und Denver Clan sowie Hollywood-Filme wie Wall Street mit der Botschaft »Gier ist gut« begeisterten die Deutschen. Erst viel später sollten sich die während dieser Zeit getroffenen neoliberalen Wirtschaftsmaßnahmen als Ursprung tiefer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Spaltung herausstellen.
Im Rahmen der Wiedervereinigung erfuhr Deutschland noch einmal besondere Unterstützung durch die USA unter Führung von Präsident George H. W. Bush. Das Ende des Kalten Krieges veränderte das transatlantische Verhältnis allerdings nachhaltig. Die Interessenlagen der beiden Nationen verschoben sich und der Zusammenhalt wurde poröser. Während die USA ihr Augenmerk sowohl sicherheitspolitisch als auch wirtschaftlich auf andere Teile der Welt, wie Asien, richteten, fokussierte sich Deutschland auf die europäische Integration.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 sollten eine Zäsur in den Beziehungen der beiden Nationen darstellen. Die Bundesregierung und die deutsche Bevölkerung drückten den Amerikanern angesichts der schrecklichen Ereignisse ihre aufrichtige Solidarität aus. Diese Solidarität hatte allerdings Grenzen. Als Präsident Bush aufgrund unzutreffender Informationen der US-Nachrichtendienste in den Krieg mit dem Irak zog, verweigerte Deutschland aus Überzeugung seine Unterstützung. Diese Entscheidung verärgerte die USA und führte aufseiten der Deutschen zu einem Erstarken des Antiamerikanismus. Eine nachhaltige Entfremdung der beiden Partner war die Folge.
Unter Präsident Barak Obama, der auf Deutschland zuging und einen großen Teil des unter der Bush-Regierung verloren gegangenen Vertrauens und der Glaubwürdigkeit wieder aufbaute, lebten die Beziehungen zunächst wieder auf. Aber die Wahl Donald Trumps zu Obamas Nachfolger 2016 verpasste den wieder aufkeimenden Beziehungen einen deutlichen Dämpfer. Während Präsident Trump Autokraten wie Wladimir Putin, Kim Jong-un und Rodrigo Duterte hofierte, düpierte er seine Verbündeten, allen voran seine deutschen Partner. 2017 äußerte er bei einem Treffen mit der EU-Spitze in Brüssel: »Die Deutschen sind übel, absolut übel … Schauen Sie sich die Millionen von Autos an, die sie in den USA verkaufen. Schrecklich. Wir werden das unterbinden.«2 Schon Jahrzehnte zuvor hatte er gegen deutsche Produkte gewettert und geschimpft, dass er »bald keinen Mercedes-Stern mehr auf der Fifth Avenue sehen möchte«. Nunmehr Präsident, knöpfte er sich den Handel mit Deutschland und Europa vor. »Wir haben keinen freien Handel. Ich glaube an freien Handel. Aber wir haben unfairen Handel.«3 Kanzlerin Angela Merkel war für ihn ein rotes Tuch. Michael Wolff, langjähriger Trump-Kenner und Autor des...