E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
Neundorfer Ich küsse Euch tausendmal
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-10-402595-7
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die schönsten Liebesbriefe der Weltliteratur
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
ISBN: 978-3-10-402595-7
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gibt es etwas Aufregenderes, als mit einem Brief das Herz eines angebeteten Menschen zu erobern? Oder etwas Zauberhafteres, als seine Sehnsucht in flammenden Worten an das geliebte Gegenüber zu richten? Nicht umsonst ist der Liebesbrief die klassische Disziplin des Werbens und der romantischste Beweis für das größte aller Gefühle. Diese Sammlung ist ein wahrer Schatz unsterblich gewordener Geständnisse berühmter Liebender. Mit Texten von Charles Dickens, George Sand, Kurt Tucholsky und anderen.
Autoren/Hrsg.
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Karoline Flachsland und Johann Gottfried Herder
Vorläufiges Lebewohl
[Frankfurt, gegen den 20. April 1771]
Haben Sie meine letzte scheidende Bitte erfüllt, liebstes Mädchen, und sind ruhig und heiter gewesen? O Gott! da ließ ich Sie im Winkel hinter meinem Bette stehen, mit weinenden geschwollenen Augen, wo Sie doch vor meiner Ankunft in eben dem Kämmerchen sich auf meine Ankunft so freueten! Bin ich denn als ein Mörder oder Uebelthäter bei Ihnen gewesen, um Ihnen die Ruhe und Heiterkeit der Seele, in der Sie so leben und weben, zu rauben? Lassen Sie mich den Gedanken nicht denken, sanftes, heiteres Mädchen. Ich sehe Sie vielmehr in dem Bilde, wie Sie mir immer erschienen und mit mir gehen, und in dem Sie mir zuerst erschienen sind, wie eine leichte, vergnügte Unschuldsgöttin, die hier auf Erden sichtbar geworden. Das ist, liebste Karoline, Ihre Naturgestalt der Seele, und die würdigste der Menschheit: in der wandeln Sie mit mir, mir ungesehen zur Seite, und behüte der Himmel, daß dies Unschuldsbild mir je von der Seite verschwinde! In der denke ich Sie mir auch jetzt, dachte Sie, da ich wegfuhr, einschlief und aufwachte – und, holdes Mädchen, warum sollte ich nicht immer Sie mir so denken können? Betrachten Sie doch nur selbst, wie eitel alle Erwartungen sind, wenn man mit zu starker Theilnehmung auf sie rechnet. Was hatte ich mir, was wir uns alle, meine ganze Leidenszeit in Straßburg über, für Gedanken und Bilder gemacht, wie meine Zeit in Darmstadt hingelebt werden sollte, und wie ist sie’s? Wie freuten wir uns aufs Wiedersehen, und bildeten uns ein, uns einander schon so zu kennen, daß wir auf diese sichere Vorschlüsse rechnen könnten; und nun sagen Sie, ist in der Welt, liebste Freundin, eine gezwungenere, verschloßnere, herzensverstummtere Freudengesellschaft gewesen als die unsrige? Vielleicht mit allem guten Willen – ich will nichts untersuchen –; aber der Effect ist doch immer derselbe, daß Tage vorbei sind, die gewiß auf andere Art hätten durchlebt werden können. Meine Seele ist noch verstimmt und widerwillig. O sehen Sie, mein liebes Mädchen, wie viel man verliert, wenn man so sicher rechnet. Lassen Sie den Schicksalsfaden leise laufen, wie er läuft, ohne ihn reißen und aufhalten zu wollen: so geht er desto sichrer seinen Gang, und findet sich wieder in unsre Hand, vielleicht wenn wirs am wenigsten gedenken und hoffen. Mein Trost kann Ihnen vielleicht kahl scheinen; auch würde ich ihn nicht so geschrieben haben, wenn nicht wahrhaftig das verlebte Evenement eben in Darmstadt mir noch zu nahe vorschwebte. Liebste Freundin, wie tausendmal empfindlicher muß es sein, wenn eben dergleichen Irrthümer, da man sich zu kennen glaubte, zusammenkommt, sieht und nicht kennet, in irgend einer Beziehung des Lebens statt haben, die nicht so leicht zu trennen ist als der Cirkel in Darmstadt? – Aber sehen Sie, freundschaftliche, edle Seele, wie sicher und untrüglich die schönere Art von Theilnehmung und Umgang ist, die wir uns so heilig versprochen: die Nahheit und Freundschaft unserer Geister und Herzen! Allerliebstes Mädchen, da sehe ich Dich als eine kleine Göttin, als eine Unschuldsgrazie an, die mir auf meinem Lebenswege wie Erscheinung begegnete, um meine Muse, meine Gesellschafterin, meine unsichtbare Freundin zu sein, und mich zu dem zu erheben, was ich sonst durch mich selbst nicht geworden wäre. Ein einsamer Mensch verfällt sehr leicht, und ein Mensch von starkem Charakter kann umso tiefer fallen, je höher er sich erheben konnte: aber wenn ihn ein Engel umwandelt, so unschuldig und gütig und voll und gesund wie die blühende Natur, so fällt er nicht, so hat er ein wohlthätiges schönes Wesen vor Augen, der er den kleinsten Anteil seines Tagwerks weihet, die ihn mit sich selbst eins zu sein lehret, und ihm gleichsam immer das Ziel vor Augen hält, wohin er sich vervollkommne. Liebste Freundin, und Bild nehme ich von Darmstadt mit, und bloß dazu, um das mitnehmen zu können, bin ich nach Darmstadt auch jetzt zum zweiten Mal gekommen, zu nichts anders, wie ich aus dem Erfolg sehe. Ich habe Sie von so viel neuen und schönen Seiten und so innig, innig, innig kennen gelernt, daß Ihr ganzes Bild mir gleichsam so substanziiert und verkörpert ist, um gewiß nicht mehr als bloßes Traumbild was wieder, ein anderes Traumbild zerstöre, mir vor Augen zu schweben. Kehren Sie sich, meine liebste vortreffliche Freundin, an alles Zuckerwerk und Näscherei von Empfindungen nicht, mit dem man sich im Uebermaße ebenso sehr und noch ärger den Magen verdirbt als mit den offenbarsten Völlereien. Die Natur hat Ihnen, liebste Freundin, so viel Stärke und Festigkeit der Züge gegeben, Sie haben so viel Reeles in Ihrem Charakter, daß Sie zu wohl sehen, der Mensch ist zu einem Besseren auf der Welt da, als eine Empfindungspuppe oder ein Empfindungströdler zu sein. Die schönste Puppe ist noch immer Kinderspiel und der schönste Trödelkram von Empfindungen aus aller Welt Ende ist höchstens ein Zimmer der Erholung und kaum der Bestimmung. Ein Zug, eine Situation, in der ich Sie mir, bestes Mädchen, als ein handelndes wohlthätiges Wesen der Menschheit, als reele Freundin, Gesellschafterin, Gattin, Mutter, würdiges Frauenzimmer gedenke, rührt mich tiefer und ewiger als hundert feine Empfindungsworte schöner Magellonen, die mein Auge nicht gesehen hat: und die zu sehen ich keine Wallfahrten übernehme. Und wie viel solche süße, allerliebste Züge, solche Ahndungen eines himmlischen Lebens habe ich aus Ihrer Seele erwischt! O Gott, wäre ich nur Ihrer Liebe würdig! – Doch ich wills, holdes, sanftes Mädchen, zu werden suchen; denn was kann jeder taube Beklagungsgrund sonst fruchten? Unsre Briefe sollen die Geschichte unseres Herzens, unsrer Gedanken und unsres Bestimmungskreises enthalten. Das wird uns auf die edelste Weise zusammenhalten, und wir werden für einander leben, indem wir so abgetrennt sind. Das wird eine süßere Gesellschaft sein, als wenn wir einander wären und durch fremde Mienen und eine Beklemmung des Herzens gestört würden, um das nicht sein zu können, was man sein will. Hier sind wir frei: mein Geist besucht Ihr Kämmerchen, und sucht Sie in dem meinigen, lieset und denket mit Ihnen, und theilt mit Ihnen ohne Rückhalt jede seiner Bestimmungen. Muß das nicht edler, besser machen? Und wollen Sie nicht in diese freudige Aussicht mit mir einstimmen? Thun Sie es, liebstes Mädchen, und schreiben Sie ja bald und genau, wie Sie sich seit gestern bei meiner Abreise befinden. Ich muß schließen, weil ich aus muss. Hier ruhe ein Kuss auf Ihr himmlisch sanftes Auge und Ihrem armen zerküßten Mund. Ihr ganzes himmlisches Bild steht vor mir, und ich umarme es mit der inbrünstigen Thräne, die Ihr ganzes schönes Herz fühlt. Leben Sie recht wohl. Unser Scheiden ist kein Scheiden, als uns zum Besten.
[Darmstadt, gegen Ende April 1771]
Ja, mein ewig Geliebtester, ich habe Ihre letzte Bitte erfüllt, ich bin seit Samstag so gelassen und heiter, als ich die Tage nach unserem ersten Abschied, da wir uns kaum kannten und staunten, und ich eine Stärke da fühlte, die Berge versetzt hätte, gewesen bin; ich fühle sie jetzt wieder! und zehnmal lebhafter als jemals. Ach! der süße Gedanke, daß mir mein Herder mit seiner ganzen schönen Seele gut ist, daß er mich mit allen meinen Fehlern doch lieb haben kann, daß er mein Engel sein will, das erhöht mehr als alle Erdenglückseligkeit! Siehe, edelster, redlichster Freund, dies hebt mich über Trennen und Abschiednehmen und zehen Berge, die zwischen uns sind. Ach! Wenn Du das fühltest, wie sehr meine ganze Seele, meine ganze Empfindung nun in Dir lebt, daß sie nimmermehr von Dir gehen kann, wenn Sie mir dies reine, lautre, göttliche Gefühl, das nur Seelen vereinigt, zutrauen, ach, mein Allerliebster, mein Einziger, dann küsse ich Deine Knie.
Aber lassen Sie mich auf die bittre Abschiedsstunde zurückgehen, dort an Ihrem Bette, wo Sie vielleicht zuweilen an mich gedacht und geträumt haben, haben Sie mich verlassen. Dachten Sie nicht, dass ich mich dahin legen werde, wo Sie gelegen? Ja, ich thats, und wie alle Tränen verweint waren, dann fühlte ich (o lassen Sie mir hier ein wenig Sinnlichkeit!), wie süße der Ort, wo Sie geschlafen. Ich wünsche mir es, jetzt tausendmal in mein Kämmerchen oder mich in jenes Kämmerchen. Doch gut; ich durfte nicht länger als eine Stunde da liegen, Ihnen nachweinen, Sie umarmen und segnen; ich wurde nach Hause gerufen und fand meine Schwester um Sie weinen; ich hätte ihr beinahe in diesem Augenblick meine ganze Glückseligkeit erzählt, so gut war ich ihr; aber ich war stumm und bliebs Abend und Morgen darauf, bis Leuchsenring kam und mir sanft verwies, daß es thöricht und fast lasterhaft wäre, traurig zu sein. Mein Gott, dachte ich, welch niedre kleine Idee wird mein bester, ewiggeliebtester Freund, noch in der letzten Stunde von mir mitgenommen haben! wie sinnlich und körperlich und schwach wird er mich denken! Aber Sie thun mir unrecht, gute liebste Seele! Es war nur der erste finstre Augenblick unsrer Trennung, der so ganz auf mich fiel. Ach, jetzt fühle ich es, daß unsre Seelen nicht getrennt werden konnten, und mit der größten Gelassenheit einer menschlichen Seele bete ich die Vorsehung an, die mir in meinem ganzen kleinen Leben immer fühlbar war, und wird sie auch jetzt nicht über uns walten? Komm, edle, himmlische Seele! wir wollen unserm guten Gott danken, daß er uns zusammengeführt hat; er weiß es am besten, warum wir jetzt getrennt sind – und sollt’ ichs nicht auch schon halb wissen? Ich weiß es, ich bin noch nicht...