Neuvel Giants - Sie sind erwacht
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-16814-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Giants-Reihe
ISBN: 978-3-641-16814-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als die kleine Rose eines Abends beim Spielen in einer Höhle eine gewaltige Metallhand entdeckt, ahnt sie noch nicht, dass dieser Fund ihr ganzes Leben verändern wird. Siebzehn Jahre später will sie, inzwischen eine herausragende Physikerin, das noch immer ungelöste Rätsel aufklären. Gemeinsam mit einem Expertenteam aus Wissenschaftlern und Militärs findet Rose heraus, dass die Hand zu einem riesigen Roboter gehört, dessen Körperteile über den ganzen Globus verteilt sind. Doch wer hat den Roboter gebaut? Wann wurde er in der Erde vergraben? Und was bedeuten die seltsamen Zeichen auf dem Metall?
Sylvain Neuvel wurde in Quebec City, Kanada, geboren und studierte Sprachwissenschaften in Montreal und Chicago. Er arbeitete unter anderem als Jounalist und Übersetzer, bevor er das Schreiben für sich entdeckte. Seine lebenslange Faszination für Roboter inspirierte ihn zu seinem ersten Roman »Giants«, der in den USA bereits ein Riesenerfolg ist. Der Autor lebt mit seiner Familie in Montreal.
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FILE 004
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GESPRÄCH MIT CW3 KARA RESNIK,
UNITED STATES ARMY
ORT: COLEMAN ARMY AIRFIELD,
MANNHEIM, DEUTSCHLAND
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— Nennen Sie bitte Ihren Namen und Ihren Rang.
— Sie kennen meinen Namen doch. Meine Akte liegt direkt vor Ihnen.
— Mir wurde versichert, Sie würden in dieser Angelegenheit kooperieren. Ich möchte, dass Sie für die Aufzeichnung Ihren Namen nennen.
— Vielleicht könnten Sie damit anfangen, mir zu erklären, was für eine »Angelegenheit« das ist.
— Das ist nicht möglich. Und jetzt nennen Sie für die Aufzeichnung Ihren Namen und Ihren Rang.
— »Das ist nicht möglich …« Sind Sie immer so förmlich?
— Ich nenne die Dinge gern beim Namen. Damit vermeide ich Missverständnisse. Wenn es eines gibt, das ich hasse, dann ist es, mich zu wiederholen …
— Jaja. Mein Name. Sagen Sie ihn doch selbst, wenn er Ihnen so wichtig ist.
— Wie Sie wünschen. Sie sind Chief Warrant Officer Kara Resnik, Helikopterpilotin in der United States Army. Ist das korrekt?
— Ehemalige Helikopterpilotin. Mir wurde die Flugerlaubnis entzogen, aber das wissen Sie ja wahrscheinlich schon.
— Nein, das wusste ich nicht. Darf ich fragen, was passiert ist?
— Netzhautablösung. Es tut nicht weh, aber mein Sehvermögen ist beeinträchtigt. Ich werde morgen operiert. Als ich fragte, ob ich je wieder würde fliegen können, sagte man mir, es bestünde eine realistische Chance … was für mich verdächtig nach einem Nein klingt.
Wie war noch mal Ihr Name?
— Ich habe ihn nicht genannt.
— Warum nicht? Für die Aufzeichnung …
— Es gibt viele Gründe, manche sind wichtiger, andere weniger. Für Sie genügt es zu wissen, dass Sie diesen Raum nicht lebend verlassen dürften, wenn ich ihn nennen würde.
— Sie hätten auch einfach Nein sagen können. Glauben Sie wirklich, dass Sie bei mir mit Drohungen etwas erreichen?
— Ich möchte mich aufrichtig entschuldigen, falls Sie sich bedroht fühlen, Chief Resnik. Ich möchte nicht, dass Sie sich unwohl fühlen. Ebenso wenig möchte ich, dass Sie mich für schüchtern halten.
— Sie sind also um meine Sicherheit besorgt? Wie ritterlich. Warum wollten Sie mich sprechen?
— Wegen der Ereignisse in der Türkei.
— In der Türkei ist nichts passiert. Jedenfalls nichts Interessantes.
— Das zu beurteilen müssen Sie schon mir überlassen. Meine Sicherheitsfreigabe ist einige Stufen über Ihrer, also fangen Sie am Anfang an.
— Ich weiß nicht mal, was Sie damit meinen.
— Warum waren Sie in der Türkei?
— Ich wurde zur NATO abkommandiert. Ich kam frühmorgens an und habe anschließend ein bisschen geschlafen. Die Einsatzbesprechung war um 16:00 Uhr. Ich wurde meinem Copiloten vorgestellt, CW Mitchell, und wir sprachen die Mission durch. Wir sollten um 02:00 Uhr von Adana in einem umgerüsteten UH-60 mit Tarnkappentechnik starten und im Tiefflug in den syrischen Luftraum eindringen, wo wir ungefähr zwanzig Kilometer hinter der Grenze, in der Nähe von Ar-Raqqa, Luftproben nehmen sollten.
— Sie sagten, Sie seien CW Mitchell vorher nie begegnet. Es kommt mir merkwürdig vor, dass Sie mit jemandem, den Sie kaum kannten, einen gefährlichen Einsatz fliegen mussten. Ich dachte immer, in der Armee bleiben die Crews möglichst immer zusammen. Warum waren Sie nicht mit Ihrem üblichen Copiloten unterwegs?
— Er wurde neu zugeteilt.
— Warum?
— Das müssen Sie ihn selbst fragen.
— Das habe ich schon. Sind Sie überrascht zu erfahren, dass er um seine Versetzung gebeten hat, egal wohin, Hauptsache, er bekommt einen neuen Piloten? Die Worte, mit denen er Sie beschrieben hat, waren: halsstarrig, launisch, jähzornig. Er scheint einen großen Wortschatz zu haben.
— Er spielt oft Scrabble.
— Sind Sie deshalb nicht mit ihm klargekommen?
— Ich hatte nie ein Problem mit ihm.
— Das kann ich mir kaum vorstellen. Es kommt sehr selten vor, dass jemand seine Karriere aufs Spiel setzt, nur um einer Kollegin aus dem Weg zu gehen.
— Wir waren oft unterschiedlicher Meinung, aber beim Fliegen habe ich das außen vor gelassen. Ich kann nichts dafür, wenn er das nicht konnte.
— Es ist also nicht Ihre Schuld, wenn Leute Schwierigkeiten mit Ihnen haben. Sie sind eben, wie Sie sind.
— So ungefähr. Wollen Sie von mir hören, dass es nicht ganz einfach ist, mit mir klarzukommen? Das gebe ich gern zu. Aber ich bezweifle, dass wir hier sind, um über meine einnehmende Persönlichkeit zu sprechen. Sie wollen wissen, wie es passieren konnte, dass wir mit einem Helikopter im Wert von zwanzig Millionen Dollar mitten über einer Pistazienplantage abgestürzt sind. Stimmt’s?
— Das wäre ein Anfang. Sie sagten, Sie sollten Luftproben nehmen. Wissen Sie warum?
— Die NATO vermutet, dass Syrien seit Jahren an einem Atomwaffenprogramm arbeitet, und will dem ein Ende setzen. Bereits 2007 bombardierte Israel einen verdächtigen Reaktor, aber die NATO zögert noch, zu so drastischen Maßnahmen zu greifen.
— Die NATO hätte lieber eindeutige Beweise, bevor sie sich militärisch engagiert.
— Die NATO will Syrien mit runtergelassener Hose erwischen. Eine Quelle aus dem syrischen Militärgeheimdienst hat den USA gesteckt, dass in der Nähe von Ar-Raqqa unterirdische Tests durchgeführt werden, aber weil Syrien keine Inspektoren in die verdächtigen Atomanlagen lässt, mussten wir verdeckt vorgehen.
— Beinhaltete diese heimliche Inspektion noch etwas anderes außer dem Einsammeln von Luftproben?
— Nein. Wir sollten rein- und wieder rausfliegen. Die NATO transportierte großes Equipment in die Türkei, um die Luftproben auf Spuren von nuklearen Aktivitäten zu untersuchen. Wir verließen die Luftwaffenbasis Incirlik wie geplant um 02:00 Uhr. Ungefähr eine Stunde lang flogen wir entlang der Grenze nach Osten, dann bogen wir nach Süden ab und drangen in den syrischen Luftraum ein. Wir blieben zwölf Minuten im Konturenflug in einer Höhe von achtzig Fuß über Grund. Um 03:15 Uhr erreichten wir die vorgesehenen Koordinaten und sammelten Luftproben ein, bevor wir auf derselben Route zurückkehrten.
— Waren Sie nervös?
— Sehr witzig. Ich werde nervös, wenn ich vergessen habe, meine Telefonrechnung zu bezahlen. Mit zweihundertfünfzig Stundenkilometern über möglicherweise feindliches Gebiet zu fliegen, noch dazu im Dunkeln mit Nachtsichtgeräten und knapp über dem Boden, ist schon ein bisschen was anderes. Wem da das Herz nicht hämmert, der hat wahrscheinlich keines. Also, ja, wir standen beide unter Hochspannung. Durch die Nachtsichtgeräte konnten wir nur geradeaus nach vorn sehen. Das fühlt sich an, als würde man mit unglaublicher Geschwindigkeit durch einen engen, grün beleuchteten Tunnel fliegen.
— Lief alles wie geplant?
— Wie ein Uhrwerk. Nach weniger als fünfundzwanzig Minuten waren wir wieder im türkischen Luftraum. Ich stieg auf achthundert Fuß, nachdem wir die Grenze hinter uns gelassen hatten. Als wir uns Harran näherten, bemerkten wir direkt unter uns ein Licht. Es konnte nicht der Lichtschein einer Stadt sein, denn unter uns war Ackerland, und die Farbe stimmte auch nicht. Dann, wie aus dem Nichts, fiel der Antrieb aus, und das Cockpit wurde dunkel.
Wir hörten, wie die Rotoren langsamer wurden und dann nichts mehr. Die Plantage unter uns strahlte in diesem eigenartigen türkisfarbenen Licht. Unzählige Pistazienbäume im Abstand von zehn Metern und dazwischen nur Erde. Wir konnten nichts mehr tun, außer dasitzen und nach unten starren. Es war surreal, sehr … friedlich. Dann sind wir gefallen wie ein Stein.
Als wir aufschlugen, knallte der Airbag gegen mein Visier und ich wurde ohnmächtig. Als ich ein paar Minuten später wieder aufwachte, war ich allein im Helikopter. Ein alter Mann in einem weißen Baumwollgewand versuchte, mich abzuschnallen. Er muss mindestens sechzig gewesen sein. Seine Haut war dunkel und ledrig. Er sah mich an und murmelte irgendwas, obwohl er bestimmt wusste, dass ich ihn nicht verstand. Dann lächelte er. Unten fehlten ihm ein paar Zähne, aber er hatte sehr freundliche Augen. Ich habe mich wieder gefangen und half ihm, die Gurte zu lösen.
Er legte sich meinen Arm über die Schulter und zog mich aus dem Helikopter. Ein Mädchen, vielleicht sechzehn Jahre alt, stützte mich von der anderen Seite. Sie war...




