E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Nichols Einmal Gärtner - immer Gärtner
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7317-6113-6
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Reihe: Gartenbücher - Garten-Geschenkbücher (CP983)
ISBN: 978-3-7317-6113-6
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Beverley Nichols (1898-1983) war ein britischer Schriftsteller und großer Gartenkenner. Er schrieb über 60 Bücher - Romane, Reisebeschreibungen, Kinder- und Kriminalgeschichten und neun Gartenbücher.
Weitere Infos & Material
I
Vom Winde verweht
Eines Tages fragte mich mein Freund Marius, wann ich meinen nächsten Kriminalroman schreiben würde.
»Keine Ahnung, Marius. Es gibt immer so viel anderes zu tun. Wieso fragst du?«
Er lehnte sich im Liegestuhl zurück und streckte die langen, eleganten Beine von sich. Sein Blick folgte dem Flug eines Büschels Distelwolle, das vom Common her über die Mauer gesegelt kam. Es verfing sich in den Zweigen des Birnbaums, von wo es irgendwann weiterschweben würde, um uns allen eine Menge Ärger zu machen.
Dann sagte er: »Weil ich glaube, dass ich eine Idee für dich habe. Dein Detektiv, Mr Green, war doch auch Gärtner, der übrigens ein ziemlich beeindruckender alter Herr ist.«
»Ab und zu bin sogar ich beeindruckt.«
»Ob er dich auch in der Situation beeindruckt hätte, die ich im Sinn habe? Hättest du einen Moment Zeit, darüber zu reden?«
»Wir haben den ganzen Nachmittag.«
»Gut. Fangen wir mit dem eigentlichen Verbrechen an. Hättest du etwas gegen Brandstiftung einzuwenden?«
»Wäre etwas anderes als der übliche Mord.«
»Dachte ich mir, dass du so denkst. Nehmen wir also an, dass Mr Green von einer Versicherung angeheuert wird, um die hoch verdächtigen Umstände eines Brandes zu untersuchen, bei dem ein großes Anwesen zerstört wurde. Wärst du mit einem Herrenhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert, erbaut im palladianischen Stil, irgendwo an der irischen Küste einverstanden?«
»Sehr sogar.«
»Und könntest du dir als handelnde Personen einen verarmten Earl vorstellen, verheiratet mit einer schönen, zwanzig Jahre jüngeren Frau, und einen missratenen Sohn und Erben, der alle Anzeichen von Drogenmissbrauch zeigt?«
»Klingt vielversprechend.«
»Gut. Mr Green fährt also nach Irland, lernt die Familie kennen, sieht sich die Ruine an, dreht Steine um, beschnuppert die Asche. In den ersten Kapiteln wirst du wahrscheinlich alle Hände voll mit den falschen Fährten zu tun haben, die du so meisterlich legst.«
»Danke für das Kompliment.«
»Dann aber – gegen Ende des ersten Teils – kommt der Abend, an dem Mr Green seine erste Entdeckung macht. Schön wäre Mondlicht, in dem sich seine kleine Gestalt vor den bröckelnden Mauern des alten Hauses abzeichnet. Er bückt sich, zückt sein Vergrößerungsglas und rupft ein Unkraut aus, das sich aus der verbrannten Erde hervorgekämpft hat. Bückt sich erneut und pflückt eine weitere Pflanze. Er schlägt beide in ein Stück Seidenpapier ein, steckt alles in seine Brieftasche, richtet sich auf, hebt den Blick zum Mond und blinzelt. Ich glaube mich zu erinnern, dass du ihn immer blinzeln lässt, wenn er eine Spur aufnimmt?«
»Richtig. Aber wieso blinzelt er jetzt?«
»Vielleicht kommst du darauf, wenn ich dir die Namen der Pflanzen verrate. Chamaenerion angustifolium und Senecio rupestris beziehungsweise squalidus.«
»Sagt mir gar nichts.«
»Offenbar ist Mr Green ein besserer Botaniker als sein Erfinder. Das schmalblättrige Weidenröschen und das Felsen-Greiskraut.«
Diese Namen waren mir vertraut. »Und was haben sie mit deiner Brandstiftung zu tun?«
Marius lachte leise. »Vielleicht empfinde ich jetzt dieselbe Befriedigung wie du, wenn du deine Leser in die Irre führst. Ich will dir noch einen Hinweis geben … die Mafia.«
»Die Mafia? Ich gebe auf.«
»Dann erkläre ich es dir. Es ist ganz simpel. Zumindest scheint Mr Green das zu meinen.«
Woraufhin Marius mir die »Erklärung« lieferte. Sie war tatsächlich simpel, und trotz ihrer Raffinesse glaubhaft.
Als Mr Green die beiden Unkräuter entdeckte, die sich aus der verbrannten Erde hervorzwängten, das schmalblättrige Weidenröschen und das Felsen-Greiskraut, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und er erinnerte sich daran, dass er sie vor vielen Jahren anlässlich einer anderen Gelegenheit zusammen hatte wachsen sehen, nämlich nach Kriegsende, in den Ruinen einer ausgebombten Kirche im Herzen Londons. Er erinnerte sich auch daran, wie es vielleicht vielen älteren Lesern geht, dass nach dem Feuer und dem Schlachtgetümmel immer diese beiden Pflanzen als Erste auftauchten, um das Geröll mit ihren bescheidenen Blüten zu überziehen, als versuche die Natur, die hässlichen Wunden mit einem improvisierten Verband zu verhüllen. Als neugieriger Mensch und »besserer Botaniker als sein Erfinder« stellte Mr Green Nachforschungen an und fand heraus, dass die beiden Pflanzen eine besondere Vorliebe für verbrannte Erde haben. Die ursprüngliche Heimat des Felsen-Greiskrauts, das sich von dort über ganz Europa ausbreitete, war nämlich die »vulkanische Erde an den Hängen des Ätna in Sizilien, wo auch die Mafia beheimatet ist«.
Hier nun das Ass, das Marius aus dem Ärmel zog. Der Gärtner des niedergebrannten Anwesens war Sizilianer und steckte mit dem missratenen, Drogen konsumierenden Sohn des Hauses unter einer Decke. Gemeinsam hatten die beiden den einsamen Küstenstreifen als Umschlagplatz für die Drogen benutzt, auf deren Verbreitung die Mafia spezialisiert ist. Die Samen der beiden Unkräuter, die übrigens im heutigen Irland nur noch selten zu finden sind, waren in den Aufschlägen sizilianischer Hosen an Land gebracht worden.
Daraus wäre, in der Tat, eine schöne Geschichte zu machen, aber ich war schließlich angetreten, um ein neues Gartenbuch zu schreiben. Und außerdem sehe ich nicht ein, wieso ich meinen schreibenden Kollegen kostenlose Romanideen zur Verfügung stellen sollte.
Was sind Unkräuter? Und wie gelangen sie in unsere Gärten?
Die schönste Definition von Unkraut, die ich je gelesen habe, wurde von einem klugen Direktor von Kew Gardens, Sir Edward Salisbury, geprägt, der schrieb: »Ein Unkraut ist eine Pflanze am falschen Ort.« Oder, allgemeiner ausgedrückt: »Eine Pflanze, die an einer Stelle wächst, wo wir sie nicht haben wollen.« Das ist nicht nur eine scharfsinnige, sondern auch eine wohlwollende Feststellung; sie verurteilt nicht das Unkraut an sich, sondern nur seine Standortwahl.
Die zweite Frage, »Wie gelangen die Unkräuter in unsere Gärten?«, gehört zu den aufregendsten auf den grünen Seiten des Buchs der Natur. Wie viele Menschen wissen schon, dass eine große Zahl unserer sogenannten »heimischen« Pflanzen erst von den Legionären Cäsars, die über staubige römische Straßen marschierten, bei uns eingeschleppt wurden? In seinem 1961 erschienenen Buch Weeds and Aliens schrieb der bereits erwähnte Salisbury: »Die römische Militärsandale, die unter dem Rand, den Zehen und den Fersen mit Nägeln beschlagen war, stellte ein sehr effektives zeitweiliges Transportmittel für die Verbreitung von Un- und Fremdkräutern dar.« Wenn wir die Uhr ein paar tausend Jahre vordrehen, werden wir erkennen, dass es heute weit drastischere Verbreitungsmethoden gibt, beispielsweise die Profilrillen von Flugzeugreifen, vor allem, wenn sie gezwungen waren, auf irgendeiner fremden Wiese notzulanden. Würde unser Freund Mr Green seiner Fantasie freien Lauf lassen, würde er versteckt in einem einzigen Samenkorn Hunderte einfallsreicher Handlungsstränge finden.
Und würde er noch tiefer in die Thematik eindringen – die botanische Embryologie —, wäre er noch beeindruckter vom Einfallsreichtum, den die Natur an den Tag legt, wenn es darum geht, sich zu reproduzieren, und von der Zähigkeit, die sie entwickelte, um sicherzustellen, dass ihr Nachwuchs nicht zu Schaden kommt. Wussten Sie, dass Sie nur ein Glas Himbeermarmelade pflanzen müssen, wenn Sie Himbeeren in Ihrem Küchengarten haben wollen? So ausgedrückt klingt es natürlich unglaubhaft und ein bisschen lächerlich, und natürlich habe ich das Phänomen bewusst übertrieben dargestellt. Aber es ist eine erwiesene Tatsache, dass Himbeeren oder Brombeeren oft aus dem gekochten Brei keimen, der nach der Herstellung von Himbeer- oder Brombeergelee irgendwohin gekippt wird.
Was nun die mechanischen Methoden angeht, die die Natur ersonnen hat, um ihre Nachkommen zu verbreiten, so sind sie so zahlreich und kompliziert, dass, hätte der Mensch sie ersonnen, Tausende von Patenten angemeldet worden wären. Zu den bemerkenswertesten gehören vielleicht die diversen ballistischen Methoden von Pflanzen wie dem Behaarten Schaumkraut, dessen Schoten im wahrsten Sinn des Wortes »explosiv« sind. Die leiseste Berührung einer voll ausgereiften Schote setzt eine Kette heftigster Reaktionen in Gang, in der elastische Gewebe zerrissen und Spiralfedern ausgelöst werden, und zwar mit solcher Wucht, dass die Samen wie mit einem Superkatapult bis zu anderthalb Meter von der Pflanze weggeschleudert werden. Aber das ist nichts im Vergleich zur Verbreitung von Samen wie denen des kanadischen Flohkrauts mit ihren eingebauten »Flugschirmen«, die alles übertreffen, was der Mensch erfunden hat.
Als wäre das noch nicht genug, hat die Natur einige ihrer Samen mit einer erstaunlichen Lebensspanne ausgestattet. Als die riesigen Samen des Tigerlotus aus einer Torfschicht in der Mandschurei ausgegraben wurden, stellte man fest, dass 80 Prozent davon noch lebensfähig waren, obwohl sie über tausend Jahre geschlafen hatten. (Die Legende, dass Weizen aus Körnern keimte, die im Grab Tutanchamuns gefunden wurden, stellte sich letztlich als journalistische Erfindung heraus.) Es erübrigt sich zu sagen, dass eine tausendjährige Keimfähigkeit die Ausnahme ist, aber es gibt viele Samen, deren Lebensdauer die normaler Menschen übertrifft.
PRAKTISCHER...