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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

nifbe Hör auf damit!

Zwischen verletzendem und achtsamem Verhalten in der KiTa

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-451-82864-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Nach dem erfolgreichen Titel "Jedes Verhalten hat seinen Sinn" folgt nun ein weiterer nifbe-Band zum Thema "Verhalten". In diesem Buch wird aus der Perspektive pädagogischer Fachkräfte in Kitas und auf der Grundlage der Kinderrechte einerseits verletzendes sowie andererseits achtsames bzw. bedürfnisorientiertes Verhalten thematisiert. Es wird sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene gezeigt, woraus verletzendes Verhalten resultieren kann und wie man auf Team- bzw. Leitungsebene oder aber auch durch externe Unterstützung damit umgehen kann. Abschließend wird ganz konkret gezeigt wie man der Kita eine Kultur der Wertschätzung, des Respekts und der Achtsamkeit schaffen kann.
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Verletzendes Verhalten in KiTas – Aktuelle Forschungslage
Astrid Boll & Regina Remsperger-Kehm Seit einigen wenigen Jahren ist es kein Tabu mehr, über verletzendes Verhalten von Fachkräften gegenüber Kindern in Kindertageseinrichtungen zu sprechen. Immer mehr Studien, Fachbücher und Tagungen bieten ein Forum, sich mit der brisanten Thematik auseinanderzusetzen. Mit großem Respekt beobachten wir die Offenheit und das Verantwortungsbewusstsein der pädagogisch Tätigen, sich der Problematik zu stellen – und dies vor dem Hintergrund der sich immer mehr zuspitzenden und prekärer werdenden Rahmenbedingungen in deutschen KiTas. Mit den Herausforderungen, die mit der Corona-Pandemie einhergingen, sind die Belastungen der Fachkräfte nochmals deutlich gestiegen. Im Austausch mit der Fachpraxis spüren wir den hohen Erschöpfungsgrad und auch die zunehmende Verzweiflung der Beschäftigten. Zugleich hat die pandemische Lage bei Kindern und Familien sichtbare Spuren hinterlassen. Das Wohl von Kindern gilt es daher umso mehr zu schützen. Vor diesem Hintergrund möchten wir in diesem Beitrag das Wissen um verletzendes Verhalten in KiTas bündeln und die aktuelle Forschungslage möglichst breit ausleuchten. Nach einer kurzen Einführung und Verortung fassen wir zunächst die Ergebnisse unserer Explorationsstudie zu verletzendem Verhalten aus der Perspektive pädagogischer Fachkräfte zusammen. Anschließend gehen wir auf die Ergebnisse einer bundesweiten Leitungsbefragung ein. Erweitert und vertieft werden diese Erkenntnisse durch eine Studie zu Interventionsstrategien von Leitungskräften bei verletzendem Verhalten. Ein Ausblick auf die Herausforderungen für Praxis und Fachpolitik schließt diesen Beitrag ab. Einführung und Verortung
Verletzendes Verhalten in pädagogischen Einrichtungen wurde lange Zeit – wenn überhaupt – meist nur in informellen Gesprächen thematisiert (vgl. Prengel 2020; Nürnberg 2018). Trotz der Einführung von Kinderrechten und des Gewaltverbots in der Erziehung herrschte über den »Mangel an ethischer Orientierung« in Teilen des Bildungswesens, der »eklatant die Beziehungsebene« betrifft (Prengel 2020, S. 101), bislang eine »Kultur des Verschweigens« (vgl. Maywald zit. in Burger & Schaaf 2020, S. 18). Der aktuell immer lebhafter werdende Diskurs zielt darauf, »Gewalt durch pädagogische Fachkräfte [zu] verhindern« (Maywald 2019), eine »Ethische Pädagogik« zu entwickeln (Prengel 2020) und in KiTas gemeinsam »verantwortlich [zu] handeln« (Boll & Remsperger-Kehm 2022b). Wie notwendig diese Debatte ist, zeigen die Forschungsergebnisse, die zu verletzendem Verhalten in Kindertageseinrichtungen vorliegen. Auch wenn es sich nicht um eine repräsentative Studie handelt, gibt die Umfrage von ZEIT ONLINE aus dem Jahr 2016 Anhaltspunkte zur Verbreitung und zu Arten von Fehlverhalten in KiTas. Die subjektiven Schilderungen von 2.034 Elternteilen und 244 Fachkräften aus allen Bundesländern wurden der Deutschen Liga für das Kind zur Auswertung zur Verfügung gestellt (vgl. Maywald 2019). Dabei wird deutlich, dass strukturelle Missstände wie ein unzureichender Fachkraft-Kind-Schlüssel ein Fehlverhalten von Fachkräften begünstigen. Berichtet wurde von lautem Schreien und Schimpfen, vom groben Ton der Fachkräfte, einer fehlenden Aufsicht und ausbleibenden Hilfestellungen, vom Bloßstellen, Androhen von Strafmaßnahmen sowie vom Zwang zum Mittagsschlaf und Aufessen (vgl. ebd., S. 17f.). Maywald (2019) spricht in diesem Kontext von Fehlverhalten und Gewalt und unterscheidet seelische Gewalt, seelische Vernachlässigung, körperliche Vernachlässigung, Vernachlässigung der Aufsichtspflicht sowie sexualisierter Gewalt. Ähnlich wie bei Maywald zeigten sich in der Videostudie von Remsperger (2011) verletzende Interaktionsformen wie das Abwerten kindlicher Gefühle, das Bloßstellen sowie das laute Maßregeln von Kindern. In den breit angelegten Forschungsarbeiten des Projektnetzes INTAKT (Soziale Interaktionen in pädagogischen Arbeitsfeldern) wurde explizit der Frage nachgegangen, »[w]ie und wie oft […] Kinder in pädagogischen Interaktionen anerkannt oder verletzt« werden (Prengel 2019, S. 96). Bei der Analyse von 1.590 Feldvignetten in Krippen und Kindergärten wurden 73,3 Prozent der beobachteten Interaktionen als anerkennend und neutral, jedoch 26,7 Prozent als verletzend und ambivalent kategorisiert. »Verletzende frühpädagogische Handlungsmuster sind destruktive Kommentare und Anweisungen, das Ignorieren bedürftiger Kinder, negative Zuschreibungen, Anbrüllen, Verweigerung einer notwendigen Hilfe. Seltener kommen aggressiver Körperkontakt, Ausgrenzung, Drohung und Spott vor« (ebd., S. 118). Schließlich bringt auch die Studie zur Beteiligung von Kindern im KiTa-Alltag Erkenntnisse zu einem pädagogischen Verhalten hervor, das für Kinder verletzend sein kann (Hildebrandt et al. 2021). Die Autorinnen sprechen von partizipationshemmenden Verhaltensweisen, die sich inhaltlich gruppieren lassen in ungünstige Reaktionen auf kindliche Emotions- und Bedürfnisäußerungen, verbale oder körperliche Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Kindes, grenzüberschreitendes (nonverbales) Verhalten wie z. B. ein ungefragtes Tätscheln sowie selbstwertmindernde Verhaltensweisen wie sarkastische, ironische, verspottende oder diskriminierende Kommentare (vgl. ebd., S. 50 f.). Verletzendes Verhalten in KiTas aus Perspektive pädagogischer Fachkräfte – Resultate einer Explorationsstudie
Bis zum Jahr 2020 war die Forschungslage zu Studien, »die dezidiert verletzendes Handeln durch Pädagoginnen und Pädagogen untersuchen, außerordentlich rar« (Prengel 2019, S. 79). Zugleich nahmen wir in Seminaren und Fortbildungen die Belastung und Not der Fachkräfte immer deutlicher wahr, wenn sie zunächst sehr zaghaft, dann aber immer offener davon berichteten, dass Interaktionen mit Kindern im KiTa-Alltag nicht feinfühlig verlaufen. Ausgehend von den Berichten der Fachkräfte rückten wir daher in unserer qualitativen Studie die Perspektive von Akteurinnen und Akteuren in den Mittelpunkt und untersuchten Formen, Umgangsweisen, Ursachen und Handlungserfordernisse zur Vermeidung eines verletzenden Verhaltens (Boll & Remsperger-Kehm 2021a). Die Studie wurde mithilfe schriftlicher, offener und asynchroner Interviews mit Expertinnen und Experten in vier Seminargruppen aus unterschiedlichen Studiengängen an der Hochschule Koblenz konzipiert. Insgesamt konnten 58 Interviews mithilfe der strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) ausgewertet werden. Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse skizziert. Formen verletzenden Verhaltens In der Auswertung ließen sich drei Formen des verletzenden Verhaltens gegenüber KiTa-Kindern ermitteln, deren Übergänge jedoch fließend sein können. Verletzendes Verhalten kann sehr subtil beginnen, beispielsweise mit der Untätigkeit von Fachkräften, die einem verletzenden Verhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen zusehen. Dieses »nicht wahrnehmen wollen« und Ignorieren wird von einer Befragten als Anfang eines verletzenden Verhaltens markiert: »Diese unterschwelligen Übergriffe, die verbal vorführen und diskriminieren, würde ich an dieser Stelle als -Mikrogewalt- beschreiben. Alles findet an einer Stelle seinen Anfang und es ist für mich denkbar, dass die Kinder diese erlebte Ignoranz seitens der erwachsenen Bezugspersonen in ihrem Heranwachsen deutlich speichern und für sich verarbeiten.« In Abgrenzung zu Mikrogewalt ist die Subkategorie Makrogewalt nie unterschwellig, sondern deutlich nach außen sichtbar und als Form der Machtausübung mit dem bewussten Angstmachen-wollen und Anschreien verbunden: »Ein Kind wurde genommen und fest auf den Kinderstuhl gesetzt. Dabei wurde es angeschrien: Bleib endlich sitzen!« In dem Beispiel scheint dem Handeln der Fachkraft eine sich zuspitzende Situation vorausgegangen zu sein, die darin mündet, dass sich die Fachkraft ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zu helfen weiß. Die Eskalation einer Situation haben wir in der Subkategorie der Spiralgewalt gefasst. Während ein verletzendes Verhalten also zum einen in Momenten der Überforderung beginnen kann und der Herstellung von Ordnung dient, schilderten die Fachkräfte zum anderen, dass sich Kolleginnen und Kollegen verletzend verhalten, um den Kindern zu zeigen, wer die oder der Stärkere ist. Ziel scheint es manchmal zu sein, den Willen eines Kindes zu brechen und es gefügig zu machen: »Es muss einmal richtig weh tun, dann lernen sie es.« Umgang mit verletzendem Verhalten In der Studie wurden die aktiven Umgangsweisen beinahe doppelt so häufig benannt wie die passiven Verhaltensweisen. So wählen einzelne Fachkräfte die zeitnahe Ansprache, um Kinder zu schützen und eine Situation zu deeskalieren: »Ich versuchte mit der Kollegin zu sprechen und wollte das Kind aus dem Schlafraum nehmen, um es zu beruhigen.« Einige Fachkräfte berichten davon, nicht nur schnell zu intervenieren, sondern die Kolleginnen und Kollegen auch in...


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Das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) wurde 2007 gegründet und verbindet auf innovative Weise die interdisziplinäre Forschung mit der Praxis sowie der Aus- und Weiterbildung im Elementarbereich.

Das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) wurde 2007 gegründet und verbindet auf innovative Weise die interdisziplinäre Forschung mit der Praxis sowie der Aus- und Weiterbildung im Elementarbereich.


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