E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Nitzsche Spinnentraumgespinste
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7494-3825-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Spinnenträume, Spinnenbegegnungen und Metamorphosen
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-7494-3825-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Rainar Nitzsche, geboren 1955 in Berlin, Schulzeit im Saarland, wohnt mit seinen Vogelspinnen in Kaiserslautern, wo er Biologie studierte und seine Diplom- und Doktorarbeit über das Paarungsverhalten der bei uns heimischen Brautgeschenkspinne Pisaura mirabilis verfasste. Er schreibt seit 1975 Gedichte, Kurzprosa, fantastische Romane sowie Sachbücher über Spinnen. Fantastische Werke: Die PFAD-Romane, Kurzgeschichten, thematisch sortiert, die in der Nacht bei Vollmond spielen, amTag im Sonnenlicht, Im All zwischen den Sternen, Spiegelwelten, Träume von und Begegnungen mit Spinnen, Meditatives etc.
Autoren/Hrsg.
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Die Mückenfrau
Alle Fliegen fliegen hoch
Fliegen fliegen - Bienen und Wespen, Wanzen und Käfer, Tagfalter und Schwärmer - sie alle fliegen.
Vögel fliegen.
Flughunde und Fledermäuse flattern durch Tag und Nacht.
Doch Menschen fliegen noch immer nicht aus eigener Kraft, laufen noch immer flügellos dort unten auf zwei Beinen über Wege und Straßen, die sie sich durch die »Wildnis« bahnten. Gräser und Sträucher und Bäume mähten sie nieder, Steine schlugen sie sich aus Felsen, drückten sie in die Erde und gossen Bitumen und Beton für ihre rollenden Räder darüber. Flugmaschinen erfanden sie sich, die Lärm erzeugen, die Luft verpesten und gemeinsam mit ihren Schiffen, Autos und ihrer Industrie das Globale Klima verändern.
Stimmt ja, auch Fallschirme und Gleitschirme haben die Menschen nun, die aber segeln aus Flugzeugen, von Felsklippen und Wolkenkratzern hinab. Wie jämmerlich und wie ausgesetzt dem Wind sie doch sind: ihre gondelbehangenen Ballons und gasgefüllten Zeppeline. Ach, Menschen von gestern und Menschen von heute ...
Was denke ich da nur für Menschendinge!
ich denn ein ?
bin !
Zwei Flügel auf meinem Rücken tragen mich summend durch die Weite. Grenzenlos ist der Raum, die Freiheit in dieser Nacht der Nächte. Zu Riesen wurden Bäume, Büsche und die Menschen dort unten! Ach, auch ihre Autos und Häuser sind ja so groß.
Und das bedeutet?
Wenn nicht alles plötzlich gewachsen ist, dann bin es, die schrumpfte.
Ja, so muss es gewesen sein.
aber konnte es geschehen?
Schlüpfte nur mein Geist, meine Seele in diesen kleinen Körper, der sich hungrig so sehr nach Wirbeltierblut sehnt?
Warm ist diese Sommernacht. Jetzt und für immer - in alle Ewigkeit.
So fliege ich nun auf der Suche nach meinem Opfer dahin, nach dem einen von so vielen möglichen, dem Opfer, das so gut riecht und schlafen mag oder aber vertieft in andere Dinge – die Klänge der Welt - meinen Stich nicht spüren wird.
Und wenn ich es finde …
»So steht es geschrieben«, flüstert eine Stimme in mir. »So soll es sein.«
Den Sinn der Worte, die die Stimme spricht, verstehe ich nicht. Ich muss es auch nicht, denn ich weiß, dass ich Menschenblut trinken werde. Und Blut brauche ich für die Reifung meiner Eier. Als Schiffchen zusammengeklebt werde ich sie aufs Wasser legen. Dann werden meine Kinder schlüpfen, im Wasser leben und zugleich die Luft an der Oberfläche atmen. Zwischen zwei Welten werden sie als Larven schwimmen, filtrierend sich ernähren, sich häuten und wachsen. Schließlich werden an der Oberfläche aus den Puppen die erwachsenen Mücken schlüpfen, Frauen wie ich und Männer wie dieser eine von so vielen, den ich gerade hier oben traf. Ich werde Kinder haben. Denn seine fein gefiederten Antennen hörten und orteten mich. Er flog mich an, welch starker Mann, wir paarten uns sekundenlang im Flug. Er gab mir sein Paket, das löste sich auf. Nun trage ich sein Sperma in mir.
Während ich weiter durch die Nacht fliege, die dunkel ist, doch niemals schwarz, sehe ich Bilder von Verwandten. Schnaken sehe ich tagsüber Hinterleib an Hinterleib minutenlang kopulieren und wundere mich darüber. Was in aller Welt machen denn deren Männer nur so anders als die unsrigen? Warum ist bei uns der Sex Sekundensache, bei ihnen aber nicht?
sind meine Eier nicht reif. Ihnen fehlt das eine, und das ist Blut. Von welchem Wirbeltier es sei, ist einerlei. Doch ein Mensch wird es sein. Ich weiß es. Viele gibt’s hier. Zu Menschen zieht es mich.
Weil auch ich einmal einer von ihnen war und meinesgleichen zerquetschte?
Wurde er etwa als Mücke wiedergeboren? Dann ist er nun ich. Und ich verstehe nicht, womit er diesen Aufstieg, diese Belohnung bei all seinen Schandtaten unserer Art gegenüber verdient haben soll. Doch wie es auch gewesen sein mag und wer auch immer ich vorher war, jetzt jedenfalls gehöre ich zu den Herrscherinnen der Welt.
»Arthropoden«, flüstert die Stimme ein Menschenwort.
Ja, wir sind die Gepanzerten, Gegliederten, denen alle anderen untertan sind.
Neu sehe ich jetzt die Welt, wie sie schwingt und singt, so wunderbar nahm ich sie damals niemals wahr, als ich noch eine Menschenfrau war, ja, solch eine muss ich gewesen sein.
Menschen wissen nichts von diesen Dingen.
Mücken wissen nichts von Menschensinnen.
So ist es, so sollte es sein, in meinem Fall jedoch...
Das ist doch mal was, wie auch immer es geschah, jetzt und hier in mir leben Menschengeist und Mückenverstand in Mückenkörper.
Oder gibt es irgendwo da draußen fern in einem Zimmer gar einen alten Menschen, der dort ruht und schläft und träumend lächelt, während in meinem kleinen Körper all diese Gedanken und Gefühle brausen? Liegt dort fern ein Mensch - wartet gar sehnsüchtig auf die Rückkehr seiner ausgesandten Seele, die in mir weilt?
Welch fantastischer Körper- und Geschlechtertausch vom unbeholfenen zweibeinigen Affen zum sechsbeinigen zweiflügeligen Insekt! Und sollte es gar noch ein Menschen gewesen sein … Nein, dieser Aufstieg in der Hierarchie, in Geist und Gefühl, vom Mann zur Frau, das wäre einfach zu viel.
Vom Menschen zur Mücke, das ist Evolution der besonderen Art im Zeitraffertempo. So macht das Leben Spaß.
Irgendwann einmal mag das auch all den anderen Menschen möglich sein, wenn alles denn so bei mir geschah.
Erinnerungen verblassen.
Jetzt ist jetzt, die Gegenwart hat mich wieder.
Und gleich dahinter, Zukunft, aber nicht mehr verborgen, liegt das Ziel, das nur Namen trägt, der da lautet »Blut«.
So fliege ich weiter durch die Nacht. Wie regelmäßig meine beiden Flügel auf dem Rücken doch schlagen. Und unten auf beiden Seiten schwingen die Kölbchen, rotieren die Halteren, die vor Jahrmillionen auch einmal Flügel waren - daran erinnert sich bewusst wahrlich nur ein Menschengeist, wenn er es denn irgendwann mal irgendwo lernte -, sie melden mir jeden Richtungswechsel, stabilisieren mich und lassen mich wendig sein, wenn auch zugegeben nicht so irre schnell wie meine Fliegenverwandten.
Schneller steige ich auf und sehe die Welt so scharf wie zuvor.
»Denn deine Facettenaugen, dein Gehirn, dein Geist lösen die Bilder sechsmal besser als Menschenaugen auf«, erzählt mir die Stimme.
Ich fliege noch immer unbeschwert durch diese warme Sommernacht, diese Nacht der Nächte. Könnte ich weinen, ich weinte vor Glück und Trauer zugleich.
Kein Mensch weiß, wie es ist. Kein Mensch kennt dieses Gefühl.
Wenige Menschen nur blicken auf, schauen mir und meinesgleichen zu und träumen vielleicht vom Fliegen.
Die anderen schreien und schlagen und sprühen uns tot.
Der Flug ist zu Ende, denn ich habe mein Opfer gefunden. Diesen Atem und lockenden Schweiß riecht man ja meilenweit.
Ich lande, ertaste die beste Stelle, senke meine langen Mundwerkzeuge hinab, bohre sie durch die Haut, steche das Blutgefäß an, sauge den roten Strom auf, bis mein Hinterleib - wie weit er sich doch dehnen kann! - am Platzen ist.
»Du Vampir«, flüstert die Stimme in mir.
Gottlob nein, keine Fledermaus und kein Riese von Menschenmann kommen da an. Ich verstehe, stand wohl eben auf dem Schlauch, obwohl da alles bestens durch den Rüssel fließt, bin ja jetzt und hier der Vampir.
So sauge ich das Menschenblut, ja am Hals eines Menschenmannes, der - gepriesen sei ALLAH / GOTT / JAHWE - einfach nicht zu merken scheint, was da an seinem nackten Hals geschieht.
Wen wundert’s, denn dieser Menschenmann hat Kopfhörer an. Kabel führen hinab zum Handy in seiner Hosentasche. So konnte er nicht das Summen der nahenden Mücke vernehmen und keinen Stich spüren, so weggetreten wie er war und noch immer ist, mit seinem Glas Rotwein vor sich und dem Wein in sich hier draußen im Biergarten seiner Kneipe in der Stadt mit Namen Kaiserslautern.
Doch aufgepasst, jetzt tut sich was.
Er zieht die Stöpsel aus dem Ohr.
Sind ihm etwa die Songs ausgegangen?
Träumte er gar von stechenden Mücken?
Hört er nun die Mücken fliegen?
Spürte er doch ihren Stich an seinem nackten Hals
Da kommt ein Schatten in Zeitlupengeschwindigkeit auf mich zu.
Lächerlich. Das schockt doch keine Mücke. Dem weiche ich mit Leichtigkeit aus, steige auf und fliege davon, nicht sonderlich schnell, doch flink genug.
Ewigkeiten dauert es, bis es dort in der Ferne hinter mir gewaltig donnert.
»Haha, zu langsam«, kichert mein Menschenmückenego irgendwo in mir, flüstert etwas von einer auf den eigenen Hals aufprallenden Hand und fügt noch hinzu: »Erst verlor er sein Blut, jetzt hat er sich auch noch selbst geschlagen. Was für Idioten Menschenmänner doch sind! «
Mein...




