E-Book, Deutsch, 339 Seiten
Oehler Corporate frugal innovation: Eine fallstudienbasierte Untersuchung des Neuproduktentwicklungsprozesses
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7398-0632-7
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 339 Seiten
ISBN: 978-3-7398-0632-7
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ressourcenknappheit, Kostendruck und Trends wie z. B. die LOVOS- oder Nachhaltigkeitsbewegungen stellen Unternehmen auch in Industrienationen zunehmend vor die Herausforderung, im Kontext von Innovation nachhaltig zu agieren und mit weniger mehr zu erreichen. Frugale Innovationen verfolgen diesen Ansatz fokussierter und erschwinglicher Produkte.
Julia Oehler widmet sich in ihrem Buch der Frage, wie der Neuproduktentwicklungsprozess von Unternehmen in Industrienationen gestaltet sein sollte, damit marktfähige corporate frugal innovations entstehen. Dabei beschreibt sie die Anforderungen und Erfolgsfaktoren verschiedener Prozessmodelle sowie Einflussfaktoren auf die Marktfähigkeit der corporate frugal innovations.
Anhand einer qualitativen Fallstudienuntersuchung zeigt sie die wichtigsten Schritte und Anforderungen an den Neuproduktentwicklungsprozess für corporate frugal innovations. Konkrete Handlungsoptionen, um erfolgreich frugale Innovationen zu entwickeln, runden den Band ab.
Dr. Julia Oehler studierte Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Innovations-, Technologiemanagement und Strategisches Management an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (Bachelor) sowie an der Universität Regensburg und der NEOMA Business School in Rouen/Frankreich (Master). Nach ihrem Berufseinstieg in einer externen Unternehmensberatung promovierte sie anschließend an der Universität Regensburg am Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement zum Neuproduktentwicklungsprozess für corporate frugal innovation. Ein weiterer Interessenschwerpunkt liegt im Energiesektor, wo sie seit Abschluss ihrer Promotion im Inhouse Consulting tätig ist.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1 Einführung in die Thematik
1.1 Relevanz des Forschungsthemas und Problemstellung
„Long practised in developing nations out of sheer necessity, frugal innovation is now becoming a strategic business imperative in developed economies, where consumers demand affordable and sustainable products. […] No business leader in the 21st century can ignore the paradigm shift[…].” Carlos Ghosn, ehemaliger CEO Renault-Nissan Der ehemalige CEO von Renault-Nissan, Carlos Ghosn, nennt in seinem Zitat als Handlungsmaxime für Unternehmenslenker der Wirtschaftsnationen im 21. Jahrhundert einen Paradigmenwechsel hin zu frugalen Innovationen. Auch die Literatur sieht in frugalen Innovationen mit ihren besonderen Eigenschaften ein neues (technologisches) Innovationsparadigma und alternatives, disruptives Innovationsmodell. Dieses Modell überdenkt die traditionelle Herangehensweise an Innovation, die geprägt ist von Komplexität und Wissenschaftsgetriebenheit, indem im gesamten Neuproduktentwicklungsprozess (NPEP) eine neue Art des Innovierens praktiziert wird. Der Fokus liegt dabei mehr auf sozialen und ökologischen Bedürfnissen einer Innovation und auf Symbiosen zwischen diesen Aspekten bei der angestrebten Wertgenerierung als im herkömmlichen Innovationsverständnis. Der Kunde mit seinen, oftmals latenten, Bedürfnissen steht im Mittelpunkt der Innovation. Kosten auf Produktebene werden insbesondere durch Ausschluss nicht essenzieller Funktionen eines Produktes als eine neue Art der Kundenorientierung radikal gesenkt. Diese Herangehensweise ist nicht zuletzt deshalb erforderlich, weil Beschränkungen (constraints) in der Umwelt wie z. B. knappe Ressourcen oftmals einen nur unzureichenden Zugang zu Produkten ermöglichen, um Grundbedürfnisse zu stillen., Dies kann Unternehmen dazu zwingen, neue Wege zur Neuproduktentwicklung zu gehen. Ressourcenknappheit kann sich neben einem Mangel an Produktionsmaterial und institutionellen Strukturen (z. B. Infrastruktur, Intermediäre), oder immateriellen Ressourcen, wie qualifiziertem Personal, am oberen Ende der Wertschöpfungskette, auch durch fehlende Zahlungskraft der Kunden am unteren Ende ausdrücken. In diesem Fall erwarten Endkunden erschwingliche Produkte, die aber dennoch ein Wertversprechen erfüllen, was dem Verständnis einer frugalen Innovation entspricht. Veranschaulicht wird dies durch die Betrachtung des Ursprungs frugaler Innovationen. Dieser liegt in Jugaad (Hindi für „making do with what one has to solve one`s problems“ oder im Unternehmenskontext „Innovationen auf den Markt bringen trotz beschränkter Ressourcen“), als Ergebnis kreativen Problemlösens angesichts regionaler Armut und Not. In diesem Kontext sollen frugale Innovationen die sozioökonomischen Bedingungen von Millionen von Menschen am Bottom of the Pyramid (BoP) verbessern, umgesetzt durch (soziales) Unternehmertum vor Ort, indem der BoP, invertiert zum bisherigen Verständnis, als Schaffer von Innovation gesehen wird. Das Konzept des BoP als Sockel der Einkommenspyramide wurde 1998/1999 eingeführt und wird seitdem von Befürwortern (z. B. London/Hart/Barney 2011) und Kritikern (z. B. Karnani 2011) diskutiert. Ein Literaturüberblick über die Anwendung und Entwicklung des Konzepts zeigt ein interdisziplinäres und komplexes Bild des Begriffs mit großen Unterschieden bzgl. BoP-Kontext, Initiativen und Auswirkungen des BoP-Ansatzes. BoP-Märkte werden dabei als Märkte verstanden, die Ressourcenbeschränkungen ausgesetzt sind und deren Kunden ein geringes verfügbares Einkommen haben. Folglich legen die Kundengruppen am BoP Wert auf die Erfüllung basaler Bedürfnisse wie u. a. Nahrung, Wohnen, Gesundheit und Bildung zu einem erschwinglichen Preis. Die Arbeitsdefinition fasst zusammen: „BoP markets are […] defined by a resource-constrained environment and geography in which these consumers live, affecting their ability to address basic needs through products such as food, housing, healthcare and energy.” Im Kontext von Schwellen- und Entwicklungsländern (EM für Emerging Market(s)) verfügen BoP-Kunden über geringe finanzielle Ressourcen und technologisches Wissen bzw. Bildung, aber über eine starke Beziehung zu Religion und Kultur sowie Traditionen und feste soziale Beziehungen wie z. B. große Familien. Sie leben überwiegend in geografisch abgelegenen Gegenden mit wenigen institutionellen Strukturen (z. B. Infrastruktur, medizinische Versorgung, Lieferketten und Handel, Kommunikationsnetzwerke, Schutz von geistigem Eigentum) und haben beschränkten Zugriff auf Informationen. Zumeist werden der BoP in Indien und China aufgrund des dort geringen Pro-Kopf-Einkommens, der hohen Preissensitivität, der begrenzten Zugänglichkeit von Ressourcen und der Einstellung der Menschen, Restriktionen und Beschränkungen durch Improvisation zu lösen, als Ursprung frugaler Innovation gesehen. Diese Länder verfügen zur Begünstigung frugaler Innovation über ein idiosynkratisches Innovationssystem mit schwach ausgeprägter Forschung und Entwicklung. Während in EM folglich eine stark wachsende Mittelschicht mit Nachfrage nach erschwinglichen und qualitativ guten Lösungen zur Existenzsicherung, die Generierung von Arbeitsplätzen und die Erschließung des BoP als Absatzmarkt frugale Innovationen antreiben, wurden frugale Innovationen in Industrieländern (DM für Developed Market(s)) bisher eher gemieden und mit geringer Qualität assoziiert. Bzgl. der Relevanz frugaler Innovationen muss man aber, wie bereits im Eingangszitat ersichtlich wird, auch diese Kategorie von Ländern in die Betrachtung einschließen. Eine Untersuchung der World Bank (2020) zur pandemiebedingten Rezession in EM und DM verdeutlicht die Relevanz eines neuen Innovationsparadigmas auch für entwickelte Märkte, die beispielsweise durch die Coronapandemie zu einem ressourcenbeschränkten Umfeld wurden. Die Pandemie trifft ganze Wirtschaftssysteme. Gesundheitssysteme kommen an ihre Grenzen, Arbeitsplätze gehen verloren, das Einkommen der Bevölkerung sinkt und damit auch die Kaufkraft. Zudem sind etablierte Märkte gesättigt und eine reine Fokussierung auf das Premiumsegment seitens der Unternehmen ist nicht länger ausreichend. Dies fordert von ebendiesen die Anwendung neuer Strategien wie z. B. die Bearbeitung von BoP-Märkten, was im Kontext frugaler Innovation erfolgt. In Industrienationen sind Treiber frugaler Innovation, neben der erwähnten Preissensibilität der Kunden, auch sich ändernde Wertevorstellungen wie ein puritanischer Lebensstil und ein steigendes Bewusstsein für nachhaltigen und erschwinglichen Konsum. Folglich fordern Konsumenten zunehmend erschwingliche, benutzerfreundliche und robuste Lösungen statt Overengineering. Hinzu kommen Kostendruck für westliche Unternehmen und starke Konkurrenz aus EM in Form von reverse innovation. Zusammengefasst ermöglichen frugale Innovationen die Verfolgung sozialer Ziele ohne Vernachlässigung wirtschaftlicher Ziele wie eine Optimierung der Anschaffungskosten und Gesamtkosten des Betriebs eines Produktes (total cost of ownership, TCO) und gelten dabei als ressourcenschonend. So erzielt beispielsweise IKEA seit langer Zeit hohe Gewinne mit seinem frugalen Ansatz der Möbelentwicklung. Agarwal/Brem (2017a) sprechen gar von einem „global phenomenon with potential of higher socio-economic impact”, v. a. in Verbindung mit Konzepten wie der Kreislaufwirtschaft. Auch wenn folglich der Ursprung des Konzepts frugaler Innovationen in den Schwellen- und Entwicklungsländern liegt, steigt mittlerweile auch in den Industrienationen das Interesse am Thema. Qualitativ hochwertige frugale Innovationen gelten somit als neue Wachstumsquelle, wie eine Studie von Roland Berger bzw. Knapp et al. (2017) zeigt. Auch auf politischer Ebene (nationale und europäische Förderprojekte) und seitens der Praxis (siehe Erfolgsbeispiele IKEA und Dacia Logan) steigt das Interesse an der Thematik. Nachhaltigkeit und die Einsparung von Ressourcen gelten neben der Adäquatheit im Hinblick auf Wertewandel, konjunkturelle Abkühlung und demografische Entwicklung als weiteres Potenzial frugaler Innovationen, die einen kreativen Umgang mit Ressourcen, die Erschließung neuer Märkte und die Vereinfachung von Produkten...