Özpetek | Wie ein Atemzug | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Özpetek Wie ein Atemzug

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-99977-9
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-492-99977-9
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Geschichte zweier Leben und einer Vergangenheit, zweier Schwestern und eines Geheimnisses, zweier Wahrheiten und eines Verbrechens In ihrer Wohnung in Testaccio, einem angesagten Viertel im wunderschönen Zentrum Roms, sind Sergio und Giovanna gerade dabei, die letzten Vorbereitungen für das sonntägliche Mittagessen mit ihren engsten Freuden vorzubereiten, als es klingelt. Vor der Tür steht eine elegante alte Dame, die sich als Elsa Corti vorstellt. Sie erzählt, sie hätte vor vielen Jahre in dieser Wohnung gelebt und würde sie gern noch einmal sehen. Das junge Ehepaar bemerkt den suchenden, beinahe erschütterten Blick Elsas und bittet sie herein. Der geheimnisvolle Gast bleibt zum Essen, und als die beiden befreundeten Paare eintreffen, beginnt Elsa, ihre Geschichte zu erzählen. Sie beginnt im Rom der Sechzigerjahre, als Elsa und ihre Schwester Adele sich in denselben Mann verlieben. Eine dramatische Dreiecksbeziehung entspinnt sich, an deren tragischem Ende Elsa ihre Heimat Italien fluchtartig verlässt und sich im magischen und sinnlichen Istanbul eine neue Existenz aufbaut. Die Briefe, die sie der Schwester schreibt, bleiben ein Leben lang unbeantwortet. Diese letzte Reise zurück nach Rom, zurück zu den Anfängen, hat Elsa in der Hoffnung angetreten, sich mit ihrer Schwester zu versöhnen. Doch womöglich ist es zu spät. Ein meisterhaft komponierter, atmosphärischer und fesselnder Roman, der uns in zwei faszinierende Städte entführt, mit denen der Autor selbst eng verbunden ist: Rom und Istanbul. In Italien stand dieser Roman auf Platz 1 der Bestsellerliste. Durch die von seinen LeserInnen tausendfach auf Instagram und Facebook geposteten Zitate wurde das Buch zu einem regelrechten Medienereignis. Ferzan Özpetek hat sich bei uns mit seinen Film-Erfolgen »Hamam« oder »Männer al dente« längst einen Namen gemacht. Endlich kann man diesen begnadeten Geschichtenerzähler nun auch als Romanautor entdecken.

Ferzan Özpetek ist ein gefeierter Regisseur und Drehbuchautor, der in Istanbul geboren wurde, aber seit 1976 in Rom lebt und in Italien bereits zwei Bestseller veröffentlicht hat. Sein dritter Roman stand in Italien auf Platz 1 der Bestsellerliste und wurde von Publikum und Presse gleichermaßen bejubelt.
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Der Braten ist fast fertig und riecht schon ganz wunderbar. Auch das überbackene Gemüse duftet verführerisch. Die große Uhr, die neben dem Kühlschrank hängt, zeigt halb zwölf an. In einer Stunde kommen die Gäste, falls man alte Freunde denn so nennen kann: Giulio und Elena, Annamaria und Leonardo, die ihr erstes Kind erwarten. Als Sergio sich zum Kühlschrank dreht, betrachtet er flüchtig sein Spiegelbild im Küchenfenster und freut sich daran. Er ist ein attraktiver Mann, und das weiß er. Olivfarbener Teint, volles Haar und kastanienbraune Augen, eine hohe Stirn und sinnliche Lippen. Mit seinen vierunddreißig Jahren hat er einen straffen und durchtrainierten Körper, jedoch ohne die Muskelberge, die typisch für alle sind, die sich zu Sklaven eines Fitnessstudios machen.

In seinem Rücken deckt Giovanna effizient wie immer den großen Küchentisch. Die beiden sind seit zwei Jahren verheiratet, aber bereits seit zwölf Jahren ein Paar. Sergio kennt sie derart gut, dass er mit geschlossenen Augen zu sagen wüsste, was sie gerade macht. Oder nicht? Reichen zwölf Jahre wirklich aus, um einander von Grund auf zu kennen? Er dreht sich um. Mit der Konzentration einer Architektin, die das Fundament eines Hauses plant, richtet Giovanna den Tisch für sechs Personen her. Sie trägt noch ihren schlichten Hausanzug, und in ihren blauen Augen liegt ein aufmerksamer, gesammelter Ausdruck. Ihr kurzes blondes Haar ist leicht zerstrubbelt, was sie noch heute ein wenig wie die Studentin wirken lässt, die er in einem Café an der Uni angesprochen hat. Dabei sind sie beide mehr oder weniger gleichaltrig und haben genau wie ihre Freunde vor Kurzem die dreißig überschritten. Sergio lächelt in sich hinein: Seine Frau ist eben doch ein offenes Buch für ihn. Sie ist solide, korrekt, effizient und zuverlässig. Wenn ihr etwas fehlt, dann ist es Impulsivität – und genau dafür liebt er sie.

Genauso solide ist ihre Wohnung in Testaccio, die in einem eleganten Haus aus dem frühen 20. Jahrhundert liegt. Sie haben sie zwar erst vor knapp zwei Jahren gekauft, meinen aber, schon immer hier gelebt zu haben, entspricht sie doch exakt ihren Vorstellungen. Zwei große, helle Bereiche, einer für den Tag und einer für die Nacht, Letzterer mit Schlafzimmer, begehbarem Schrank und Bad, Ersterer mit dem Wohnzimmer samt angrenzendem Arbeitszimmer, vor allem aber mit der gemütlichen Küche, in der sie sonntags mit ihren Freunden zu Mittag essen. Diese Gewohnheit pflegen sie seit Jahren, sodass sie inzwischen zu einem festen Brauch geworden ist.

Sergio liebt es, für seine Freunde zu kochen. Unter der Woche lassen ihm Termine vor Gericht und seine Anwaltskanzlei keine ruhige Minute. Er ist auf Gesellschaftsrecht spezialisiert und vertritt zahlungskräftige Mandanten in Fällen, in denen es um Millionen geht. Ohne Frage verdient er gut, doch die Arbeit ist stressig. Ein Essen vorzubereiten ist daher seine Art, sich zu entspannen. Als Feinschmecker, der er ist, probiert er in der großen, bestens ausgestatteten Küche voller Dosen, Kräuter und Gewürzpflanzen leidenschaftlich gern neue Rezepte aus. Hier, in dieser Küche, an diesem langen, frei stehenden Holztisch, werden Giovanna und er auch ihre Gäste empfangen. Denn diesen Raum lieben beide am meisten. Weil jeder Gegenstand und jedes Accessoire, weil sämtliche Möbelstücke mit besonderer Sorgfalt ausgewählt worden sind.

Giovanna mag keine Tischdecken, sondern stellt lieber alles direkt auf die Holzfläche. Nachdem sie die Teller und das Besteck verteilt hat, trägt sie die Gläser zum Tisch, ordnet sie einem Gedeck zu und tritt dann einen Schritt zurück, um wie eine Künstlerin, die einen letzten kritischen Blick auf ihr Werk wirft, das Ergebnis zu begutachten. Sergio beobachtet sie aus den Augenwinkeln. Egal, was sie anpackt, sie ist und bleibt eine Perfektionistin. Gerade holt sie die Kürbisblüten aus dem Kühlschrank, steckt einige Chilischoten dazwischen und gibt zwei Miniauberginen dazu. Anschließend nimmt sie eine weiße Porzellanschale aus dem Schrank und richtet ihre Komposition zufrieden darin an. Der perfekte Mittelpunkt für ihren Tisch …

»Mist!«, ruft sie und wirft einen Blick auf die Uhr an der Küchenwand. »Es ist gleich zwölf, und ich habe noch nicht mal geduscht!«

»Keine Panik, ich kümmere mich um den Rest«, beruhigt Sergio sie und schaltet den Herd aus. »Mit dem Kochen bin ich eh fertig.«

»Das Brot ist in dem weißen Beutel in der Speisekammer, und …«

»Raus mit dir, bevor unsere Gäste dich noch im Hausanzug antreffen.«

Diese albtraumhafte Vorstellung – noch nie haben ihre Gäste sie in derart legerer Aufmachung gesehen – treibt Giovanna ins Bad. Sergio öffnet unterdessen die Tür der Speisekammer und findet sofort, was er sucht. Ein frisches, längliches Bauernbrot. Davon wird er wohl nur eine Hälfte aufschneiden, der Rest kann vorerst auf dem Holzbrett bleiben, bei Bedarf reicht er ihn dann nach.

Das leise Rauschen des laufenden Wassers verrät ihm, dass seine Frau unter der Dusche steht. Genau in diesem Moment klingelt es an der Wohnungstür, die direkt in die Küche führt. Das müssen Leonardo und Annamaria sein, denkt Sergio, denn die beiden haben die schlechte Angewohnheit, ständig zu früh aufzutauchen. Bestimmt stand die Haustür offen.

»Dass ihr aber auch immer zu früh kommen müsst! Verdammter Schei…«

Verlegen beißt er sich auf die Zunge.

Er hatte die Tür aufgerissen, ohne vorher nachzusehen, wer eigentlich geklingelt hat, denn er war überzeugt davon, dass es nur seine Freunde sein konnten. Stattdessen hat er jedoch eine Frau vor sich, die mit den Jahren etwas füllig geworden ist und die siebzig bereits hinter sich gelassen haben muss. Die blond gefärbten Haare fallen über ihre Schultern, gewähren aber den Blick auf alte, kostbare Ohrringe. Sie trägt ein petrolfarbenes Leinenkleid von exzellenter Machart, das ihre üppige Figur unterstreicht, ohne sie dabei allzu stark zu betonen. Ihren Hals schmückt eine Bernsteinkette, mit den Händen umklammert sie eine elegante Handtasche mit kunstvoller Stickerei. Über ihrem Gesicht liegt ein Netz feiner Falten, doch darauf achtet Sergio kaum, dazu faszinieren ihn ihre Augen viel zu sehr, die grün und magnetisch sind und von einem leicht verwackelten Kajalstrich akzentuiert werden.

Zwischen Verblüffung und Faszination schwankend mustert Sergio die Frau. Wer ist sie? Mit Sicherheit ist er ihr noch nie zuvor begegnet. Auch sie sieht ihn überrascht an. Ja, mehr als überrascht, geradezu erschüttert, als hätte sie jemand anderen erwartet. Dann huscht ihr Blick zum Klingelschild neben der Tür, als suchte sie eine Bestätigung, doch da steht kein Name. Bisher hat es Sergio und Giovanna an der Zeit – vielleicht auch am Willen – gemangelt, das Schild zu beschriften, eine Nachlässigkeit, die Sergio unversehens inakzeptabel vorkommt.

Bevor er die Unbekannte, die sich inzwischen vom ersten Schreck erholt hat, fragen kann, was sie wünsche, strahlt sie ihn mit einem entwaffnenden Lächeln an, um ihm dann mit unschuldiger Miene fest in die Augen zu sehen: »Verzeihen Sie die Störung, denn in dieser Weise bei jemandem hereinzuschneien, an einem Sonntagvormittag, das gehört sich doch … Nein, das gehört sich ganz und gar nicht!«

Sergio ist so verblüfft, dass er kein vernünftiges Wort herausbringt, was aber auch nicht nötig ist, denn nun stellt sich die Unbekannte erst einmal vor: »Ich bin Elsa Corti und habe vor vielen Jahren hier gewohnt.«

Sie streckt ihm die Hand entgegen und fasst nach seiner, als wollte sie diese nie wieder freigeben. An ihrem kleinen Finger steckt ein goldener Siegelring. Sie linst über Sergios Schulter, dem nichts Besseres einfällt, als sich seinerseits mit Vor- und Zuname vorzustellen und derart verständnisvoll zu nicken, als hätte diese Frau ihm gerade einen entsetzlichen Fehltritt gebeichtet.

»Glauben Sie an das Schicksal?«, fragt sie ihn hoffnungsvoll.

Bei dieser direkten Frage zuckt Sergio zusammen und ertappt sich bei dem Gedanken, wie schön sie als junge Frau gewesen sein muss.

»Als ich unten die offene Tür gesehen habe, war das, als hätte das Haus mich hereingebeten«, fährt Elsa fort. »Ich bin lange Zeit weit weg von Rom gewesen … Beinahe fünfzig Jahre bin ich nicht durch diese Straße gegangen. Heute Morgen habe ich mein Hotel in aller Früh verlassen und wollte nur einen kleinen Spaziergang machen. Eigentlich wollte ich in Richtung Kolosseum schlendern, aber meine Füße haben mich wie von selbst hierhergeführt, wo alles begonnen hat. Als ich mich umgesehen habe, schien mir alles verändert und gleichzeitig seltsam vertraut, und dann stand ich plötzlich vor dieser Tür, und da war mir, als hätte ich Rom nie verlassen. Deshalb hat mich der Wunsch, diese Wohnung wiederzusehen, geradezu überwältigt. Aber natürlich will ich Sie nicht aufhalten, verzeihen Sie also die Störung! Ich weiß gar nicht, wo ich heute meinen Kopf gelassen habe …«

»Aber ich bitte Sie, das macht doch gar nichts, das verstehe ich vollkommen«, stammelt Sergio etwas ratlos. »Wirklich …«

Der überraschende Wortschwall der Unbekannten hat Sergio geradezu die Sprache verschlagen.

Während Elsa sich nochmals für die Störung entschuldigt, wirft sie suchende Blicke in die Wohnung, als müsse sich in ihr etwas befinden, das für sie lebenswichtig ist. Dann aber stockt sie und will gehen.

»Gut, haben Sie vielen Dank und auf Wiedersehen. Falls Sie nichts dagegen haben, würde ich gern in den nächsten Tagen noch einmal vorbeischauen …«

Offenbar schweren Herzens tritt sie den Rückzug an.

In jeder anderen Situation hätte Sergio die Gelegenheit...



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