E-Book, Deutsch, 236 Seiten
Oppeln-Bronikowski Schlüssel und Schwert
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3287-8
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 236 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3287-8
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
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Ein Papstleben aus dem Cinquecento. Ein historischer Roman.
Autoren/Hrsg.
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Die Nachricht von der Papstwahl verbreitete sich mit Windeseile durch Rom. Als apostolischer Kämmerer hatte der Kardinal Guastavillani die Pflicht, sie dem Volke in verkünden. Es war eine bittere Pille für ihn. Der Petersplatz war heute schwarz von Menschen. Sie wußten bereits, daß der Papst gewählt sein mußte, denn sie hatten heute keine Fumata gesehen. Ein Freudentaumel ergriff sie, als sie auf der Loggia an der Front der alten Peterskirche die Gestalt eines Kardinals erblickten. Dann trat plötzlich Totenstille ein, und die Hand am Ohre lauschte jeder den lateinischen Worten, die von dem Balkon herabfielen:
»Annuntio vobis gaudium magnum. Habemus papam Dominum Felicem Montaltum, sacrae romanae Ecclesiae Cardinalem, qui sibi imposuit nomen Sixtus Quintus.«
Bei dem Namen Montalto ging ein Freudenschrei durch die Menge. Die Vordersten riefen ihn weiter an die, welche ihn nicht verstanden hatten, und so rollte er wie eine große Woge über das Menschenmeer. Dann brach ein ungeheurer Beifallssturm aus. Tücher und Hüte wurden geschwenkt, und zahllose Stimmen schrien: »Es lebe Papst Sixtus der Fünfte!«
Im selben Augenblick durchriß Kanonendonner die Luft: es waren die Stücke der Engelsburg, die Salut schossen. Schon setzten die ersten Glocken ein, erst langsam und feierlich, dann mit der ganzen Fülle ihres ehernen Klanges. Die Luft bebte von all diesen frommen oder kriegerischen Tönen, aber noch lauter war das Getöse der Menge und der immer stärker anschwellende Ruf: »Es lebe Papst Sixtus der Fünfte!«
In plötzlichem Antriebe stürmten die vordersten Massen die Kirchenstufen hinauf und rannten im Wettlaufe durch die uralte Vorhalle, um sich in der Kirche einen Platz für die Pontifikalmesse zu sichern. Wie gierige Mäuler verschlangen die drei großen Portale die Menge, ohne daß der Platz leerer wurde, denn immer neue Scharen schoben sich nach. Andere wieder drängten rückwärts, um durch den Borgo zu laufen und die Kunde nach der Stadt zu tragen. So entstanden zwei wirbelnde, tosende Strömungen, in denen ein paar Wagen, die zum Vatikan strebten, wie Schiffe hin und her schwankten.
Während die Peterskirche sich mit wimmelnden Massen füllte, legte Sixtus das Papstgewand an und ließ sich den hermelinverbrämten Scharlachmantel um die Schultern legen. Das Ornat und die dreifache Krone trug er heute noch nicht: erst am Krönungstage sollte er damit geschmückt werden.
In der Mitte eines langen, buntfarbigen Zuges schritt er durch die Gänge des Vatikans, voran mit dröhnendem Schritte die Schweizer Garde in ihrer schon altertümlichen, geschlitzten roten Tracht, die Hellebarde in der Faust, dann das goldene Prozessionskreuz, der Zeremonienmeister mit seinem Heroldsstabe, die päpstlichen Kämmerer und der Papst selbst. Hinter ihm rollte die rote Woge der Kardinäle; dann folgten die Hausprälaten in weißen oder grauen Pelzmänteln über dem schwarzen Gewand, und zuletzt der bunte Schwarm der Höflinge.
So ging es durch die langen, hallenden Gänge, bald in bräunlichem Dämmerlicht, bald in hellem Sonnenschein. Überall drängten sich Menschen herbei, fielen aufs Knie und riefen: »Es lebe Papst Sixtus!« Durch die offenen Fenster drang der Glockenschall herein, und noch immer durchriß Geschützdonner die frommen Klänge.
Am Fuße der steilen Treppe San Gallos harrte die Sedia gestatoria mit den Wedelträgern, die auf hohen Stangen zwei riesige weiße Fächer aus Straußenfedern hielten. Sixtus bestieg den Thronsessel, und von acht kräftigen Schultern emporgehoben, schwankte er durch das große Mittelportal in die Peterskirche.
Im selben Moment setzte heller Gesang wie von Frauenstimmen ein -- Palestrinas Ecce Sacerdos magnus, von den päpstlichen Kastraten gesungen. Dumpfes Brausen übertönte den Choral, und plötzlich drang aus der vieltausendköpfigen Menge von neuem der Ruf hervor: »Es lebe Papst Sixtus der Fünfte!«
Er segnete nach allen Seiten, während sein Thronsessel langsam weiterschwankte. Zahllose Blicke richteten sich zu ihm empor. Tränen irrer Begeisterung glänzten in vielen Augen; andere schienen forschend zu fragen: »Was wirst du uns bringen?«
Sein Antlitz war unbeweglich wie stets, aber seine Augen leuchteten. Seine Gestalt war leicht gebeugt, und sein grauer Bart spielte kaum ins Weiße. Er zählte jetzt vierundsechzig Jahre, doch wer ihn kannte, fand ihn um zehn Jahre verjüngt. Etwas Strenges, Gebieterisches ging von ihm aus, aber nichts Majestätisches, nichts vom Wesen eines vornehmen Herrn. Der erste Anblick packte, der zweite erschreckte fast. Doch das Volk fühlte: dieser Papst war aus seiner Tiefe emporgestiegen, um Ordnung zu schaffen.
Als der Thronsessel am Hauptaltar niedergesetzt war und die Kardinäle ihn gleich einer roten Mauer umschlossen, legte sich der Tumult, und die Musik gewann wieder die Oberhand. Meister Palestrina hatte während des Interregnums flugs eine Messe komponiert, aber in dieser kurzen Zeit war kein Meisterwerk entstanden. Die Musik schien an den Übermaßen des Riesendomes zu zerschellen. Sixtus merkte es wohl. Er wandte sich zum Kardinal von Este um und sagte: »Pierluigi hat die Messe des Papstes Marcellus vergessen.« Das war das erste Urteil, das er fällte, zutreffend und hart.
Ein Tedeum beschloß die Feier. Erst dieser tausendstimmige Gesang füllte den ungeheuren Raum aus und entsprach seiner Größe. Wie er brausend emporstieg und in schwindelnder Höhe feierlich verklang, so strebten auch die wuchtenden Pfeiler empor, und über ihnen schloß sich in weicher Rundung die gewaltige Wölbung. Nur dem Kernstück des Domes fehlte noch die lichte, schwebende Kuppel über der Vierung. Der blaue Himmel blickte durch das riesige Rund hinab wie in einen heidnischen Tempel. Dort oben harrte eine Aufgabe, eines großen Geistes würdig. Mit stürmischem Herrschergeist hatte der zweite Julius diesen Riesenbau unternommen, der größte Künstler des letzten Zeitalters hatte ihn fortgeführt, und noch immer ward daran gebaut, aber nur ein Ebenbürtiger konnte dies Werk ohnegleichen vollenden. Würde Fontana dieser Aufgabe gewachsen sein? Aber es galt nicht nur, einen großen Baumeister zu finden, Sixtus mußte auch die Schätze zusammenscharren, die ein solcher Bau erheischte. Und fürs erste drängten sich nötigere Aufgaben herbei. Die Peterskuppel konnte nur die Krönung seines Lebenswerkes sein.
Als er unter dem brausenden Beifall der Menge in den Vatikan zurückgekehrt war, begann der endlose Reigen der Huldigungen. Die Kardinäle und römischen Großen, die Gesandten der ganzen katholischen Welt und der italienischen Staaten, ein Schwarm von Prälaten und Höflingen erfüllten Rafaels farbenprächtige Stanzen mit buntem Gewimmel. Unter ihnen fielen ein paar japanische Prinzen auf, von den Jesuiten aus dem fernsten Asien herbeigesandt, ein lebendiges Wahrzeichen für die Ausbreitung des Glaubens in fast sagenhaften Ländern. Ein jeder ward nach Rang und Würde in den Audienzsaal geführt, und jedem sagte Sixtus ein paar schickliche Worte, als hätte er lange Übung in höfischen Bräuchen. Alle wunderten sich über die ruhige Würde, mit der er sie empfing, und über die Sicherheit, mit der er das ungewohnte »Wir« brauchte, wenn er von sich sprach.
Dem Botschafter der Republik Venedig hielt er eine besondere Rede.
»In vergangenen Jahren, Priuli,« begann er, »standen Wir nicht immer in gutem Einvernehmen mit Eurer Signoria. Aber Vergangenes ist vergangen, und Wir hoffen zuversichtlich, die Republik von San Marco wird dem Heiligen Stuhle auch künftig eine treue Dienerin sein. Wir schätzen sie besonders als starken Hort der Christenheit wider die Ungläubigen und werden ihr Unseren Beistand nicht versagen. Aber Wir wissen auch, daß sie auf Ordnung in ihrem Gebiet hält. Wir werden ihr auch dabei die Hand reichen und rechnen auf ihre tatkräftige Hilfe, um Italiens Schmach, die Briganten, auszurotten.«
Der Venezianer erstaunte. Kaum erwählt, dachte der Papst schon an die Türkennot, die Venedig am schwersten bedrohte, noch schwerer als die inneren Nöte Italiens. Wußte er doch nicht, daß Sixtus den Türkenhaß schon mit der Muttermilch eingesogen hatte; denn seine Voreltern stammten von dalmatinischen Flüchtlingen ab, die sich vor den Türkengräueln nach Ancona gerettet hatten.
»Die Signoria«, entgegnete Priuli, »wünscht nichts sehnlicher als das Wohlwollen und den Beistand Eurer Heiligkeit. Sie wird ihrerseits nicht im Rückstande bleiben, um Ihre großen Pläne erfüllen zu helfen.«
Als Sixtus ihn verabschiedet hatte, fuhr der Botschafter stracks zu Donna Camilla, um sie zu beglückwünschen. Er fand sie strahlend vor Glück und im Begriff, in den Vatikan zu eilen. Wie erstaunte er aber ob der dürftigen Schlichtheit des Hauses! Aus dieser ärmlichen Enge war Sixtus hervorgegangen! Und doch dünkte er ihm ein geborener Herrscher. Er faßte den Unterschied kaum und schrieb eine verwunderte Depesche an den Dogen.
Endlich war der Reigen der Huldigungen vorüber, und der Papst zog sich in das Arbeitsgemach seines Vorgängers zurück, um sich ein Weilchen zu sammeln und auszuruhen. Dann vollzog er die ersten Ernennungen. Die Nepoten und Kreaturen seines Vorgängers verschwanden, und die seines Wohltäters Pius V., aus deren Mitte er selbst hervorgegangen war, kamen wieder zu Ehren. Rusticucci erhielt...




