Osterhammel / Petersson | Geschichte der Globalisierung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2320, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Osterhammel / Petersson Geschichte der Globalisierung

Dimensionen, Prozesse, Epochen

E-Book, Deutsch, Band 2320, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-73844-9
Verlag: C.H.Beck
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Globalisierung beginnt nicht erst in der Gegenwart. Sie hat sich über mehrere Jahrhunderte hinweg entfaltet. Das Buch beschreibt die Vielfalt der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Prozesse, die heute unter dem Begriff der Globalisierung zusammengefasst werden. Es befasst sich mit deren Ursachen und Auswirkungen, Rhythmen und Reichweiten.
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I. «Globalisierung»:
Umkreisung eines Begriffs
1. Gegenwartsdiagnose und historischer Prozessbegriff
«Globalisierung» war lange ausschließlich ein Begriff der Gegenwartsdiagnose. Anfangs wenig beachtet und auf Spezialveröffentlichungen von Wirtschaftswissenschaftlern beschränkt, hat dieser Begriff seit den 1990er Jahren eine erstaunliche Karriere erlebt. In zahlreichen Sprachen ist er heimisch geworden. Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen haben ihn zur Leitkategorie erkoren. Täglich wächst die Literatur, bei der es um Globalisierung oder Globalität, Globalgeschichte oder globalen Kapitalismus geht. Bereits ist Pfadfinderschrifttum erforderlich, um Schneisen durch das semantische Dickicht zu schlagen.[1] Allerdings droht der Begriff zu sprachlichem Imponiermaterial zu werden, um dessen genaue Bedeutung man sich wenig zu sorgen braucht, solange der Anschein des Tiefsinns skeptische Rückfragen abwehrt. Nun ist die allgemeine Beliebtheit von «Globalisierung» jedoch mehr als das Symptom einer kollektiven Denkschwäche. Der Begriff füllt konkurrenzlos einen legitimen Platz: Er gibt der Epoche einen Namen. Es war in den letzten Jahrzehnten nicht einfach, die Signatur des gegenwärtigen Zeitalters prägnant zum Ausdruck zu bringen. In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts schwärmten manche vom «Atomzeitalter». In den sechziger und siebziger Jahren redeten die einen von der reifen «Industriegesellschaft», die anderen vom «Spätkapitalismus», in den Achtzigern fand die «Risikogesellschaft» viel Anklang, und die «Postmoderne» kam in Mode, drang allerdings nicht ins allgemeine gesellschaftliche Bewusstsein ein, weil man sich nichts Konkretes darunter vorstellen konnte. «Globalisierung» war da ein Begriff von anderem Kaliber. Er schloss an Erfahrungen an, die viele Menschen machten: Zum einen brachten Konsum und Kommunikation den Bewohnern der reichen Länder tatsächlich (fast) den ganzen Globus ins Haus. Zum anderen schien durch die Auflösung der abgeschotteten Sonderwelt des Sowjetblocks der Planet insgesamt von einheitlichen Prinzipien westlich-moderner Lebensgestaltung durchwirkt zu werden. Unter ökonomischem Gesichtspunkt schienen durch die Befreiung der Marktkräfte von staatlicher Regulierung und durch technologische Neuerungen im Bereich von Datenverarbeitung und Kommunikation Märkte zu entstehen, auf denen Angebot und Nachfrage weltweit wirksam werden konnten. So tief auch die Kluft zwischen den schwer durchschaubaren Zusammenhängen weltweiter wirtschaftlicher Verflechtung und den leicht zugänglichen Alltagserfahrungen von Entgrenzung sein mag – der Begriff der Globalisierung hat den großen Vorzug, beiden Seiten gerecht zu werden, Verstand und Gemüt auf einen Nenner zu bringen. Immer wieder bestätigt sich auch der triviale Kern, der sich im Inneren des Begriffs verbirgt: Die Welt wird zusehends «kleiner», und Entferntes wird immer stärker miteinander verknüpft. Zugleich wird sie «größer», weil wir noch niemals weitere Horizonte überschauen konnten.[2] Wenn man daher den Zeitgeist der letzten Jahrhundertwende «auf den Begriff» bringen will, dann bleibt tatsächlich kaum eine Alternative zu der Versicherung, wir seien in die Epoche der Globalisierung eingetreten. An diesem Punkt drängt es Historiker, sich in die Diskussion einzumischen. Auf der einen Seite kommt ihnen manches bekannt vor, das in der soziologischen Literatur als neue Erkenntnis angepriesen wird. So haben zum Beispiel Wirtschaftshistoriker schon lange, bevor es das Wort «Globalisierung» überhaupt gab, den Prozess der Herausbildung und allmählichen Integration einer Weltwirtschaft ziemlich genau beschrieben. Dabei geht es Historikern um Präzision sowohl bei der Deskription von Sachverhalten als auch bei der Zurechnung von Wirkungen und Ursachen. Während in dieser Hinsicht Historiker ihrem Ruf gerecht werden, besonders genau hinzuschauen und im Zweifelsfall dem begründeten Nachweis den Vorzug vor der glitzernden Pointe zu geben, folgen bei anderen Fragestellungen auch sie dem Zug ins Große. Seit langem deutet die Geschichtswissenschaft die Veränderungen, welche die Welt seit etwa zweieinhalb Jahrhunderten erlebt hat, mit Hilfe sehr weit gefasster Prozessbegriffe, die man – analog zu den bekannten «Ismen» (Liberalismus, Sozialismus usw.) – als «Ierungen» bezeichnen könnte: Rationalisierung, Industrialisierung, Urbanisierung, Bürokratisierung, Demokratisierung, Individualisierung, Säkularisierung, Alphabetisierung u.a.m. Alle diese Vorgänge, die jeweils eigenen Zeitmustern folgen und auf eine sehr komplizierte Weise miteinander zusammenhängen, haben gemeinsam, dass sie langfristig ablaufen, sich in unterschiedlichen Formen und Intensitäten auf allen Kontinenten abspielen und eine verändernde Kraft freisetzen, wie sie in der älteren, der vormodernen Geschichte selten anzutreffen ist. Der Metabegriff der «Modernisierung» versucht, die genannten Einzelprozesse zu einer Gesamtentwicklung zu bündeln. «Globalisierung» scheint sich schon von der Wortform her für einen Platz unter den Makroprozessen der modernen Welt zu qualifizieren. Man muss den Begriff nicht gleich auf die oberste Ebene, also direkt neben (oder gar über) «Modernisierung», stellen und in der zunehmenden Verdichtung ferner Zusammenhänge das Hauptmerkmal der Weltentwicklung sehen. Es genügt zu fragen, ob «Globalisierung» möglicherweise so aussagekräftig und so wichtig sein könnte wie etwa «Industrialisierung». Das wäre schon eine ganze Menge und würde das Deutungsrepertoire der Geschichtswissenschaft erfreulich bereichern. Es wäre um so willkommener, als sich keine der oben genannten «Ierungen» auf Zusammenhänge zwischen Völkern, Staaten und Zivilisationen bezieht. Sie alle machen sich im nationalen und regionalen Rahmen bemerkbar und werden auch auf diese Weise wissenschaftlich untersucht. Insoweit «Globalisierung» sich einen Rang unter den großen Entwicklungsbegriffen verdient hat, ist eine breite Lücke gefüllt – hier kann alles Inter-Kontinentale, Inter-Nationale, Inter-Kulturelle (usw.) untergebracht werden, das lange zwischen den etablierten «Diskursen» der Historiker heimatlos herumvagabundierte. Wir hüten uns vor dem albernen Anspruch, die gesamte Geschichte der Neuzeit als eine der Globalisierung neu schreiben zu wollen. Wir werden vielmehr versuchen, aus der Perspektive von Globalisierung einen neuen Blick auf die Vergangenheit zu werfen. Man kann es auch anders sagen: Dass viele Aspekte des heutigen Daseins nur noch im Zusammenhang weltweiter Verflechtungen verstanden werden können, ist ein Gemeinplatz. Haben solche Verflechtungen aber nicht auch in der Vergangenheit eine größere Rolle gespielt, als es im gängigen Geschichtsbild zum Ausdruck kommt? Welcher Art waren diese Verflechtungen, wie funktionierten sie, und summierten sie sich wirklich zu einem Prozess eigenen Charakters, der es rechtfertigt, den Begriff der «Globalisierung» dafür zu verwenden? Schließlich: Wenn sich die letzte Frage bejahen lässt – kann man dann eine Zeitenwende gegen Ende des 20. Jahrhunderts identifizieren, an der Globalisierungstendenzen so dramatisch und dominant wurden, dass man es wagen kann, von einer tiefen Zäsur, also dem Beginn einer neuen Epoche zu sprechen, eines «globalen Zeitalters» (Martin Albrow), einer «Zweiten Moderne» (Ulrich Beck, Anthony Giddens), «Cosmopolis» (Timothy Garton Ash) oder welches Etikett man auch immer wählen mag? 2. Bedeutungskern und Kontroversen
In den meisten Definitionsangeboten spielen die Ausweitung, Verdichtung und Beschleunigung weltweiter Beziehungen eine zentrale Rolle. Definitionen werden dabei oft bereits mit gegenwartsdiagnostischen Aussagen verbunden. Dabei geht es etwa darum, ob Globalisierung den Untergang des Nationalstaats bedeutet, ob sie eine kulturelle Vereinheitlichung der Welt mit sich bringt oder ob sie den Konzepten von Raum und Zeit einen neuartigen Sinn verleiht. Hinter solchen Diskussionen über die Bedeutung von Globalisierung verbergen sich nicht selten auch krass formulierte Werturteile. Die Pole eines breit ausgefächerten Spektrums werden durch Globalisierungseuphoriker und Globalisierungsgegner markiert. Begrüßen die einen den Beginn einer neuen Ära von Wachstum und Wohlstand, so erkennen die anderen eine heraufziehende globale Herrschaft der westlichen kapitalistischen Länder und Chinas zum Nachteil von Demokratie, Arbeitnehmerrechten, armen Ländern überhaupt und des globalen Ökosystems. Wenn es ein allgemeines Einverständnis unter den Autoren der unterschiedlichsten Richtungen gibt, dann liegt es in der Annahme, Globalisierung stelle die Bedeutung...


Jürgen Osterhammel war bis 2018 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Konstanz.

Neils P. Petersson ist Professor für Geschichte an der Sheffield Hallam University.


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