O'Sullivan | Working Class Girl | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

O'Sullivan Working Class Girl

Aufstieg einer Frau von ganz unten. Der Nummer-1-Bestseller aus Irland
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-910372-53-5
Verlag: Kjona Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Aufstieg einer Frau von ganz unten. Der Nummer-1-Bestseller aus Irland

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-910372-53-5
Verlag: Kjona Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie viele junge Mädchen ist Katriona klug, neugierig und zukunftsfroh. Wie immer mehr Mädchen wächst sie in Armut auf. »Hosenpisserin« wird sie in der Grundschule von ihren Klassenkameradinnen genannt. Weil sie stinkt. Weil es bei ihr zu Hause keine Seife und keine Handtu?cher gibt. Armut beschämt und macht einsam. Und Armut bedeutet auch Armut an Sicherheit. Mit fu?nfzehn wird Katrina schwanger und obdachlos. Mit der Hilfe von zwei Lehrerinnen und einem Sozialarbeiter schafft sie dennoch den Aufstieg von ganz unten. Heute ist sie eine vielfach ausgezeichnete Psychologin und Aktivistin. »Working Class Girl« erzählt davon, was es bedeutet, alltäglich in existenzieller Armut zu leben. Und von unbedingter Solidarität und Hoffnung.

Katriona O'Sullivan wurde 1977 als Kind irischer Eltern in Coventry, England, geboren. Mit zwanzig zog sie nach Dublin und nahm dort am Trinity College Access Programme teil, das Studierende aus sozial benachteiligten Familien fördert. Sie promovierte in Psychologie und arbeitet heute an der Maynooth University. Sie hält Vorträge fu?r die UN, das World Education Forum und den European Gender Action Workshop. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Dublin. »Working Class Girl« ist ihr erstes Buch.
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1


Es gibt Erinnerungen, die ich wahren möchte. Erinnerungen, über die ich gerne rede. Wie ich sommers auf dem Rücksitz von Vaters grünem Cortina sitze und auf seinen Hinterkopf schaue, seine wilden Locken, das Fenster runtergekurbelt, sein gebräunter Arm lehnt lässig darauf, zwischen den Fingern hält er eine Zigarette. Der Fahrtwind bläst mir ins Gesicht und peitscht mein Haar gegen meine Wangen. Wir hören Kassetten von meinem Vater, die ganze Familie singt mit. Sein Goldring klopft im Rhythmus gegen das Blech.

Und es gibt Erinnerungen, über die ich ungern spreche, die mich runterziehen. Auch von ihnen will ich erzählen, in der Hoffnung, dass ich sie so endlich loslassen kann.

Ich bin sechs und stehe früh morgens an der geöffneten Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern. Meine Augen haben sich noch nicht an das Licht gewöhnt, und so begreife ich nicht gleich, was ich da vor mir sehe.

Dann schon.

Mein Dad liegt verrenkt auf dem Bett. Seine Jeans halb runtergezogen, ich sehe seinen Bauch und die Unterhose. Über die Haut verteilt schwarze Kreise, und über seinen Unterschenkel ergießt sich eine lilafarbene Prellung, in deren Mitte steckt eine Plastikspritze – eine von denen, die er sich sonst in den Arm steckt. Das zylinderförmige Röhrchen ist nach unten gerutscht und wird nur noch von der Nadel an Ort und Stelle gehalten.

Ich stehe einfach nur da und schaue. Gelbe Pissflecken auf dem Bett, und durch die alten Gardinen fällt ein Sonnenstrahl und leuchtet ihn an. Staub tanzt im Licht.

Sein Gesicht ist mir zugewandt.

Ist er tot?

Habe ich das gerade wirklich laut ausgesprochen? Tot? Ich glaube, ich habe es gerufen. Der Laut wirbelt durch den Raum, aber mein Herz klopft zu laut, um ihn als meine eigene Stimme wahrzunehmen.

Ich muss das wirklich laut gerufen haben, wenn ich jetzt zurückdenke, denn John Bean, der Freund meines Vaters, sprintete laut durchs Haus nach oben. Auf der Treppe nahm er drei Stufen auf einmal und hetzte über den Flur. Er schob mich beiseite und rief immer wieder den Namen meines Vaters.

»Hey, Tony, hey, hey, Tony …«

»Ist er tot?«, fragte ich.

John Bean raste an mir vorbei, die Treppe runter und raus auf die Straße.

Mein Vater Tony O’Sullivan war gebürtiger Ire. Über seine ersten fünf Lebensjahre ist nichts bekannt. Wir wissen nur, dass er von seiner Mutter der berüchtigten St. Vincent’s Industrial School in Goldenbridge übergeben wurde. Dort blieb, bis er fünf war. Dann adoptierten ihn Jim und May O’Sullivan und nahmen ihn bei sich in Clontarf auf. Sie hatten keine weiteren Kinder. Mein Großvater Jim arbeitete im öffentlichen Dienst, obgleich er am University College Dublin Medizin studiert hatte. Er war strenggläubig, ging täglich zur Messe und las die Irish Times stets von der ersten Seite bis zur letzten.

Mein Vater erzählte uns, dass er Jim, als dieser im Sterben lag, nach seiner Herkunft befragt hatte. Jim sagte ihm, dass Tonys Tante, Schwester Francis Xavier (Jims Schwester), seine Mutter sei. Tony kannte seine Tante aus der Kindheit von einmal im Jahr stattfindenden Familienfeiern. Sie hatte ihn in jenen Jahren großzügig mit Geschenken bedacht, doch erzählte mein Vater uns, dass der Kontakt zu ihr ihn immer aufgewühlt und psychisch unter Druck gesetzt hatte.

Mein Vater erfuhr schließlich, dass besagte Tante im Alter von zweiundvierzig Jahren in dem Kloster in Cork, in dem sie lebte, schwanger geworden war und Tony als Baby von einer anderen Schwester von Jim, ebenfalls eine Nonne, im Kinderheim Goldenbridge in Dublin abgeliefert wurde. Irgendwann wurde Tony dann von jemandem adoptiert, in welchem Alter und für wie lange wissen wir nicht, kam aber erneut ins Heim, und als er dann fünf war, nahm sein Onkel Jim ihn bei sich auf.

Mein Vater erzählte uns, wie sehr ihn diese Geschichte seiner Herkunft mitgenommen habe, aber als ich an diesem Buch arbeitete, stellte sich heraus, dass er sie frei erfunden hatte: Ein DNA-Test ergab, dass ich mit den O’Sullivans genetisch nicht verwandt bin, mithin Jims Schwester nicht die Mutter meines Vaters sein konnte und Jims angebliches Geständnis auf dem Sterbebett ein Hirngespinst meines Vaters gewesen war. Gott allein weiß, warum mein Vater uns diese Lügenmärchen auftischte. Zu der Zeit, als Jim starb, kamen zahlreiche Fälle von Kindesmissbrauch in Goldenbridge ans Tageslicht. Vielleicht ertrug mein Vater die Vorstellung nicht, eines von jenen Kindern gewesen zu sein, und weil sein Adoptivvater ihm nicht mehr widersprechen konnte, dachte er sich das schöne Märchen aus, dass zwei Nonnen, Mutter und Tante, aus der Ferne ihre schützende Hand über ihn gehalten hatten.

Was wir wissen, ist, dass mein Vater, noch bevor er von der freundlichen Mittelklassefamilie, seinem im öffentlichen Dienst tätigen Vater und seiner Mutter, einer Hausfrau, aufgenommen wurde, irgendetwas verloren hat.

Und er hat es nie wieder zurückbekommen.

Mein Vater erzählte uns Kindern öfter, dass das Erste, woran er sich erinnere, ein Feuer gewesen sei. Weinend habe er in seinem Gitterbett gestanden, während um ihn herum die Flammen wüteten.

»Ich weiß nicht, wo ich herkomme«, sagte er dann, »aber ich weiß, dass es um mich herum brannte.«

Als Kind ging mir dieses Bild oft durch den Kopf. Mein Vater, klein und hilflos, wie er zusehen musste, wie alles um ihn herum zu Asche wurde.

Was davon wahr ist und was nicht, werde ich nie erfahren. Wahrscheinlich ist wohl, dass mein Vater sich auch diese Geschichte ausgedacht hat.

Als Teenager war mein Vater ein Freigeist, der gegen die Mittelklasse-Existenz, die sich seine Eltern für ihn wünschten, rebellierte. Sie gaben ihm alles, was er brauchte, um es im Leben zu etwas zu bringen, aber er verweigerte sich. Sie lebten in einem friedlichen Zuhause an der Küste. Er besuchte eine Privatschule für Jungen im Zentrum von Dublin, Belvedere College, wo aus ihm ein Tennis-Champion wurde. Man bot ihm einen Studienplatz am Trinity College an, aber er lehnte ab und ging stattdessen nach England, wo er von Haustür zu Haustür ging und irgendwelche Bilder verkaufte und Drogen nahm.

Mein Vater erzählte mir, dass er als Junge gern von zu Hause aus zum Strand in Dollymount radelte, sich dort ins Gras fallen ließ und las. Nichts auf der Welt habe er damals lieber getan. Ich glaube, er hat mir diese Geschichte erzählt, weil sie für ihn am ehesten sein wahres Selbst widerspiegelte, dort am Strand, den Kopf auf den senkrecht aufgestellten Sattel gelegt. Ich sehe ihn vor mir, wie er mit seinem Buch die Augen vom Sonnenlicht abschirmt. Mein Vater, bevor er sich in einer Suchtspirale verfing und versuchte, eine Lücke zu füllen, die sich in seinen ersten fünf Lebensjahren aufgetan hatte. Vielleicht wurde ihm die Stille an jenem Strand irgendwann zu laut, vielleicht musste er raus aus seinem Kopf, weil ihn da drin etwas verfolgte. Wer weiß das schon? Jedenfalls lernte er bald darauf an einer Bushaltestelle in Coventry meine Mutter kennen, und nicht sehr viel später hatten sie fünf Kinder und noch mehr Süchte und lebten in einem Elend von unvorstellbarem Ausmaß. Bis zu seiner Ankunft in England hatte mein Vater hier und da leichtere Drogen ausprobiert. Als ich sechs war und von der Schlafzimmertür aus auf seinen leblosen Körper schaute, war er heroinabhängig.

Mein Vater war gebildet und gehörte durch seine Eltern zur Mittelklasse. Er war nie um eine Antwort verlegen und wusste sich zu benehmen. Ein Mann mit Charisma. Einerseits.

Andererseits war er ein Krimineller, Alkoholiker und Junkie.

Und es war mein Vater, der sich eine Überdosis verabreicht hatte, als ich sechs Jahre alt war, und da lag in einem Bett voller Pisse und Erbrochenem.

John Bean war Hilfe holen gegangen, aber die anrückenden Sanitäter ließen sich Zeit. Sie hatten anscheinend die Nase voll. Sie krochen ächzend und stöhnend die Treppe hoch. Sie warfen einen Blick auf meinen Vater, wandten sich einander zu und schauten sich vielsagend an.

Ich kannte diesen Geheimcode, diese Sprache der Verachtung. Bereits als Sechsjährige wusste ich sie zu deuten. Mein Vater lag im Sterben, und obgleich es ihr Job war, sich um ihn zu kümmern, waren sie der Ansicht, dass er es nicht wert sei, ihm das Leben zu retten.

Sie sprangen grob mit ihm um. »Hoch mit dir, Junge«, sagte einer von ihnen, als wäre mein Vater mal eben gestürzt. Sie packten ihn an Armen und Beinen und schwangen ihn seitwärts auf die Bahre, ein Schuh fiel nach unten, einer der beiden Sanitäter verdrehte die Augen und beförderte den Schuh mit einem Tritt unters Bett.

Sie wollten keine Hilfe leisten. Sie wollten meinem Vater nicht helfen.

Ich weinte, während ich das sah, aber ich sagte kein Wort. Ich hätte sie gern angebrüllt, sie sollen meinen Dad retten, ihm helfen. Aber ich tat es nicht. Ich trocknete mir nur mit dem Ärmel die Tränen am Kinn. Er war bereits vollkommen durchnässt.

John marschierte nervös auf und ab. »Ist er okay?«, fragte er einen der Sanitäter und wurde ignoriert. Als wäre er Luft.

»Ist mein Dad tot?«, fragte ich den anderen. Er ließ mich links liegen.

Die Bahre mit meinem Vater wurde an mir vorbei die Treppe hinuntergetragen. Das alles wirkte so unwirklich. Immer wieder der Gedanke, ist er tot?

Er sah aus wie tot. Seine Haut war grau, seine Augen tief in die Höhlen gesunken. Er war derart blass, dass ich förmlich jedes einzelne rote Härchen von seinem Schnurrbart sah, Details auf seiner Haut, die blauen Venen an seinen Händen, seinen kleinen Finger mit dem Siegelring.

»Dad …«, sagte ich.

Sie trugen ihn aus dem Haus und dann war er fort. Kein Blaulicht, kein...


Spatz, Sylvia
Sylvia Spatz übersetzt aus dem Englischen, Französischen und Italienischen. Sie lebt mit ihrer Familie in Italien.

O'Sullivan, Katriona
Katriona O'Sullivan wurde 1977 als Kind irischer Eltern in Coventry, England, geboren. Mit zwanzig zog sie nach Dublin und nahm dort am Trinity College Access Programme teil, das Studierende aus sozial benachteiligten Familien fördert. Sie promovierte in Psychologie und arbeitet heute an der Maynooth University. Sie hält Vorträge fu¨r die UN, das World Education Forum und den European Gender Action Workshop. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Dublin. »Working Class Girl« ist ihr erstes Buch.



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